Obiger Zeitungsartikel bezieht sich auf meine Arbeit an der unten stehenden Rezension der Diesterweg-Briefedition von Prof. Klaus Goebel (Wuppertal-Ronsdorf).

Der obige Artikel des ehem. Kulturchefs der Westfalenpost Andreas Thiemann steht (ohne das Bild) im Internet HIER: http://www.derwesten.de/kultur/diesterweg-korrespondenz-als-zeitzeugnis-aimp-id12389882.html

Die unten stehende Rezension wurde - mit Bild - auch von der Webseite des Wuppertaler Kirchenkreises übernommen - HIER: http://www.evangelisch-wtal.de/index.php/aktuelle-meldungen-leser-1365/aufgeblaettert-21744.html


Text, der als Nr. 4a im Newsletter Theoletter 61/2016 Anfang August zu lesen war (von mehr als 420 Abonnenten; vgl. www.tinyurl.com/theoletter):

4a. Weiterer Neuerscheinung wünscht der Theoletter viel Erfolg: zu Diesterweg!

Verfasser bzw. Herausgeber dieser Neuerscheinung ist der Historiker Prof. Dr. Klaus Goebel (Wuppertal-Ronsdorf, früher Uni Dortmund), der als ev. Christ auch kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlich viel Interessantes erforscht hat und als einer der besten Kenner der Wuppertaler Heimatgeschichte zu bezeichnen ist.

Auch im Theoletter kam schon vor, dass er ein Buch über seinen Freund Johannes Rau als Politiker und Christen verfasst hat, und dass Prof. Goebel außerdem das Werk "Drei Stunden hinter Berlin. Briefe aus dem Vikariat" des Schriftstellers und Pfarrers Heinrich Wolfgang Seidel (1876 bis 1945) neu herausgegeben hat; das war der Ehemann der Schriftstellerin Ina Seidel ("Lennacker"). Außerdem hatte Goebel kürzlich (2014) den Briefwechsel der beiden Dichter Rudolf Alexander Schröder/Reinhold Schneider herausgegeben.
Brandneu ist eine neue Goebelsche Editionstat:

"Dieß schreibt Dir aus liebendem Herzen". Briefe von Sabine Diesterweg und ihrer Familie, hg. von Klaus Goebel, ISBN 978-3-8353-1928-8,
335 S., 19,90 EUR, Wallstein-Verlag Göttingen 2016.


"Unser Buch des Monats" wird dieses Buch online genannt bei der Wuppertaler Nachrichten-Website njuus.de, vgl. http://www.njuuz.de/beitrag35546.html (weitere Rezension des Buches durch des gleichen Rezensenten mit anderer eigentümlicher Zuspitzung auch HIER; weiterer Wuppertaler Presseartikel über den Briefwechsel neu in diesem Goebel-Interview) .
Seit Jahrzehnten hatte sich Prof. Klaus Goebel mit dem Lehrer und Reformpädagogen Adolph Diesterweg beschäftigt (der auch eine Zeitlang in Elberfeld wohnte), und Goebel ist auch Mitherausgeber von Diesterwegs Werken.

Für FG ist dieser Briefband von Diesterwegs Ehefrau von großem Interesse, denn in diesen Briefen kommt auch der in Iserlohn geborene Berliner Oberhofprediger Gerhard Friedrich Abraham Strauß des Öfteren vor (sogar auch im Bild) und ebenfalls natürlich dessen Frau Johanna, geb. von der Heydt (bekanntlich auch aus den reichen Kreisen Elberfelds stammend). Über Gerhard Friedrich Abraham Strauß und seinen Weg von Iserlohn über Ronsdorf und Elberfeld nach Berlin hatte ich ja im letzten Winter meinen Vortrag in der Berliner Humboldt-Universität gehalten (online auf einer eigenen Website HIER mit vielen Bildern zu finden).

Mir war das Grund genug, Prof. Goebels Buch als Rezension (also umfangreicher als es im Theoletter möglich ist) online zu stellen - und hier im Theoletter auf diese Online-Rezension zu verweisen

Mehr dazu mit Bild der Titelseite und diversen Links online HIER:
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Rezension von Friedhelm Groth (letzte Korrektur 26.8.2016 um 15.30 Uhr):
Dieß schreibt Dir aus liebendem Herzen
Briefe von Sabine Diesterweg und ihrer Familie,
hg. von Klaus Goebel,
ISBN 978-3-8353-1928-8,
335 S., mit 31 (z.T. farbigen) Abbildungen,
Wallstein-Verlag Göttingen 2016,
19,90 EUR


Ein wunderschönes Buch in rotem Leinen liegt vor uns, mit einem farbigen Schutzumschlag, der das Bildnis der Hauptperson zeigt: Sabine Diesterweg, geb. Enslin (geb. am 2.2.1793 in Wetzlar, gest. am 27.6.1866 in Berlin), Ehefrau des bekannten Pädagogen und Schulreformers Adolph Diesterweg (geb. 29.10.1793 in Siegen, gestorben 7.7.1866 in Berlin).

In Hemer zum Beispiel trägt eine Schule Diesterwegs Namen, in mehreren Städten gibt es eine Diesterweg-Schule oder ein Diesterweg-Gymnasium. Und in der Karl-May-Stadt Radebeul gibt es sogar eine Adolph-Diesterweg-Sternwarte. Man hat Diesterwegs Bild auf früheren Briefmarken gesehen, und man hat als Schüler auch sicherlich mal vom Moritz-Diesterweg-Verlag gehört und ein Schulbuch von dort in der Schultasche gehabt. Dieser Moritz Diesterweg, der Verlagsgründer, lebte von 1834 - 1906 und war das jüngste Kind aus der großen Schar der zehn Diesterweg-Kinder, die in diesen Briefen vorkommen; Moritz wurde geboren, als Sabine schon 41 war.

Klaus Goebel gab diese "Briefe von Sabine Diesterweg und ihrer Familie" auch als Andenken an die Familie Diesterweg zum 150. Todestag sowohl von Sabine Diesterweg als auch von Adolph Diesterweg heraus: beide waren tragischerweise aufgrund der letzten großen Choleraepidemie in Berlin sehr kurz hintereinander im Sommer 1866 verstorben; vgl. dazu in dem Band die Briefe 50 bis 53 (S. 244 - 253).

Als Hauptperson bezeichneten wir Sabine Diesterweg, die Mutter dieser großen Familie. Das ist sie in diesem Buch, da die meisten der hier veröffentlichtem Briefe von ihr stammen. Als Herausgeber schreibt Goebel zu Beginn des Bandes: "Selbstauskünfte einer Frau in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft dieser Zeit sind nicht oft archiviert und noch seltener publiziert worden" (S. 7), und er lässt dabei keinen Zweifel daran, dass auch in dieser Familie der Mann (zumal dieser Mann mit seiner  besonderen Tätigkeit) der Herr im Haus war, dass aber Sabine als Mutter der vielen Kinder in dem gehobenen bürgerlichen Familienleben in jener Zeit in Berlin wichtige Aufgaben zukamen.

Diese ausgewählte Briefausgabe umfasst 53 (meist längere) Briefe aus den letzten 22 Jahren, die die Diesterwegs zusammen in Berlin lebten - von 1844 bis 1866. Dieser eigentliche Briefteil umfasst nach der Einleitung die S. 30 - 252; Goebels sehr hilfreiche Erläuterungen finden sich auf den S. 269 - 308, und nicht minder zur Erläuterung dient als wichtiger Teil des Bandes das "Biographische Register" S. 314 - 335.

Dem Herausgeber Klaus Goebel ist es zu verdanken, dass dieses Familienleben in Berlin in sehr lebendiger Weise mit allen Facetten und mit viel Lokalkolorit vor uns dargestellt wird - wie eine spannende Film-Doku oder wie ein Berliner Fontane-Roman. Die schönen eingestreuten Abbildungen tun das Ihre dazu, das alles zu verlebendigen (ein Teil dieser Abbildungen ist auf den S. 257 - 266 zusammengefasst).

Goebel ist beides, guter Pädagoge und guter Historiker, und er versteht es, dass man seiner Darstellung mit Interesse folgt. In dieser Hinsicht ist seine genannte Einführung schon ein Meisterstück (S. 7 - 29); da zeigt er, wie er die großen historischen Linien und die Kleinigkeiten und Eigenarten aus dem Diesterwegschen Familien erhellend miteinander darzustellen versteht, so dass man Lust bekommt, die Briefe zu lesen. In dieser Einleitung erfährt man auch, wie zwischen Adolph und Sabine die "Liebe auf den ersten Blick" (S. 9) begann und "über 50 Jahre überdauern sollte", wie das Paar dann heiratete, von Frankfurt aus 1818 - 1820 in Elberfeld lebte und dann ab 1832 in Berlin. 1818 - 1820 lernte man in Elberfeld schon den ursprünglich aus Iserlohn gekommenen späteren Berliner Oberhofprediger sowie Domprediger und Theologieprofessor Gerhard Friedrich Abraham Strauß kennen, von dem ja oben schon die Rede war.

Dessen Ehefrau, die prominente und fromme Elberfelderin Johanna geb. von der Heydt (zu deren sehr reichem Elternhaus z.B. HIER), kommt in den hier vorzustellenden Briefen als "Tante Strauß", also quasi als Familienmitglied, vor: Mutter Sabine Diesterweg erinnert ihren Moritz (den späteren Verleger) etwa in einem Brief aus dem Januar 1860 einmal daran, dass sie gerade auf den Familienbildern gegenüber dem Fenster auch auf die dort abgebildete "Tante Strauß" geblickt habe, "die uns immer eine liebe Freundin war" und die den Moritz als kleinen Jungen auf dem Schoß gehabt habe und ihm Bilder gezeigt habe (vgl. den Brief  an Moritz, S. 170). Übrigens war Ehemann Gerhard Friedrich Abraham Strauß der Konfirmator der meisten der Diesterweg-Kinder, und er war oft Gast im Hause Diesterweg (zusammenfassend dazu z.B. im Register S. 349 f.); auch sein Konterfei kam schließlich zu den Familienbildern, wie Sabine kurz vor Strauß' Tod schrieb (S. 206).

Geradezu spannend ist es in den Briefen, direkt nebeneinander von allerlei Familienkleinkram und Alltagssachen zu verfolgen und dicht dabei von Dingen, die sehr delikat sind: dass zum Beispiel Strauß offensichtlich öfter die Hand zu halten hatte über den aus der Sicht der restaurativen Obrigkeit allzu liberalen Pädagogen Adolph Diesterweg. Ab 1840 (vgl. dazu S. 15) gab es da große Schwierigkeiten, die schließlich in Diesterwegs nicht ganz freiwilliger Pensionierung ausmündeten. 

Man wundert sich, dass Strauß, der erwecklich-pietistisch ausgerichtete Theologe, keine weltanschaulichen Hemmungen hatte, sich für den zur Aufklärung neigenden Pädagogen zu verwenden, der z.B. den allzu großen Einfluss der Kirche auf die Schule zu verhindern suchte und ein stark von der Erbsünde geprägtes Menschenbild nicht als Grundmuster in die Pädagogik übernehmen wollte. Als kirchlicher Ratgeber und Fürsprecher wirkte offenbar noch häufiger als Strauß der Generalsuperintendent und Bischof Wilhelm Gottfried Roß für Diesterweg, auch im Blick auf Gefahren, die von der Obrigkeit drohten. Das Familienleben der großen Familie Diesterweg, das Mutter Sabine sehr stark prägte, wirkt nach den hier vorgestellten Briefen betont christlich, eher pietistisch getönt als liberal und aufklärerisch (stark ausgedrückt ist diese pietistisch anmutende Frömmigkeit z.B. in Sabines Brief direkt nach dem Selbstmord von Tochter Hermine, S. 158; vgl. z.B. auch die Briefpasage S.234 f. - ebenfalls im Trauerzusammenhang). Glaube und christlichen Sitten spielten dort bei den Diesterwegs ungebrochen eine deutliche Rolle; z.B. gingen vier Familienmitglieder sogar erstaunlicherweise einmal gleichzeitig zu vier verschiedenen guten Predigern in vier Berliner Kirchen (S. 112)! Und Adolph Diesterweg habe - so zitiert Goebel - "in Schleiermachers Gottesdiensten nie gefehlt" und er habe auch bei diesem Pädagogik-Vorlesungen gehört (S. 21).

Zu den prominenten Menschen, mit denen die Diesterwegs Kontakt hatten, gehört ferner z.B. auch Friedrich Fröbel, der Reformpädagoge, der sowohl "Erfinder" des Wortes Kindergarten war als auch den Kindergarten "erfunden" und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen entwickelt hat; Fröbel war Diesterweg begegnet, als dieser in Kur in Bad Liebenstein war, dem oftmaligen Kurort der Diesterwegs. Auch Tochter Hermine hatte solch eine Ausbildung zur Kindergärtnerin im Fröbelschen Sinne (vgl. z.B. S. 84 - Hermine an Julie) begonnen. Zum guten Verhältnis zwischen Fröbel und Diesterweg vgl. Klaus Goebels Kommentierung S. 280 f.

Dieser von Goebel herausgegebene Briefband fasziniert wie angedeutet durch die hier vereinten Gegensätze: ein buntes Panoptikum entsteht vor unseren Augen, wie die große Familie im Laufe der Jahre entsteht und größer wird - Geburten, Taufen, Todesfälle, Hochzeiten, dazu berufliche und krankheitsbedingte Nöte; besonders erschütternd z.B. der Selbstmord der kranken Tochter Hermine (vgl. z.B. die Briefpassage S. 155). Ansonsten beschreibt Sabine in diesen Briefen zu Weihnachten und zu den Geburtstagen in der Familie immer wieder genauestens die Geschenke und deren Geber, ferner die in dieser musikalischen Familie dargebotenen festlichen Musikstücke und das Essen, das es gab. Auffällig oft kommen in den Briefen verschickte Würste (fast als 'running gag') vor und wie viel Porto die kosteten, oder auch welche Unterhosen und Nachthemden Moritz entweder geschickt bekam oder noch brauchte. Und da - mitten hineingefügt - zeitgeschichtliche Beschreibungen, die fast wies eine Reportage wirken: z.B. wie es war, als die Revolution sich 1848 rings um das Schloss ausbreitete und in Berlin Barrikadenkämpfe ausbrachen (dargestellt in Tochter Hermines Brief am 20. März 1848, S. 61 - 65). Oder wie die Krönung von Wilhelm I. in  Königsberg stattfand und er und Königin Augusta auf dem Alexanderplatz von einer Riesenmenschenmenge - auch den Diesterwegs -  enthusiastisch empfangen wurden (S. 210 - 214).

Unsere bisherige Darstellung der Briefedition ist dahingehend zu ergänzen, dass dieses Buch auch eine reizvolle historische Fundgrube ersten Ranges ist. Das schon genannte lange und sorgfältig erarbeitete Personenregister (S. 314 - 355) ist unter anderem auch ein gut kommentiertes "preußisch-Berlinisches Who-is-Who?" aus der Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zum Beispiel habe ich durch die Lektüre des Buches Näheres und vorher Unbekanntes zu Pfr. Julius Müllensiefen erfahren, der aus Iserlohn stammte und über dessen Vater Landrat Peter Eberhard Müllensiefen ich ein kleines Buch mit besonderem kirchengeschichtlichen Inhalt geschrieben hatte; vom Festmahl bei Müllensiefens Einführung im Jahre 1852 - er war dann Pfarrer an der Berliner  Marienkirche und u.a. der Beichtvater der Kaiserin Augusta - erfährt man bei Sabine Diesterweg auf S. 99; vgl zu ihm auch S. 109, 112 und 118.

Auch innerfamiliär hilft Goebels Kommentierung dazu, Eigenarten von Herrn und Frau Diesterweg besser zu verstehen. Ein schönes Beispiel: Hatte Adolph Diesterweg seine Gefährtin in einer Wandergruppe, die (wie er aus dem Siegerland stammende) Frau Anna Flender sehr gelobt: sie sei in der märkischen Schweiz "die Seele der Gesellschaft" gewesen (S. 47), so sieht hingegen die eigene Ehefrau Sabine die gleiche Frau ganz anders. Sabine empfindet Anna Flender als schwierige und aufdringliche Person (vgl. S. 49 f.), sehr anders als der ihr Ehemann Adolph, der - so Sabine - "darin anders" denkt; er "sucht sich das Schöne, welches die Menschen in sich tragen, heraus und kann sich ungestört darüber freuen. So auch hier" (beide Zitate S. 50). Theodor Fontane übrigens, so erfahren wir dank Goebels Kommentierung, ist bei der Charakterisierung der Anna Flender 1870 aber ziemlich auf der Seite der Sabine Diesterweg, wenn er als Privatlehrer ihrer Töchter zu Frau Flender  vermerkt: "im Munde dieser Frau wird alles Blech und Phrase" (S. 326).

Der Großteil dieser Briefe war von Sabine Diesterweg an ihre in Offenbach verheiratete Tochter Julie Köhler, geb. Diesterweg gerichtet, mit der Absicht, dass die dortige Familie, auch wenn sie weit entfernt wohnt, genau von Geschehen in und um Berlin Bescheid erhält, so dass Julie und die Ihren sich in Offenbach ein lebendiges Bild machen können. Diese Briefe wurden auch im Nachlass der Familie Köhler überliefert, und ganz am Ende des Briefbandes bietet Lotte Köhler (selbst eine ungewöhnliche Frau; in ihren Wikipedia-Artikel hat der Rezensent den Goebel-Briefband hinzugefügt) als Ururenkelin von Adolph und Sabine Diesterweg eigene Nachbemerkungen zur Familiengeschichte - auf den S. 309 - 313.
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Weiterhin gilt: Fehler und Verbesserungsvorschläge gerne an pastoerchen@gmx.de