Friedhelm Groth

Der Gründer des hiesigen CVJM:  (Max) Johannes Josephson
,
der 16. evangelische Pfarrer in Deilinghofen nach der Reformation
(hier im Amt von 1879 bis 1885)

Artikel aus: Deilinghofer Käseblättchen, Dezemberausgabe 2016 (Schleichwerbung)

 

PDF-Datei Max Johannes Josephson, vier DIN-A4-Seiten
HIER
 

In der recht eindrucksvollen Deilinghofer Pfarrergalerie, die man im Frauenhilfsraum des Martin-Luther-Hauses betrachten kann, befindet sich auch dieses Bild aus der Reihe der Menschen, die im Dorf am Felsenmeer im Lauf der Jahrhunderte evangelische Pfarrer waren. Der bärtige Mann mit wohl braunem oder dunkelblondem Haar blickt etwas ernst durch seine runde Nickelbrille, die seinem Gesicht einen intellektuellen Ausdruck verleiht. Johannes hieß er, dabei war Johannes sein Rufname, mit ganzem Namen hieß er Max Johannes Josephson und war am 2. Januar 1854 als Pfarrerssohn in Barmen-Wupperfeld geboren worden (als Sohn von Carl Ludwig Josephson, 1811 - 1888, und dessen aus Lüdenscheid stammender Frau, der Pfarrers- und Superintendententochter Marianne Philipps, 1822 - 1861).
 

Sehr Ungewöhnliches zum Elternhaus und zur Familiengeschichte

In ein ganz und gar ungewöhnliches Elternhaus wurde dieser Johannes da hineingeboren, und auch die Familiengeschichte der Josephson im gesamten zurückliegenden Jahrhundert seit 1805 war überaus spannend: Vieles daraus könnte man sich als einen interessanten Filmstoff vorstellen für einen "Kirchenkrimi" oder als Stoff für einen großen historischen Familienroman.
Wir hatten davon schon etwas im April dieses Jahres im "Deilinghofer Käseblättchen" zur Geschichte des Vaters Carl Ludwig Josephson beschrieben  [Langversion zum Vater C.L. Josephson HIER und Käseblättchen-Fassung HIER]:

Der war in jungen Jahren in Deilinghofen Hilfsprediger beim alten und kranken Pfarrer Basse, und er sollte auch dessen Nachfolger werden. Josephson stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1805 in Unna großes Aufsehen erregte, auch in der Zeitung, weil sich die ganze Sippe der Josephsons dort taufen ließ, elf Personen auf einmal, und überall tauchte die skeptische Frage auf, ob das nicht wohl "Scheintaufen" gewesen wären, mit denen sich die jüdische Familie geschäftliche Vorteile erschleichen wollte und christliche Privilegien.

Weit gefehlt, das stellte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts bald heraus! Die Josephsons waren bewusste, lebendige Christen, sie standen geistlich der frommen Bewegung der Herrnhuter nahe, und sie wirkten missionarisch sehr aktiv auf ihre Umwelt und warben für ein Leben mit Jesus Christus als Herrn. Aus dieser Sippe der frommen Josephsons traten besonders zwei Männer hervor, die beide der erwecklich-pietistischen Richtung angehörten und sehr ähnlich hießen:
Carl Ludwig Josephson (1811 - 1888; siehe links das Bild von ihm), der oben genannte Hilfsprediger des kranken Pfarrers Basse in Deilinghofen, und dessen Vetter Ludwig Carl Josephson (1809 - 1877; der sog. "Brosamenmann", ein viel gelesener geistlicher Schriftsteller), der Hilfsprediger und später Nachfolger des Pfarrers an der Bauernkirche Johann Abraham Strauß [zu Strauß HIER] ]war.

Ja, der Deilinghofer Carl Ludwig Josephson als Hilfsprediger und Pfarrer in spe war ein engagierter Christ aus ähnlichem Holz wie sein Iserlohner Vetter, ein Pastor und Seelsorger, den viele sehr liebten, dem aber auch Gegenwind entgegenstand hier im Dorf.

Die Aprilausgabe des "Käseblättchens" beschreibt [HIER
] lebendig die Szenen vor der Josephson-Probepredigt im Oktober 1833 und seiner Wahl zum Pfarrer im August 1834: dass es da beidesmal eigentümliche und spektakuläre Demonstrationen pro Josephson im Dorf gab. Eine der beiden Demonstrationen hatte Bauer C.D. Sirringhaus, Vorfahr der an der heutigen Hönnetalstraße nahe dem Alten Pastorat wohnenden Familie Sirringhaus, zu Protokoll gegeben. Bei der Wahl dann sah man sogar ein Schild im Sinne eines Spruchbandes - gehalten von zwei "handfesten Bauernburschen" - direkt vor der Kirche mit der Aufschrift:

"Ueb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab
und weiche keinen Finger breit
vom Josephsone ab!"


Wir hatten auch beschrieben, dass der frisch gewählte Carl Ludwig Josephson sein Amt in Deilinghofen nicht antreten konnte, weil seine Vergangenheit als Burschenschaftler von der Regierung her als Anlass genommen wurde, den Pfarrer in der Hausvogtei in Berlin zu inhaftieren und zu vernehmen und später 1837 zu sechsjähriger Festungshaft in Wesel zu verurteilen (eine Zeit, die später auf halbjährige Haft ermäßigt wurde). In Tagebucheinträgen und Gedichten beschrieb Carl diese Haft als wesentliche Prüfungs- und Bewährungszeit für seinen Glauben. Kurz nach seiner Haftentlassung starb seine erste Frau. Und noch zwei weitere Male hatte Carl Ludwig Josephson nach Entbindungen seiner Ehefrauen zum Witwer zu werden. Insgesamt war er viermal verheiratet, und er war Vater von sehr vielen Kindern! Als Gesamtkinderzahl Josephsons werden einmal 14, einmal gar 16 Kinder angegeben - wobei die Differenz in den zwischendrin gestorbenen Kindern begründet sein wird. Schwere Leidensprüfungen und immer wieder neue Hoffnungen prägten bei den Josephsons, wie man sich vorstellen kann, das Familienleben sehr stark. Drei Ehefrauen und fünf seiner Kinder hatte Carl Ludwig Josephsons zeit seines Lebens zu Grabe zu geleiten.

Nach einer kurzen Zeit in Heedfeld bei Lüdenscheid (heute ein Teil von Schalksmühle) und in Soest war Carl Ludwig Josephson die längste Zeit seines Lebens Pfarrer in Barmen-Wupperfeld - vier Jahrzehnte lang von 1845 bis 1885. Er war sein überaus geachteter Pfarrer und Seelsorger, dessen Predigten sehr eindrücklich gewesen sein sollen.

All diese Hintergrundgeschichten werfen ein bezeichnendes Licht auf die Kindheit und Jugend unseres Max Johannes Josephson: In jener riesengroßen Geschwisterschar ist er dort im Wuppertal aufgewachsen. Es sagt viel aus, dass er und einige seiner Brüder als Pfarrerssöhne die geistliche Laufbahn einschlugen. Der Vater übrigens war zum ersten Mal 27-jährig kurz nach seiner Haft Witwer geworden, danach zweimal in seiner Heedfelder und Soester Zeit. Bei diesen beiden letztgenannten Ehen behielt er die gleichen Schwiegereltern, den Lüdenscheider Superintendenten Caspar Philipps und seine Frau Henriette (Bild unten), denn er heiratete erst die 1818 geborene Emilie Philipps und nach deren Tod Emilies Schwester Marianne Philipps (*1822). Nachdem Marianne (Johannes Josephsons Mutter) ebenfalls starb (1861), heiratete er schließlich die Diakonisse Gräfin von Schulenburg. Sehr humorvoll der Volksmund, den Josephsons Biograph August Witteborg (später übrigens Josephsons Nachfolger in Deilinghofer und ebenfalls dann Pfarrer in Wupperfeld) so zitiert: erst habe Carl Ludwig Josephson die reiche, dann die schöne, dann die kluge und zuletzt die vornehme Frau geheiratet.

Unser Deilinghofer Max Johannes Josephson hatte also die "die kluge" zur Mutter, und er selbst sah nicht nur intellektuell aus mit seiner Nickelbrille; er brachte es auch zum pädagogischen Professor, wie wir sehen werden. Und bedeutsamer sicherlich ist, dass dieser unser Deilinghofer Josephson in seiner Kindheit und Jugend all dies familiäre Leid als Erbteil mit auf seinen Weg bekam, aber sicherlich auch die Glaubensstärke und die missionarische Engagiertheit seines Vaters und seines Elternhauses.

Bild der Lüdenscheider "doppelten Schwiegereltern" von Max Johannes Josephson:

 

Johannes Josephsons Weg ins Pfarramt und sein Weg nach Deilinghofen

Der am 2. Januar 1854 in Barmen-Wupperfeld geborene Pfarrerssohn machte Ostern 1873 in Barmen sein Abitur und studierte dann Theologie und Bonn. Zwei bekannte Theologieprofessoren gehörten zu seinen Lehrern, in Tübingen Johann Tobias Beck und in Bonn Theodor Christlieb (der dann auch zu den Gründervätern der Evangelistenschule Johanneum gehörte). Nach dem Examen war Josephson kurz Hauslehrer in einem Ort bei Lübbecke in Ostwestfalen und ging dann nach Horn bei Hamburg in das allseits bekannte "Rauhe Haus" (von Johann Hinrich Wichern gegründet als Rettungsanstalt für Kinder und Jugendliche; dort wurde bekanntlich von Wichern auch der Adventskranz erfunden), wo Josephson auch Lehrerdienste zu verrichten hatte und es zum "Oberhelfer" brachte. Als "Oberhelfer" (das waren die Pfarramtskandidaten, die einzelnen Knabenfamilien im Pensionat vorstanden) wirkten übrigens dort im Rauhen Haus unmittelbar nach Josephsons Zeit in Hamburg zwei "Promis": Johannes Kuhlo, der Begründer der Posaunenchorbewegung und Friedrich Naumann der berühmte spätere Theologe und liberale Politiker ("Friedrich-Naumann-Stiftung" der FDP).

Aus der Personalakte im Landeskirchlichen Archiv ersahen wir, dass unser Josephson mehrfach offizielle Schreiben an seinen Lübbecker Superintendenten Karl Kunsemüller sen. zu richten hatte, einen der führenden Theologen der dortigen Erweckungsbewegung und Mitstreiter des großen Johann Heinrich Volkening (zu Einzelheiten vgl. das Deilinghofer Käseblättchen im November 2016). Dieser Kunsemüller war der Vater des von Deilinghofen 1879 weggegangenen Pfarrers Karl Kunsemüller jun. [vgl. zu Karl Kunsemüller jun. und sen. diesen Käseblättchen-Artikel], und da könnte es durchaus in die "Personalpolitik" dieser Minden-Ravensbergischen Erweckungsbewegung passen, dass Sup. Kunsemüller den frommen und intelligenten jungen Max Johannes Josephson sicherlich protegiert hat und schließlich wohl als passend für Deilinghofen vorgeschlagen. Auch der hier (unten) abgebildete Ausschnitt aus einem Schriftstück ging auf dem Dienstweg über den Schreibtisch von Sup. Kunsemüller in Ostwestfalen ans Konsistorium in Münster: Von Horn bei Hamburg aus bittet "Joh. Josephson, cand.theol." am 26. April 1878 um Zulassung zum 2. Theologischen Examen.




Pfarrer Johannes Josephsons Anfänge in Deilinghofen


Am 10. August 1879 hatte Karl Kunsemüller jun. seine Abschiedspredigt in der Deilinghofer Stephanuskirche gehalten, und am 19. November des gleichen Jahres fand an gleichem Ort die Ordination und Einführung von Johannes Josephson statt, diese nahm Superintendent Pickert vor.

Faszinierend ist die Geschichte, die Johannes Josephsons zehn Jahre jüngerer Bruder, der Theologe und wichtige Kirchenmann Hermann Josephson (1864 - 1949; Foto unten) von der Deilinghofer Einführungsfeier schildert: Natürlich sei auch später beim festlichen Mittagessen der Ex-Deilinghofer Vater des neu Eingeführten mit von der Partie gewesen, und er, Hermann Josephson, sei ebenfalls zu Gast gewesen bei jenem wichtigen Ereignis in Deilinghofen.
 


Der spätere Konsistorialrat Hermann Josephson schreibt, bei dem Festessen sei er "als Sekundaner und Festgenosse" im Alten Pastorat nach der Einführung seines 'großen Bruders' dabei gewesen. Und der Vater Carl Ludwig Josephson habe nostalgische Geschichten aus damaligen Zeiten zum Besten gegeben, wie er selbst damals vor 45 Jahren am gleichen Ort gewählt worden sei, aber nicht sein Amt angetreten habe. Und auch die Geschichte mit den beiden handfesten Bauernjungen mit dem Schild vor der Kirche gab er zum Besten: "Ueb immer Treu und Redlichkeit". Aus Hermann Josephsons eigener Erinnerung an die Ordination seines Bruders in Deilinghofen darf man zitieren:

"Als ... 45 Jahre später, am 19. November 1879, sein [sc. Carl Ludwig Josephsons] 25jähriger Sohn Johannes als Pastor in Deilinghofen eingeführt wurde, und Vater beim Festessen jene lustige Wahlgeschichte erzählte, da meldete sich ein ehrwürdiger Greis und rief mit Begeisterung: 'Ich war einer von den beiden!'" (zuerst zitiert in: Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte, Band 3, 1994, S.221 f.).



Zu Johannes Josephsons Wirken in Deilinghofen - die von ihm betriebene Gründung des Jünglingsvereins, des späteren CVJM Deilinghofen vor genau 135 Jahren



Nicht lange währte Josephsons Wirken im Dorf am Felsenmeer, aber es war ungemein intensiv. Als von Hause aus missionarisch ausgerichteter Christ, der zuvor - etwa im "Rauhen Haus" - viele Erfahrungen mit der jungen Generation gemacht hatte, verwundert es nicht, dass er hier eine besondere "Jünglingsarbeit" ins Leben rief. Diese Jugendarbeit war, wie es im 19. Jahrhundert Mode wurde, in Vereinsform organisiert. Es begann vor genau 135 Jahren: Nach einladender Abkündigung von der Kirchenkanzel trafen sich am 21. September 1881 etwa 30 Jünglinge und Männer zur Vereinsgründung des "Ev. Jünglings- und Männervereins" zusammen; der biblische Wahlspruch des neuen Vereins und der gesamten Jugendarbeit war aus Römer 8 , 31: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein."

Da liegt ein heimlicher geistlicher "roter Faden" zwischen Unna anno 1805, der denkwürdigenTaufe der elf Josephsons, und dieser Vereinsgründung in Deilinghofen 1881!

Zweimal wöchentlich bot der neue Verein Zusammenkünfte in der Schule (am heutigen Martin-Luther-Parkplatz). Vorsitzender des Männer- und Jünglingsverein war der Pfarrer. Eine ebenfalls in Deilinghofen wohnende Schwester Josephsons gründete den Jungfrauenverein Deilinghofen. Und mehr noch: Im katholischen Balve, das als   Außenstation auch noch mit wenigen evangelischen Familien zu Deilinghofen gehörte, richtete Johannes Josephson als absolutes Novum in diesem Gebiet Bibelstunden  ein [dazu auch zu 1880 auf der Internetseite der dortigen Kirchengemeinde]. Ferner wurde die Gustav-Adolf-Arbeit von Josephson unterstützt (Hilfe für Evangelische in Diasporagebieten).

Am 6. Juli 1882 heiratete er die aus Iserlohn stammende Pfarrerstochter Maria Schrimpf, deren Vater die beiden in der Wiesenkirche in Soest traute.



Zu Johannes Josephsons weiterem Lebensweg nach der Deilinghofer Zeit


Dass die Deilinghofer Zeit ungewöhnlich kurz war, hatte nichts mit Verstimmung, Verfehlung und Streit zu tun. Das zeigen ganz klar auch Josephsons Personalakten: seine Amtsführung und Seelsorge war mustergültig, und das Verhältnis mit dem Presbyterium bestens. Viel mehr Leute als anderswo gingen in Deilinghofen in die Kirche. Dieses kam auch bei einer Kirchenvisitation zur Sprache. In zwei Presbyteriumssitzungen im Februar und im März 1885 informierte Josephson sein Presbyterium, dass er eine Berufung an eine Schulstelle erhalten habe und es als seinen Weg ansehe, dieser Berufung zu folgen und seinen Schwerpunkt auf das pädagogische Gebiet zu lenken. So wirkte Josephson ab November 1885 als Lehrer am Gymnasium Moers und als Inspektor des Alumnats Martinstift in Fild bei Moers, später als Lehrer in Neuwied, Rendsburg und Kleve, wo er als Gymnasialprofessor schließlich in Ruhestand ging und am 9.5.1928 starb.