6. Kapitel: Strauß als Dom- und Hofprediger und als Professor für Praktische Theologie in Berlin
a) Zu seinem Wirken unter König Friedrich Wilhelm III. (1822 bis 1840)
Was jetzt ab 1822 folgt für den in Iserlohn geborenen Pfarrerssohn, ist wie aus der Regenbogenpresse oder wie aus dem Märchen: ein steiler Aufstieg, eine glänzende Karriere. Hoffnungsvolle fromme Theologen wurden gerne nach Berlin berufen - und eben an den Hof. Übrigens: einem sehr mit Iserlohn verbundenen Theologen war der gleiche Karriereschritt schon gelungen: nämlich dem Hammer Pfarrerssohn Rulemann Eylert (1770 bis 1852), der also 16 Jahre älter war als Gerhard Friedrich Abraham Strauß und der sich in Iserlohn gut auskannte. Er hatte nämlich - wie gesagt - eine Löbbecke aus Iserlohn geheiratet, Friederike Löbbecke, hinter der (als sie ein junges Mädchen war) der spätere Landrat Müllensiefen sehr hinterher gewesen war, ohne Erfolg: Der Landrat unterlag schließlich dem Pfarrerssohn, der durch Vermittlung des Freiherrn vom Stein Hofprediger bei Friedrich Wilhelm III. in Berlin und Potsdam wurde.

   

 

Schließlich wurde dieser Eylert Bischof und preußischer Minister für Religionsangelegenheiten, und was in Kirchensachen Eylert und Friedrich Wilhelm III. ausheckten, das waren für die Evangelische Kirche Weichenstellungen, die bis heute nachwirken, und zwar unter zwei Aspekten: a) durch die Agendenreform und b) durch die Union, das heißt: Vereinigung der Ev.-Lutherischen und der Ev.-Reformierten ín einer Kirche der Union.
Die heutige Ev. Kirche von Westfalen mit Sitz in Bielefeld und die Rheinische Kirche mit Sitz in Düsseldorf sind immer noch eng verwandte Kirchen der Union - nach Prinzipien, die sich der preußische König zusammen mit seinem Minister Eylert ausdachte. Und wenn heute alle unierten Kirchen am Altar gleich aussehen: aufgeschlagene Bibel in der Mitte, rechts und links ein Leuchter, dann ist das jenem genannten König und seiner Minister zu verdanken, der das für Preußen so bestimmt hatte; der König als Hobbyliturgiker hat nicht nur den Altar so vorgeschrieben, sondern auch nach seinen eigenen Forschungen und Überlegungen auch die Art der Liturgie und Gottesdienstordnung.



Bei Paul Steinen in dessen Buch "Kirchen in Iserlohn" steht, dass im Jahr 1822 der Sohn und Kronprinz, der spätere Friedrich Wilhelm IV., Iserlohn besucht habe und im von Scheiblerschen Haus auch mit dem alten Pfarrer Strauß und dessen Sohn Friedrich zusammengekommen sei und dass aus diesem Kontakt die Berufung von Gerhard Friedrich Abraham Strauß an den Hof erwachsen sei. Andere sagen (und das wird zusätzlich stimmen), dass Eylert, der sich natürlich in Iserlohn bestens auskannte, und der - das füge ich hinzu - in der gleichen Hallenser Studenten-verbindung (Corps Guestphalia) war wie Strauß, unseren Friedrich Strauß am Hof empfohlen und vorgeschlagen hat.
Jedenfalls finden wir ab 1822 Strauß und seine Holdselige in der Hauptstadt wieder. Hier wirkte er als wichtiger Mann im Dienst des Königs, der als Melancholiker sein Leben lang um seine Königin Luise trauerte, die damals - vor 15 Jahren 1807 - so furchtlos in Ostpreußen vor Napoleon für Preußen etwas abtrotzen wollte und die dann nach ihrem frühen Tod für alle fast zur Heldin und Kultfigur wurde, zu einer "Sissi" auf Preußisch. Mit deren Ehemann hatte es unser Pfarrerssohn aus Iserlohn fortan zu tun, und auch mit den Kindern von Friedrich Wilhelm III. und Luise: mit dem 1795 geborenen späteren König Friedrich Wilhelm IV., der neun Jahre jünger war als Strauß und mit dessen Bruder, dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I. (war 11 Jahre jünger als Strauß).
Wer war in jener Zeit First Lady am Hof? Da Friedrich Wilhelm III. ja Witwer war, war die erste Dame des Landes die Gemahlin seines jüngsten Bruders genannt Prinzessin Wilhelm oder Marianne, eine ungewöhnliche Frau, die sich um Soziales kümmerte und z.B. Korrespondenzpartnerin des Reformers von Stein war. Diese Prinzessin Marianne von Preußen, die ein Jahr älter war als Strauß jun., kam übrigens später 1830 zum alten Vater Pfarrer Strauß nach Iserlohn in sein Pfarrhaus an der Hardtstraße, wie ich damals im ersten Vortrag ausführlich schilderte: sie als Gläubige, die ihren Mann begleiten sollte, der Generalgouverneur für das Rheinland geworden war, wollte den Segen des ihr so sehr vom Sohn her bekannten Vaters.
 

 

Und Strauß senior gab ihr den Segen mit dem Herrnhuter Losungswort jenes Tages: Jesus Christus sei gestern in Berlin und heute in Iserlohn derselbe wie dann in Köln und in der Ewigkeit…
Marianne, diese First Lady in Preußen jedenfalls, gehörte von Anfang an ganz stark zum "Fanklub" oder besser gesagt zu den "Seelsorgekindern" des neuen aus Elberfeld gekommenen Hofpredigers, war sie doch darüber hinaus als eine, die sich zu den Erweckten zählte, an mehreren Stellen in Berlin aktiv in der dortigen Erweckungsbewegung. Ihr ging es um missionarisch-erweckliche Ausbreitung des Glaubens; Sie kümmerte sich auch um Berliner Gefängnisinsassen und gründete im Berliner Stadtteil Pankow ein Kinderheim.
In der Allgemeinen Deutschen Biographie heißt es 1893 über die Berliner Zeit von unserm Strauß: "Als vierter Hof- und Domprediger in Berlin (seit 1822) und zugleich Professor der praktischen Theologie an der Universität - nachmals auch wirklicher Oberconsistorialrath (1836), Mitglied des neucreirten Oberkirchenrathes (1850), und Oberhofprediger (1856) - hat er [Strauß], in neuen geistlichen Zungen redend, wesentlich mit beigetragen zu der dortigen Erweckung und Bekehrung der Metropole der Vernunftreligion."
Bevor wir näher auf seine Aufgaben am Hof in jener Zeit eingehen, sind einige Bemerkungen wichtig zu seiner Ernennung zum Professor für Praktische Theologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, die erst kurz zuvor 1806 neu gegründet wurde und die heute bekanntlich die Humboldt-Uni ist. In der mehrbändigen Geschichte der Berliner Universität hat auch unser Strauß seinen eigenen Abschnitt: es wird erwähnt, dass sein Fürsprecher beim König, dass er für diesen Posten sehr geeignet wäre, erneut Minister Eylert war. Ich zitiere wörtlich:
"Er [Eylert] schilderte ihn [Strauß] als einen der talentvollsten und geistreichsten unter den jetzt lebenden Geistlichen, der besonders die Gabe der Beredtsamkeit besitze und mit unwiderstehlicher Gewalt auf das Herz seiner Hörer und Leser wirke" (317).


Damit ist Friedrich Strauß gut beschrieben. Strauß wird er vom großen Schleiermacher, dem genannten Kirchenvater des 19. Jahrhunderts, seinem früheren Lehrer und jetzigen Professorenkollegen in Berlin, durchaus respektiert, höchstens insgeheim ein bisschen belächelt, aber all das, was dem Iserlohner an geschliffener Denkkraft fehlen mag, dass holt er mit Temperament und Leidenschaft wieder herein, im steten Bemühen, seine Studiosi durch Praktische Theologie tüchtig zu machen für den schönsten aller Berufe, das Pfarramt. Und durchaus fand er dort an der Uni regen Zulauf und war nicht nur so ein zweitrangiger Schmalspurprofessor. Ebenso hat Strauß durch nachmittägliche Spaziergänge mit den Studenten gewirkt, auf denen theologisiert wurde und manchmal kamen zu offenen Abenden auch mal 80 von ihnen ins Haus, so dass die Holdselige manchmal überfordert war. Die Art wie Strauß an der Uni Theologie betrieb, passte aufs beste zu dem renommierten Kirchengeschichtler August Neander, der schon ab 1813 in Berlin lehrte und dessen Art man so beschrieben hat: "Das Herz macht den Theologen aus", was man auch als Pektoraltheologie beschrieben hat. Es ist der konvertierte Jude, mit dem in Hallenser Studententagen Strauß den Freundschaftsbund schloss und der jetzt in Berlin ein begehrter Professor der erwecklichen Richtung geworden war mit einem beträchtlichen Renomée. Als Prof. Neander 1850 starb, hielt Strauß auf ihn eine gedruckt vorliegende Gedächtnisrede, aus der viel Liebe und Zuneigung spricht.



Einen zweiten berühmten Unikollegen hat Strauß überlebt und auch für ihn hat er eine Gedächtnisrede gehalten: den Professor Friedrich Schleiermacher, an dessen Bestattungstag am 13.2.1834 drei Reden gehalten wurden - die erste (im Hause Schleiermachers gehalten) - war von Strauß (sie liegt hier auch gedruckt vor), der dritte, der da eine Rede hielt war jener bekannte Berliner Prof. Steffens, bei dem auch Kierkegaard und Karl Marx Vorlesungen gehört hatten.
In jener Zeit von 1833 bis 1834 (und damit auch in Schleiermachers Sterbejahr) war Friedrich Strauß sogar Rektor der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin - ein Amt, das ihn in eine Linie stellte z.B. mit deutschen Geistesheroen wie Hegel und Fichte, aber auch etwa mit dem Juristen Moritz von Bethmann-Hollweg, dem Sympathisanten der Berliner Erweckungsbewegung, mit dem Strauß gut konnte. Mit diesen Bemerkungen zur universitären Arbeit von Strauß sind wir zeitlich schon über die Abgrenzung unseres Kapitels hinausgekommen. Die beiden anderen Schwerpunkte, die Strauß ab 1822 in Berlin und Potsdam das Aufgabengebiet von Strauß bildeten, waren das Hofpredigeramt am Hof von Friedrich Wilhelm III. und das Dompedigersein am Berliner Dom.
Heute noch ist im großen Berliner Dom im Dompredigerzimmer ein Ölgemälde des in Iserlohn geborenen Friedrich Strauß zu sehen - in der Reihe der anderen Domprediger, die es gab.
Die leidenschaftlichen (manchmal auch etwas pathetischen) Predigten des Friedrich Strauß waren bald wichtige Ereignisse, die viele Menschen anzogen und in den Bann zogen, von der königlichen Familie bis zum einfachen Berliner Angestellten und Arbeiter, wobei das Evangelium und die Erweckung des Glaubens immer klar das Hauptanliegen von Strauß war.
Mit seiner Persönlichkeit und seinem besonderen Charisma konnte der junge Strauß je länger je mehr auch den Respekt und das Wohlwollen seines Königs gewinnen. Die Rolle des Hofpredigers Strauß war eine doppelte: zum einen war er Untertan, der zu dienen hatte, zum anderen war er Gesprächspartner, Ratgeber und auch Erzieher innerhalb der königlichen Familie. Es gibt eine Dissertation, die Annelies Roseeu 1957 schrieb, in der die Theologie und Kirchenpolitik von Strauß in seiner Zeit am Hof ausführlich analysiert und dargestellt wird. Die Straußsche Theologie mit der Betonung der lutherischen Rechtfertigungslehre kommt dabei deutlich besser weg als die Theologie seines aus Hamm stammenden älteren Kollegen Eylert, der eher als Günstling und Opportunist dargestellt wird. Neben vielen Predigten auch am Hof hatte der Hofprediger Strauß zu erziehen und Unterricht zu geben. So hatte er - als seinen ersten Fall - des Königs und Luises 10. und letztes Kind zur Konfirmation zu führen, Prinz Albrecht, geboren 1809. Strauß ist das mit Bravour gelungen, und er erhielt dafür früh schon den Roten Adlerorden, wobei Friedrich Wilhelm III. es besonders lobte, dass er ohne Drumrumreden den Teufel Teufel genannt hatte. Andere Konfirmationen folgten.

 




 

Eine weitere Sorge des Königs löste Strauß als Hofprediger wieder mit Bravour: Elisabeth von Bayern sollte die Frau werden vom Kronprinzen, dem späteren Friedrich Wilhelm IV., und damit spätere Königin von Preußen, aber sie war entschieden katholisch. Mit seinem Charisma und seiner Leidenschaft konnte Strauß in intensiven missionarischen Gesprächen auf diese junge Frau einwirken, dass sie als katholisch-fromme Frau sich überzeugen ließ und konvertierte: zur großen Erleichterung des Kronprinzen und seines Vaters.



Auch politische bzw. diplomatische Verhandlungen oblagen dem aus Iserlohn stammenden Hofprediger, besonders im Jahr 1837, als er im königlichen Auftrag nach Wien zu reisen hatte, um mit Fürst Metternich zu verhandeln wegen des Problems der Zillertaler Protestanten, die vertrieben worden waren und sich im preußischen Schlesien ansiedelten. Mehrtägig verhandelte Strauß da mit Metternich, es ging um den freien Abzug der Zillertaler, und diese Gespräche waren erfolgreich. Sie gingen soweit, dass sich der Fürst über gedruckte Strauß-Predigten freute, die er als Geschenk erhielt.
Aus jener Zeit der 30er Jahre sind drei besonders wichtige Besuche nachzutragen, die Strauß in seiner Vaterstadt Iserlohn zu machen hatte; alle drei kamen auch im Vortrag über den Vater von Strauß ausführlicher vor: im März 1832 fand das große Fest des 50-jährigen Amtsjubiläum des alten Strauß statt mit Verleihung des Ehrendoktors des Theologie an den Jubilar, im Juni 1833 wurde in Iserlohn die Goldhochzeit der Eltern gefeiert und drei Jahre später im Juni 1836 war er bei der Beerdigung des Vaters, bei der 2000 Gäste zum Trauerzug gehörten.



Dann der Tod des Königs. In den "Abendglocken-Tönen" beschreibt Strauß aufs Ausführlichste, wie er die Wochen vor dem Tod von Friedrich Wilhelm III. erlebte. Am Bußtag 1840, dem 13. Mai, habe der König ihm nach einem Gottesdienst, bei dem Strauß predigte, gesagt, das sei wohl sein letzter Gottesdienst. Am 27. Mai 1840, dem Tag vor Himmelfahrt, habe er einen Seelsorgebesuch bei dem Strebenden gemacht, von dem Strauß Bekenntnisse des Königs überliefert, dass dieser gesagt habe: "Ich wäre ohne Trost, wenn nicht Jesus, mein Heiland, mich seiner annimmt" sowie: "Nicht meine Werke und meine Tugend, sondern Christi Blut und Verdienst" (beide Zitate: 256). Am ersten Pfingsttag dann warten wohl 10000 Leute rund um das Königliche Palais versammelt, und Strauß hat im "Dom, der wohl nie voller war", die Festpredigt zu halten über den Tröster, den heiligen Geist. Es war der Todestag des Königs, und dann im Sterbezimmer war auch Strauß dabei. Und er berichtet, wie der Kronprinz am Bette des Sterbenden kniete und beim Wiederaufstehen selber König war, Friedrich Wilhelm IV. Strauß schließt an seine Erinnerungen an diesen Tod einige Gedanken zum Christsein des Verstorbenen an, dass ihn, den ehedem eher rationalistisch und aufklärerisch Ausgerichteten nicht zuletzt seine große Liebe, die Königin Luise zu echtem Glauben geführt habe, eine Entwicklung, die schon zu Lebzeiten des Königs dazu beitrug, dass in Berlin die große Tür zur Erweckungsbewegung geöffnet wurde.

b) Zum Wirken von Strauß unter König Friedrich Wilhelm IV. (1840 bis 1861)
Von diesen gut zwanzig Jahren ist zu sagen, dass es Jahre eines besonders intensiven Verhältnisses des Hofpredigers und späteren Oberhofpredigers zu seinem König waren, wobei es durchaus auch wichtige Einflüsse von Strauß auf den König gab. Der junge König war ein Romantiker, und dabei klar ein evangelischer bewusster Christ von Anfang an. Strauß oblag es u.a., ihn theologisch weiterzubilden, was sich z.B. darin ausdrückte, dass er mit ihm als Lektüre die Kirchengeschichte des Eusebius aus der alten Kirche las und durcharbeitete. Schon bis 1840, dem Todesjahr des Vaters, hatte sich Strauß dreimal pro Woche beim späteren König einzufinden für je zwei Stunden, um ihn zu "coachen", wie man heute sagen würde. Besonders Straußens Betonung der lutherischen Rechtfertigung - dass es allein auf den Glauben ankomme, allein auf die Schrift, allein auf Christus, das wurde für den König bestimmend. Dieses "Allein", dieses Solus war auch der Titel von Straußens gedrucktem Predigtband, für den der König sich bei Strauß schriftlich bedankte in einem eindrucksvollen Brief am 29. April 1844.
Man darf hier einschieben, dass sich Strauß in dieser Zeit auch in andern Berliner Häusern als Seelsorger einen Namen machte. Zum Beispiel kam er alle zwei Wochen einmal zu einem Hausbesuch in die Berliner Luisenstraße zu dem prominenten Historiker Leopold von Ranke, wie es dessen Sohn Pfarrer Otto von Ranke in einem Aufsatz über Strauß lobend berichtete: dass man da über Tagesdinge und kirchliche Angelegenheiten, aber v.a. auch über den König geredet habe, und von Ranke jun. zitiert in seinem Aufsatz einige Briefe des Königs an Strauß, die belegen, dass er seinen Hofprediger und dann Oberhofprediger sehr schätzte und von ihm geistig und geistlich profitierte.
Darüber hinaus könnte man viele Berliner Kreise nennen von höhergestellten Familien, die sich zur Erweckungsbewegung rechneten und die mit Strauß und seiner Holdseligen verkehrten. Das geht über den schon genannten Juristen Moritz von Bethmann-Hollweg bis hin zu dem berühmten Baron von Kottwitz, dem Vater der Erweckungsbewegung in Berlin, Schlesien und Pommern.





Dass unser Strauß in jener Zeit auch aktiv war z.B. als Mitbegründer der Berliner Missionsgesellschaft, sei hier nur am Rande erwähnt.
Ein prominenter Vertreter der dortigen Erweckungsbewegung aber ist hier eigens zu nennen: August von der Heydt, der Schwager von Strauß und jüngere Bruder von Johanna von der Heydt, der in Berlin ab 1848 unter Friedrich Wilhelm IV. Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten war und in Berlin-Tiergarten in der Villa von der Heydt wohnte. Friedrich Strauß und die Holdselige waren August sehr zugetan.
Was das Revolutionsjahr 1848 angeht, beschreibt Strauß in der Autobiographie die Wirren und Tumulte aus der Innensicht des Hofes. Zum Beispiel erwähnt er, dass der König in seiner höchsten Todesangst sich an einem gelesenen Psalmwort aus Psalm 91 buchstäblich festhielt. Es heißt, Strauß habe dem König im März 1848 zum Nachgeben gegenüber der Revolution angehalten.
Tiefe persönliche Schicksalsschläge fielen in diese Lebensphase: die Holdselige starb 1857 bei einem Kuraufenthalt in Karlsbad. Einen bewegenden Beileidsbrief erhielt Strauß von seinem König (ähnlich bewegend wie 1836 der Brief nach dem Tod des Vaters in Iserlohn). Friedrich Wilhelm schrieb, er habe für Strauß die Bibel aufgeschlagen und sei beim 77. Psalm gelandet, und habe die Verse 1 bis 6 gelesen und gemeint Strauß selbst lese sie unter Tränen mit seiner Stimme: dass der Herr sein Volk erlöst gewaltiglich!
Strauß, der Witwer, hatte doppelt zu trauern; in bewegenden Worten schildert er zum Jahr 1857 den Tod seiner Schwiegermutter und dann seiner Ehefrau so: "1. Juli. Ich verlor meine geistliche Mutter. Und ach, ich verlor um dieselbe Zeit noch mehr! 1857 am 12. August starb die Holdselige" (346). Dabei betonte er, wie sehr sich die erwecklich orientierten Christen in Berlin, wenn die Schwiegermutter von der Heydt sie besuchte, um diese eindrucksvolle Frau und besondere Christin gerissen haben, z.B. auch der legendäre Baron von Kottwitz.
Zuvor war 1850 Strauß noch einmal schriftstellerisch aktiv geworden mit seinem Buch "Das Kirchenjahr - in seinem Zusammenhang vorgestellt". Welche Ämter der reife Strauß dann in dieser Zeit einnahm, ist auch nur anzudeuten: 1836 war er geistlicher Rat im Kultusministerium geworden; 1850 wurde er Mitglied im altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrat und 1856 - wie schon angedeutet - Oberhofprediger. Als der König nach längerem Leiden 1861 starb, war dieser Trauerfall für Strauß selbst eine Zäsur. Schwer krank, predigte er noch bei dem Gedenkgottesdienst für Friedrich Wilhelm IV., und genau von da an knickte er selbst um, und es ging abwärts. Strauß selbst vermerkte rückblickend: "am 17. Februar 1861 bei der Gedächtnißpredigt brach Körper und Seele zusammen".

c) Zu den letzten Jahren von Strauß unter König Wilhelm I. - 1861 bis 1863
Aus einen eigenen Seelsorgeerfahrungen am Hof kann Strauß über diesen König Wilhelm I. formulieren: "König Wilhelm ist der Erbe der Evangelisatoren, des Vaters und des Bruders. Wir wissen, wie der sterbende Bruder für ihn betete!" (365); damit meint er Friedrich Wilhelm IV., dem Strauß ja besonders nahestand. Erst also war für Strauß der Mann der Luise sein König, dann der Sohn, dann dessen jüngerer Bruder. Und Strauß schreibt in seiner Autobiographie zu "… da sandte Gott eine Frau, die Königin Luise", und er bemerkt zu Luises Aufgabe, dass er sie zwar nie gesehen habe, dass er aber Zeuge sei, was ihre geistigen und geistlichen Ausstrahlungen für ihren Mann und dessen Söhne und Nachfolger bedeuteten.
Vom Luise-Sohn Wilhelm I., der danach ja erster Deutscher Kaiser werden sollte, kommt im Weiteren nicht mehr viel in den Abendglocken-Tönen vor. Wir fügen als Zwischenbemerkung ein: Wilhelm I., der in Straußens letzten Jahren preußischer König wurde, war verheiratet seit 1829 mit Augusta… Diese selbstbewusste Frau hatte später als Kaiserin Augusta - man höre und staune! - einen Iserlohner Beichtvater: den auch von Theodor Fontane verehrten Pfarrer Julius Müllensiefen (in Iserlohn geboren am 28. April 1811 als jüngster Sohn des Iserlohner Landrats Peter Eberhard Müllensiefen; dieser war in Iserlohn bestens bekannt mit Pfarrer Strauß sen. und jun.; Julius Müllensiefen war ab 1852 für 33 Jahre einflussreicher Pfarrer - "Archidiakon" - an der Marienkirche mitten in Berlin, und er starb in Berlin am 29. April 1893).
Strauß nennt nur ganz am Rande Julius Müllensiefen. Er schildert in seiner Autobiographie aus der letzten Zeit das langsame Ausklingen seines eigenen Lebens, auch den Kontakt innerhalb der Familie, zu Friedrich Adolph Strauß und den Seinen, und zu Sohn Otto Strauß und den Seinen, der Superintendent in Posen geworden ist. Zum Beispiel schreibt er wörtlich über sich als alten Menschen: er "ist zu schwach, um neue Bahnen zu finden oder nur zu suchen. Nur die Enkel machen eine Ausnahme. Der Großvater liebt die Enkel mehr als die Kinder. Sonst ist ihm das Alte werther als das Neue" (374).
Aus seiner letzten Lebensphase schildert Strauß "noch mit gerührtem Danke gegen den Herrn die Feier meines funfzigjährigen Jubiläums am 13. Mai 1859 […].
In aller Stille beging ich es mit meinen Kindern bei meinem jüngsten Sohne in Posen. Von den zahlreichen Beweisen der Liebe und Anhänglichkeit, welche mir aus allen Kreisen meiner Wirksamkeit und insbesondere aus allen Gemeinden, an denen ich das Pfarramt verwaltete, zu Theil wurden, rede ich nicht, so tief sie mein Herz bewegt haben, und breche nur aus in das Bekenntniß: "Allein Gott in der Höh sei Ehr!"
Strauß beschreibt im Schlusskapitel seine eigene zunehmende Gebrechlichkeit und Krankheit, es ist da auch beschrieben, auch dass ihn seine Tochter Allwine aufopfernd pflegte.
Die letzten Passagen der Abendglocken-Töne, die ja posthum von Sohn Friedrich Adolph Strauß herausgegeben wurden, sind dann Strauß-Predigten und Andachten und ein gehaltvolles Nachwort des Strauß-Schülers Dr. Arndt, der unter anderem auch auf den großen Einfluss zu sprechen kommt, den Gerhard Friedrich Abraham Strauß auf die Berliner Erweckungsbewegung ausgeübt hat. Arndt merkt an, dass Strauß in seiner Bescheidenheit in der Autobiographie diesen Aspekt nicht genügend herausgearbeitet habe.
In dieses Nachwort der Autobiographie ist am Ende auch ein Bericht der Strauß-Tochter Allwine über die letzten Stunden des Vaters eingearbeitet; die Tochter schildert seinen Tod so:



"Endlich hatte auch der Körper ausgekämpft, und nun war's während zwei Stunden wie das sanfte Verlöschen eines Lichtes - immer leiser und seltener wurden die Athemzüge - stockten - blieben endlich ganz aus! und nur das Herz, das durch ein langes Leben hindurch in treuer Liebe so warm geschlagen und an das ich mich in meinem Schmerze gelehnt, schlug noch eine Zeit lang fort!! Er war nun eingegangen zu Seines Herrn Freude; der Herr hatte Seinen Diener in Frieden dahinfahren lassen! Es war eine feierliche Stille; mein ältester Bruder und ich knieeten am Sterbebette - Schauer der Ewigkeit umweheten uns! Es war Sonntag Abend 9 Uhr, der Tag des Herrn, der siebente Sonntag nach Trinitatis, der Sonntag der Erquickung; der 19. Juli, der Todestag der Königin Louise, den er so oft in Sterbens- und Heimgangs-Gedanken mit der Königlichen Familie begangen hatte.
Unter Palmen und Blumen, welche Liebe und Treue in überreicher Fülle gespendet, lag die theuere Leiche da, angethan mit dem Talare, den er ja zuletzt noch verlangt hatte, in den gefalteten Händen ein Kreuz haltend, und auf den Zügen noch immer den Ausdruck des Friedens. Am 23. Juli Morgens 8 Uhr war die Begräbnißfeier, welche im Hause Hofprediger O. Hoffmann, am Grabe Hofprediger v. Hengstenberg hielt; das Gebet des Herrn sprach über dem Grabe der jüngste Sohn des Vollendeten, den Segen der älteste Sohn, der ihn auch über das Grab der Mutter in Karlsbad gesprochen hatte."
Der ehrenvolle Nachruf in der Ev. Kirchenzeitung (Juli 1863) ergänzt am Ende diese Informationen wie folgt: "Ein langer Leichenzug bezeugte die allgemeine Teilnahme, deren der Verblichene in weiten Kreisen sich zu erfreuen gehabt. Auf dem alten Domkirchhofe in der Elisabethstraße wurde die Leiche unter dem feierlichen Gesang: ‚Jesus meine Zuversicht' beigesetzt".

 

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