4. Kapitel: Strauß als junger Pfarrer in Ronsdorf (1809 bis 1814)
Drei Examina hatten wir genannt, das dritte Examen war dann im April 1809 in Ronsdorf abzulegen, damit dort im Bergischen dem Märker Strauß die Wahlfähigkeit zuerkannt wurde. Und sowohl erst das Examen, dann die Probepredigt und auch die Wahl ergaben ein gutes Ergebnis für Strauß.
Von der konfessionskundlichen Zusammensetzung her war Ronsdorf sicherlich einer der ungewöhnlichsten Orte weit und breit, und ein junger Pfarrer der ebenfalls noch jungen lutherischen Gemeinde hatte dort in Ronsdorf ein sehr schwieriges und ebenso interessantes Betätigungsfeld.
Denn der Ort Ronsdorf war überhaupt erst entstanden infolge einer religiösen Spaltung der ev.-reformierten Gemeinde in Elberfeld. Dort hatten sich Extremchristen der sogenannten philadelphischen Sozietät, deren Führer Elias Eller hieß und der diesen Gemeindeteil zusammen mit seiner zweiten Frau, einer adligen angeblichen Prophetin leitete, losgesagt von Rest der Gemeinde. Sie waren "ausgewandert" zu einem Hof Ronsdorf, der Eller gehörte, und hatten dort eine neue Siedlung aufgebaut, Ronsdorf nämlich - den Ort, der für sie das "Neue Jerusalem" sein sollte und der für viele "Extremchristen" ein Zufluchtsort wurde.
Fünfzehn Jahre lang wurde diese Ellersche Rotte der Ronsdorfer aus der Synode der Kirche ausgeschlossen, dann begann man, sowohl staatlich als auch kirchlich diese Sorte Christen zu integrieren. Sogar eine zweite Gemeinde wurde daneben erlaubt, die lutherische, in der Strauß aus Iserlohn Pfarrer war, während der reformierte Pfarrer jener Zeit in Ronsdorf Daniel Schleyermacher war, der Opa des weltbekannten schon genannten Professors Daniel Friedrich Schleiermacher.
So hatte in der abenteuerlichen Ronsdorfer Stadtgeschichte unser Iserlohner Strauß ein eigenes Kapitelchen; ich zitiere aus der "Geschichte der Stadt Ronsdorf" von M. Wolff aus dem Jahr 1850:
"Durch Kirchenordnungsgemäße Wahl wurde nun Predigtamts-Candidat Friedrich Straus von Iserlohn gewählt, der bis zum Jahr 1814 der Gemeinde als Pfarrer vorstand und dann einem Rufe nach Elberfeld folgte, von wo er durch des hochseligen Königs Majestät 1822 als Domprediger und Professor der Theologie in die Hauptstadt des Landes berufen wurde" (S. 116).
 


Im Konfessionsgrenzen-Überbrücken war Strauß schon durchs Elternhaus und durch die Art seines erwecklichen Vaters gut geübt; Strauß jun. passte bestens nach Ronsdorf hin. Dort hatte er guten Kontakt auch zu den extremeren Ellerianern, und in seiner Autobiographie unterlässt er so gut wie jegliche Kritik an diesen Leuten. Predigten und Seelsorge in der Gemeinde gelangen gut, und er war wohlgelitten in Ronsdorf. Einzig einige seelische Probleme und das gesundheitliche Handicap des Blutspeiens machte ihm öfter zu schaffen, was ihm, wie er mehrfach erwähnte, auch ein Anlass war, leicht zu resignieren.
Hingegen beschreibt er literarisch in der gleichen Phase seines Lebens nach Art der Romantiker seine ersten Amtsjahre als sehr idyllisch und idealtypisch in seinem ersten Buch, das dann dreibändig herauskam mit dem Titel "Glockentöne - Aus dem Leben eines jungen Geistlichen", gedruckt zuerst 1815 bis 1819 und danach in mehreren Auflagen, die Strauß allseits bekannt machten. Nach der Art der Romantiker - das schließt ein, dass vor den Glockentönen auf einem Widmungsblatt steht, dass das Buch "Isidor" und "Astralis" gewidmet sei, also den romantischen Gesinnungsgenossen und Freunden von Loeben und Budde. Diese Glockentöne sollten nach dem Wunsch ihres Verfassers einen neuen Kirchenfrühling einläuten. Inhaltlich ging es um die stimmungsvolle Beschreibung von Jahreszeiten und um des jungen Pfarrers Gefühle zwischen Schreibtisch, Amtszimmer, Pfarrgarten und Gemeinde - auch in allen möglichen Lebensstufen, von der Feier der Konfirmation bis zu den Gemütszuständen bei einer Goldenen Hochzeit.



Begonnen und weitgehend geschrieben wurden diese Glockentöne in der Ronsdorfer Zeit, und Strauß schildert in den Abendglockentönen, wie diese Glockentöne angeregt wurden bei einem Besuch bei Verwandten von Jung-Stilling; wir zitieren dazu Strauß im O-Ton:
"Bei einer jungen, christlichen und mit Jung Stilling verwandten Kaufmannsfamilie pflegte ich die Sonntagsabende zuzubringen. Es war ein ungemein schöner Frühling, und ich hatte am Morgen eine Frühlingspredigt gehalten. Die Freundin war noch voll von dem Eindruck, der Freund aber war wegen dringender Geschäfte verhindert gewesen. Da machte ich den Vorschlag, die Predigt in meinem Hause holen zu lassen, und erbat mir einen Bogen Papier […]. Man reichte mir eine Pfeife, und füllte das Glas mit Wein. Ich schrieb, die Worte und Gedanken flogen auf das Papier; die Predigt wurde gebracht; ich soll so heftig geraucht haben, daß die Zunge mir brannte, und in einer halben Stunde war Alles fertig. Ich las die Schilderung dieses Frühlingssonntags und dann die Predigt selbst und wie ich zu Ende war, wurde es mir klar, daß es vielleicht anginge, auf ähnliche Weise auch Herbst- und Winterpredigten einzuführen".
Anzudeuten ist ebenso, dass in dieser Ronsdorfer Zeit Strauß nicht nur als junger Pfarrer und Erbauungsschriftsteller wirkte, sondern sich auch philosophischer und theologischen Studien widmete in einer gelehrten Gesellschaft, die sich die "Platoniker" nannten. Das war wieder wie in Heidelberg ein erlesenenr Freundeskreis. Von diesen wöchentlichen Zusammenkünften, schreibt Strauß, kam es von Sommer 1812 bis Herbst 1813, und zwar wöchentlich in Barmen im Haus des angesehenen Pädagogen Friedrich Kohlrausch zusammen, später einem für ganz Preußen führenden Pädagogen und Schulpolitiker.

Ein weiteres prominentes Mitglied dieses "Platonikums" war der Schwelmer Pfarrer und Schulleiter August Ernst Rauschenbusch. Rauschenbusch kam von Jung-Stilling her und war ein geistig überaus reger Theologe, der später in Altena ein prominenter Pfarrer war und auch Superintendent. Dabei ist zu bemerken ist, dass sein Sohn August Rauschenbusch erst wie der Vater kirchlicher Pfarrer wurde und dann in die USA auswanderte, wo er - konvertiert - theologischer Dozent wurde und Karriere machte hin zu einem der führenden Freikirchler in den Vereinigten Staaten. Und dann nennen wir als drittes Mitglied des Barmer "Platonikums" jenen damals in Schöller wohnenden späteren Kölner Superintendenten und Konsistorialrat Johann Gottlob Krafft, der ein ungemein enger Freund von Strauß war und daraufhin auch seine Schwester Sophie heiratete. Diese Mitglieder des "Platonikums" konnten auch die literarische Entstehung der Glockentöne mitverfolgen...                              Weiter => =>