2. Kapitel: Strauß als Student der Theologie in Halle an der Saale (1805 bis 1806)
Das Thema Freundschaft und Freunde durchzieht von da an den gesamten Lebensweg von Gerhard Friedrich Abraham Strauß, auch schon in Halle. Zuerst musste er noch nach Hamm reisen und hatte dort die Abiturprüfung über sich ergehen zu lassen. In Hamm besuchte er das Pfarrhaus von Eylert. Wir werden noch hören, dass dieser Rulemann Eylert, der später dann preußischer Minister für religiöse Angelegenheiten und Bischof wurde und der eine Friederike Löbbecke aus Iserlohn zur Frau hatte, der ganz große Förderer der Karriere des Gerhard Friedrich Abraham Strauß wurde. Und dann ging es ab nach Halle, der Studienort, der für angehende Geistliche aus Westfalen der übliche war und an dem auch schon sein Vater studiert hatte. Strauß schreibt in den Abendglocken-Tönen:
"Der berühmte gelbe Leipziger Postwagen nahm mich auf und durch eine echt sächsische Gegend kam ich endlich in .Halle an. Die Halloren, Studenten, Ausrufer waren, wie mein Vater sie mir geschildert; ich grüßte sie als alte Bekannte, und mein Freund Luther, der ältere Student, und mein theurer Budde hießen mich willkommen. - Nun war ich in Halle und stand vor der geöffneten Universität."
Dieser ältere Student in Halle, der auch Theologie als Fach hat, ist der Kaspar Heinrich Luther, der zuvor schon von 1891 bis 1895 Lehrer in Sundwig gewesen, und der andere wird dann ein noch engerer Freund für unsern Strauß, Wilhelm Budde aus Unna.
In den Abendglocken-Tönen lesen wir zu den Jahren in Halle:
"Steffens äußerte später einmal, nachdem wir längst Collegen geworden, daß nach seiner Beobachtung selten eine solche Zahl von viel versprechenden Studiosen zusammen gewesen, als in den zwei Semestern 1805 und 1806."
Der dieses vor Strauß äußerte, war sein berühmter späterer Kollege, der Philosoph und Naturforscher Professor Hendrik Steffens, der damals in Halle lehrte und eben später in Berlin, wo übrigens zum Beispiel Karl Marx und Sören Kierkegaard Steffens' Hörer waren. In der Tat waren in den Studienjahren 1805 und 1806 dort an der Saale viele besondere und bis heute bekannte Theologen, Philosophen und Künstler zusammen, die allesamt zur Creme de la creme des 19. Jahrhunderts gehören. Da nennt Strauß außer seinem eigenen Namen unter anderem die Namen seines Freundes Wilhelm Budde, dann den von August Neander, seines anderen engen Freundes, der bald mit ihm in einen lebenslangen besonderen Freundschaftsbund trat, der spätere große Kirchengeschichtler, dann die Namen von dem berühmten Karl August Varnhagen von Ense und dem späteren Schriftsteller Friedrich Wilhelm Neumann und die Namen der katholischen Barone von Eichendorff aus Schlesien, die keinem hier unbekannt sind.
Ich möchte die hier genannten Männer kurz vorstellen und andeuten, wie sie mit Strauß verbunden waren und welches Verhältnis sie miteinander hatten. Da war zuerst einer der engsten Freunde von Friedrich Strauß, der Theologiestudent Wilhelm Budde aus Unna, der auch Jahrgang 1786 war und nur ein paar Tage älter war als der Iserlohner und der das gesamte Studium über auch dann in Heidelberg Friedrichs Busenfreund war und blieb.

Budde war später nach seinem Studium erst Pfarrer in Dortmund, dann Pfarrer in Düsseldorf und Gymnasial-Professor und Konsistorialrat; er starb in Düsseldorf 1860.
Nicht nur aus den Abendglocken-Tönen sondern auch aus den gedruckten Studententagebüchern Buddes kann man ersehen, wie eng der Kontakt der westfälischen Beinahe-Nachbarn Strauß und Budde in Halle und Heidelberg war.
Budde und Strauß hatten in Halle engeren Kontakt mit dem Theologieprofessor Johann Severin Vater, jedoch der große Star an der theologischen Fakultät war Daniel Friedrich Schleiermacher, der prominenteste aller Theologieprofessoren, den man später auch den "Kirchenvater des 19. Jahrhunderts" nannte - und der wie der genannte Steffens dann später in Berlin auch Straußens Professorenkollege werden sollte. In Halle freilich traute sich stud.theol. Strauß theologisch noch nicht so richtig an den großen Professor Schleiermacher ran.


Dort in Halle wurden die Kontakte zu den Kommilitonen besonders wichtig. Ein besonders interessantes Exemplar eines Mitstudenten in der Theologie war jener junge Mann, der als Jude geboren war im Jahr 1789 mit Namen David Mendel, der dann in Hamburg zusammen mit den beiden eben genannten Freunden Karl August Varnhagen von Ense und dem späteren Schriftsteller Friedrich Wilhelm Neumann am renommierten dortigen Johanneum ausgebildet wurde und in dieser Zeit den starken Wunsch bekam, zum christlichen Glauben zu konvertieren. U.a. war es übrigens kein Geringerer als Matthias Claudius in Wandsbek gewesen, der mit seiner Frömmigkeit Eindruck auf David Mendel gemacht hatte. Die genannten beiden Freude waren bei der Taufe die Taufpaten, und von Varnhagen bekam David Mendel den neuen christlichen Namen August, von Neumann den Namen Wilhelm, und mit Nachnamen nannte er sich Neander (Neuer Mensch. "Neu-Mann"). Dieser August Johann Wilhelm Neander wurde so etwas wie ein wissenschaftliches Wunderkind - auf dem Gebiet der historischen Theologie, ein Kirchengeschichtler des 19. Jahrhunderts, über den bei den Examina die Theologiestudenten bis heute Bescheid wissen müssen. Als Single war Neander von seiner Art her fast lebensuntüchtig, so wird er beschrieben, aber in seinen Büchern und bei seinen Vorlesungen wurde er zum vielgeliebten und sehr stark besuchten Professor, der mit Kopf und Herz für seine Sache einzunehmen wusste, dem man nachsagte, er mache eine Pektoraltheologie, eine Theologie des Herzens. So wirkte er später als Theologe der Erweckungsbewegung in Berlin. Und schon hier in Halle als Student der Theologie zog es Friedrich Strauß und Neander ganz eng zueinander hin. In Straußens Selbstbiographie beschreibt dieser, dass er immer wieder die ersten Hallenser Anfänge der Freundschaft mit Neander seinen Kindern und seinen Studenten erzählt habe: Es sei bei einer Lehrveranstaltung bei Professor Vater gewesen, als Vater eine wissenschaftliche Frage an die Studenten richtete, auf die keine Antwort zu erwarten war. Und dieser oft ausgelachte und leicht zu unterschätzende Studiosus August Neander steht auf, und Strauß schreibt wörtlich die Reaktion aller Hörer - auf seine Studententagebücher aus Halle zurückgreifend: "Die Miene des Nichtwissens will übergehen in die des Auslachens, und siehe, der Jüngling mit orientalischen Gesichtszügen läßt sich in Ciceromanischem Latein aus über den […] Gegenstand! Man kann sich leicht denken, wie plötzlich er in eine ganz andere Stellung überging." Das geschah am Sonnabende. Am Montage oder an einem der folgenden Tage benutzte ich eine freie Morgenstunde, in der ich keine Vorlesung hatte, bei einer prachtvollen Frühlingswitterung, um in den nahen Garten des Pädagogiums zu gehen. In den Gängen wandelt Neander. Sofort erneuere ich unsere Bekanntschaft. Bald heißt es vom 26. Juli: "Das Merkwürdigste an diesem Tage war eine Unterredung von 6-11 Uhr mit Neander über Quellenstudium. Ein solches christliches Gespräch, ein solches Mittheilen und Empfangen habe ich noch nicht gehabt. Ich liebe dich, Neander, so sehr mich auch dein Aeußeres abstößt." Aus dem gleichen alten Studententagebuch zitiert Strauß (Abendglocken-Töne, S. 80) vom "27. Juli, Sonntags": "Nachdem ich die zweite Homilie des Macarius gelesen, die erste recht religiöse Unterhaltung - in dem Garten des Pädagogii. Geben und Nehmen! Andacht und Begeisterung. Morgen so frühe wie möglich lesen wir eine Stunde des Clemens Alexandrinus […] - Unterm 28. Juli heißt es: "Wie fühle ich mich hingezogen zu Neander. Gesegnet sei mir dieser edle Jüngling." - Am 3l1. Juli: "Um 5 Uhr kam Neander. - Cyprians Briefe. - Aehnlich August 1, 6 und 8, und auf jedem Punkte, daß ich in Halle erst glücklich geworden. Der erste, rein christliche Freund, der uns im Leben und als solcher begegnet, ist eine Gabe für die Ewigkeit! […] Viel sind mir meine Freunde gewesen, und jeder einzelne, besonders Budde; aber es gilt hier das rein Christliche. Ueber Anderes war mit Neander nicht zu reden. Budde, der vielseitig Begabte, war gelehrt und herrschend, Neander war gelehrt und gläubig." Es blieb eine enge Freundschaft bis zu Neanders Tod in Berlin, wie wir noch hören werden.
August Neander aber hatte eben noch andere Freunde unter den Kommilitonen in Halle, da war sein Taufpate und Namensvetter Karl August Varnhagen von Ense, der zusammen mit dem anderen Taufpaten Friedrich Wilhelm Neumann und mit Adelbert von Chamisso dann mit Neander zusammen zum Poetenverband "Nordsternbund" gehörte, und Karl August Varnhagen, dessen Urahnen ja Geistliche aus Iserlohn waren, hatte viele weitere Freunde, bis hin zu Justinus Kerner, Gustav Schwab und Ludwig Uhland - und bis hin zu jener Literatin und Salondame Rahel Levin, die zwar 14 Jahre älter war als er und die dann als seine Frau Rahel Varnhagen sehr bekannt wurde.
 


 


Soviel zu den bekannten Menschen, die damals 1805 und 1806 Studenten in Halle an der Saale waren.
Diese besondere Zeit endete ganz schrecklich, wie es Strauß in seiner Selbstbiographie ausführlichst und anschaulich schildert. Direkt nach Napoleons Sieg bei Jena und Auerstedt kam der Krieg 1806 auch nach Halle; Strauß hat Napoleon sogar einmal da gesehen. Die Universität wurde geschlossen. Mitten in den schlimmen Kriegswirren half Strauß dem in dem Desaster hilflosen Professor Vater, und Budde und Strauß retteten, was zu retten war, bevor sie sich auf die Flucht nach Hause machten. In den Kriegswirren kam es zu einer Begegnung mit dem hungrigen Friedrich Daniel Schleiermacher; in den Abendglocken-Tönen heißt es wörtlich: "Ich erinnere mich, daß uns Schleiermacher und an seinem Arm die Schwester auf dem Markt begegneten mit dem Ausdruck des Hungers und dem Bekenntniß dessen, so daß wir um Erlaubniß baten, ihm von unserem westphälischen Schinken zu schicken.
An diesem Sonnabende ist mir als das Unvergeßlichste geblieben ein Gang mit meinen Freunden auf das Schlachtfeld. Von dem Lager sahe man noch einige Trümmer, und auch zerbrochene Waffen und dergleichen, aber am meisten Leichen. Die größte Anzahl war entkleidet und beraubt. Einige Bilder wollen mir seit 50 Jahren nicht aus der Seele. Eine Frau hatte ihren Mann so fest umschlungen, daß Eine Kugel durch beider Herzen gegangen war.
Die Marketenderin hatte ihren Kram nicht losgelassen. […]"
Die große Katastrophe Preußens spiegelt sich hier wider in einem Einzelleben. Die beiden Studiosi und Landsleute Budde und Strauß gingen den langen Weg zurück in ihre Heimat, nach Unna und Iserlohn. Im Herbst des Jahres 1806 gegen Ende des Kirchenjahres hatte dort in der Bauernkirche seine Premiere, die allererste Predigt, in der es um Matth. 25, das Gleichnis vom Weltgericht ging (Abendglocken-Töne, S. 87 - 99). Bald aber ging das Studium für die Freunde Budde und Strauß weiter: sie hatten sich für den Süden entschieden, für Heidelberg, das längst schon unter napoleonischer Herrschaft war; die Situation dort erlebte Strauß als ganz großen Kontrast zu dem im Krieg besiegten Preußen.    Weiter => =>

 

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