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Zuerst
findet man hier, wie Johannes
Hansens den Papstbesuch in Bayern
beurteilt (idea Spektum 37/2006), darunter,
wie er die späten Bekenntnisse des
Günter Grass sieht
HIER, dann folgt sein Nachruf
HIER für Johannes
Rau (auch erschienen in Idea) und zweimal Aktuelles von ihm zum Karikaturenstreit
moslemisch HIER
und christlich
HIER
Danach schließlich ein weiterer Text
von Johannes Hansen über Versöhnung
HIER
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Die Begeisterung stimmt nachdenklich Der Papst in Deutschland: Die Protestanten bleiben zweite Wahl (idea spektrum
37/2006, S.3)
Liebe Leserin, lieber Leser, der Papst ist da. Die zusammenströmenden Menschen können den evangelischen Betrachter nachdenklich machen. Große Versammlungen gibt es auch bei Kirchentagen, doch ist es gewiß weltweit unüberbietbar, daß sich die religiöse Begeisterung derart massenhaft auf einen Menschen konzentriert, der nach katholischer Lehre Christi Stellvertreter auf Erden ist. Auch wenn es modifiziert heißt, daß er kein "absoluter Monarch" sei, sondern "das Ganze verkörpern muß". Die dogmatische Kernlehre vom Amt des Papstes bleibt unberührt. Es gibt Christen, denen dieses beängstigend erscheint, auch katholische. Denn Christus war zu seinen Erdenzeiten der arme Zimmermannssohn aus Nazareth, der sich stets den Massen in die Stille entzog, wenn sich Begeisterung aufzutürmen drohte.
Die unbequeme Ökumene Wie schon beim Weltjugendtag in Köln kam erneut die Frage nach der ökumenischen Orientierung des Papstes im Blick auf die evangelische Kirche auf. Keine fremde Frage für den hochgebildeten früheren Professor für katholische Theologie u. a. in Tübingen. In einem herzlichen Gespräch mit Journalisten im deutschen Fernsehen blieb alles hochgeistig und professoral, bis die Frage gestellt wurde, wie der Papst das Verhältnis zur evangelischen Kirche zu verbessern gedenke. Hier begann es atmosphärisch zu knistern. Der Papst wirkte fast ein wenig herablassend, als er die evangelischen Kirchen aufzählte und schließlich auch die Freikirchen nannte, "die sich jetzt im Großmaß bilden". Die evangelischen Kirchen werden vom Papst offenkundig als zweite Wahl angesehen. Die in den reformatorisch geprägten Kirchen durch Paulus erkannte Freiheit des Glaubens entbehrt nach päpstlicher Überzeugung offenbar der zentralen Kontrolle des Lehramtes. Erneut wurde auch freundlich vom wünschenswerten Dialog gesprochen, doch geht es unverkennbar stets um einen Dialog, der die Einmündung aller in die katholische Weltkirche zum Ziel hat. Die bei der Begrüßung des Papstes in München geradezu innig vorgetragene Bitte des (evangelischen) Bundespräsidenten Köhler um Fortschritte im Gespräch mit den anderen Kirchen hallt nach. Hier wenigstens nickte der Papst dem Präsidenten freundlich zu und sagte, Köhler habe ihm beim Thema Ökumene "aus dem Herzen gesprochen".
Was traurig macht Warum dann aber immer noch die Verweigerung der vollen Gemeinschaft des Glaubens? Sie macht traurig. Es gibt also Kirchen, die nicht wirklich Kirchen sein dürfen, und Christen, die demnach nicht wirkliche Christen sind, weil sie keine katholisch-priesterliche Absolution erfuhren und sozusagen am falschen Tisch beim Mahl des Herrn sitzen.
Ökumene nur ganz unten möglich? Der Papst scheint nicht wirklich bejahen zu können, daß es den "bunten Leib Christi" gibt, der auch aus historischen Gründen so herrlich frei und vielfältig gewachsen ist. Die Bitte des Herrn um die Einheit dürfte kaum auf eine riesige und mächtige Institution gerichtet gewesen sein. "Jesus ist Herr", dieses älteste Taufbekenntnis der Christenheit eint uns mit allen, die diesen Herrn anrufen. Der "Herr Christus" gehört zu keiner Kirche, weder zur reformatorischen noch zur römisch-katholischen. Kirchengrenzen überschreitende Gemeinschaft des Glaubens ist wohl auf überschaubare Zukunft nur in gemeindlichen Kontakten, persönlichen Freundschaften und in missionarischen und sozialen Projekten möglich. Diese allerdings sollen sorgfältig gepflegt werden. Es grüßt Sie herzlich Ihr Johannes Hansen
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Günter Grass und die Folgen Nun also wissen wir es, Günter Grass ist auch nur ein Mensch. Wie du und ich? So nun auch wieder nicht, denn Günter Grass ist Bildhauer, Dichter und ein weltberühmter Autor. Dazu auch noch der Träger des Nobelpreises für Literatur. Mehr geht nicht, wer will da konkurrieren? Dieser Mann ist tatsächlich auch nur ein Mensch. In mancher Hinsicht tatsächlich wie du und ich, also wir. Günter Grass gestand in einem Interview der FAZ, dass er zur Waffen-SS gehört hat, obwohl er bislang nur eine Art kleiner Soldat gewesen war. Das steht so auch in der Biografie. Alle Radio- und Fernsehnachrichten brachten es noch am selben Tag. An erster Stelle. Es ging ab sofort ein Sturm der Entrüstung nicht nur durch die Kulturlandschaft, er erreichte sogar die Stammtische. In BILD (Dir eine Meinung) äußerte jemand in einem Leserbrief, er habe ja schon immer gewusst, dass dieser Grass ein unaufrichtiger Mensch sei. Bierdunst. Wer etwas auf sich hält, entrüstet sich jetzt. Die Intellektuellen und die Spießer vereinen sich. Inzwischen sind Stimmen der Mäßigung dazu gekommen. Auch der frühere Bundespräsident v. Weizsäcker äußerte sich so. Doch dieses Ereignis wird uns und die Welt noch länger beschäftigen. Oder auch nicht? Was ist geschehen? - etwas genauer bitte. Günter Grass hat seine Biografie unter dem interessanten Titel "Beim Häuten der Zwiebel" geschrieben, deren Erscheinen zunächst noch etwas warten sollte, doch dann "warf" der Verlag scheinbar total überrascht das Buch schon Wochen vorher auf den Markt. Lag es an der Druckerei, fragte sich der etwas naive Bürger? Oder war es ganz anders? Der Autor hatte - wie gesagt - in einem Interview der FAZ geäußert, er sei als 17-Jähriger zur Waffen-SS eingezogen worden Also als Knabe in diese üble Truppe, die von Reichsmarschall Heinrich Himmler in absoluter Treue zu dem unsäglichen Mann mit Namen Hitler geführt wurde. Dieser Günter Grass? Der große Moralist Deutschlands? Die "Wahrheitskeule", so meinte jemand, der sich über die "endlose Adenauerzeit" mit dem "katholischen Mief" aufregte, doch ebenso entrüstet war, als Präsident George Bush und Kanzler Kohl Hand in Hand auf dem Soldatenfriedhof standen, wo auch Soldaten der Waffen-SS begraben sind. Wenn Grass doch damals mit der "Häutung der Zwiebel" begonnen hätte, ganz einfach menschlich und ehrlich. "Ich hätte dort auch liegen können." Auch das hätte eine Menge Lärm gegeben, doch von da an hätte Günter Grass mit seiner anerkannt großen literarischen Kraft ungezählten Männern in Deutschland und einigen Ländern Europas zur Wahrhaftigkeit helfen können. Sie hätten vielleicht den Mut gefunden, vor sich selbst und anderen ehrlich zu werden. Manche vielleicht sogar vor Gott, der mit Mief absolut nichts zu tun hat. Hätte, könnte, was soll es, er hat geschwiegen. Grass saß nun mal auf der bekannten langen Bank und rutschte und rutschte und rutschte, bis er jetzt am anderen Ende von der Bank fiel. Darf man Gorbatschow zitieren? "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Schluss mit der Neigung zur Ironie, zum Nachrechnen und zur Arroganz. Besonders sei Schluss mit der ach so "christlichen" Betonung der Schuld des Günter Grass. Immerhin hat er es jetzt ausgepackt, reichlich spät und auch mit ein bisschen zu viel Geklimper. Viele seiner Freunde und die amerikanische Armee wussten es doch längst. Er wollte offenbar bei seinen achtzig Lebensjahren nicht mit diesem Klotz am Bein in die Grube sinken. Er wollte diese verschwiegene biografische Geschichte in den großen Zusammenhang stellen, so zu Wickert im SPIEGEL. Verharren wir nun doch lieber ein wenig bei uns. Wir sind ja, wie gesagt, auch nur Menschen. Wie Günther Grass. Wo liegen bei uns die Leichen im Keller, wo steht die lange Bank, auf der wir rutschen und rutschen? Und ist es nicht an der Zeit, dass wir die Zwiebel häuten? Gustav Heinemann, der Unvergessliche, hat es im Bundestag vorgeführt, dass man jeweils mit vier Fingern auf sich selbst zeigt, wenn man mit einem auf jemand Anderen zeigt. Setzen wir also den Zeigefinger bei dieser guten Gelegenheit auf die eigene Brust. Ich habe es vor vielen Jahren einmal unter dem Predigtthema "Wer ist der Mensch?" auf der Kanzel einer großen Citykirche in einer
süddeutschen Stadt versucht, das Häuten einer Zwiebel auf der Suche nach dem Kern derselben vorzuführen. Doch dann habe ich davon abgelassen, weil mir die Tränen kamen und ich den Predigttext der Bibel kaum noch lesen konnte. Die große Gemeinde nickte Zustimmung, als ich sie fragte. Man kann wohl das Heulen kriegen, wenn man sich bis in die Tiefen seines Lebens entblättert. "Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen." (Psalm 32) Zu hoch gegriffen, zu sentimental? Wir sind doch nur Menschen, wie auch Helmut Grass. Ihm täte es gut, uns auch, wenn wir ganz ehrlich sein könnten vor uns selbst und vor Gott. Doch nun wirklich nichts mit würden und könnten, tun wir es doch einfach. Johannes Hansen 21. August 2006 (geschrieben für gott.net)
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Ein klassischer Bibelmann - Zum Tode von Johannes Rau: Aus innerer Berufung immer auch ein Prediger. Als die Nachricht vom Tod des Altbundespräsidenten Johannes Rau bekannt wurde, ging am selben Tag ein Raunen durchs Land. Besonders in NRW, wo Johannes Rau unvergessliche Spuren hinterlassen hat. Er blieb für alle, die das entsprechende Alter haben, ein heimlicher Landesvater, was mit seiner Partei im Grunde wenig zu tun hatte. Die Menschen hielten den Atem an, schwiegen nachdenklich und sagten Gutes über ihn. Auf eine seltsame Art andächtig. Am Telefon, beim Bäcker, in der Buchhandlung. Die Agenturen sind voll von Nachrufen, die Zeitungen in ganz Deutschland haben ihre Leitartikel gebracht. Da muss es jetzt nicht sein, noch einmal die Lebensdaten und den politischen Weg des Johannes Rau und seine nationale und internationale Bedeutung ausführlich nachzuzeichnen. Dabei sind allein schon die von ihm sorgsam und dann auch entschieden aufgebauten Beziehungen zu Israel einzigartig. Johannes Rau war ein starker Politiker, fast möchte man sagen, ein charismatisch hoch begabter Politiker. Dem Vorwurf, dass Politik schmutzige Hände macht, hat er wiederholt leidenschaftlich widersprochen. Ihm versuchte man gelegentlich etwas anzuhängen, doch es blieb nicht hängen, er war auf Dauer intrigenresistent. "Versöhnen statt spalten" war kein rasch hingeworfener Slogan, sondern eine dauerhafte Leitlinie seines Lebens, die erkennbar aus seiner Glaubensorientierung stammte. Besonders die in der betont biblisch orientierten Christenheit oft so merkwürdig verdrängte Bergpredigt Jesu hat ihn zu diesen und ähnlichen Äußerungen geführt. Doch er las die Bergpredigt vom Bergprediger her und nicht als Moralkodex eines allgemeinen Christentums. Dem hart vorgetragenen Gedanken, dass man mit der Bergpredigt keine Politik machen könne, begegnete er mit der Rückfrage, ob es etwa ohne sie möglich sei. Es ist denkbar, dass Rau die Namensgebung "Bruder Johannes" nicht immer nur gut gefunden hat. Dieser Mann passte in keine Ecke, man konnte ihn kaum für bestimmte Zwecke nutzen. Dafür war sein Gedächtnis zu gut und seine Schulung an der Theologie Karl Barths zu nachhaltig. Er war ein klassischer Bibelmann, wie es jetzt durch viele Zeugen immer deutlicher erkennbar wird. Die "Losungen der Brüdergemeine" waren für ihn ein täglicher Begleiter, doch er las die angegebenen Texte dazu. Johannes Rau war ein "entschiedener Christ", wie Kardinal Lehmann betont freundschaftlich schreibt und es mit persönlichen Erfahrungen belegt. Ein von Präses Nicolaus Schneider zu seinem 75. Geburtstag herausgebrachtes Buch " ... weil ich gehalten werde" enthält bewegende "Zeugnisse" von ganz unterschiedlichen Autoren.
War er Pietist? Es plagt mich die Frage, warum dieser so herrlich menschliche und zugleich im besten Sinne des Wortes fromme Mann den Evangelikalen in Deutschland so viel Kopfschmerzen bereitete? Man mochte nie so ganz anerkennen, dass er wirklich ein "gläubiger Christ" sei. Viele wollten ungern akzeptieren, dass ein Politiker aus der SPD überhaupt ein Christ sein könne. Und wenn schon, dann hätte er doch Bundespräsident und Evangelist in einem Vollzug sein müssen. Wie sich Klein Erna das Leben so vorstellt. Er war der Bundespräsident aller Deutschen, auch der Deutschen, die sich zu anderen Religionen zählen und auch der Atheisten im Lande. Das war er laut Verfassung, sozusagen qua "Dienstanweisung" stets und ständig. Und er war an vielen Orten und bei wechselnden Gelegenheiten aus innerer Berufung auch der Prediger. Und welch ein Prediger ! War er ein Pietist? Als Aufkleber gewiss nicht, doch er kam aus der Gemeinde des unvergessenen Karl Immer in Wuppertal, hatte einen Evangelisten als Vater und seine Mutter Helene lernte ich als liebenswerte Christin in Barmen kennen. Johannes Rau sang bei einer Konferenz in Diakonissenhaus - wie eine Diakonisse bezeugte - die "Reichslieder" auswendig mit. "Stern auf den ich schaue .." und so weiter.
Ein besonderer Präsident Zurückhaltung ist angesagt, doch sein letzter Brief an mich war in Maschinenschrift mit brüderlichen Grüßen und dem Hinweis versehen, dass er den Brief nicht mit eigener Hand unterschreiben könne, weil er zu schwach sei. Doch wieder ein Brief in brüderlich freundschaftlicher Zuwendung. Ein ganz besonderer Mann ist von uns gegangen. Die Deutschen haben ihrem Altbundespräsidenten Johannes Rau viel zu verdanken. Er wurde "heimgerufen", wie die Väter und Mütter des Glaubens sagten, "nun ist er beim Herrn".
(Der Autor, Pfarrer Johannes Hansen (Witten) war Leiter des Amtes für Missionarische Dienste der Evangelischen Kirche von Westfalen.) Johannes Hansen , Freitag 28. Januar 2006
Mohammed–Karikaturen Große Aufregung in islamischen Staaten Es begann im friedlichen Dänemark alles ganz still und eher am Rande. In einer Talkshow beklagte ein Autor, der ein Kinderbuch über den Propheten Mohammed schreiben wollte, dass er keine Zeichner für die Bilder von Mohammed finden könnte. Der Kulturredakteur einer dänischen Zeitung rief daraufhin in seinem Blatt jene 40 Zeichner auf, die im dänischen Journalistenverband verbunden sind, “ihr eigenes Bild von Mohamed zu zeichnen“. Nur 12 Zeichner beteiligten sich. Unter den eingelieferten Arbeiten befanden sich einige bissige Karikaturen, die veröffentlicht wurden und nun die seit Tagen im TV gezeigten gewaltsamen Attacken gegen den Staat Dänemark auslösten. Die Angriffe richten sich immer mehr auch gegen ganz Europa, weil viele Zeitungen einzelne Karikaturen nachdruckten, so auch in Deutschland. Nun brennen Botschaften, Boykotte gegen dänische Produkte werden ausgerufen, vieles davon ist täglich zu sehen und zu lesen. Der Hass gegen Europa wird buchstäblich zur Kriegsgefahr. Dazu gehören auch die Nuklearproduktion im Iran und die Sorge um das Leben zweier deutscher Ingenieure in der Hand irakischer Entführer. Wieder einmal ein Konglomerat des Schreckens. Die Karikatur, die den Propheten mit einem als Bombe dargestellten Kopf zeigt, an dem eine Zündschnur hängt, ist wohl vor allem am religiösen Wutausbruch Schuld. Ebenso jene, die den Propheten an der Tür zum Paradies in Verlegenheit zeigt, weil ihm die Jungfrauen ausgegangen seien, von denen jeweils 70 die Märtyrer im Paradies erwarten sollen. Das steht nicht im Koran, sondern stammt aus einem islamischen Totenbuch das erst im 7. Jahrhundert n. Chr. entstand, die Selbstmordattentäter jedoch zum Sterben offenbar anspornt. Offen gesagt, ich bin gegen solche religiös verletzenden Produkte, die gegen irgendeine Religion oder einen Glauben gerichtet sind. Ja, wir haben die Pressefreiheit, sie gilt es zu verteidigen. Doch geht es stets auch um eine Frage der Vernunft und Verantwortung, wenn jemand einen Kopf zum Denken hat. Jetzt hat man in Kopenhagen „die Hosen voll“, doch weiß man nun auch, dass man mit Emotionen sorgfältig umgehen muss in diesen Zeiten. Am Ende fliegt noch die Welt in die Luft, weil ein paar Leute meinten, sie müssten ihre Freiheit gegen die Vernunft und den Verstand durchsetzen. Hier geht es auch um die Verantwortung aller Christen, sich für den Frieden unter den Religionen einzusetzen. Es gibt nicht nur Pressefreiheit, sondern auch Presseverantwortung. Und was zur Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz steht, kann auch ein Maßstab der Verantwortung gegenüber Menschen in anderen Nationen sein. Ich wiederhole, besonders in diesen Zeiten. Und wenn man noch so wütend ist. Johannes Hansen - geschrieben für gott.net.
Das erste Christusbild - eine Karikatur
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Die Christenheit hat uralte und moderne Erfahrungen mit der Verhöhnung ihres „Herrn und Heilandes Jesus Christus“. Wer Zeitungen liest, weiß es. Die erste Christusdarstellung der Geschichte ist ein Spottbild. Forscher fanden 1857 auf dem Hügel Palatin in Rom die Ruinenmauern einer Ausbildungsstätte für Pagen, die am römischen Hof dienen sollten und dort in ihren Beruf eingeführt wurden. An der Wand eines Raumes entdeckte man ein Graffito, auf dem ein Jesus mit einem Eselskopf am Kreuz hängt. Davor steht ein junger Mann mit einer zum Gebet erhobenen Hand. In griechischer Schrift steht neben dem Bild „Alexamenos betet (seinen) Gott an.“ Der junge Student war offensichtlich ein Christ, der seinen Glauben an den Gott, der sich am Kreuz als Retter für alle Menschen bekannt gemacht hat, nicht verschwieg. Alle Achtung. Eine Karikatur gehört zu den Gründungsurkunden der Christenheit. Eine seltsame „Religion“ , die sich so der Welt präsentiert. Eigentlich das Gegenteil einer Religion. Darum rede ich auch lieber von der Christenheit als der weltweiten Versammlung der an Christus Glaubenden in allen Kirchen und Glaubensbewegungen. Der Protest gegen das Kreuz kam nicht aus der Christenheit – es sei denn aus eher philosophischen Sondergruppen zu Beginn der Kirchengeschichte - er kam vor allem von außen. Es hätte einen 2000 Jahre dauernden Schrei und Krieg gegen die Verhöhnung des christlichen Glaubens geben müssen. Wenn wir Christen nicht darüber glücklich wären, dass Gott so tief herabgekommen ist in unsere kaputte Welt und in unser durch Schuld und Angst verunstaltetes Leben, um uns in die Freiheit des Glaubens zu führen. Der Apostel Paulus war der stärkste Kreuzestheologe der Urchristenheit. Er schrieb an die Christengemeinde in Korinth: „Wir predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Skandal (Ärgernis) und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Die Botschaft vom Kreuz Christi ist die heiße Mitte der Freudenbotschaft von der Liebe Gottes. Nicht, weil er der Auferstandene ist, das gewiss auch, doch durch seinen Tod hat Gott uns mit sich versöhnt. Genau lesen: Gott hat unsere Beziehung zu sich selbst in eigener Initiative in Ordnung gebracht. Was wir nicht können, hat er für uns getan. Er hat alles Trennende auf Christus gelegt. Das heißt bei Paulus und anderswo in der Bibel „Versöhnung“. Durch den Glauben an Jesus, den Christus, kommen Menschen in eine total neue Beziehung zu Gott. Und das geschieht durch das im Grunde total „unreligiöse“ Sterben Jesu am Kreuz. Ich kann gut verstehen, dass antike Menschen diese „Religion“ für total verrückt hielten. Die Christenheit ist diese „Religion“, die Botschaft von dem Gott, der anders ist als alle Vorstellungen und Bilder der Religionen. Eben die Antwort auf die Fragen und Sehnsüchte und Urnöte der Religiösen und der Religionen. Auch der A-theisten, sie sind auch religiös. "Was mir an den Atheisten nicht gefällt? Sie reden immer von Gott." (Heinrich Böll) "Gott ist verrückt vor Liebe."
(Ernesto Cardenal in: Das Buch von der Liebe). Johannes Hansen - geschrieben für gott.net.
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Und dann noch ein
alter Vortrag:
Vorbemerkung JH in einer Mail an FG: "Vermutlich
ein Vortrag bei einer Konferenz, „eine große
Christenversammlung“ steht irgendwo in dieser Rede.
Irgendwie zu wortreich, doch leidenschaftlich. Ich
musste in jenen Jahren theologisch kämpfen,
sozusagen meine Prägung in der evangelistischen
Szene darstellen. Heute würde ich inhaltlich alles
so sagen, doch einige Akzente anders setzen. Bei
einer neuen Veröffentlichung müsste das Manuskript „entholzt“
werden, weil manches doppelt gesagt wird."
Johannes Hansen über 2. Korinther 5, 17 – 21: “So
ist Versöhnung ...” Das Wort von der Versöhnung
...
In Berlin gibt es seit vielen Jahren ein
merkwürdiges Kreuz. Viele Menschen haben vor allem
zu DDR-Zeiten über dieses Kreuz geschmunzelt und in
diesem Fall sogar zu Recht. Inzwischen hat das
zufällige Naturphänomen, wenn ich es einmal so
nennen darf, gewiss etwas von seiner Attraktivität
verloren, weil der atheistische Staat als Gegenüber
nicht mehr existiert, doch es fällt immer noch auf.
Es ist das über ganz Berlin sichtbare Lichtkreuz am
Fernsehturm, der im Bereich des früheren Ostberlins
steht. Wenn die Sonne nur ein wenig scheint, bildet
sich durch eine Lichtbrechung auf der großen Kugel
des Fernsehturms ein dickes Balkenkreuz. Man kann es
einfach nicht übersehen. Angeblich hatten sich in
den Zeiten des "real existierenden Sozialismus" die
zuständigen Behörden und Techniker viel Mühe
gemacht, um das für den marxistischen Staat
unpassende und ärgerliche Symbol zu beseitigen, aber
es war ihnen nicht gelungen. "St. Ulbricht"
witzelten die Berliner viele Jahre. Walter Ulbricht
hieß damals der Staatsratsvorsitzende der Deutschen
Demokratischen Republik. (DDR) Ihn muss dieser
Scherz des Himmels echt Ärger gemacht haben. Ein
Spaß für Touristen und für die Christen gewiss ein
tiefsinniger Anblick. Ich sah es einmal bei Nebel.
Das Kreuz war durch den Bodennebel hindurch noch zu
sehen. Es war zum Beten schön. Ich erzähle diese
Geschichte nicht spöttisch, sondern als ein schönes
Symbol dafür, dass die Botschaft des Kreuzes allen
Menschen gilt und durch nichts aufgehalten werden
kann. Das kommunistische Regime ist verschwunden,
aber das Kreuz am Fernsehturm ist geblieben, es
steht einfach da über der Stadt Berlin. Das
Kreuz Jesu draußen vor Jerusalem war nichts für
neugierige Touristen, es war kein Scherz. Es war
blutiger Ernst und ein grauenhaftes Geschehen.
"Draußen vor dem Tor" starb Jesus nach dem
Hebräerbrief, ausgestoßen vor die heilige Stadt und
brutal exekutiert. Und doch bringe ich das
Kreuz von Golgatha mit dem Kreuz von Berlin
zusammen. Was damals in einem geographischen und
politischen Winkel der Welt geschah, hat Bedeutung
für alle Länder, Städte, Dörfer und Menschen der
ganzen Welt. Seine Bedeutung ist zeitübergreifend
und in jeder Dimension grenzübergreifend. Nach dem
Johannesevangelium wurde Jesus am Kreuz "erhöht".
Damit sind nicht die drei Meter über der Erde
gemeint, sondern der Sieg des Gekreuzigten über alle
gottlosen Mächte. Und über alles, was uns persönlich
von Gott trennt. Der Tod Jesu hat nicht nur
persönliche Bedeutung für jeden Glaubenden, sondern
umfassende Bedeutung für alle Menschen. Auch für
die, die noch gar nicht an den Gekreuzigten glauben,
die das "Wort vom Kreuz" noch nicht kennen,
denen wir aber das Wort von der Versöhnung sagen
sollen. Wir fragen hier bei einer großen
Christenversammlung gewiss mit Recht nach der Tiefe
des Evangeliums. Wir protestieren, wenn wir in
unserer Kirche Verflachung der Heilsbotschaft, ihre
Einebnung in christliche Moral und die oft in den
Vordergrund tretende psychologische Verwertung des
Evangeliums entdecken. Die Tiefe des Evangeliums
soll entdeckt und gepriesen werden. Aber geht es uns
ebenso leidenschaftlich um die Weite des
Evangeliums? Unsere Väter im Glauben waren uns
darin ein gutes Beispiel, denken wir nur an Johann
Albrecht Bengel, an den Grafen Zinzendorf und die
beiden Blumhardts. doch wir heutigen Pietisten und
Evangelikalen werden oft seltsam ängstlich, wenn uns
der weltumspannende Christusgeist des Heils anweht.
Schon heben wir unseren spitzen Zeigefinger und
sagen schulmeisterlich : "aber, aber". Wir fallen
Gott ins Wort, lassen ihn nicht ausreden und haben
Sorge, er könnte zu gnädig sein. Manche Christen
sitzen verbiestert wie einst Jona draußen vor der
Stadt unter seiner Staude und ärgern sich, weil Gott
sich über Ninive erbarmt, weil Gott seine Liebe zur
Welt so großzügig durchhält. Weil Gott nach ihrer
Meinung wohl doch zu großzügig ist. Bei Paulus
können wir lernen, wie die Tiefe und die Weite des
Evangeliums zusammengehören. In der Botschaft von
der Versöhnung ist beides konzentriert beisammen:
Tiefe und Weite, Weite und Tiefe. Wir werden aus
frommer oder gottloser Oberflächlichkeit in die
Tiefe und aus aller Engherzigkeit in die Weite des
Heils geführt.
Die Tiefe der Versöhnung Versöhnung ist eines
der ganz großen Worte der heiligen Schrift: "Gott
war in Christus und versöhnte die Welt mit sich
selber". Hören wir nur sehr genau hin, denn alles
liegt daran, dass wir diesen einen Satz richtig
verstehen. Hier steht nicht, dass wir uns mit Gott
versöhnen sollen. Schon der Gedanke ist ein
Wahnsinn, auch wenn die Menschen es zu allen Zeiten
versucht haben. Wie sollten wir wohl unsere
katastrophale Beziehung zu Gott selbst in Ordnung
bringen können? Wir lesen hier auch nicht, daß Gott
sich mit der Welt versöhnt hat. Gott hat mit der
Welt für sich selbst nichts in Ordnung zu bringen.
Alle Lasten liegen auf unserer Seite, wir sind die
Verlorenen, die Schuldigen, die Aufrührer. Es steht
hier tatsächlich, so merkwürdig es auch in unseren
Ohren klingen mag, dass Gott die Welt mit sich
versöhnt hat im Kreuz Jesu Christi. Er hat die
Initiative ergriffen. Er hat gehandelt und getan,
was wir nicht konnten und auch nicht wollten. Er
selbst hat durch das Sterben seines Sohnes Jesus
Christus unsere hoffnungslose Lage von Grund auf
geändert und "die Welt mit sich versöhnt". Noch
einmal, es liegt alles daran, dass wir hier ganz
genau hinhören : Gott hat die Welt in absolut
eigener Initiative mit sich versöhnt. Er hat eine
prinzipiell neue Basis zwischen der Welt und sich
hergestellt. Diese Tatsache gilt, auch wenn viele
Menschen sie gering schätzen oder gar verhöhnen.
Gott lässt sich von seiner Liebe nicht abbringen! Es
gibt nicht nur nach den Ergebnissen der
Kommunikationswissenschaften ein "interessegeleitetes"
Hören und wohl auch Lesen. Als durch Traditionen
geprägte Christen müssen wir sehr aufpassen, daß die
"Schere im Kopf" bei uns nicht Wahrheiten und Worte
herausschneidet, die nicht in unseren theologischen
oder traditionellen Rahmen passen. Etwa der Satz aus
Römer 8, 10 : "Denn wenn wir mit Gott versöhnt
worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir
noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig
werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt
sind." Als wir noch Feinde waren, hat Gott schon
alles in Ordnung gebracht! Nun sollen die Menschen
mit der Leidenschaft missionarischer Liebe zum Leben
in der Versöhnung mit Gott gerufen werden. Dieser
missionarische Ruf zum Glauben ist uns in der
evangelistisch motivierten Christenheit wichtig.
Aber muss man die Leute nicht auch noch kräftig
warnen vor dem Gericht? Ich kenne diese Frage
hundertfach, welcher Prediger kennt sie nicht? Ich
verstecke mich hier nicht, wir sind vor allem die
Prediger der Versöhnung, nicht die Anwälte Gottes
als Richter. Das ist ganz allein seine eigene Sache,
da wollen wir ihm nicht naseweis dreinreden. Warum
werden so viele Christen und Prediger ständig von
der Notwendigkeit und Erwartung des ewigen Gerichtes
Gottes angetrieben? Wir sind doch Verkündiger des
Evangeliums! In diesem Evangelium wird das größte
Gericht aller Zeiten und der Ewigkeit verkündet, das
Gericht des Kreuzes Christi. An unserer Stellung
zu diesem gekreuzigten Christus entscheidet sich
alles für Zeit und Ewigkeit. Lasst uns doch endlich
zuerst das Faktum der geschehenen Versöhnung rühmen
und nicht ständig heimlich Gott wegen seiner
geradezu unglaublich großen Liebe kritisieren. Eben
wie Jona damals, der sich ärgerte, dass Gott derart
großzügig war und sich über Ninive erbarmte.
Nachzulesen bei Jona in Kapitel 4, eine wichtige
Lektion. Aber klingt das nicht doch viel zu glatt
und selbstverständlich? Manche gehen mit dieser
Botschaft tatsächlich leichtfertig um, auch das muß
deutlich gesagt werden. Versöhnung scheint ihnen
eine friedliche und freundliche Geste Gottes zu
sein. Der gute Gott ist eben grenzenlos gütig. Seine
Freundlichkeit ist wie selbstverständlich. Der Gott
eben, der alles lieb absegnet, was wir so denken und
tun. Das ist die fromme Täuschung vieler. Wir haben
bekanntlich Filter in den Ohren, die herausfiltern,
was uns nicht in den Kram passt, wie wir auch immer
geprägt sind. Versöhnung ist eben nicht die generöse
Handbewegung des großen Gottes, der die Probleme
zwischen uns und sich vom Tisch wischt wie lästige
Krümel. Der Gott der uns durch die Bibel
verkündet wird, ist nicht jener "liebe Gott", zu dem
wir ihn so gerne machen. Er ist nicht so einfach
und wie von selbst der "gute Gott", wie er heute in
fast jeder Liturgie angesprochen wird. Er bleibt
auch in seiner Liebe der heilige Gott. "Gott muss ja
vergeben, denn das ist sein Metier", hat Voltaire
gemeint. Entrüsten wir uns nur nicht zu schnell über
den spöttischen Satz des großen Aufklärers. Wie
gerne haben auch Christen und Theologen seinen
Gedanken aufgenommen und aus der Liebe Gottes ein
göttliches Prinzip gemacht, das ihn nichts kostet
und uns erlaubt zu bleiben wie wir sind. Vieles
in unserer Kirche und Christenheit läuft zur Zeit
über diese Schiene ab. Gott muss nicht vergeben,
nichts und niemand kann ihn dazu zwingen. Er hätte
seine ganze Schöpfung in einer Eiszeit des
Schweigens untergehen lassen können. Er hätte alles
in einem riesigen apokalyptischen Feuer verbrennen
können. An der heiligen Freiheit Gottes scheitern
alle Verharmlosungen der Gnade und gewiss auch alle
sozusagen logischen Allversöhnungslehren, die sich
Christen ausdenken können. Die Versöhnung der Welt
mit Gott ergibt sich nicht wie von selbst, weil Gott
doch bekanntlich so lieb und so gut ist. Wäre es so,
hätte der Sohn Gottes nicht am Kreuz sterben müssen.
Dann hätten wir bei Jesus ein wenig lernen können,
wie man sich ordentlich benimmt. Aber so harmlos ist
unsere Lage vor Gott nicht. Unvergesslich ist mir
der Besuch bei einer sehr alten Christin in
irgendeinem Bergdorf in Österreich. Sie holte ihre
völlig zerlesene große Bibel vom Wandbrett in der
Küche, klopfte mit ihren gichtigen Handknöcheln auf
die Bibel und wiederholte immer wieder: "Die freie
Gnade, die freie Gnade ...!" Eine ganz einfache,
doch unvergessliche Begegnung, auch das hat mich
geprägt für immer. Ja, Versöhnung ist freie Gnade
und das absolute Gegenteil einer frommen
Selbstverständlichkeit. Und diese freie Gnade hat
Gott im Sterben seines Sohnes für uns vollzogen und
gültig gemacht. Wer die freie und absolut geschenkte
Gnade bei klarem Bewusstsein ausschlägt, sie absolut
nicht haben will, der muss einst ganz allein in
seiner Verlorenheit vor dem heiligen Gott stehen.
Immer wieder : ich mag mir nicht vorstellen, dass
einer, der diese Botschaft wirklich gehört und im
Herzen verstanden hat, ohne Gott in der Welt leben
will und ohne Jesus an seiner Seite vor den
lebendigen Gott treten will. Was mit denen
geschieht, die das Evangelium von der Versöhnung nie
gehört haben, oder durch falsche Predigt nie als
rettende Botschaft hören konnten, das ist Gottes
Sache und zwar Gottes Sache ganz allein. Hören wir
doch endlich mit diesem Allmachtswahn auf, Gott
Vorschriften über sein Gericht zu machen. Doch
Wahrhaftigkeit ist angesagt. Paulus spricht von
Versöhnung auf dem dunklen Hintergrund eines
entsetzlichen Krieges, den wir Menschen gegen Gott
führten. Unsere Sünde besteht nicht nur aus einigen
Fehlern und Bosheiten, die leider zwischen uns und
Gott passiert sind. Sünde ist Feindschaft, ist Krieg
und Aufstand gegen den lebendigen Gott. Sünde ist
das Fachwort der Bibel, mit dem sie die Katastrophe
beschreibt, die wir ausgelöst haben. Wir haben die
Lawine losgetreten, die über die ganze Welt
heruntergekommen ist. Wir haben die Zündschnur
gelegt, die bis zu den Bomben und Raketen von heute
reicht. Wir haben den tiefen Krater zwischen uns und
Gott aufgesprengt. Machen wir es uns nur nicht zu
leicht, wenn wir von Gottes Versöhnungswerk reden.
Sonst werden wir es nie begreifen, was am Kreuz
wirklich für uns geschehen ist. "Gott war in
Christus" meint nicht nur die wunderbare Wahrheit,
dass sich der verborgene Gott durch Jesus Christus
bekannt gemacht hat und wir ihn "Vater" nennen
können. Das Wort von der Versöhnung hat eine
erschütternde Tiefe. Gott war in dem Christus, der
draußen vor Jerusalem wie ein Gottloser zwischen den
Gottlosen starb. Der Sohn Gottes, "der von
keiner Sünde wusste", ist von uns Sündern und
Feinden Gottes getötet worden. Gott hat selbst dafür
gesorgt, daß er in unsere Mörderhände fiel. Das
klingt wirklich unglaublich, ich spüre es tief, doch
Gott selbst hat ihn "für uns alle dahingegeben", wie
es in Römer 8, 32 heißt, "wie sollte er uns mit ihm
nicht alles schenken?" Wir wagen es kaum
nachzusprechen, aber so hat es Paulus gemeint: Die
Sünde aller Zeiten und aller Menschen hängt am Kreuz
dessen, den Gott "für uns zur Sünde gemacht hat".
Nicht zum Sünder, sondern zur Sünde. Alle Gemeinheit
und Feindschaft, die Gott aus der Welt
entgegenschlug, hat der lebendige Gott dem Mann am
Kreuz zugerechnet, der nie eine Sünde getan hatte.
Das riesige Schuldkonto der Welt, unsere
billionenfachen roten Zahlen, hat er auf das Konto
Jesu überschrieben. Er hing da als Sünde in Person,
die ganze Feindschaft der Welt war konzentriert in
seinem Sterben. Für mich ist er "der dunkle
Diamant am Kreuz", zusammengepresst von dem
unmessbaren Gewicht der Sünde aller Menschen und
Zeiten. Unter dieser entsetzlichen Last brach er
zusammen, verblutete und starb mit dem Schrei: "Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Es
war Gottes heiliger Wille, dass er wie ein Gottloser
zwischen zwei Gottlosen für alle Gottlosen aller
Zeit starb. "Aber das alles von Gott", sagt Paulus
vom Sterben Jesu. Er hat Jesus zum „Komprimat“ der
gottlosen Welt gemacht, alles in ihm zusammen
gepresst. „Für uns zur Sünde gemacht.“ Er hat seinen
Sohn zu seinem verlorenen Sohn gemacht, um so die
Welt mit sich neu zu verbinden. "All' Sünd hast du
getragen, sonst müssten wir verzagen." Immer wieder
konnte ich diese befreiende Wahrheit Menschen mitten
im Leben und an den Grenzen des Lebens zusprechen.
"Stimmt es wirklich, kann ich mich darauf verlassen,
auch wenn in den nächsten Tagen sterbe?", fragte
eine junge Frau, die am nächsten Morgen zu einer
Operation auf Leben und Tod in die Klinik musste. Da
musste Farbe bekannt werden. "Sie dürfen sich auf
den Losspruch des Evangeliums verlassen und sich vor
Gott auf diese Stunde berufen, wenn sie sterben
sollten", wagte ich zu sagen. Zu viel versprochen?
Zu vollmundig geredet? Nein, denn dieser Zuspruch
ist im Evangelium von der Versöhnung begründet. "Was
er zusagt, das hält er gewiss." (Ps. 33, 4)
"Versprochen ist versprochen", sagen unsere Kinder
und Enkelkinder. So hält es Gott mit seinem
Evangelium. So also ist Versöhnung geschehen. Und
so geschieht sie heute durch das Wort von der
Versöhnung. Das Wort von der Versöhnung gehört mit
zum Geschehen der Versöhnung. Anders könnte sie ja
nicht wahr werden für uns. Das ist Gottes
Wiedervereinigung mit allen Menschen aller Zeiten,
also auch mit mir und dir. Nun sieht er uns und alle
Menschen unter dem Vorzeichen des Kreuzes an. In
seiner freien Gnade und grundlosen Barmherzigkeit, "ohn
unser Verdienst und Würdigkeit", hat Gott für uns
gehandelt. Und wenn uns auch der Atem stockt und wir
Gott schon wieder ins Wort fallen möchten, es muss
ausgesprochen werden: Das ist längst vor uns und für
uns geschehen und gilt von Gott her für alle
Menschen, auch wenn sie es nicht glauben wollen und
sich sogar dagegen sperren. Über jedem Menschen
steht das große Ja, das Gott im Kreuz Jesu für alle
Menschen gesprochen hat. Er jedenfalls hält sein Ja
durch und das Nein-Geschrei, das er immer noch aus
seiner Welt hören muss, die Feindschaft, die wir
Menschen immer wieder mobilisieren, bringt ihn nicht
ab von seinem Werk der Versöhnung. Wollen wir es
ihm heimlich übel nehmen wie Jona vor Ninive? Ich
verstehe doch diese Fragen, die auch bewährte
Christen an mich richten, denn die Liebe Gottes ist
ja nach unseren Maßstäben total unlogisch, wie kann
Gott nur so sein? Doch wir leben doch alle nur von
der Gnade Gottes, der die Gottlosen gerecht macht!
Wie denn sonst? Was unterscheidet mich denn im Ernst
von einem Menschen, der noch nicht an Jesus Christus
glaubt? Dass ich glaube? Ist denn mein Glaube eine
Leistung? Sie sind doch genau wie ich von Gott
bedingungslos geliebte Menschen. Was mich von ihnen
unterscheidet, kann doch wirklich nur dies sein,
dass ich es gegen alle Logik schon begriffen habe,
was die Liebe Gottes ist und es ihnen spätestens
gestern schon hätte sagen müssen, wer der Sohn
Gottes auch für sie ist. Von alten westfälischen
Männern habe ich mir erzählen lassen, wie der
unvergessene Pastor Johannes Busch (Witten) bald
nach dem letzten großen Krieg in Gasthaussälen seine
Jugendwochen hielt. Mitten im Bierdunst und
Zigarettenqualm konnte er zu den jungen Leuten
"Bruder" sagen, so richtig tief aus dem Herzen:
"Bruder, komm zu Jesus, den brauchst du, der hilft
dir ..." Für ihn waren die jungen Männer, wie er
sagte "Brüder auf Hoffnung." Im Kreuz Christi sind
wir mit allen Menschen solidarisch. Gemeinsam
geliebt, das verbindet tief, doch das müssen wir
ihnen sagen, wir können es doch nicht verschweigen!
So verändert sich auch unsere Beziehung zu den
Menschen und zur Gesellschaft, in der wir leben. Wer
die Menschen sieht wie Gott sie sieht, wer sie "im
Lichte Gottes" sieht, so nannten es die Mütter und
Väter des Glaubens, der wird anders mit ihnen
umgehen. Versöhnte leben anders, sie sehen in den
Menschen die Geschöpfe und die Geliebten Gottes. Ich
meine damit keine Sentimentalitäten, sondern eine
höchst konkrete Art zu leben. "In der Liebe wird der
Glaube zur Energie", hat Karl Barth gesagt. Wir
schauen über den Gartenzaun und den Kirchturm hinaus
und fragen konkret, was Gott von uns erwartet. "Salz
der Erde" sollen wir sein und "Licht der Welt",
überall wo wir mit Menschen zusammen leben. Das hat
Jesus in seiner Bergpredigt gesagt.
Die Weite der Versöhnung Ich sah den jungen
Mann schon von weitem, als ich nachts mit meinem
Wagen durch eine Stadt des Ruhrgebiets von einer
Evangelisation nach Hause fuhr. Im Scheinwerferlicht
blitzte an seiner Brust ein großes Kreuz aus
Messingblech. Er wollte mitgenommen werden., sein
Daumen zeigte es. Ich dachte, ein junger Christ, der
vielleicht von einem Jugendkreis kommt. Sofort
sprach ich ihn auf sein prächtiges Kreuz an. Völlig
erstaunt hörte ich, dass er keine Ahnung von der
Bedeutung dieses Kreuzes hatte. Er kannte Jesus nur
als Vokabel und wusste nicht mal, warum er sich das
Kreuz umgehängt hatte. Irgendwie fand er das Kreuz
schick. Die Mädchen in der Disco vielleicht auch. So
erzählte ich ihm von dem Mann, der am Kreuz auch für
ihn hing, und dass Jesus auferstanden ist und lebt
und auch sein Leben erneuern möchte. Ich bedrängte
ihn nicht, ich erzählte einfach von dem Mann am
Kreuz. Ich weiß nicht, wie gut er mich verstanden
hat, es war Nacht und wir waren beide müde. Doch
stieg er im nächsten Ort nachdenklich aus. Eine der
vielen kleinen Begegnungen, deren Folgen wir dann
nur still an Gott abgeben können. An diese
nächtliche Begegnung muss ich denken, wenn ich über
das "Wort von der Versöhnung" nachsinne. Viele haben
keine Ahnung von Christus und doch gilt für sie alle
die von Gott hergestellte neue Lage : Sie sind samt
und sonders Menschen, für die Jesus gestorben ist.
Noch wissen sie es nicht, verstehen es nicht, oder
wollen es auch nicht wissen, aber es gilt dennoch
für sie. Ihr Leben ist unendlich wertvoll geworden,
weil der Eine für alle starb. Sie haben einen Gott,
der für sie und nicht gegen sie ist. ER ist ihr
Freund, nicht ihr Feind. Zu jedem Menschen darf ich
Jesus dazuzählen. Die oft so hohlen Worte von der
Würde des Menschen haben damit eine neue Qualität
bekommen. Gott hat sie mit sich versöhnt, Jesus ist
für sie gestorben, das ist ihre seit dem Kreuz
Christi gültige neue Menschenwürde. So darf ich sie
ansehen, und entsprechend mit ihnen umgehen. Jeder
Mensch ist "einen Christus wert", hat der Theologe
Siegfried Kettling gesagt. Es gehört zur
Menschenwürde des Menschen, dass er durch Christen
von Christus erfährt. "Ihr seid teuer erkauft", sagt
Paulus. Die Glaubenden wissen es jetzt, die noch
nicht glaubenden Menschen sollen es durch uns
erfahren. Das ist unsere Lebensaufgabe und die
zentrale Aufgabe der Kirche und Christenheit. Wir
machen uns nichts vor. Diese Welt ist voller
Gottlosigkeit, die Sünde feiert ihre schrecklichen
Triumphe, unzählige Menschen liegen in Ketten.
Menschen zerstören Menschen und zerstören sich
selbst. Die Schöpfung wird ramponiert und
ausgeschlachtet. Die Völker rüsten gegeneinander und
bedrohen sich. Das soll und darf nicht verschwiegen
oder verharmlost werden. Dass Gott die Welt mit sich
versöhnt hat, bedeutet nicht, dass die Welt sich nun
langsam aber sicher zum Frieden mit Gott entwickelt.
Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Die Schatten
werden länger und die Bosheit steigert sich fast
unermesslich. Der immer neu entfachte Krieg gegen
Gott ist schrecklich. Aber das alles setzt die
Versöhnung nicht außer Kraft. Gott hat Frieden
gemacht am Kreuz seines Sohnes. Er lässt sich in
seiner Liebe nicht durch die Gottlosigkeit der
Menschheit umstimmen. Die Liebe ist seine Ehre, und
diese Ehre haben wir zu preisen. Von dieser
göttlichen Voraussetzung sollen wir ausgehen, wenn
wir den Menschen begegnen. Wer so denkt und
arbeitet, befindet sich auf der Spur des großen
Missionars Paulus und kann sich auf seine
"Missionstheologie" berufen. Auch ihn hat man damals
wegen seiner missionarischen Leidenschaft und Weite
kritisiert. Seinen Kritikern antwortet er: "Die
Liebe Christi drängt uns" (2. Kor 5,14) Warum? Weil
er weiß, dass der Tod Jesu wirklich für alle
Menschen gültig ist. Er hat sich hinreißen lassen
von der Liebe Gottes zu allen Menschen, die er am
Kreuz erkannt hat. Wie weit hängen wir doch oft
hinter dieser Hoffnung für die Welt zurück, die
Paulus über Wasser, Land und Berge und von Land zu
Land getrieben hat. Warum lassen wir uns so schwer
befreien zu einem weiten Denken? Betrachten wir uns
etwa als Extraklasse? Jeder von uns ist doch ein
Weltkind, das von der Botschaft der Versöhnung
überwunden wurde. Mehr werden wir nie sein! Bis zum
Sterben nicht. Wer mehr sein will, der verliert am
Ende noch alles. Wenn es stimmt, dass Gott die
Welt mit sich versöhnt hat, muss sich unsere
Stellung zu den Menschen ändern. Dann können wir
nicht mehr so verkrampft und kleingläubig bleiben.
Wir bekommen eine Vision des Glaubens, die in die
Weite führt. Wohin wir auch gehen, wir kommen
immer in schon vorbereitetes Gelände. Jesus der
Gekreuzigte war immer schon vor uns da. Das muss
doch unser geistliches Bewusstsein ändern, es muss
unsere Frömmigkeit und das Leben der Kreise und
Gemeinden öffnen. Ein schweres Hindernis für alle
evangelistische Arbeit ist der verborgene Hochmut in
frommen Herzen, die sich für besonders bevorzugt und
den Menschen gegenüber auf Distanz gehen. Bei
amerikanischen Christen hört man oft die Floskel vom
"Vorrecht" : "Wir haben das Vorrecht, von der Liebe
Gottes zu wissen ..." So und ähnlich habe ich es oft
gehört. Ich kann und mag so nicht reden. Wer dem
Wort von der Versöhnung glaubt, wird seine Art
Christ zu sein überprüfen. Habe ich die
Glaubensweite und damit auch die Herzensweite, um
als ein dankbarer Christenmensch mit den Menschen
umzugehen? Gott hat uns das "Wort von der
Versöhnung" übergeben. Wer das begriffen hat, kann
nicht bleiben wie er ist. Er muss einfach zu einem
missionarischen Christen werden. Womit ich keinen
bestimmten Christentyp meine, sondern einen
Menschen, der sich von der Liebe Gottes bestimmen
lässt.
Das Wort der Versöhnung
Immer wieder kann man es hören, wenn man der Predigt
des Apostels zu folgen versucht: "Wo bleibt da die
Verantwortung des Menschen? Du machst das Evangelium
zu leicht. Der Mensch muss sich doch bekehren und
entscheiden ..." Was sagt Paulus?: "So sind wir nun
Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnt
durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt:
"Lasst euch versöhnen mit Gott." Offenbar ist das
die Summe seiner missionarischen Verkündigung und
Seelsorge. Er setzt die Menschen nicht unter Druck,
sondern zeigt auf eine weit offene Tür. Er mahnt die
Menschen, denn es geht um ihr ewiges Heil, also
um alles, doch er redet als Bittender. Als bittender
und in Liebe werbender Prediger ist er ganz stark,
denn er bittet doch "an Christi Statt", im Auftrag
seines Herrn. "Die Liebe Christi dringet uns also" :
das ist die Motivation der Verkündigung. Sie ist ein
Liebesdienst, sagt der Apostel. Allein diese Sätze
sagen mir, dass die Grundform der evangelistischen
Verkündigung die Bitte ist, gewiss eine dringende
Bitte, aber eben so gewiss keine aufdringliche
Bitte. "Gott gebiert sich seine Kinder selbst", hat
der bayerische Theologe Hermann Bezzel gesagt.
Lassen sie mich bitte freimütig mit dem "Du" der
Predigt ganz persönlich sagen : Worauf wartest du
noch? Von Gott ist doch schon alles zwischen dir und
ihm am Kreuz Jesu Christi in Ordnung gebracht
worden. Nun lasse es doch endlich im Glauben für
dich gelten. Lass doch auch für dich wahr sein, was
Gott wahr gemacht hat. Die Schuld hängt am Kreuz,
der Tod ist im Kern überwunden, er kann dich nicht
mehr von Gott trennen. Doch schon hier auf dieser
Erde ist ein neues Leben möglich, das aus der Freude
und dem Trost des Glaubens lebt. Steige ein in den
Wagen, der vor deiner Tür hält. Lass dich doch
herausholen aus der Gleichgültigkeit. Du musst nicht
mehr gottlos sein, denn Gott will dich nicht los
sein. Du musst nicht verlorengehen, denn Gott will
dich nicht verlieren. Er mag ohne dich nicht Gott
sein, so sehr liebt er dich. Er will dir alles
schenken, was er hat. Endlich kannst du wieder
zu Gott Du und Vater sagen. Es darf doch alles neu
werden, denn Gott hat neu begonnen mit seiner Welt.
Und es darf doch nicht wahr sein, dass auch nur
einer von uns die Hand Gottes wegschlägt, die sich
ihm entgegenstreckt. Ich mag es mir nicht
vorstellen, wie es dir ergehen würde, wenn du ohne
Jesus an deiner Seite in der Ewigkeit ganz allein
vor Gott stehen müsstest. Nein, das darf nicht deine
Zukunft sein. In allem Ernst, das darf nicht deine
Zukunft sein. Ergreife die Hand, die sich dir
entgegenstreckt. Entdecke das Leben ganz neu. Wie
ein bisher noch unbekanntes Land. Ich bitte
euch alle im Auftrag Christi : "Lasst euch versöhnen
mit Gott." Ein stilles Gebet kann der erste Schritt
sein. Ein tiefes "Danke" an die Adresse Gottes macht
froh. Nun beginnt zusammen mit vielen Christen der
gemeinsame Weg des Glaubens und der Liebe. In der
Gemeinde, mit der Bibel, im täglichen Gebet und mit
der Frage, was Gott durch uns tun will. Das ist der
Ton der Versöhnungsbotschaft. Ja, es geht um
Bekehrung und Glauben. Mit jedem von uns geht Gott
seinen eigenen Weg, doch es geht recht verstanden um
eine Grundentscheidung. In erfrischender Klarheit
hat es der katholische Theologe Hans Küng in seinem
Buch "Christ sein" gesagt : "Die persönliche
Entscheidung für Gott und für Jesus ist die
eigentlich christliche Grundentscheidung : hier geht
es um christliches Sein oder Nichtsein, Christ sein
oder nicht Christ sein." So geht es gewiß auch um
die Trennung vom alten Leben und den Beginn eines
neuen Lebens mit Jesus. Mancher mag sich nach einem
Beichtgespräch sehnen : einfach mal alles
aussprechen, den Zuspruch der Vergebung bekommen und
so einen Schlussstrich unter belastende Dinge der
Vergangenheit ziehen. Auch das meint Paulus, wenn er
sagt: "Lasst euch versöhnen mit Gott." Alles ist
darin enthalten und nichts soll hinzugetan werden,
was diesen hellen Ton verdirbt. Unsere "Entscheidung
für Jesus" sind eben nicht jene 10 Prozent, die wir
zu den 90 Prozent der Gnade Gottes beitragen, damit
wir auf 100 Prozent kommen. Dann ist alles wieder
falsch! Unser Glaube ist die Reaktion auf die große
Aktion Gottes. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Ich weiß, wovon ich rede, ich habe solche
bedrängenden Predigten gehört und gelesen und in der
Seelsorge mit den Folgen dieser "Mission" zu tun
gehabt. Das Einzige, was wir Gott bringen können,
ist unsere tiefe Verlegenheit und die Bitte: "Gott
sei mir Sünder gnädig." Mehr haben wir wirklich
nicht zu bieten und mehr ist nicht nötig, denn er
hat alles schon für uns in Ordnung gebracht. Das ist
die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade. Die
freie Gnade. Größeres gibt es nicht zwischen uns und
Gott. Wenn ich diesen Spitzentext des Apostels
Paulus aus dem 2. Korintherbrief lese, denke ich
stets parallel an das wohl schönste Gleichnis, das
Jesus nach Lukas 15 erzählt hat. Ob wir vom
"verlorenen Sohn" oder "heimkehrenden Sohn" oder vom
"liebenden Vater" ausgehen, die Nähe zur
Versöhnungsbotschaft des Paulus ist deutlich. (Es
gibt auch heimkehrende Töchter.) Der Vater sitzt
nicht griesgrämig bis zornig in seinem schweren
Ledersessel (den es damals nicht gab) und denkt :
soll er doch selbst zerknirscht wieder 'reinkommen,
er ging ja auch stolz aus dem Hause. Nein, es geht
ganz anders zu : der Vater wartet schon lange auf
ihn, sieht vielleicht durch das Küchenfenster
hinaus, sieht ihn über die Felder kommen, rennt ihm
entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Ehe
der Sohn sein in der Fremde auswendig gelerntes
Beichtbekenntnis zuende bringen kann, küsst ihm der
Vater den letzten Satz von den Lippen weg. (Lukas
15, V 18, 19; 21) Hauptsache, der Sohn ist
endlich wieder daheim. Der glückliche Vater ist
"futsch und weg" vor lauter Freude. Man lese es
einmal nach. Das Gleichnis von damals hat einen
offenen Schluss, ein open end : "Und sie fingen an,
fröhlich zu sein ..." Die Geschichte hat Folgen bis
heute. Schade, dass der ältere Bruder sich nicht
mitfreuen kann, auch ihn gibt es leider bis heute
noch. Das Fest ist noch nicht zuende, es dauert
schon an die 2000 Jahre, bis in diese Stunde hinein
und darüber hinaus wird gefeiert. Bis in den Himmel
hinein. "So ist Versöhnung, ..." heißt ein
schönes Lied von Jürgen Werth Es ist alles bereits
klar und geregelt. Die Türen stehen weit offen. Gott
hat uns durch Jesus in unserer Fremde abgeholt und
heimgebracht und nun beginnt das Fest. Genau
genommen läuft es doch schon auf vollen Touren, das
Fest. Wir gehen in den Festsaal, der sich quer durch
alle Völker dieser Erde zieht. Der Tisch ist
gedeckt, die Musik spielt auf. "Gott lädt uns zu
seinem Fest, lasst uns gehn ..." singt Manfred
Siebald mit uns. Unser Platz mag noch frei sein,
doch ist fest reserviert, wir werden erwartet. So
gut ist unser Gott. Wer will da nicht nach
Hause kommen? "Lasst euch versöhnen mit Gott." Die
Engel im Himmel wollen so gerne wieder musizieren
und singen. Es ist bekanntlich große Freude vor den
Engeln Gottes im Himmel, wenn einer, wenn eine
wieder zurückkommt zu Gott. Mit der Freude der Engel
ist verhüllt die Freude Gottes gemeint. Darum nannte
Helmut Gollwitzer sein schönes Buch über das
Lukasevangelium : "Die Freude Gottes." Es beginnt
mit dem großen Freudenruf des Weihnachtsengels :
„Siehe ich verkündige euch große Freude.“ Mitten im
Evangelium taucht in den Gleichnissen immer wieder
der Satz auf :“So wird Freude sein vor den Engeln
Gottes“, wenn ein Mensch wieder heimkehrt zu Gott.
Und das Lukasevangelium endet in der Geschichte von
der Himmelfahrt Jesu mit dem Bericht über die
Jünger, das sie nach Jerusalem zurückkehrten „mit
großer Freude.“ Ja, so ist Versöhnung, eine einzige
große Freude. So beginnt ein neues Leben. Auch
ein neues Verhalten der Versöhnten. Wenn das alles
so ist, können wir doch nicht bleiben wie wir
sind. Unser Leben wird auch in Zukunft seine Höhen
und Tiefen haben, doch wir wissen, zum wem wir
gehören. Und wir erfahren, was er mit uns vorhat.
Wir können nun nicht mehr egoistisch vor uns hin
leben und stets auf unseren privaten Vorteil aus
sein. Wer Liebe bekommt, muss sie einfach
weitergeben, sonst macht ihm die Liebe doch selbst
auf Dauer keinen Spaß. Aus Dankbarkeit und Liebe und
in der Freude an Gott können wir nun in unserer
Umgebung Frieden stiften und Menschen aus ihrer
Traurigkeit herausholen. Wir können zupacken und
helfen, wo Not am Mann und der Frau ist. Bei Jesus
lernen wir die Kinder ganz neu als geliebte
Geschöpfe Gottes zu ehren. Die sozialen Probleme
lassen uns nicht gleichgültig. Wir sind auch
"politische Menschen" , so verstehe ich das Wort vom
"Salz der Erde" und vom "Licht der Welt". Die Leuten
sollen "eure guten Werke sehen und euren Vater im
Himmel preisen." (Matthäus 5, 16) Die Menschen
sollen merken, was mit uns passiert ist. Vielleicht
fragt uns eines Tages jemand : "Was ist denn mit dir
passiert, du hast dich so verändert?" Und es könnte
doch geschehen, dass die Christengemeinde, in der
wir leben, nach und nach auffällig wird und die
Menschen um uns herum fragen: woran liegt es, dass
ihr so gerne dorthin geht? Das wäre doch wunderbar.
Lasst uns so zu leben versuchen, dass wir "frag -
würdig" werden für andere, dass sie uns fragen nach
dem "Grund unserer Hoffnung". Ein Christ zu sein ist
die interessanteste Art des Menschseins überhaupt.
Doch wir machen keine Reklame für uns Christen. Wir
reden von Jesus Christus und immer wieder von ihm.
Er lässt sich nicht verschweigen. Wir können ihn
nicht mehr verschweigen.
Johannes Hansen. Datum und Ort des Vortrags
unbekannt. Auf Schreibfehler neu durchgesehen am
16. Juni 2005
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