"...bebel- und auch bibelfest..."

Eschatologischer Universalismus und Engagement für den Sozialismus

in der Reich-Gottes-Verkündigung des jüngeren Blumhardt:

eine Hoffnung und ihre Nachwirkungen
 

Von Friedhelm Groth

Seinerzeit Helmut Gollwitzer zum 80. am 29. Dezember 1988 gewidmet

[Zuerst veröffentlicht in: "VON DORT WIRD ER KOMMEN, ZU RICHTEN...",

Ärgernisse und Anstöße christlicher Enderwartung (Drei Vorträge von Friedhelm Groth),

Deilinghofen (Eigendruck) 1988, S. 29-71.]

© pastoerchen VII/1998

Dieser Blumhardt-Aufsatz als PDF neuerdings auch hier.

 

Der Aufbau des Vortrags mit Wegweiser:

1. Hinführungen und Zugänge zum Thema: Aufzeigen des Problemhorizonts
2. "Sein wird die ganze Welt" - Bemerkungen zur heilsuniversalistischen Verkündigung des jüngeren Blumhardt bis Mitte der neunziger Jahre: Vatererbe und Vätererbe
3. "Ihr Menschen seid Gottes" - Zu Christoph Blumhardts Hinwendung zum Sozialismus in den Jahren 1896 bis 1906
(1.) Zum "Antwortschreiben" von 1899
(2.) Zum Eugster-Briefwechsel in den Jahren 1899 bis 1906
(3.) Zum Briefwechsel mit Richard Wilhelm
4. Wirken in der Stille - Zu Christoph Blumhardts 'Theologie der Krisis' in seiner Spätzeit (1906 bis 1919)
(1.) Zum Wirken in der Stille
(2.) Zur Krisis in der Spätzeit
5."Der Kampf um das Reich Gottes in Blumhardt, Vater und Sohn und weiter" - Zu Blumhardts Nachwirkungen auf Hermann Kutter, Leonhard Ragaz sowie Karl Barth und Eduard Thurneysen
(1.) Zu Kutter und Ragaz
(2.) Zu Barth/Thurneysen und Ragaz
6. "...ewig ausgemacht..." - Einige resümierende Bemerkungen zur Größe und zur Grenze des Blumhardtschen Heilsuniversalismus

Bedeutung einiger hier genannter theologischer Fachbegriffe

 

 

1. 

Hinführungen und Zugänge zum Thema: Aufzeigen des Problemhorizonts
 

Wenn bei dieser TagungAnm.1 unter dem Gesichtspunkt 'Kirche und soziale Frage im 19.Jahrhundert' Beiträge aus der württembergischen Geschichte erörtert werden, dann kommt der eigentümlich faszinierenden Gestalt eines Christoph Blumhardt (1842-1919), Sohn und Nachfolger des begnadeten Möttlinger und Bad Boller Pfarrers und Seelsorgers Johann Christoph Blumhardt (1805-1880), besondere Aufmerksamkeit zu. So wie Vater Blumhardt in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gezogen wurde durch die wundersamen Möttlinger Ereignisse bei der 'Dämonenaustreibung' jener Gottliebin Dittus und der da sich anschließenden Erweckungsbewegung, wobei der ältere Blumhardt bekannt wurde als begehrter, höchst wirksamer, aber teilweise auch kritisierter Seelsorger, so gab es auch beim jüngeren Blumhardt eine einschneidende biographische Wende, die in der Öffentlichkeit als sehr spektakulär empfunden wurde, die stark kritisiert und beargwöhnt, aber teilweise auch maßlos bewundert wurde, und die ihn u.a. die endgültige Aberkennung der Pfarrerrechte kostete.

Gemeint ist, was hier am Ort, in Göppingen, just zum Jahrhundert-Wechsel passierte, als Christoph Blumhardt 1899 der hiesigen sozialdemokratischen Partei beitrat, sich als Sozialist bekannte und dann - 1900 gewählt - in der Zeit von 1901 bis 1906 im Stuttgarter Landtag sich für die Ziele der Arbeiterbewegung engagierte.

Um gleich beim 'genius loci' zu bleiben: Wir denken hier im Oetinger-Haus über Christoph Blumhardt nach. Da führt es nicht vom Thema ab, wenn man beiläufig daran erinnert, daß 1980 Gotthold Müller, ein guter Kenner des württembergischen Pietismus, vor dem ehrwürdigen Auditorium der württembergischen Landessynode in einem Vortrag Stellung bezogen hat zu dem dort behandelten, kirchenpolitisch brisanten Thema 'Kirche und Sozialismus'. "Sozialistische Motive in der württembergischen evangelischen Kirchengeschichte", so lautete der Titel des Vortrags, der im Sammelband "Kirche und Sozialismus" auch gedruckt vorliegtAnm.2

Müller schlägt da einen großen Bogen von den grandiosen chiliastischen Sozialutopien eines Friedrich Christoph Oetinger im 18. Jahrhundert bis hin zu unserem Christoph (Friedrich) Blumhardt und seinem Sozialismus auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Nun haben ja die kühnen 'großen Bögen', die man schlägt, in der Kirchengeschichtsbetrachtung, sicherlich ihre eigenen Probleme (zumal in einem solchen Vortrag wie dem Müllers mit offenbar auch kirchenpolitischer Abzweckung). In Blumhardts Werk jedenfalls erscheint Oetingers Name selten, und eine Berufung auf die ältere Pietismusgeschichte Württembergs kommt bei ihm nur an einigen wenigen Stellen vor. Aber innere theologische, näherhin: eschatologische Strukturanalogien sind bei den beiden württembergischen Reich-Gottes-Theologen Oetinger und Blumhardt in der Tat unverkennbar, namentlich, was die Bedeutung der universalen endzeitlichen Hoffnung für diese Erde anlangt und - aufs engste damit verbunden - die von beiden stärkstens betonte Wiederbringung aller Dinge am Ende der Zeiten. Von letzterer her betrachtet, gibt es in Württemberg tatsächlich so etwas wie den ''linken Flügel des Pietismus', einen vom Halleschen Pietismus abweichenden kreativen Traditionsstrang von universalistisch ausgerichteten Reich-Gottes-Theologen, eine Linie, die von Grundanschauungen Speners über Bengel, Oetinger, Philipp Matthäus und Michael Hahn bis hin zu Blumhardt Vater und Sohn zu verfolgen ist, wo im Zeichen des Reiches Gottes die heilsgeschichtliche Entwicklung auf die Erfüllung der 'Hoffnung besserer Zeiten' (das ist Speners diesbezüglicher Grundbegriff) zuläuft: auf das Reich Gottes auf Erden hin und - durch Krisen und schreckliche Gottesgerichte hindurch - auf die schließliche Apokatastasis panton zu, die als Harmonie von Mensch, Gott und Welt das 'happy end' darstellt. Dies hier Umrissene habe ich in meiner Monographie "Die 'Wiederbringung aller Dinge' im württembergischen Pietismus"Anm.3 ausführlich aufzuzeigen versucht.

Damit sind wir dicht bei unserer Themenformulierung, wo es heißt: 'Eschatologischer Universalismus und Engagement für den Sozialismus', und wo darübersteht: "...bebel- und auch bibelfest...". Wie paßt nun das zusammen: August Bebel und die Bibel, zumal doch Bebel selbst das Verhältnis von Christentum und Sozialismus bekanntlich als das von Wasser und Feuer bestimmte? Und wie paßt das zusammen: biblisch begründeter Universalismus des Heils und Sozialismus?

Einen ersten erhellenden Hinweis dazu kann man sogar aus dem Fernsehen erhalten: im Jahr 1986 strahlte das ZDF einen Dokumentarfilm über den Sozialismus Blumhardts des Jüngeren und die davon ausgehenden Wirkungen aus. Und in diesem Film von Gottfried Edel mit dem Titel "Aufbruch zum Reich Gottes" erklang im Vorspann bezeichnenderweise das Blumhardtsche Erweckungslied: 'Daß Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt', immer im Wechsel mit dem anderen Siegeslied jener Zeit, dem Lied der Genossen: 'Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht', so daß sich da beide Melodien gleichsam vermischten: zwei Melodien, die ja stilmäßig durchaus nicht sehr weit auseinander sind, und auch zwei Liedtexte, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, sind doch beide Lieder vom gleichen Pathos getragen, vom Pathos des 'Vorwärts!', ' Vorwärts, auf ein großes und allumfassendes Ziel hin!'

Um den Ausdruck "...bebel- und auch bibelfest..." vollends zu klären, kommen wir wieder nach Göppingen. Es ist ein Zitat aus einem Wahltraktat bzw. Wahlplakat jener Zeit. Auf diesem steht in großen Lettern: "Zur Landtagswahl in Göppingen anno 1900." Und da sieht man die Konterfeis der vier hiesigen damaligen sozialdemokratischen Kandidaten, wobei die Fotos 'eingebaut' sind in eine werbewirksame politische Karikatur. Der Kandidat Genosse Blumhardt ist auf der linken Seite zu sehen, umrankt von Jakobinermützen und einem in die Höhe gehaltenen Schild mit der Jahreszahl "1789". Jeder der vier Kandidaten wird da mit einem gereimten Achtzeiler vorgestellt. Zu Christoph Blumhardt liest man Folgendes:
"Seitlich von ihm aber steht / Pfarrer Blumhardt, wie ihr seht. / Und es ist sein Manifest: / Bebel- und auch bibelfest. / Weil er keine 'Ordnungsstütze' / Trägt die Jakobinermütze / Hier der Mann auf seinem Bild / Mit dem feuerroten Schild."


 

Dies Plakat hat 80 Jahre später die SPD ein zweites Mal werbewirksam eingesetzt: es ist im Faksimile abgedruckt als Titelblatt zu einer 33-seitigen Dokumentation: "Christen in der Tradition der Arbeiterbewegung - Christen in der SPD (1830 - 1979)", herausgegeben vom Referat Kirchenfragen im SPD-ParteivorstandAnm.4.

Dieser Christoph Blumhardt eignet sich - seinem eigenen Willen diametral entgegengesetzt - vorzüglich für 'Traktate' und 'Plakate'. Er ist in derart plakativer Weise oft traktiert, ge- und mißbraucht worden: als Galionsfigur, um eine politische oder kirchenpolitische oder theologische Richtung zu stützen und zu legitimieren. Er eignet sich auch (wie sein Vater) ausgezeichnet als Kalenderzettelbeispiel und zur Hagiographie. So ist fast die gesamte wissenschaftliche Blumhardt-Literatur ein Ausdruck von (manchmal unkritischer) Bewunderung für diesen Mann und dessen Parteilichkeit und Vollmacht. "Ein Mann, der seiner Zeit voraus war", so oder ähnlich lauten die Überschriften der Arbeiten über den jüngeren Blumhardt. Und man könnte ihn mit Leichtigkeit für die Gegenwart - wie das ja theologisches Modespiel ist - 'aktuell' und 'relevant' machen: für rote, grüne, ökologische, evangelikal-kirchenkritische oder New-Age-Bewegungen. Aber genau das ist in diesem Vortrag nicht beabsichtigt. Für uns ist es 'relevant' genug, wenn neben der unbestreitbaren Größe und Faszinationskraft Blumhardts auch die fast nie wahrgenomme Grenze seiner eschatologischen Hoffnungsgedanken in den Blick tritt: daß er auch einer qualitativen Verflachung und Aushöhlung christlichen Hoffens Vorschub geleistet hat. So sei unser Thema auch als Frage zu verstehen: War Christoph Blumhardts Verkündigung wirklich nur so beispielhaft 'bibelfest', und war sein Sozialismus 'bebelfest'? Diesbezüglich ist auch von seinen Grenzen, die er hatte, Beträchtliches zu lernen, was für Theologie und Kirche 'aktuell' ist...

2.

"Sein wird die ganze Welt" - Bemerkungen zur heilsuniversalistischen Verkündigung des jüngeren Blumhardt bis Mitte der neunziger Jahre: Vatererbe und Vätererbe
 

Dieser Abschnitt stellt in sehr geraffter Form einiges Grundsätzliches zur Theologie und Verkündigung Christoph Blumhardts vor, wie sie sich bei ihm bis Mitte der neunziger Jahre, also vor seiner Hinwendung zum Sozialismus entwickelt hat. Dabei ist hier und bei jeder Beschäftigung mit Blumhardt das ein Hauptproblem, daß dieser in theologischer Hinsicht gleichsam als ein 'unregelmäßiges Verb' anzusehen ist. Zwar hat Blumhardt in beträchtlichem Maße als Theologe in die Theologiegeschichte unseres Jahrhunderts hineingewirkt, aber paradoxerweise, ohne daß er selbst sich im strengen Sinn als 'Theologe' verstanden hat und ohne daß er mit theologischen Dingen so recht etwas zu tun haben wollte. Als einem vollmächtigen 'Charismatiker der Praxis' lag ihm seinem Wesen nach alles Theoretisieren und Systematisieren - in der Theologie und später dann entsprechend auch in der Politik - äußerst fern. Mehr noch: 'Dogma' und `System' waren ihm, der die Tübinger Universitätstheologie für sich mehr als schädliche Anfechtung erlebt hatte, geradezu Reizwörter, und allen Schulen und Richtungen der akademischen Theologie und deren Schulhäuptern stand er mit großer Skepsis und Reserve gegenüber.

Da ist es begreiflicherweise jetzt auch in der Darstellung nicht einfach, solch einem 'unregelmäßigen Verb', solch einem 'antitheologischen Theologen' mit stark charismatischem Einschlag, auf engem Raum in seinen Grundintentionen gerecht zu werden, einem Mann, der kein einziges 'richtiges' theologisches Buch geschrieben hat, sondern dessen gedrucktes Werk aus - äußerlich gesehen - literarisch sehr bescheidenen Gelegenheitsäußerungen besteht: aus Andachten, Predigten, Ansprachen und Briefen.Anm.5

Dringt man tiefer in diese Gelegenheitsäußerungen ein, so stellt man fest, daß es - bei aller Vielfalt der Ausdrucksformen und Mannigfaltigkeit der Anlässe - durchaus so etwas wie die für Blumhardt charakteristische Glaubens- und Hoffnungswelt gibt, einen innerlich in Zusammenhang stehenden Kosmos von Gedankengängen und Überzeugungen, dem er sich durchgängig verpflichtet wußte und der für jede Äußerung gleichsam im Hintergrund stand. Bei allen verschiedenen Akzentsetzungen und inneren Entwicklungen im Laufe seines langen Wirkens ist dieses letzte Konstante und für Christoph Blumhardt Typische, das, worauf es ihm im Letzten ankam, stets wahrnehmbar, freilich in Blumhardts Sinn nicht als starres Kontinuum und feststehende Norm, sondern als lebendiges Gottesgeschehen im Rahmen von Gottes gnädigem Heilshandeln, als dessen Verkündiger sich Blumhardt berufen wußte. Diese Eigentümlichkeit seines Denkens beschrieb Blumhardt in späterer Zeit, in jenem stürmischen Jahr 1899, einmal treffend und sachgerecht so:
"Das ist der wahrhaftige Blumhardt, wie er leibt und lebt, ... ich bin immer meinen ganz gleichen Weg gegangen, und wenn man meint, ich habe Schwankungen durchgemacht, so ist das gar nicht wahr. Ich bin immer bloß aus als innerlich derselbe aus einer Schale heraus und wieder in eine andere Schale hineingekommen, um wieder diese Schale zu durchbrechen und wieder in eine andere Schale hineinzugehen, damit ich sei ein Verkünder des Evangeliums, ein Verkündiger des Abendmahls Gottes unter allen Menschen".Anm.6

Bei aller eigenen Skepsis gegen Theologie und Systematisierungen hatte in der Tat Christoph Blumhardt eine eigene theologische 'Linie', die er verfolgte und der er treu blieb, und seine Hoffnungsgedanken haben sozusagen ihren eigenen inneren 'Kanon' und ihr beschreibbares systematisches Herzstück als Mitte der Verkündigung. Kurzum: "Blumhardt ist strikter Eschatologe"Anm.7 und wußte sich als solcher in den Dienst einer Verkündigung gerufen, die Gottes universales Reich herbeihofft und in der Gegenwart bereits in Fragmenten wahrnimmt, ein Reich, das nicht in Worten besteht, sondern sich im Erweis des Geistes und der Kraft zeigt. Dabei ist seine Verkündigung durchgängig am Motiv des Sieges Jesu orientiert und an Gottes Reich, das kommt, um die Welt heilsam zu verändern und zu vollenden, dieser Erde und dem Diesseits zugute, dieser Erde für deren Rettung und Veränderung zu kämpfen ist im Horizont des kommenden Gottesreiches.

Besser als alle theologische Beschreibung gibt ein einfaches Blumhardt-Lied, vom Vater gedichtet im Jahr 1852, als Christoph 10 Jahre alt war, die Grundintention und die Zielrichtung der Verkündigung der beiden Blumhardts an; es ist das bereits eingangs zitierte Erweckungslied, dessen erste und letzte Strophe wie folgt lautet:
"Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht; / Sein wird die ganze Welt. / Denn alles ist nach seines Todes Nacht / In seine Hand gestellt. / Nachdem am Kreuz Er ausgerungen, / Hat er zum Thron sich aufgeschwungen. / Ja, Jesus siegt!
...
Ja, Jesus siegt! Wir glauben es gewiss, / Und glaubend kämpfen wir. / Wie Du uns führst durch alle Finsternis / Wir folgen, Jesus, dir. / Denn alles muss sich vor dir beugen, / Bis auch der letzte Feind wird schweigen. / Ja, Jesus siegt."Anm.8

Was in diesem Vortrag 'Blumhardtscher Heilsuniversalismus' genannt wird, kommt in diesen beiden Strophen in geradezu klassischer Weise zum Ausdruck: die 'Grundmelodie' schon des älteren Blumhardt, die für seine Leute seit den wunderbaren Möttlinger Ereignissen in den vierziger Jahren anzustimmen war, als damals in mächtiger Weise die Gewalt des Bösen und Dämonischen gebrochen wurde.

'Jesus ist Sieger!', das war der laute Ruf, unter dem der stärkste 'Dämon' aus der besessenen Katharina Dittus, Gottliebins Schwester, am Ende des 'Kampfes' ausgefahren warAnm.9, und in der darauffolgenden Möttlinger Buß- und Erweckungsbewegung war dieser Satz gleichsam Signum der Vollmacht und Motto-Wort: 'Jesus ist Sieger, Gottes Reich kommt!'

Man kann sagen, daß für den älteren Blumhardt dieser erkämpfte Durchbruch keineswegs bloß ein indviduelles Geschehen an einzelnen Kranken war: die dort gewonnene Überzeugung vom Sieger-Sein Jesu wurde von ihm als Angeld für Größeres und Universales angesehen, denn im Horizont des Sieger-Seins Jesu war für ihn Reich-Gottes-Geschehen für diese Welt im Anbruch, denn - so heißt es im wichtigsten Siegeslied der gesamten Möttlinger und Bad Boller Blumhardt-Bewegung -:
"Jesus ist der Siegesheld, / Der all seine Feind besieget. / Jesus ist`s, dem alle Welt / Bald zu seinen Füssen lieget. / Jesus ist`s, der kommt mit Pracht / Und zum Licht führt aus der Nacht".Anm.10

Die beiden hier zitierten Lieder des älteren Blumhardt entsprechen sich ja textlich aufs engste; sie weisen in einzigartiger Weise - besser als lange theoretische Erörterungen das können - auf die Blumhardt-Art hin, auf den Quellort, die Grundtendenz, den Umfang und den Zielpunkt Blumhardtscher Hoffnung: Das Reich Gottes, das aktuell im Kommen ist, das ist für Blumhardt Vater und Sohn 'ewig ausgemacht', zielt auf diese Welt, wo durch Widerstände, Kämpfe und Gerichte hindurch die Gewalt des Bösen gebrochen wird, bis am Ende in der Vollendung 'alle Welt bald zu Jesu Füßen liegt', denn: 'daß Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Sein wird die ganze Welt.'

Das alte eschatologische Grundmuster des oben sog. 'linken Flügels' im württembergischen Pietismus, nämlich das universalistische Reich-Gottes-Denken in heilsgeschichtlicher Ausprägung, bei dem chiliastisches Gedankengut und das Plädoyer für die schließliche Apokatastasis eine große Rolle spielen, kam seit den Möttlinger Ereignissen gleichsam in einer authentischen Neuauflage unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts zum Zuge, freilich mit einigen wichtigen eigenständigen und von den Schwabenvätern im 18. Jahrhundert abweichenden Akzenten. So teilten beide Blumhardts nicht die Meinung ihrer Vorgänger, daß dem letzten Buch der Bibel hermeneutisch eine Sonderrolle zukommt, wodurch bei ihnen die streng heilsgeschichtliche Systematik des alten württembergischen Pietismus, das strenge chiliastische 'Fahrplandenken', aufgeweicht wurde. Und was das Wiederbringungsmotiv anlangt, hatte der ältere Blumhardt erheblich mit sich zu ringen gehabt, bevor er sich ab 1872 öffentlich dazu bekannte. All das habe ich an anderer Stelle, in "Pietismus und Neuzeit", Jahrgang 1983Anm.11, näher zu belegen versucht.

Solch ein Rekurs auf das Vatererbe und auch auf das Vätererbe ist unabdingbar, wenn man die - z. T. sehr vom älteren Blumhardt und erst recht von der davorliegenden pietistischen Tradition abweichende - Eigenständigkeit und das ganz Neue in Christoph Blumhardts Reich-Gottes-Verkündigung recht verstehen will und besonders: wenn man die Motive für seine spätere Parteinahme zugunsten der Arbeiterbewegung in der Tiefe begreifen will. Man kann wohl sagen, daß Blumhardt soz. den Kinderschuhen des Erweckungspietismus des 19. Jahrhunderts je länger, desto mehr entwachsen war; viele Äußerungen, in denen er sich kritisch mit dem Pietismus und der Erweckungsbewegung seiner Zeit auseinandersetzte, belegen das. Aber die Grundmelodie des Erweckungsliedes 'Jesus ist der Siegesheld' und das andere ebenfalls in seiner frühen Kindheit entstandene Lied 'Daß Jesus siegt', wurde von ihm weitergesungen oder anders gesagt: die für ihn geradezu heilsgeschichtliche Bedeutung der Möttlinger Ereignisse, gaben seiner Verkündigung Prägung und Orientierung sein Leben lang. Wie keinem anderen Menschen wußte er, der mitten im Möttlinger 'Kampf' Geborene, sich seinem Vater verpflichtet, und jene Gottliebin Dittus, war ihm von Kindheit an in Möttlingen und ab 1852 in Bad Boll neben der Mutter die allernächste weibliche Bezugsperson.

Gleichwohl war es nicht Christoph Blumhardts Art, das Erbe des Vaters zu konservieren; er 'wucherte' mit ihm wie mit einem anvertrauten Pfund, in progressiver Weise und im Sinne jenes 'Vorwärts', das er bei seinem Vater kennengelernt hatte, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Sohn wie der Vater (ähnlich wie viele württembergischen Pietisten vor ihnen) mit 'revelatio continua' rechneten, mit fortschreitendem Offenbarwerden des Gnadenhandelns Gottes auf dieser Erde, so daß mit der Zeit kraft des heiligen Geistes man dem Reich Gottes innerlich und äußerlich näher käme. Von daher war eben vieles, was den Sohn vom Vater trennte, im Sinne des Sohnes zu interpretieren als innere Kontinuität zum Ererbten, ein Sachverhalt der zwischen Oetinger und Bengel, z. B. ganz ähnlich zu beobachten ist.

Jedenfalls war es für Blumhardt von kaum zu überschätzender Bedeutung, daß er, der auserwählte Nachfolger des Vaters, von diesem am Sterbebett am 25. Februar 1880 gesegnet wurde mit den Worten: "Ich segne dich zum Siegen"Anm.12; auf dieses Segensvermächtnis kam der jüngere Blumhardt sehr oft zu sprechen, ebenso wie auf das bezeichnende andere Wort des sterbenden Vaters: "Der Herr wird seine milde Hand aufthun zur Barmherzigkeit über alle Völker"Anm.13 . Genau dies sollte der Sohn stets beim Wort nehmen, so sehr, daß - woran der Vater noch nicht denken konnte - August Bebel und Genossen mit dieser universalen Siegesverkündigung zu tun bekamen.

Der heutige Bonner Systematiker Gerhard Sauter beschreibt in seiner Blumhardt-Dissertation von 1962 dieses Vater-Sohn-Verhältnis zutreffend, wenn er zu Christoph Blumhardt ausführt:
"Sein Vater hatte den Satz: 'Jesus ist Sieger!' zum Zentrum seiner Predigt, gemacht. Chr. Blumhardt hatte ihn inhaltlich nur nachzusprechen. Aber er hatte ihn in seine Zeit hineinzusprechen, und dabei erwies sich die grundsätzliche, theologische Ausführung, die sein Vater dem Thema der Gottesherrschaft gegeben hatte, als Grenze, die zu überschreiten war. Dies galt ... nicht in Bezug auf die Sache, sondern im Blick auf die konkrete, aktuelle Zuspitzung ... des alten Themas".Anm.14 Und einen ganz wesentlichen Punkt im Blick auf solche Transzendierung nennt die gleiche Arbeit, wenn es da heißt: "Christoph Blumhardt zielt - weniger durch biblizistische Erwägungen gehemmt als sein Vater - deutlich auf eine Apokatastasis, eine 'Allversöhnung' als eschatologisches Ziel".Anm.15

Ein guter Kenner und großer Bewunderer Christoph Blumhardts, nämlich Helmut Gollwitzer, ist es gewesen, der mich zunächst durch seine schriftlichen Arbeiten und dann durch persönliche Kontakte und Hilfestellungen auf die Tragweite des Blumhardtschen Apokatastasisgedankens aufmerksam gemacht hat. Daß dieser Gedanke für Blumhardts Verkündigung konstitutiv ist und eine Menge mit dessen Zugang zu sozialistischen Gedanken zu tun hat, geht indirekt und direkt auf Anregungen von Gollwitzer her zurück, der mir die Augen dafür öffnete, daß dieser Gesichtspunkt in der Blumhardt-Forschung nicht nur beiläufiges Interesse verdient.Anm.16

Immerhin war dieser Gedanke in der Blumhardtbewegung kein x-beliebiges Durchschnittstheologoumenon, wie man es heute z. T. sehen mag, wo es common sense zu sein scheint, daß das Endgericht ausgeblendet wird und alles nach dem Motto läuft: ' Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind'. Im Württemberg des vorigen und des 18. Jahrhunderts stand bei dem Plädoyer für die Allversöhnung Tieferes zur Debatte. Es war positives Signalwort den einen, und Reizwort den andern, ein Punkt, an dem sich die Geister schieden, die Geister der lutherischen und lutherisch-pietistisch geprägten Christen einerseits und andererseits der Christen, für die die spekulativ-chiliastische Sicht der Heilsgeschichte über alles ging und denen die Befürwortung der Wiederbringung in Württemberg "fast zu einem Schiboleth geworden ist"Anm.17, stand dieser Begriff doch für ein ganzes Programm, für einen Typus pietistischer Reich-Gottes-Erwartung. Ganz Entsprechendes ist übrigens - mutatis mutandis - bis heute zu beobachten, bei der theologischen Grundfrage inwiefern eine von Luther fortführende universalistische 'eschatologia gloriae' vertretbar ist.

Der ältere Blumhardt jedenfalls hatte gerade um diesen Fragenkreis noch leidenschaftlich gerungen und innerlich daran gelitten, und wenn sein Sohn diesbezüglich sehr viel forscher voranschritt, so sind doch alle seine Statements zu diesem Punkt von einer großen Leidenschaft geradezu durchzittert: Er wußte, daß er gerade diesbezüglich nicht das Gewöhnliche und den common sense zu verkünden hatte, sondern sein ihm aufgetragenes Evangelium. Dazu schreibt Eugen Jäckh, der Blumhardt-Biograph, ganz angemessen:
"Was im Vater Blumhardt ein in heißem Ringen erkämpfter Glaube war, das war im Sohne eine ruhige, klare, felsenfeste Gewißheit... Er wußte sich von Gott dazu berufen, das Evangelium zu verkündigen, das niemanden verdammt".Anm.18

Wenn wir uns die Verkündigung des jüngeren Blumhardts schon vor Mitte der neunziger Jahre ansehen, stoßen wir auf Schritt und Tritt auf dieses sein Evangelium, das niemanden verdammt, auf die Überwindung von Gericht und Hölle durch das kommende Reich Gottes und auf schärfste Abrechnung mit den Kirchenlehren und Konfessionen, die mit Gottesstrafen Angst verbreiten und 'Scheidungen' unter den Menschen aufrichten. Ja, Blumhardts Kritik an der verfaßten Kirche, ihrem Dogmatismus und Konfessionalismus ist über weite Strecken aufs engste mit der Kritik am starren Dogma des Endgerichts verbunden, so als wäre mit dieser Lehre alles Böse, Intolerante und Trennende in die Kirchengeschichte hineingekommen, vor allem die pharisäische Verdammungssucht, die er immer wieder in diesem Zusammenhang anprangerte.Anm.19

Dagegen stellte er die neue Linie, die nach seiner Sicht mit seinem Vater in die
Kirchengeschichte gekommen ist; darüber äußerte sich Blumhardt am 16. Juli 1887
(an diesem Tage wäre der Vater 82 Jahre alt geworden) in einer Andacht in derart charakteristischen und für das Thema Heilsuniversalismus, Vater- und Vätererbe aufschlußreichen Weise, daß wir hier aus dieser Rede zwei längere Abschnitte zitieren:
"Was ihr heute als tägliches Brot von christlichen Gedanken esset...., das war in jenen Tagen, da mein Vater geboren wurde, nicht vorhanden. Auch die Gedanken des Reiches Gottes in dieser Art waren nicht vorhanden. Es waren wohl noch die Schwingungen von Bengel her, da man in etwas kleinlicher Weise auf die Zukunft Jesu Christi wartete - etwa im Jahr 1836 -, aber an die Sachen alle, wie sie jetzt auch die Christenheit bewegen, hat kaum jemand gedacht; namentlich an tatsächliche Wunder, an Krankenheilungen durch Gebet und Flehen... Das, was in meinem Vater glänzte als Gottestat, war vollständig neu"Anm.20, und geradezu etwas Prophetisches - so heißt es wenig später, wäre Johann Christoph Blumhardts Gebet um "eine neue Ausgießung des heiligen Geistes" gewesen, "denn daran hängt doch alles".Anm.21 Der Vater wird weiter als ein ausgezeichneter, vollmächtiger Mann Gottes geschildert, der jeglichen frommen Egoismus verhindert habe, und damit kommt diese Andacht zu einem überaus bemerkenswerten Schluß, wenn es da heißt:
"Deswegen wartete ein Mann wie unser seliger Vater auch am Ende der Welt nicht auf Fluch, sondern auf Segen, weil er den Mut hatte, aus Glauben zu leben, - wie er auch der erste war, der das Grausen vor dem Weltende weggenommen hat aus der Menschheit. Er ist der Mann, der am Ende der Zeiten gesandt ist,  der Welt zu verkündigen, daß sie nicht auf Fluch, sondern auf Segen Gottes warten soll, - die Welt, auf die durch den Heiland der Segen Gottes niedergeflossen ist, darf nicht in Verdammung aufhören, sondern muß in Beseligung aufhören. Das ist aus Glauben geredet, - alles andere ist aus Unglauben oder aus Werken geredet. Die meisten Kirchen stellen Sätze auf, nach welchen man verloren geht, - das heiße ich aus Werken gerecht oder verdammt werden. Aber wir wollen im Glauben Taten tun, daß auch die Welt beseligt wird; denn der Herr unser Gott wandelte uns den Fluch in Segen, - nicht weil wir die Gerechten sind, sondern weil er der Gerechte ist; weil er uns lieb hat, kommt es endlich, endlich nach langem Harren dazu, daß die Kreatur sich noch beseligt fühlen darf".Anm.22

In diesem Text sieht man gleichsam ins Innerste Blumhardtscher Hoffnung hinein, wie es sich dem Sohn darstellte: die Kontinuität zum Vater wird aufs stärkste betont, ist dieser doch der von Gott wunderbar Bevollmächtigte in der Endzeit, beauftragt das Neue zu bringen, das 'vollständig Neue', im Vergleich mit dem etwa die chiliastischen Berechnungen und Zukunftserwartungen einen Johann Albrecht Bengel mit seinem Jahr 1836 als Millenniumsbeginn unbedeutende 'kleine Brötchen' waren, und höchstens Vorabschattungen von dem Gewaltigen, was seit Möttlingen in die Kirchengeschichte hineinkam.Anm.23 Aber erst recht ist dieser Text für den Blumhardtschen Heilsuniversalismus von Interesse: der Sohn sah den Vater als den ersten in der Kirchengeschichte, der das Grausen vor dem Weltende aus der Welt schaffte, als eine prophetische Persönlichkeit der Endzeit, von Gott beauftragt, statt der falschen Kirchenlehren in Vollmacht auf die Wiederbringung aller hinzuweisen! An dieser Stelle ist für den jüngeren Blumhardt der status confessionis gegeben: allein auf der Seite der Wiederbringung ist Glauben, während die andere Seite dem Alten, dem Unglauben und der Werkerei verfallen ist, wobei sich bereits in diesem Text zeigt, daß solche Wiederbringungsüberzeugung für den jüngeren Blumhardt alles andere als ein 'sanftes Ruhekissen' ist; im Gegenteil: sie soll - so sah er es - gerade starker Motor sein und befähigen, im Glauben "Taten zu tun, daß auch die Welt beseligt wird". Ganz genauso hatten es viele pietistische 'Freunde der Wiederbringung' auch gesehen in seiner Heimat seit vielen Jahrzehnten, aber darauf, daß auch deren Trachten ganz darauf ging, 'das Grausen vor dem Weltende aus der Welt zu schaffen', erwähnte er nicht, sah er doch den alten Pietismus qualitativ kategorial davon geschieden, was in Johann Christoph Blumhardt offenbar wurde. Diese Beobachtung übrigens, daß andere Theologen der Tradition, wenn sie in seiner Verkündigung genannt werden, sehr oft dazu dienen, nur Kontrast und Negativfolie zu sein, vor dem das Möttlinger Geschehen an Glanz gewinnt, die kann man an vielen Stellen bei der Lektüre der Blumhardtschen Schriften machen.

Man könnte nun an Hunderten von Beispielen aufzeigen, wie stark der eben angedeutete Grundgedanke der Wiederbringung schon vor den neunziger Jahren Blumhardts Verkündigung Prägung und Orientierung verlieh. Pars pro toto sei hier ein zweiter überaus charakteristischer Text zitiert, der beispielhaft zeigt, in welcher Weise ihm die erwartete Wiederbringung aller Dinge positiv zum Motor des Wirkens wurde. Blumhardt führt am 1. Juni 1888 (an seinem eigenen 46. Geburtstag) für seine Hausgemeinde aus:
"... glaubt nicht, daß wir jetzt gleichsam am Ziel sind oder etwas haben, worin wir ruhig sein können; sondern es muß dieses neue Erbarmen über mich kommen und über mein Haus, über meine Kinder, über alle, die jetzt auch hier sich anschließen... [Wollte] man mich zum unglücklichsten Menschen machen und zum allerverzweifeltsten, dann soll man mich allein in den Himmel setzen... Will man mich aber recht glücklich machen, dann lasse man alle Leute in den Himmel hinein und mich zuletzt. Das, meine ich, sei vom Heiland so gemacht und so gewollt; es ist jetzt da wie ein neuer Gedanke, der in der Stille heraustreten muß, und das predigt auch die Weltgeschichte, und die ganze Entwicklung der Menschheit geht darauf hin, nämlich auf einen internationalen Himmel. Jetzt könnt ihr sagen, was ihr wollt, aber es darf nicht mehr deutsch sein und nicht mehr englisch und nicht mehr russisch sein, sondern international. - Das muß auch mein Haus repräsentieren. Dazu hat es der liebe Gott schon zeichenartig in den vierziger Jahren werden lassen ... So stehe ich in Verbindung mit einer Menge Leuten; wenn ich es sagen würde, mit wem ich alles in Verbindung stehe, da würden sie schon über mich herfallen und mir vorwerfen: der Blumhardt hat es ja mit den Ungläubigen! Ja, liebe Leute, ich habe es freilich mit den Ungläubigen, ich hab's mit der ganzen Welt, noch viel mehr als ihr wißt, und ich hoffe auch, daß ich es noch in viel größerem Umfang mit der ganzen Welt zu tun bekomme, ja ich bin stolz zu sagen: Ich bekomme es noch mit aller Welt zu tun! Ich will es noch mit den Muhammedanern und den Buddhisten zu tun haben, weil ich sie alle in den Himmel hineinkriegen möchte vor Gott... Ich will nicht hinauf in den Himmel, wenn andere Leute in die Hölle fallen. Es ist genug, daß sie Jahrtausende in die Hölle gefallen sind, jetzt müssen sie in den Himmel hinauf, und ich hoffe, daß der Zug hinauf noch so stark wird, daß wir sie noch aus der Hölle heraufziehen. Meint ihr, wir wollen sie darinnen liegen lassen? Das fällt mir nicht im Schlaf ein. Es werden die Kräfte des Reiches Gottes noch mit solcher Wucht kommen, daß die Zugkraft nach oben bis in die unterste Hölle dringt, und wer dann den Namen des Herrn anrufen wird, der soll errettet werden, mögen die Theologen streiten, solange sie wollen. Schließlich macht das Reich Gottes nicht die Theologie".Anm.24

In diesem Text von 1888 zeigt sich besonders schön die Apokatatasishoffnung als antreibende und nach vorwärts transzendierende Kraft, und in dieser Erwartung eines 'internationalen Himmels' deutet sich auch schon an, wie sich dem jüngeren Blumhardt später die Melodie 'Daß Jesus siegt' mit der der 'Internationale' aus seiner Perspektive verband. Freilich: Aufklärerische Bagatellisierung der Hölle, als ginge es nur um ein Gedankenspiel, lag Blumhardt in seinem biblischen Realismus fern, das zeigt dieser Text ebenso, schlechthinnige Leugnung von göttlichen Gerichten war überhaupt nicht seine Sache, aber - hier voll konform mit der alten württembergisch-pietistischen Tradition -: die Gerichte stehen ganz im Dienst des guten, herrlichen Endes, auf das sie hinzielen.

Bezeichnend ist, daß am Abend seines Geburtstags 1888 Blumhardt seiner Hausgemeinde einschärfte, die an jenem Tag gehörten Dinge für sich zu behalten:
"... die, die nachgeschrieben haben, die dürfen es nicht abschreiben! Es gehört nicht vor fremde Ohren; ich habe euch als meine Freunde genommen und mein Herz ausgeschüttet. Vermehrt nicht die Feindschaft durch unvorsichtiges Verbreiten solcher Worte! Ihr spürt, daß ich aus dem Geist Gottes heraus rede, und nicht wie ein Mensch, der sich wichtig machen will... Das Bad Boll kann mir heute aufhören, aber was der Herr mir gezeigt hat, innerlich nach der Schrift, was werden muß zum Heil der Menschen, das ist's, was mich täglich bis in den letzten Blutstropfen hinein erschüttert und bewegt, mich schwach macht, aber auch stark macht".Anm.25

Auch beim jüngeren Blumhardt lag also ein leidenschaftliches letztes Ringen um das Wiederbringungsproblem vor, das nicht nur seinen Kopf beanspruchte, und dahin gehört z. B. auch, daß er in ähnlicher Vertraulichkeit seiner Hausgemeinde wenig später im gleichen Jahr sagen konnte, er habe es in einem "Gesicht"Anm.26 visionär erschauen dürfen, daß gerade die Christen es mit dem eschatologischen Seligwerden schwer haben, schwerer als die Heiden.Anm.27 Äußerungen wie die hier genannten haben übrigens den Protest eines Friedrich von Bodelschwingh hervorgerufen, der es brieflich eine Irrlehre nannte, daß Blumhardt zu viel auf eigene Eingebungen gebe, und seine Vermutung, Blumhardt sei eigentlich seelisch krank, rief lange Zeit schwere Verstimmungen zwischen Bethel und Bad Boll hervor.Anm.28

Das alles ist hier nicht zu vertiefen, so wie wir in diesem Rahmen auch auf Blumhardts innere Entwicklung in den wichtigen Jahren 1888 bis 1896 leider nur en passant zu sprechen kommen können. Es war die Zeit, in der Blumhardts Losungswort für die Bad Boller Hausgemeinde lautete: 'Sterbet, so wird Jesus leben!' Die Gefahren einer möglichen triumphalistischen Selbstverherrlichung des Blumhardtschen und Bad Boller Wesens traten ihm in diesen Jahren in sehr selbstkritischer Weise vor Augen, und jetzt hieß es in einer Art 'theologia crucis' für Blumhardt und die Seinen: "Jesus ist der Siegesheld, der auch unser Fleisch besieget"Anm.29, d. h. Blumhardt ging es in dieser Zeit verstärkt um Buß- und Gerichtspredigt: das Fleisch, das Um-sich-Selbst-Kreisen ist mit Jesus in den Tod zu geben, und nicht zuletzt das 'fromme Fleisch' der blind-begeisterten Blumhardt-Anhänger, an denen er so sehr litt in jener Zeit, daß er mit Beginn des Jahres 1894 die Hausandachten vorübergehend einstellte und die kirchliche Arbeit - Gottesdienste und Abendmahl-Halten - ganz nach Boll-Dorf delegierte. Nur was Sterben kann, wird leben, schärfte er in dieser Zeit ein, und der Gesichtspunkt der Krisis war in seinen Äußerungen allgegenwärtig. Doch freilich war ihm dies mitnichten ein Rückfall hinter die von ihm gewonnene und erschaute Einsicht von der Wiederbringung. Daß er unter Gericht Reinigung und Bußerneuerung verstand, mithin Zubereitung zur Wiederbringung, das blieb klar bestehen, so wie es seine Gemeinde beispielsweise in der Weihnachtspredigt des Jahres 1894 hörte:
"Es geht aufs Gericht los, auf die Krisis, nicht zu Verdammnis - das ist auch so verkehrt, daß wir Gericht und Verdammnis immer verwechseln! - sondern auf eine Krisis... Diese Krisis wird das letzte Gericht bringen, auf das muß es los... Glaubet mir's, dieses Streben nach Seligkeit, da wir statt Krisis Seligkeit spüren wollen, ist ein Morphium..., aber es hält nicht Stich, denn Krisis kommt, Umklammerung kommt, Gericht kommt..., denn unser Fleisch muß niedergeschlagen werden, bis wir vom Kopf bis zum Fuß erneuert sind..., und anders muß es werden, so wahr als Gott im Himmel ist".Anm.30

 
3.

"Ihr Menschen seid Gottes" - Zu Christoph Blumhardts Hinwendung 

zum Sozialismus in den Jahren 1896 bis 1906
 

Was aus dieser Zeit nun in unseren Blick tritt, ist der interessanteste Zeitraum in Blumhardts Wirksamkeit, umstritten damals bei Freunden und Gegnern und umstritten heute in der Blumhardt-Interpretation. An den Anfang ist eine vielleicht auch etwas 'plakative' und überpointierte These zu stellen, wenn wir betonen: Das eigentlich 'Revolutionäre' und Weltbewegende, das worauf es Blumhardt ankam, ist bereits in der bisherigen Darstellung seines Heilsuniversalismus hinreichend zum Ausdruck gekommen, und da ist Blumhardts Hinwendung zum Sozialismus nicht mehr (aber auch nicht weniger) als eine Veranschaulichung und Konkretion. Sauter hat völlig recht, wenn er zu bedenken gibt: "Blumhardts Verständnis des Sozialismus steht und fällt mit seiner Zukunftserwartung (nicht umgekehrt!)".Anm.31

In unserm Zusammenhang anders ausgedrückt: Auf dem Hintergrund der Blumhardtschen Reich-Gottes- und Allversöhnung-Eschatologie, und allein von daher, werden im Tiefsten die Motive klar, die es ihm möglich machten, sich mit den Sozialdemokraten zu solidarisieren. Von Blumhardts eigenem Selbstverständnis her gesehen, war diese Allversöhnungs-Eschatologie so etwas wie ein revolutionärer Sprengsatz, mit dem die verödete und verkrustete Kirchlichkeit seiner Zeit mit ihrem grenzenziehenden Konfessionalismus und Dogmatismus aufsprengbar war; mehr noch: jene im vorigen Abschnitt vorgestellte Sicht von überaus dramatischem Gerichtsgeschehen auf das schließliche umfassende Heil für diese Erde zu, das war in Blumhardts Sinn keine Sache der kirchlichen Binnensicht und auch keine Bad Boller Sonderlehre für den stillen Winkel, das war ihm eine Sache des Weltgeschehens und der Menschheitsentwicklung - nach vorwärts, auf eine erneuerte Erde und den von ihm erhofften 'internationalen Himmel' zu, wo es weder Schranken, Grenzen und Scheidungen mehr gibt und wo 'die Verdammten dieser Erde' nicht mehr Verdammte bleiben, weil ganz global 'die ewige Verdammerei' aufgehört hat. Und da täusche man sich nicht: diese Allversöhnungsüberzeugung, wie wir sie hier im Blick haben, war für Blumhardt nicht nur theologisch-theoretische Angelegenheit, daß man die Höllenvorstellung intellektuell problematisiert und dann intellektuell überwindet; ihm ging es vielmehr - seinem biblischen Realismus entsprechend - bei der Losung: 'Die Hölle muß weg!' eben nicht zuletzt auch um die 'Hölle auf Erden'Anm.32, welche die Mächtigen den Schwachen bereiten.

In dieser Weltsicht erhielten für Blumhardt dann im hier angegebenen Zeitraum die Sozialisten eine - man könnte sagen - 'heilsgeschichtliche Rolle' zugesprochen, nämlich einerseits Gottes Gerichtswerkzeuge zu sein, die die versagende Christenheit in Krisis und zur Buße zu treiben hatten, andererseits wurden sie dann immer auch als göttliche Werkzeuge der Gnade angesehen, als Leute die unbewußt und 'anonym' Gottes Willen im Geiste Jesu taten - nach Jesus Weise in Solidarität mit des Elendesten; als solche hatten sie nach Blumhardts Sicht eine göttliche Berufung, von der sie selber gar nichts ahnten: einen Beitrag zu leisten, auf daß es mit der Welt besser würde, auf die Vollendung zu. Wieder sehr pointiert, aber in die rechte Richtung weisend ausgedrückt, läßt sich sagen: Blumhardt ließ sich in seinem sozialistischen Engagement nicht in den Sozialismus vereinnahmen, sondern er vereinnahmte gleichsam den Sozialismus in seine Konzeption.

Wie stark 'vereinnahmend' seine Verkündigung in den Jahren ab 1896 wurde, kann man in den Blumhardt-Schriften aus jener Zeit auf fast jeder Seite eindrucksvoll belegt finden, z. B. im 3. Band der Auswahl von Robert Lejeune, die er unter das Motto jener Zeit gestellt hat: "Ihr Menschen seid Gottes", und das ist notabene für Lejeune keine theologische Überschrift über einen Zeitraum, sondern ein göttliches Losungswort, das dieser für seine Verkündigung 'von oben'Anm.33 erhalten hat, um die Welt daran zu orientieren.

Auch wer diesem hohen prophetischen Selbstanspruch nicht ganz folgen kann, wird rein theologisch, nüchtern betrachtet diesen Satz: "Ihr Menschen seid Gottes" als die Mitte der Blumhardt-Verkündigung jener Zeit ausmachen. Unter diesem Losungswort kam das bisher mit Allversöhnungs-Eschatologie Umschriebene mit geradezu prophetischer Wucht zum Ausbruch, und an zahlreichen Stellen ist zu bemerken, wie gerade der auf die Spitze getriebene eschatologische Heilsuniversalismus, dem sozusagen 'alle Sicherungen durchgebrannt' sind, auch eine Gefahr für Blumhardt wurde: daß da das Prophetische ins Ideologische und das Christliche in rein säkularen Fortschrittsoptimismus umzuschlagen drohte.

Was in jenem Zeitraum für Blumhardts Verkündigung das Motto "Ihr Menschen seid Gottes" bedeutete, sei hier an einem exemplarischen Text aus dem Jahr 1896 gezeigt, in dem auf für Blumhardt typische Weise alle - ob sie es wollen oder nicht - zu Christus und seiner Liebe 'vereinnahmt' gesehen werden:
"Die Liebe Gottes zerschmelzt alles andere... Das ist die Liebe Gottes, die nie und nimmer jemand zugibt, der nicht geliebt würde. Ich sage es kühn vor aller Welt, vor den Himmeln und vor der Unterwelt: Es ist alles geliebt..., und kein einziger Mensch soll sich verworfen fühlen... Meine lieben Freunde, wir haben es bis jetzt nicht genug gewagt, Jahrhunderte hat man's nicht gewagt zu sagen: Jesus ist geboren, und darum sind alle Kreaturen die Geliebten".Anm.34

"Ihr Menschen seid Gottes", das hieß für Blumhardt in jenen Jahren: "Die Liebe Gottes ist der Schlüssel der Welt in der wir leben"Anm.35, und wie sich da Türen erschließen können, das demonstrierte Blumhardt bezeichnenderweise so:
"Von jeder Kanzel und in jeder Mission sollte verkündigt werden: 'Ihr Menschen seid Gottes! Ob ihr noch gottlos seid oder schon fromm, in Gericht oder in Gnade, in Seligkeit oder in Verdammnis, Gottes seid ihr... Ob ihr tot seid oder lebendig, ob ihr gerecht seid oder ungerecht, ob ihr im Himmel seid oder in der Hölle, ihr seid Gottes...` Predigt einmal so, dann habt ihr andere Erfolge als mit dem abgekappten Evangelium, das mit der einen Hand anbietet und mit der anderen Hand wieder nimmt. Wenn doch endlich der christliche Zorn aus den Herzen heraus wäre! Wenn doch endlich die Verdammungssucht aufhören würde! ... Unser Glauben muß ein Leuchten sein von Gott sein; in den Strom des Glaubens müssen wir die Leute hineinziehen... Wenn aber wir Hindernisse in den Strom werfen, wie kann es dann einen Strom geben, der die Leute mitreißt".Anm.36

Genau auf dem Hintergrund dieser Gedanken ist auch, wie oben umrissen, die Wurzel und Triebkraft von Blumhardts Hinwendung zum Sozialismus zu verstehen: diese eschatologische Konzeption von der allumfassenden Liebe Gottes ermöglichte ihm den Zugang dazu und ließ dann zu, daß verwandte Gedanken aus dem Sozialismus für Blumhardts eigene Konzeption fruchtbar werden konnten: er vereinnahmte Sozialistisches, ohne sich selbst vereinnahmen zu lassen.

Wenn hier das Gesamtthema heißt "bebel- und auch bibelfest", und wenn da vom sozialistischen Engagement die Rede ist, dann hätte man - zugegebenermaßen - das hier zur Debatte stehende Verhältnis Blumhardts zu politischen, sozialen und sozialistischen Frage auch völlig anders angehen können, nämlich in der Weise einer zeitgeschichtlichen Untersuchung. Man hätte darauf hinweisen können, daß Blumhardt von jeher politisch und sozial interessiert war, die Bibel immer neben der Zeitung las, daß er im Blick auf das Thema Kirche und soziale Frage im 19. Jahrhundert bemerkenswerte Kontakte zu Adolf Stoecker etwa unterhielt, dessen Wirken er je länger, je mehr kritisch gegenüberstand. Man hätte im Blick auf den Sozialismus näher darauf eingehen können, daß er sich ab Anfang der neunziger Jahre lektüremäßig damit beschäftigte, so las er Werke von August Bebel, Franz Mehring und Franz Staudinger, und man hätte schließlich analysierend Blumhardts praktische Arbeit als Parteipolitiker und Parlamentarier der Sozialdemokratie, etwa seinen dortigen Standort zwischen Bebelianern und Revisionisten oder seine Haltung zum Klassenkampf darstellen können. Das alles ist sicherlich wichtig, gut und richtig; Klaus-Jürgen Meier etwa hat 1978 eine solche Untersuchung vorgelegt in seiner Dissertation, die den Titel trägt: "Christoph Blumhardt. Christ - Sozialist - Theologe".Anm.37

Gleichwohl kommt man auf diesem Wege allein der Bedeutung des 'prophetischen Sozialismus'Anm.38 bei Blumhardt nicht hinreichend auf die Spur. Denn auch als Sozialist war er ein 'unregelmäßiges Verb', ein letztendlich auch auf diesem Gebiet überhaupt nicht 'dogmatisch' oder literarisch interessierter Genosse, dessen Position nach außen gesehen keineswegs originell oder aufregend war, sondern höchstens blasser Durchschnitt; dementsprechend war auch sein Landtagswirken keineswegs ein glänzender Siegeszug: wenn man es objektiv betrachtet, hat er da schon nach kürzester Zeit resigniert und 'schlappgemacht'.

Genau dieses Ergebnis hat einige frömmere konservative Freunde Blumhardts damals (und heute) dazu verleitet, seinen Parteieintritt gleichsam als 'Betriebsunfall' herunterzuspielen und seine Landtagstätigkeit als von Anfang an zum Scheitern verurteilte Angelegenheit zu bagatellisieren, eine schnell zu vergessende Episode voller Anfechtungen.Anm.39 Aber das ist ebenso verfehlte Hagiographie wie das umgekehrte häufige Streben, ihn als strahlenden Kronzeugen eines religiösen Sozialismus hochzujubeln.

Die Originalität des Blumhardtschen Sozialismus - und Sozialist, der er geworden war, blieb er entschieden bis ans Ende! - lag weder auf dem theoretischen Gebiet noch in der praktischen Arbeit, sie lag im Theologischen: daß er mit seiner universalistischen Reich-Gottes-Konzeption, die nicht einmal den Sozialismus als gefährlich 'verdammen' mußte, für viele andere Christen und Theologen theoretisch und praktisch wichtige Neuaufbrüche bewirkte und ermöglichte.

Dies ist hier als Abschluß dieses Abschnittes kurz an drei Beispielen zu zeigen, die Hinweis geben auf die Art des Reich-Gottes-Sozialismus der Jahre 1899 bis 1906 bei Christoph Blumhardt: wir zeigen (1.) anhand des "Antwortschreibens an seine Freunde" von 1899, wie Blumhardt seinen Schritt in die Partei theologisch legitimiert sieht, zeigen dann (2.) anhand des Blumhardt-Briefwechsel mit Howard Eugster-Züst, dem berühmten Appenzeller Weberpfarrer, wie Blumhardt seinen eigenen Sozialismus sah und wie er damit Eugster, seinen engsten Schüler, praktisch inspirierte, und wir zeigen (3.) am Briefwechsel mit Richard Wilhelm, wie Blumhardt gerade in seiner 'politischsten' Zeit wesentliche und modern anmutende Neuaufbrüche der Missionstheologie anregte. Dabei geben die beiden hier genannten Briefwechsel und das "Antwortschreiben" für das Verständnis des Blumhardt-typischen Sozialismus weit mehr her als seine politischen Reden, die er im Landtag oder für die allgemeine Öffentlichkeit hielt.

(1) Zum "Antwortschreiben" von 1899:

Bei diesem handelte es sich um einen Rundbrief, im November des Jahres geschrieben und an Vertraute gerichtet, die z. T. über seinen Parteieintritt sehr irritiert waren, und Blumhardt machte darin deutlich, daß er sich in diesem Schritt - getreu seiner Form von Reich-Gottes-Hoffnung - von Gott geführt wußte:
"Heute hat mich Gott aus dem 'vertraulichen' Kreise herausgeführt und ohne mein Suchen an die Öffentlichkeit gebracht. Ich mußte der arbeitenden, heute nach Millionen zählenden Klasse die Hand reichen, und unter diesen Millionen der Partei, welche diese Massen heben, bilden und zur Geltung bringen will. Ich reichte die Hand als der, der ich bin, als Nachfolger Christi".Anm.40

Dieses 'Müssen', von dem Blumhardt schrieb, war ihm durchaus ein 'eschatologisches Müssen' im Dienste des Reiches Gottes, für das er sich berufen fand, und gerade auf diese uns schon bekannte Thematik von Gericht und allumfassendem Heil kam Blumhardt im "Antwortschreiben" ausführlicher zu sprechen, wenn er da Christus als bloßen Jenseitstrost ablehnte und schrieb:
"... daß alle Geschlechter auf Erden gesegnet genannt werden können. Das predige ich so lange schon, als ich praktisch tätig zu sein in der Lage war".Anm.41

Und das, was den Sozialisten ihr universales 'Endziel des Friedens' bedeutete und der ähnliche Weg dahin, das machte es Blumhardt - um diese innere Verwandtschaft wissend - leicht, sein Reich-Gottes-Endziel mit dem der sozialistischen Bewegung zusammenzusehen, wobei im Reich-Gottes-Geschehen Gott mithilfe der Sozialisten das heilsame Gericht übt, so sah es Blumhardt, das auf sein allumfassendes Ziel hinführt. So liest man im "Antwortschreiben":
"Wenn wir alle die Worte Jesu und der Apostel, die auf das Endziel der Menschheitsgeschichte hinzielen, zusammenstellen, so finden wir, daß Jesus sich sehr wohl mit den politischen und sozialen Entwicklungen beschäftigt... Darum... als Nachfolger Jesu... gehen wir durch alle Entwicklungen hindurch und haben das endliche Ziel des Friedens im Auge. Dieses Endziel aber kann nicht ohne erschütternde Umwälzungen kommen. Wie die Geißel, welche Jesus schwingt im Tempel zu Jerusalem, so wird auch noch eine Geißel kommen über das ganze ungerechte Wesen des Menschen... Die sozialistische Bewegung aber ist wie ein Feuerzeichen am Himmel, welches Gericht angekündigt". Anm.42

Dabei konnte für Blumhardt das Gericht selbstverständlich nicht das letzte Wort behalten konnte, sondern der Sieg, das gute Ende für alle, so wie es Blumhardt im letzten Satz des Rundbriefs noch einmal hervorhob:
"Solches Endziel ist das Reich Gottes auf Erden, des Gottes, der ein Heiland ist aller Menschen". Anm.43

(2.)Zum Eugster-Briefwechsel in den Jahren 1899 bis 1906:

Dieser ist anzusehen als die ergiebigste und wichtigste Quelle, um Blumhardts Haltung zum Sozialismus zu verstehen. Er liegt seit 1984 gedruckt vor, wobei der Band fast 450 Seiten umfaßt. Der Titel lautet: "Politik aus der Nachfolge" , und eine solche verfolgte Howard Eugster-Züst, der berühmte Appenzeller Weberpfarrer und Gewerkschaftsgründer und spätere Schweizer Nationalrat, aber der Band belegt: Es war Jesus-Nachfolge als geradezu bedingungslose Blumhardt-Nachfolge. Eugster, der von der Schweiz aus mehr als 50 Mal Bad Boll besuchte, war durchweg geradezu ein Jünger seines Meisters Blumhardt, und dazu der einzige aus dem engeren Freundeskreis, der nach Blumhardts Parteieintritt das diesem sofort nachtat und Schweizer Sozialdemokrat wurde. Natürlich können hier aus diesem umfangreichen und z. T. sehr intimen Briefwechsel nur einige ganz wenige Aspekte angeführt werden, die in unserm Zusammenhang für die Jahre 1899 bis 1906 wichtig sind.

Interessant für uns sind da bereits zwei Briefe von Ende März 1896: da leistete Blumhardt Eugster, der in innerer Not war - es ging um eine kleine Trübung im Verhältnis zwischen beiden - seelsorgerlichen Trost mit den bezeichnenden Worten:
"Es ist ... gut, wenn Du darauf achtest..., daß Du absolut nichts hören und sehen wolltest, als was direkt vom Reiche Gottes an Dich kommt... Die grosse, all-umfassende Versöhnung über aller Kreatur... sei in dieser Zeit Deine Freude..., auch in der Verkündigung des Evangeliums, welches eben darin besteht"Anm.45, und Eugster nahm diese Blumhardt-Worte so direkt, wie sie gemeint waren und antwortete:
"Es kam mir der Entschluß: Du legst die Bibel ganz an die Seite und lässest sie ganz auf der Seite, an das Wort aus dem Reich Gottes dich allein haltend"Anm.46, eben an Blumhardts Wort.

Aus diesem Briefwechsel geht auch hervor, daß Blumhardt sich in seinem universal ausgerichteten Reich-Gottes-Sozialismus je länger, je mehr verraten fühlte, wenn der 'real existierende Sozialismus' der Partei ihm anfocht mit Verhaltensweisen, die ihn an das Elend der Kirche erinnerten: Parteizwang, Grabenkämpfe, Rechthaberei und Verdammungssucht. Stets ging es ihm um sozialistische Prinzipien, nie primär um die Programme: im Blick auf die Prinzipien berührten sich für ihn Reich Gottes und Sozialismus, in Bezug auf die Programme mußte Blumhardt in der sozialdemokratische Partei ähnlich traurige Erfahrungen machen wie in der Kirche. Diese Desillusionierung bei gleichzeitigem Festhalten am sozialistischen Prinzip brachte Blumhardt am 3. Dezember 1902 besonders klar zum Ausdruck:
"Das Stadium, in dem wir stehen, ist darum kein angenehmes, denn es entwickelt sich der Trotz des Klassenkampfes, wie ihn die Sozialdemokratie vertritt. Da steht Trotz gegen Trotz, und es schweigt der höhere Ton des Reiches Gottes. Das Allumfassende des Sozialismus in Christus, der allen Menschen gleich hoch gegenüber steht, hat heute keinen Boden zur Verwirklichung"Anm.47, jedoch heißt das nicht Rückzug; so wurde Eugster ermahnt: "Für Dich handelt's sich nur darum, sehr weise zu sein, treu und fest auf der Seite des seufzenden Volkes und verschanzt mit Glauben gegen den Hochmut des herrschenden kapitalistischen Prinzips".Anm.48

Genau das ist das Kernproblem: wissend um die Unzureichendheit des real existierenden Parteisozialismus hat man kritische Solidarität zu üben und denen unten nah zu bleiben, so sah es Blumhardt, wobei aber das Eigentliche des 'wahren' Sozialismus' nur im Blick auf das Reich Gottes zu sehen ist: das 'Allumfassende des Sozialismus in Christus', das blieb auch dann für Blumhardt bestehen, als er sich vom Parteialltag und der praktischen Arbeit dort - hierin ganz im Gegensatz zu Eugster - stark entfernte als er sich 1906 aus dem Landtagsgeschäft zurückzog. Und Eugster-Züst, oft ähnlich desillusioniert wie sein Meister, blieb bis zuletzt dem Blumhardtschen Sozialismus, nämlich der Auffassung vom 'Allumfassenden des Sozialismus in Christus', mithin der Allversöhnungs-Eschatologie seines Lehrers, treu. In seiner glanzvollen gewerkschaftlichen und politischen Karriere ließ er sich jeden einzelnen wichtigen Schritt von Blumhardt absegnen, denn - so schrieb er schon 1900 an diesen - :
"Wenn ich ein Sozialdemokrat bin, so bin ich's schliesslich in Deinem und nicht im gewöhnlichen Sinn".Anm.49

(3.) Zum Briefwechsel mit Richard Wilhelm:

Einen ähnlichen ihm vertrauten Musterschüler hatte Blumhardt in Richard Wilhelm, der die Blumhardt-Tochter Salome geheiratet hatte. Richard Wilhelm, in Bad Boll Blumhardts Vikar, wurde später (1899) China-Missionar und dann ein literarisch stärkstens wirkender und bis heute bekannter Sinologe. Blumhardt verstand seinen Schwiegersohn gleichsam als Blumhardt-Außenstation in Asien. Und die hier zur Genüge vorgestellte Allversöhnung-Eschatologie wurde da - genau in unserem Zeitraum - höchst aktuell für die Frage der Mission. Auch das ist hier nur äußerst knapp anzureißen. Deutsche Kolonialpolitik in China zur Jahrhundertwende, das war für Blumhardt, allein schon um der Wilhelms willen, ein politisches Spezialgebiet, wie man sonst kaum eins bei ihm ausmachen kann. Welche Bedeutung in diesem Briefwechsel die Allversöhnungs-Eschatologie gewinnt, kommt schon im Brief an Wilhelm am 31. Juli 1899 zum Ausdruck: "der Jesus, der nicht zu verdammen, sondern zu erretten gekommen ist"Anm.50 , war da das Problem, zu dem Blumhardt dem Schwiegersohn in China schrieb:
"Freilich, wie Du schreibst, kommen wir mit den harten Stellen der Schrift in Verlegenheit. Doch ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die schroffen Worte Jesu nur den Frommen gelten, nicht den Heiden und Sündern... Also den oberen Zehntausend, nicht dem Proletariat der Völker gelten die harten Worte. Sind wir Jesusnaturen geworden..., so wurzeln wir bald in den Massen, die selig werden müssen...,... und dann werden wir unter Umständen auch zornig über Pharisäer und Schriftgelehrte ... und alles Pfaffenregiment. Diesem gilt der Zorn Gottes. Den Völkern niemals". Anm.51

Das sind Sätze, die für Wilhelm ein ganzes missionstheologisches Programm enthalten sollten. Dazu muß man bedenken, daß Blumhardt eine tiefe Parallelität zwischen Wilhelms Missionswerken in China und seiner eigenen Tätigkeit in der Sozialdemokratie sah, denn er selbst, so schrieb er am 29. Oktober 1901, wäre von Gott den Sozialisten, also "den europäischen Heiden"Anm.52 ausgeliefert worden und Wilhelm eben den seinigen Heiden in Asien. Und da galt es beidesmal nach Blumhardt, den Begriff 'Heide' und die damit gemeinte Sache restlos zu überwinden, im Zeichen des Satzes: 'Ihr Menschen seid Gottes!' Der letztgenannte Brief zeigt uns mit wünschenswerter Deutlichkeit und sehr programmatisch, wie für Blumhardt die neue Missionsstrategie aussah, eine Missionsstrategie, die - wie man auch aus dem Briefwechsel ersieht - Richard Wilhelm mit bewundernswerter Konsequenz befolgte. Seine Richtlinie war im genannten Brief von Blumhardt so vorgesteckt:
"Nun aber ist eine neue Zeit. Der Geist der Wahrheit will ins materielle, ins politische, soziale und industrielle Leben hinein und von da aus Grund legen zu geistiger Bildung; Politik und alles, was damit zusammenhängt, muss sich beugen unter den Willen Gottes, und aus dem natürlichen Leben des Menschen soll eine geistige Bildung erstehen, damit nicht mehr Gutes gepredigt werde ohne Kraft, es tatsächlich auszuführen. In dieser Zeitenwende stehen wir, und darum wirst Du kaum anders geführt werden können als so, dass Du auch eine Art politische Rolle spielen musst. Die Chinesen müssen sich zeitgemäß materiell und politisch bilden und entwickeln; was von Gott im Geist notwendig ist, wird dann von selbst kommen. Ich sehe für Dich den Anfang darin, dass Du schon vermittelnd zwischen den Chinesen und den Deutschen tätig zu sein Veranlassung bekommen hast. Dass Du Pfarrer bist, wird mehr und mehr Nebensache werden. Jeder Prophet oder prophetisch arbeitende Mensch wird auch politisch werden, und Dein Beruf scheint mir in die Welt der Chinesen hineinzuführen, und gibt Dir Gott die Herzen, dass sie Dir vertrauen können, dann kommen sie ins Himmelreich, auch ohne dass sie Christen heissen. Aus dem Sumpf der christlichen Kirchen sind die Menschen schwerer herauszuführen als aus der Barbarei des Heidentums. Sind doch die christlichen Völker nur übertünchte Barbaren, die in Selbstbetrug leben. Also scheue Dich kommenden Falles nicht, Heide mit den Heiden zu heissen, wenn Du nur im Geist des Willens Gottes stehst. Auch hört der christliche Gemeindebegriff jetzt auf; es fängt die Ernte an, und alle Völker und das Volksganze kommen in Behandlung. Darum nur keine Separation mehr, sei's dogmatische, sei es liturgisch-gemeindliche. Sitten und Einrichtungen, Ordnungen und Anbetungen werden sich dann schon finden. Ich hoffe, Du wirst Dich auszeichnen dürfen als Freund der Menschen und wirst Deinen Schutz bei den Chinesen finden, wenn auch eine Zeitlang Dein Verhältnis zu den europäischen Sitten in die Brüche kommen sollte".Anm.53

Vieles von dem hier Vorgeschriebenen trat praktisch ein. Wilhelm, sich von 'Tauferei' und 'Bekehrerei' zurückhaltend, wurde ein solcher Philanthrop um Gottes willen, er wurde einer, der in einzigartiger Weise eine 'Brücke zwischen Europa und China' schlug, wobei der Konfuzianismus ihn stark in den Bann zog. Den genannten Liebesaspekt hielt er fest, aber aus dem christlichen Glauben hat es ihn später weit hinausgetragen hin zu esoterisch-gnostischem Gedankengut mit christlicher Übermalung.Anm.54

Damit können wir uns in einem sehr viel kürzeren Abschnitt der Blumhardtschen Spätzeit zuwenden.

 
4.

Wirken in der Stille - Zu Christoph Blumhardts 'Theologie der Krisis' 

in seiner Spätzeit (1906 bis 1919)
 

Mit einer Palästina-Reise im Herbst 1906, unmittelbar nach seiner Landtagszeit, begann für Blumhardt eine neue Lebensphase, sein Wirken in der Stille. Neu konzentrierte er sich auf die seelsorgerliche Wirksamkeit für seine Boller Hausgemeinde, wobei der ekklesiologische Aspekt 'Gemeinschaft der Gläubigen' stärker hervorgehoben wurde als zuvor. Wir haben hier für unser Thema, ohne daß wir die Vielschichtigkeit und die theologischen Tiefen dieser Spätzeit-Verkündigung natürlich voll ausloten können, lediglich schlaglichtartig zwei wesentliche Fragestellungen zu beleuchten:

(1.) Wie ist dieses 'Stiller-Werden' des späten Blumhardt grundsätzlich zu sehen, wurde er aufs Alter zu - wie man es manchmal hört - etwa 'frommer', also weniger 'sozialistisch' und wieder stärker 'christlich'?

Und (2.): Erhielt seine heilsuniversalistische Verkündigung in dieser Spätzeit etwa grundsätzliche Korrekturen durch das da stärker betonte Moment der 'Krisis'?

Daß man sich in unserm Zusammenhang zur Spätzeit kürzer fassen kann, recht fertigt sich auch von daher, daß diese Zeit im nächsten Abschnitt - zu Blumhardts Nachwirkungen auf Kutter, Ragaz, Barth und Thurneysen (unten im 5. Abschnitt) ja noch weiter zu betrachten sein wird.

(1.) Zum Wirken in der Stille:

Blumhardt war nicht einer jener 'zornigen alten Männer', die im höheren Lebensalter besonders provozierend deutlich werden. Ein ihm als Christ und Sozialist Geistesverwandter, Helmut Gollwitzer, bedauert das fast, wenn er zu dieser späten Zeit Blumhardts - inhaltlich zutreffend - schreibt:
"Der aktive Ton verstummt nach dem Rückzug aus der Politik. Das mag ... auf persönlichen Bedingungen beruhen, ist aber doch wohl eine Folge der eigenartigen Subjektivität, die seine Stärke und, wie sich hier zeigt, auch seine Schwäche gewesen ist. Sein Weg in die Politik war eben doch zu sehr der Alleingang eines Charismatikers gewesen. In Bad Boll war er immer der Beherrschende, in der Partei war er einer neben vielen".Anm.55

In der Tat ist in der gesamten Spätzeit-Verkündigung eine gewisse Abgeklärtheit und ein deutliches Leiser-Werden nicht zu verkennen. Besonders der Eugster-Briefwechsel belegt, daß von 1906/1907 ab immer wieder das Wort "Stille" in den Briefen zwischen den beiden auftauchte, so wie es Blumhardt etwa an den vertrauten Freund und Schüler im März 1907 schrieb:
"So gehe ich getrost der neuen Zeit entgegen, die zunächst auf unserer Seite viel Stille erfordert, denn auch mit Beziehung auf das Ringen der Volkskreise um mehr Lebensmöglichkeiten sind wir an eine gewisse Grenze gekommen, wo nur ein höheres Eingreifen helfen kann. Leider kann ich meine Gedanken nicht populär machen ... So heißt es für uns: 'Seid stille und erkennet, dass Gott der Herr ist". Anm.56

Gewisse zuvor gehegte Erwartungen utopistischer Art im Zusammenhang mit dem Sozialismus waren ihm zerbrochen, und jene zugespitzten Aussagen (etwa, daß Religion von der Politik abgelöst würde)Anm.57 kamen jetzt ebensowenig vor wie die überharte Kirchenkritik in den Jahren davor. Im Vertraulichen ließ Blumhardt durchblicken, daß es bei ihm in der 'heißen' politischen Zeit ihn geistlich gefährdende Übertreibungen gegeben hatte, wie er Eugster schrieb:
"Solange ich mich noch ... auf den menschlich revolutionären Standpunkt stellte und von daher Gottes Gerechtigkeit erhoffte und predigte, lief immer eine gewisse Finsternis neben mir her".Anm.58

Doch Blumhardt wäre total verkannt, wollte man darin Hinkehrung zum quietistisch-passiven Fromm-Werden oder eine Abkehr an den Sozialismus, oder gar eine Absage an diesen sehen. Am Eindrucksvollsten sieht man das an Eugster, der die Hinwendung seines Meisters zum Stillwerden mit allerhöchstem Respekt als auch für sich selbst wichtig wahrnahm und sich trotzdem getragen wissen durfte in seinem sozialistisch-politischen Engagement jener Zeit von Blumhardt. So schrieb Eugster bezeichnenderweise Ende 1907 an diesen:
"Wenn es jetzt auch gar stille ist und deine Stimme schweigt, so ist es doch nur das Zeichen eines neuen Sieges, und Dein Schweigen ist beredter in dem Lärm der Welt als das Reden".Anm.59

Was 'Wirken in der Stille' für Blumhardt als Christen und Sozialisten umschloß, wurde vollkommen sachgerecht von seinen nichtchristlichen Parteifreunden ausgedrückt mit den Worten:
"Und wenn er in den letzten Jahren auch ein Stiller wurde, der sich dem politischen Leben mit seinen Ränken und Widerwärtigkeiten fern hielt, sein Herz schlug nach wie vor warm für die Sache der Unterdrückten; der sozialistischen Idee, die ein Teil seiner Religion war, ist er stets treu geblieben".Anm.60

Sein Herz schlug auch in der Spätzeit weiterhin links, aber seine eigentliche "Religion" war die Erwartung der Offenbarung des 'Allumfassenden des Sozialismus in Christus', die Erwartung des ' internationalen Himmels' und des Reiches Gottes, denn - so das Motto der Spätzeit: "Gottes Reich kommt"Anm.61.

(2.) Zur Krisis in der Spätzeit:
Schon einmal - in den Jahren 1888 bis 1896 - hatte die 'Krisis', das Gerichtsmotiv, wie oben angedeutetAnm. 62, bei Blumhardt eine große Rolle gespielt; ganz Ähnliches trat nun in der Spätzeit oft wieder in den Vordergrund: die Unvermischbarkeit des Letzten mit dem Vor-Letzten, die Transzendenz Gottes und seines Reiches, das kommt, und das 'Ganz-anders-Sein' des Gottesreiches fand wieder stärkere Betonung. Für Blumhardt - so sieht man in der Verkündigung jener Jahre - verlief die immer wieder betonte 'Entwicklung' hin auf das Reich Gottes und auf die Wiederbringung aller Dinge jetzt nicht mehr ganz so 'glatt' wie zuvor. Nicht der Mensch, der aufs Gottesreich hin mitwirkt, sondern Gott, der 'Ganz Andere' in seinem eschatologischen Handeln war jetzt die für Blumhardt wesentliche Sichtrichtung, Hoffen auf das, was von vorn kommt.

Dennoch radikalisierte sich für ihn die Wiederbringungslehre noch einmal namentlich in den letzten 20 Lebensjahren: häufig trat der Gedanke auf, daß bereits die Autoren der biblischen Bücher zu 'uneschatologisch' gedacht hätten, zu wenig aufs Reich Gottes hin bedacht wären, v. a. daß sie im Grunde von einem falschen Verdammungsgeist umnebelt gewesen wären, als sie die harten Stellen in Richtung Verdammnis in ihre Schriften setzten, wobei besonders Paulus und der Hebräerbrief diesbezüglich einer Sachkritik unterzogen wurden.Anm.63 Was da bei Blumhardt Anfang des 20 Jahrhundert vorlag, war ein großer Unterschied zu den Wiederbringungslehren seiner württembergischen Vorgänger im 18. und 19. Jahrhundert. Dort ging es nämlich stets um exegetisches Weg-Interpretieren und Weg-Harmonisieren der harten Stellen, sie auflösen zu einer Etappe im heilsgeschichtlichen Prozeß. Sachkritik an der Bibel in dieser Weise aber war da nicht geübt worden.

Blumhardt rühmte sich an manchen Stellen einer höheren Einsicht, als sie biblische Autoren bei Verfassung bestimmter Stellen hatten, wohlgemerkt: nicht aus Vernunftgründen, sondern aus persönlicher Gottesoffenbarung kraft seines Charismas. Das kann hier nur ganz kurz an einer charakteristischen Äußerung Blumhardts gezeigt werden. 1909 äußerte er sich in einer Predigt zum Verhältnis von Bibelwahrheit und eigener persönlicher Erfahrung, daß Jesus zu ihm redete durch seinen Geist:
"Bloß nach der Bibel reden möchte ich nicht. Ich hätte Angst, mit der Bestimmtheit und der Sicherheit zu sagen: 'Ja, Jesus ist das Licht der Welt', wenn ich es bloß auswendig gelernt hätte nach der Bibel, wenn nicht einmal ein Wort in uns hineingefallen ist von Jesus selbst, daß man fest sagen kann: Ob es in der Bibel steht oder nicht, kann mir jetzt gleichgültig sein, er hat es mir selber bezeugt... Ich kann es ach von mir sagen: Nichts wird an mir mehr gehaßt als dieses Zeugnis des Vaters, weil ich im Gegensatz zu denen, die die Verdammnis predigen sage: Nein, was mir der Vater bezeugt hat, bezeugt sich durch das Zeugnis des Vaters"Anm.64, und die Blumhardt-Stellen, an dem er jeweils dezidiert von seinem Evangelium sprach, haben es immer - so ist unsere These - mit dem zuletzt genannten Sachverhalt zu tun.

Wiederbringungsaussagen machte Blumhardt auch in seiner Spätzeit in Hülle und Fülle, aber aufs Ganze gesehen kam der Krisis-Aspekt wieder deutlicher zur Geltung, z. T. auch in harten Gerichtspredigten, in denen auch das Wort 'Endgericht' nicht ausgespart blieb. Sein Grundsatz war und blieb dabei jedoch immer, was er am 31. Juli 1910 in einer Predigt sagte:
"Denn zum Reich Gottes gehört ganz wesentlich das Gericht, - nicht die Verdammnis - das ist ein großer Irrtum, daß man mit dem Evangelium mehr Verdammnis verbunden hat als Zurechtbringung der Welt; es ist einer der größten Irrtümer, die es auf dem Boden des Christentums gegeben hat - aber Gericht, das ist so absolut notwendig, daß ich für meine Person gar nichts Freudigeres erlebt habe und noch zu erleben hoffe, als ein festes gerichtliches Eintreten des Geistes Gottes".Anm.65

Durch Gerichte kündigte sich ihm das Reich Gottes an, so daß 'festes gerichtliches Handeln' Gottes ihm ein Gotteserweis, wenn nicht Gottesbeweis war, eine Sicht, aus der heraus er sich an einigen Stellen über die Krisis des ersten Weltkriegs freuen konnte, so wie er ja auch schon die blutigen Ereignisse beim Boxeraufstand in China 1901 mit den Worten kommentieren konnte:
"Erst war mir der Krieg dort so schrecklich; jetzt aber sehe ich, wie er kommen mußte, damit durch meinen Schwiegersohn das Evangelium, keine Kirchenlehre, und mein [sic] Geist hinkommen konnten. So dient doch alles zum Besten".Anm.66

Entsprechend wurde bei Blumhardt jede Anfechtung, jedes Kreuz, auch das des persönlichen Sterbenmüssens, überwunden in diesem eschatologischen 'Muß' und 'Vorwärts'.

Christoph Blumhardt starb nach langem Krankenlager im Jahr 1919 in seinem Alterssitz Wieseneck (Jebenhausen). Die Lebensgefährtin seiner letzten Jahre, Schwester Anna von Sprewitz, schrieb zu seinen letzten Tagen:
"Ende Juli spürte man das Ende nahen, und in der Nacht vom 2. August entschlief er ganz still und friedlich und lag da wie ein selig schlummerndes Kind mit dem Ausdruck des Ueberwinders. Sein Begräbnis hatte mehr von einer Hochzeitsfeier als von einem Leichenbegängnis".Anm.67

Auf seinem Grabstein liest man die Worte: Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht, sein wird die ganze Welt...

 
5.

"Der Kampf um das Reich Gottes in Blumhardt, Vater und Sohn und weiter" - Zu Blumhardts Nachwirkungen auf Hermann Kutter, Leonhard Ragaz sowie Karl Barth und Eduard Thurneysen
 

Der oben genannte Titel des Ragazschen Blumhardt-Buches von 1922Anm.68 steht hier als Hinweis darauf, daß vier einflußreiche Schweizer Theologen, die zunächst für den Schweizer religiösen Sozialismus und dann auch für die Theologiegeschichte dieses Jahrhunderts überhaupt eine Bedeutung erlangt haben, in ihrer Art, Theologie zu treiben, Wesentliches dem jüngeren Blumhardt (und indirekt: seinem Vater) verdanken.

1986 ist zu diesem Thema ein Buch erschienen mit dem Titel: "Prophetischer Sozialismus"Anm.69, darin stellen der beste Kenner des Ragazschen Werks, Markus Mattmüller, und der auch in Basel lehrende Barth-Schüler Eduard Buess einen Teil der Wirkungsgeschichte des jüngeren Blumhardt dar. Es geht ihnen darum, wie das Verhältnis von Reich Gottes und Sozialismus, so wie der jüngere Blumhardt es sah, bei den hier zu behandelnden Theologen nachgewirkt hat. In diesem temperamentvoll und engagiert geschriebenen Buch, das Gerhard Sauter mit einem Nachwort versehen hat, geht es ganz klar auch darum, das Blumhardt-Erbe für heutige Theologie bzw. politische Theologie fruchtbar zu machen; den Verfassern kommt es darauf an, das Verbindende zwischen Blumhardts Erben - besonders in der gegenwärtigen Lage - stärker zu betonen als die 'Erbstreitigkeiten'. Unter dem programmatischen Leitwort "Prophetischer Sozialismus" wird das dargestellt; die Verfasser wollen "geradezu von einer Blumhardt-Bewegung sprechen"Anm.70 und stellen sich das "Ziel..., deren Wesen und Einheit darzustellen"Anm.71.

Wir sehen uns in unserem Zusammenhang hier vor eine viel bescheidenere Aufgabe gestellt, nämlich kurz anzureißen, wie (1.) der Blumhardtsche Reich-Gottes-Universalismus in der Bewegung der Schweizer Religiös-Sozialen bei Kutter und bei Ragaz unterschiedlich aufgenommen wurde und wie (2.) das Auseinandergehen der beiden ursprünglich zusammen kämpfenden Vertreter dieser Richtung, Ragaz und Barth, auch eine Auseinandersetzung über die 'richtige' Blumhardt-Auslegung war, unter der Fragestellung: wie 'politisch' hat man das Werk Blumhardts zu sehen? Das alles kann hier freilich nur in einigen erhellenden Schlaglichtern aufgezeigt werden.

(1.) Zu Hermann Kutter und Leonhard Ragaz:

Um das eschatologische 'Müssen', wie der jüngere Blumhardt es sah, ging es in diesem Vortrag explizit an einigen Stellen und implizit passim. Genau dieses eschatologische 'Müssen' wurde im Jahr 1903 in einem Buch aufgenommen, welches das eschatologische 'Müssen' auf die Bewegung der Sozialdemokratie bezog. Gemeint ist Hermann Kutters Werk, das Furore erregte und dann zum Programmbuch der Schweizer Religiös-Sozialen werden sollte: "Sie müssen! Ein offenes Wort an die christliche Gesellschaft"Anm.72.

Bevor wir dessen Inhalt in den Grundgedanken darstellen, ist hier zu betonen, daß 'Hermann Kutters Lebenswerk'Anm.73 insgesamt überhaupt nicht verständlich wird, wenn man die entscheidenden Impulse nicht wahrnimmt, die Kutter dem jüngeren Blumhardt verdankte. Seit 1896 war er insgesamt mindestens zehnmal in Bad Boll gewesenAnm.74, und als Mittzwanziger erlebte Kutter, der aus neupietistischem Milieu stammte, eine ganz entscheidende 'Bekehrung' bei diesem Christoph Blumhardt: weg vom heilsegoistischen neupietistischen Denken und hin zur Objektivität Christi und seiner Universalität.Anm.75

Ein ganz wichtiges Werk zu Kutter, nämlich die 1983 sorgsam edierte Sammlung seiner BriefeAnm.76, legt beredtes Zeugnis ab für die kaum zu überschätzende Bedeutung, die Christoph Blumhardt als Lehrer und geistlicher Vater für Hermann Kutter gewann (und die später nach 1901 durch Irritationen im Verhältnis von beiden etwas verblaßte). Das freilich kann hier nicht vertieft werden.

Auffallend ist die Parallele zwischen Hermann Kutter und Howard Eugster: beide wurden aus pietistischen Engführungen durch Blumhardt herausgerissen, und beide verehrten und respektierten in außerordentlichem Maß Christoph Blumhardt als theologischen Wegweiser und geistlich maßgebliche Autorität, allerdings mit dem einen Unterschied, daß Eugster in keiner Weise Theoretiker war: er ist geradezu als ein Blumhardt-Fundamentalist anzusehen, während der mehr theoretisch-philosophisch - z.B. an Plato und Kant - interessierte Kutter Blumhardt in freierer Weise treu blieb.

Jedenfalls war "Sie müssen!" eine Frucht vom Baume Blumhardts. Und eine, die undezent Grundgedanken Blumhardts an die Öffentlichkeit brachte, wie Eugster gegenüber dem Meister etwas eifersüchtig beklagte.Anm.77 Blumhardt und Eugster, die beide dem Buch "Sie müssen!" mit großer Reserviertheit gegenüberstandenAnm.78, wie sie dann ja auch die davon ausgehende religiös-soziale Bewegung in der Schweiz höchstens mit einem kritischen Wohlwollen betrachteten, mußten erleben, wie durch dies Buch eine Dynamik sich entwickelte, die ganz und gar auf Impulsen beruhte, die von Blumhardt herkamen.

Denn in "Sie müssen!" liegt ein Pamphlet vor, ein leidenschaftlicher politisch-theologischer Traktat, worin mit flammenden Worten - ganz unphilosophisch und temperamentvoll - Blumhardtsche Gedanken dahingehend interpretiert wurden, daß im Einklang etwa mit einigen Tendenzen aus dem o. g. 'Antwortschreiben an die Freunde' von 1899 eine Apologie der Sozialdemokratie versucht wurde: die Sozialdemokraten - so Kutter - sind in Bezug auf viele Themen (von Gottesleugnung bis hin zur Vaterlandsverachtung) anders einzuschätzen als das bürgerliche und kirchliche Vorurteil in pharisäischem Geiste es meint; sie haben - und darauf legte Kutter den Akzent - eine geradezu eschatologische Sendung, die Krisis Gottes über Gesellschaft und Kirche der Gegenwart zu manifestieren. Das m ü s s e n sie - mit eschatologischer Notwendigkeit - als Gerichtswerkzeuge in der Hand Gottes, die zugleich Heilswerkzeuge und Heilsempfänger im Dienste des Reiches Gottes sind. Gedankengänge, die wir aus der Allversöhnungs-Eschatologie Blumhardts zur Genüge kennengelernt haben, prägen deutlich dieses Buch. Zwei Zitate aus den letzten Seiten von "Sie müssen!" belegen das in unserem Zusammenhang hinreichend, wenn Kutter da zum guten Schluß ausführte:
"Hat das Evangelium nicht von dem Gott gesprochen, der da kommt in Gericht und Gnade? Aber die Kirche bleibt stehen. Sie baut sich eine falsche Ewigkeit mit den Worten des Evangeliums,... um... allen Fortschritt, alle Änderungen zu hemmen... Sie hat am Zauberquell des Mammons Wasser der Eitelkeit gekostet... Da steht die Sozialdemokratie auf. Es treibt und drängt in ihr jenes aus der Ewigkeit geborene Müssen göttlichen Fortschritts, das die Kirche unter den Blumen irdischen Tands vergraben. Sie ruft es in die Welt hinein: es muß neu, neu muß alles werden!".Anm.79

Eine Seite danach liest man ganz am Schluß des Buches:
"War es nicht die Botschaft des Evangeliums, daß alle Sünde und Schuld der Menschen im Siege des Gottessohnes überwunden sei und aufhören werde? Aber wo anders als bei den Sozialdemokraten versteht man noch etwas von ihr? Ist nicht die gesamte Kirche an Hölle und Sünde orientiert? Lebt sie nicht davon, daß es einen Satan gibt, viel mehr als davon, daß es einen Gott gibt? Ist nicht ihr vornehmstes Dogma die Unüberwindlichkeit der Sünde, ihr Hauptpostulat, daß man der Hölle stets gedenke? ... Ja, es ist so: Gottes Verheißungen erfüllen sich in den Sozialdemokraten: Sie müssen".Anm.80

Wir konstatieren hier thetisch: diese Sorte von Heilsuniversalismus, die Kutter vertrat, entstammte dem Allversöhnungsdenken Christoph Blumhardts, und wir verweisen zu diesem Thema Allversöhnung auf den schönen Aufsatz Gotthold Müllers über "Gottesglaube und Heilsuniversalismus in der Theologie Hermann Kutters", der 1969 in der Staehelin-Festschrift erschienAnm.81.

Direkt und indirekt von Blumhardt angeregt, und auch mit inspiriert von "Sie müssen!", war es dann aber einem andern vorbehalten, die aktive und kämpferisch treibende Kraft in der Bewegung ab 1906 der sich organisierenden Schweizer Religiösen Sozialisten zu werden: Leonhard Ragaz. Ohne daß wir in unserem Zusammenhang auf biographische Einzelheiten zu Ragaz wie zu Kutter eingehen können und auch nicht auf historische Einzelfakten der mit ihrem Namen verbundenen Bewegung der Religiös-Sozialen in der Schweiz, ist hier der sich immer stärker zeigende Grundgegensatz zwischen den beiden wichtigsten Gestalten, Kutter und Ragaz, zu benennen: Letzterem ging es im Zeichen des Reiches Gottes um Hinwendung zum praktischen Sozialismus (Solidarität mit Streikenden, Parteieintritt usw.), während Kutter, der bezeichnenderweise nicht Parteimitglied wurde, von Anfang an mehr theologisch-grundsätzliche Fragen stellte und diese im Sinne einer radikalen Kirchenreform zu seinem Programm machte. Erwähnt werden muß freilich, daß Ragazens Engagement sehr viel mit Christoph Blumhardt als Vorbild und Leitbild politischer Theologie und Reich-Gottes-Hoffnung zu tun hatte, denn der aus liberalem Lager stammende Ragaz hatte bei Blumhardt eine nicht minder bedeutsame Lebenswende und theologische Wende erlebt: er war schon Ende der neunziger Jahre mit Blumhardtschen Gedanken über eine gemeinsame Bekannte, Bertha Imhoff, in Kontakt gekommen und durch sie ein von Blumhardt stark geprägter Sympathisant seines Reich-Gottes-Denkens und politischen Handeln geworden, und das war eine Tendenz, die voll durchschlug, als er dann 1909 zum ersten und 1911 zum zweiten Mal Blumhardt in Bad Boll besuchte, wobei er in der Gestalt seines Meisters Christoph Blumhardt einmal bei einem sonderbaren visionären Widerfahrnis Jesus persönlich erschaut hat, wie Ragaz bezeugte.Anm.82

Daß seine spezifische Blumhardt-Sicht die authentische war, obwohl er als eine sozusagen 'unzeitige Geburt' ihn erst spät persönlich begegnete, davon war Ragaz durchdrungen, wie er z. B. später in seinem Blumhardt-Buch schrieb: Im Streit um die Auslegung (speziell der quietistischer klingenden Spätaussagen) Blumhardts hätten "nicht solche, die Blumhardt äußerlich näher standen" und "häufiger in Bad Boll waren"Anm.83 von vornherein recht; stattdessen gelte:
"Ich bin zwar selbst nur zweimal je einige Wochen in Boll gewesen. Aber ich habe in diesen Wochen besonders viel erleben dürfen. Ich habe mit Blumhardt Begegnungen der allerintimsten und allerwichtigsten Art gehabt und glaube sagen zu dürfen, daß ich ihm ins Herz sehen konnte wie wenige. Dafür habe ich seine briefliche Bestätigung".Anm.84

Was auf jeden Fall stimmt, ist, daß Ragaz von seiner Sicht des Blumhardtsche Werks sich abhängig darstellte, nicht nur im Blumhardt-Buch, wobei der Grad dieser Abhängigkeit (ähnlich wie bei Eugster und Blumhardt) die Grenzen des 'guten Geschmacks' z. T. weit überschreitet, jedenfalls für den nüchternen Betrachter. Dabei spielte für Ragazens Blumhardt-Bild der Heilsuniversalismus, m.a.W. der zentrale Allversöhnungsgedanke, eine große Rolle; hier wie bei den politischen Aussagen waren es immer die radikalsten und zugespitzesten, anstößigsten, die Ragaz am liebsten weitergab.Anm.85

Aufs kürzeste zusammengefaßt: Ragaz hatte die Konsequenzen des Blumhardtschen Reich-Gottes-Satzes "Ihr Menschen seid Gottes" (vgl. oben den 4. Abschnitt dieser Arbeit) politisch am radikalsten in die Tat umgesetzt, in einer Tendenz die ihn zunächst weit aus der Kirche hinaustreiben sollte.

Jedenfalls war das Auseinanderdriften der beiden Richtungen Ragaz und Kutter ein ergreifendes Drama, wo zwei von ein und demselben aufs innerste Angeregte unterschiedliche Konsequenzen zogen, Konsequenzen, die beide in Blumhardts Wirken sehr wohl ihren Anhalt hatten. Etwas Ähnliches sollte noch ein zweites Mal geschehen: in der Auseinandersetzung des jungen Safenwiler religiös-sozialistischen Pfarrers Karl Barth und seines engen Weggefährten Eduard Thurneysen mit Leonhard Ragaz, dem Hauptakteur der Schweizer Religiösen Sozialisten.

(2.) Zu Barth/Thurneysen und Ragaz:

Inzwischen ist es theologisches Allgemeingut geworden, daß in Barths Safenwiler Zeit (1911 bis 1921) wichtige theologiegeschichtliche Weichenstellungen vorliegen; und allgemein bekannt ist es auch, daß der als Pfarrer und Genosse aktive, religiös-sozialistische Barth in dieser Zeit, zwischen Kutter und Ragaz stehend, dann in den Kriegsjahren einen bemerkenswerten Abschied von beiden vollzog: hin zum ersten und zum zweiten "Römerbrief" (1919 und 1922), also zur berühmten 'Theologie der Krisis' und zur Phase der sog. Dialektischen Theologie Barths. Diese in der Literatur viel verhandelte Sachlage - besonders umstritten in der Frage der Barth-Forscher, wie stark sozialistisch Barth als Theologe blieb -, mag hier, was die historischen Einzelheiten und theologischen Streitfragen angeht, auf sich beruhen. Aber vom Gesamtduktus dieses Vortrags her kann man einen entscheidenden Aspekt der Barthschen Frühzeit besser in den Blick bekommen, in einer Weise, wie es unseres Wissens so pointiert in der Forschung noch nirgends versucht wurde.

Es ist nämlich unsere These, daß Barths Hinwendung zu einer 'Theologie der Krisis' maßgeblich vom späten Blumhardt und dessen 'Theologie der Krisis' inspiriert war und daß dem spektakulären Auseinandergehen von Barth und Ragaz im theologischen Kern auch die Streitfrage zugrundelag: wie ist Blumhardts Spätwerk und sein Gesamtwerk zu verstehen: mehr radikal allversöhnerisch-universalistisch und damit auch radikaler 'politisch' (so Ragaz) oder mehr objektiv-transzendent-jenseitig auf Christus und das Reich Gottes bezogen im Sinne von Blumhardts später Gerichtstheologie (so Barth und Thurneysen).

Das ist in der notwendigen Knappheit hier durch Andeutungen zu zeigen. Karl Barth, durch persönliche Kontakte mit Kutter in die religiös-soziale Bewegung hineingezogen, stand zusammen mit dem engen Freund Thurneysen also allmählich in den Richtungsstreitigkeiten zwischen Kutter und Ragaz, und der Safenwiler Dorfpfarrer wußte sich auch sonst im Laufe der Zeit - genau wie Thurneysen - in seiner Stellung zu dieser Bewegung außerordentlich angefochtenAnm.86, wobei natürlich nicht zuletzt die Ereignisse des ersten Weltkriegs all diese Fragen nach der rechten Orientierung verschärften.

In dieser theologisch-politischen Anfechtungszeit kam es zu einem durch Thurneysen vermittelten Blumhardt-Besuch in Bad Boll vom 10. bis 15. April 1915 der theologisch sehr nachhaltige Spuren bei Barth hinterließAnm.87, nachdem frühere Besuche in Bad Boll während der Tübinger Studentenzeit 1906/1907 weniger eindrücklich geblieben waren.Anm.88 Der Besuch im Frühjahr 1915, bei dem Barth Blumhardt auch einen Gruß von Friedrich Naumann auszurichten hatteAnm.89, war biographisch und theologisch überaus prägend für den jungen Barth: er entdeckte geradezu BlumhardtAnm.90 und gewann durch diese Entdeckung die Dimension in den Blick, die ihm die Klärung er eigenen Lage ermöglichte: die Dimension der Krisis, die Andersartigkeit und weltliche Unverrechnenbarkeit des real als kommend erwarteten Reich Gottes. Welches Blumhardt-Bild für Barth entscheidend wurde, sei hier mit zwei Barth-Zitaten angedeutet:
"Er [sc. der jüngere Blumhardt] geht freundlich, aber unbeteiligt vorbei an den dogmatischen und an den liberalen, an den 'reiligiös-sittlichen' und an uns sozialistischen Theologen. Er widerlegt niemanden, und niemand braucht sich widerlegt zu fühlen, aber er gibt auch niemanden Recht"Anm.91 , und weiter in einer späteren in ähnliche Richtung zielenden Äußerung: "Das Einzigartige, wir sagen mit vollem Bedacht: das Prophetische in Blumhardts Botschaft und Sendung lag darin, wie sich das Eilen und Warten, das Weltliche und Göttliche, das Gegenwärtige und Kommende in seinem Reden und Tun begegnete, vereinigte, ergänzte, immer wieder suchte und fand".Anm.92

Solche Sätze zu Blumhardt, in denen sich ja ein ganz bestimmtes Blumhardt-Verständnis artikuliert, zeigen auf, wie sehr Barth in Blumhardt und dessen später 'Theologie der Krisis' (vgl. oben, 3. Abschnitt dieser Arbeit), besonders seit jener denkwürdigen persönlichen Begegnung im Frühjahr 1915, einen 'Geburtshelfer' hatte für seine eigene berühmte 'Theologie der Krisis', die Theologie-Geschichte gemacht hat. Das darf man freilich nun nicht so sehen, als hätte Barth diesen 'Krisis'-Gesichtspunkt in Bad Boll 'gelernt' und diesen Begriff von da aus in sein eigenes Denken übernommen. Da gab es sicherlich in jenen Kriegs- und Nachkriegsjahren für Barth eine Menge Einflüsse, die es ihm nahelegten, diesen Gesichtspunkt kritisch in die Theologie einzubringen. Wir möchten es eher so sehen, daß die Person Blumhardt für Barth gleichsam ein 'Durchlauferhitzer' war, oder anders gesagt: Christoph Blumhardt leistete nicht mehr, aber auch nicht weniger als 'Hebammendienste' für Barths kritische Radikalisierung der theologischen Fragestellung. Blumhardts Beitrag bestand darin, daß Barth im soz. 'vor-theologischen' Bereich durch den Bad Boller und seine Verkündigung geprägt wurde, seit jener Wendung, die Barth 1915 bei Blumhardt erfuhr.

Barths Wertschätzung der Verkündigung gerade des späten Christoph Blumhardt, so wie sie in den beiden letztgenannten Barth-Zitaten zum Ausdruck kommt, ließe sich entsprechend an vielen Aufsätzen und Äußerungen zu Blumhardt in der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit belegen.Anm.93

Für uns besonders interessant ist jedoch ein anderer Aspekt: Diese Wertschätzung des späten Blumhardt hat zur Zuspitzung des Konflikts mit Leonhard Ragaz und zum schließlichen Bruch maßgeblich beigetragen, und zwar durch die abgelehnte Barth-Rezension von Blumhardts 'Hausandachten'.

Das letzte Buch, das wir von Blumhardt haben, ist ein besonders schlichtes: es handelt sich um einen Band mit Andachten, die im Haus Wieseneck in den Jahren 1913 bis 1916 gehalten wurden; dieser Band wurde unter dem Titel "Hausandachten für alle Tage des Jahres. Nach Losungen und Lehrtexten der Brüdergemeinde"Anm.94 im Jahr 1916 herausgegeben "als ein(en) Gruß für alle, die auf das Reich Gottes warten"Anm.95. In fast aufreizender Schlichtheit, biblischer Klarheit und Frömmigkeit finden sich darin Blumhardts Altersgedanken während der Kriegszeit zusammengefaßt, ein wahrlich sehr harmlos anmutendes Buch, das aber die Bombe des zwischen Ragaz und Barth schwelenden Konflikts zum Platzen bringen sollte.

Barth hatte an die "Neuen Wege", das ist Ragazens 1906 gegründete Zeitschrift der religiös-sozialistischen Bewegung, eine sehr positiv ausgefallene Rezension dieses Buchs geschickt, in der als Kernthese sich Barth an Blumhardt anschloß: es käme für die Jetztzeit mehr auf stilles 'Warten' als auf aktivistisches 'Eilen' an - für die gesamte religiös-sozialistische Bewegung: da sei "unsere Hoffnung gegenwärtig besser gedient mit Hausandachten...als mit Abhandlungen"Anm.96. Ragaz aber - damals geradezu allergisch gegen alles, was für ihn nach von ihm aus gesehen Quietismus Kutterscher Art roch - lehnte als Schriftleiter diese Rezension - freilich sehr vornehm - ab. Die interessanten Briefe von Ragaz an Barth in dieser SacheAnm.97 lassen sich so zusammenfassen: Barth hätte zwar tiefe Einsichten in Blumhardts Denken genommen und "das Gold in dem schlichten Gefäß des Andachtsbuchs meisterhaft herausgeholt"Anm.98, aber eine Veröffentlichung wäre für die Bewegung nicht opportun, zumal dies das erste Erwähnen des Namens Blumhardt in dieser Zeitschrift wäre, so daß Blumhardts Anliegen von vornherein falsch und verkürzt da eingeführt würde: da würde dann falschem "Bollertum"Anm.99 in entpolitisierender Weise der Rücken gestärkt. Ragaz sah die weitere Entwicklung der religiös-sozialen Konferenzen durch derartige Tendenzen gefährdet, wobei zu bedenken ist, daß Barth seit 1916 Mit-Präsident dieser Konferenzen war.Anm.100

Barth wiederum faßte diese Ablehnung - wie etwa seine Briefe an Thurneysen in jenem Sommer 1916 zeigenAnm.101 - als gravierende theologische Provokation auf. Und hierher gehört Barths von Mattmüller überlieferte Aussage: "Ragaz und ich brausten wie zwei Schnellzüge aneinander vorbei: Er aus der Kirche heraus, ich in die Kirche hinein".Anm.102

Erwähnenswert ist hier zu Barths Seite, daß Barth kurz nach seinem Blumhardt-Besuch sich 1915 sehr ausgiebig an die Lektüre von Friedrich Zündels berühmter Biographie des älteren BlumhardtAnm.103 machte und daß Barth nach diesen Blumhardt-Eindrücken der Jahre 1915/1916 dann rasch auf die erste Arbeit an der Römerbriefauslegung geführt wurde, die dann in 1. Auflage ja 1919 veröffentlicht wurde, wohingegen auf Seiten von Ragaz dessen Blumhardt-Buch von 1922Anm.104 bereits in einer Lebensphase erschien, in der Ragaz der akademischen Theologie zugunsten der praktisch-sozialistischen Arbeiterbidungstätigkeit den Abschied gegeben hatte. Das vier Jahre später erschienene Blumhardt-Buch von Eduard Thurneysen hingegen zeichnete - weit abweichend von der Ragazschen Art - den jüngeren Blumhardt ganz und gar als Vorläufer der dialektischen TheologieAnm.105, in der Perspektive, die dem Freundespaar Barth und Thurneysen gemeinsam war.

Daß bei Barth der Satz des Blumhardts "Jesus ist Sieger!" schließlich als umfangreiches Kapitel in der 'regulären' Dogmatik auftauchen sollteAnm.106, zeigt wie sehr diese beiden 'unregelmäßigen Verben' die reguläre Dogmatik angeregt haben.

Und ob und in wieweit die sehr auffällige Favorisierung des Allversöhnungsmotivs in Barths späterer TheologieAnm.107 auch eine indirekte Frucht der Blumhardts ist - ähnlich wie die 'Theologie der Krisis', mit der alles anfing, das sei hier dahingestellt.

Faktum jedenfalls ist, was wie ausgedacht klingt: Es kam - so schreibt Mattmüller - "noch im letzten Lebensjahr Ragaz' zu einer neuen Annäherung der beiden Antipoden: Nachdem Barth die Ragaz besonders liebe Lehre von der Apokatastasis pantoon im III. Band der Dogmatik dargestellt hatte, freute sich Ragaz über die Annäherung der Standpunkte, wenngleich er in den ethischen immer noch eine Differenz empfand".Anm.108

 

6.

"...ewig ausgemacht..." - Einige resümierende Bemerkungen zur 

Größe und zur Grenze des Blumhardtschen Heilsuniversalismus

 

Für den Landtagswahlkampf zur Jahrhundertwende hatten die württembergischen Sozialdemokraten mit dem Slogan geworben, ihr Kandidat, Pfarrer Blumhardt, wäre bebel- und auch bibelfest. Unsere Erörterungen haben angedeutet, daß die Notwendigkeit, fest bei der Bibel zu bleiben, von Blumhardt, dem 'biblischen Realisten', besonders an einer Stelle recht locker gesehen wurde: wenn es um die ihm überaus wichtige Reich-Gottes-Eschatologie und da besondere eigene charismatisch-prophetische Einsichten die Bibel in gewissen Teilen und Tendenzen stark in den Hintergrund; sie wurde 'zensiert' und einer auffälligen Sachkritik unterzogen. Was Blumhardts 'Bebelfestigkeit' angeht, lagen die Dinge nicht viel anders.

Ganz ähnliche Kriterien lagen seinen Urteilen hier zugrunde. Fundamentalistische 'Linientreue' waren auch hier im Blick auf die Partei nicht Blumhardts Sache. Sozialistisch-theoretische Dogmatik, für sich genommen, und alle Parteidoktrin interessierte ihn je länger, je weniger. Auch im Blick auf August Bebel war das entsprechend: Bebel, dessen Werk "Die Frau und der Sozialismus" zumindest Blumhardt gelesen hatteAnm.109, war ihm nur insoweit interessant, als sich Bebels Person und Werk in Blumhardts Reich-Gottes-Denken und die daraus resultierende Praxis  einfügen ließen. Der Kanon war dabei für Blumhardt stets: 'was Christum treibet', und dieser Kanon lautete nach Blumhardts Grundeinsicht genauer: 'was die Reich-Gottes-Entwicklung hin zu Allversöhnung fördert', und das was ihm die Entwicklung und der Fortschritt auf das 'Allumfassende des Sozialismus in Christus' hin.

Es kam - beiläufig erwähnt - zu bemerkenswerten Kontakten und Berührungspunkten zwischen diesen beiden ungleichen Genossen, z. B. auch zu dem sonderbaren Zufall, daß beide, Bebel und Blumhardt, im gleichen Lokal, der Baseler Burgvogtei, je eine sehr denkwürdige sozialistische Rede hielten.Anm.110 Und in direkten Kontakt trat Blumhardt mit Bebel nicht nur bei offiziellen Anlässen wie den Parteitagen, sondern es gab auch Begegnungen privaterer Natur, etwa bei Blumhardt in Bad Boll, wo übrigens ganz sicher Clara Zetkin und evtl. sogar auch Rosa Luxemburg zu Gast waren.Anm.111 Über Bebel weiß man, daß dieser der Persönlichkeit des Christoph Blumhardt immer mit Sympathien und einem scheuen Respekt entgegentrat, und diese Sympathie spiegelte sich bereits in einer Karte vom März 1900 wieder, in der Bebel Blumhardt seine Solidarität versicherte und bemerkte, er hätte "mit Vergnügen gesehen wie Sie im Schwabenland mit den Gegnern sich herumschlagen".Anm.112

Aber wo immer Bebels sozialistische Parteiideologie Blumhardt 'zu kirchlich' wurde - und das hieß nicht zuletzt: in trennender Weise militant und 'verdammerisch' - da ging Blumhardt stets auf deutliche Distanz zum Parteisozialismus. In unserm Zusammenhang besonders eindrücklich ist eine Blumhardt-Äußerung aus dem Jahr 1905:
"Das Wort Bebels: 'Ich hasse die bürgerlichen Parteien', machte mich stutzig, so hoch ich Bebel schätze. Der Haß ist mit der Kirche gekommen, die hat die Menschen hassen gelehrt und verdammen. Früher hat man sich bekriegt ..., aber man hat einander nicht verdammt, d. h. für die Ewigkeit getötet".Anm.113

Dieser irenisch-allversöhnerische Grundzug war für Blumhardt charakteristisch. In ihm lag beides in einem: seine Größe und - dicht daneben - seine Grenze, in politischer und in theologischer Hinsicht. Seine Größe war es unumstritten, daß er die überwindende Macht der universalen Liebe Gottes neu auf den Leuchter stellte auf eine sehr eindrückliche Weise: so daß der Kirche ein Licht aufgehen konnte und kann. Blumhardts große Einsicht war es, daß Reich-Gottes-Hoffnung eine entgrenzende Macht ist, die es nicht zuläßt, daß in frommem Heilsegoismus Glaube Privatsache und Beschäftigung mit dem eignen Innenleben und mit dem Innenleben der Kirche bleiben kann. Diesbezüglich war seine Verkündigung dazu angetan, der Kirche sehr kritisch 'heimzuleuchten': Reich-Gottes-Hoffnung bezieht - so Blumhardt - die Glaubenden auf Gottes Verheißung und damit auf die ganze Welt, bis in die politischen Fragen hinein. Blumhardt Grenze war es, daß er - genau wie seine württembergisch-pietistischen Väter - ganz zentral den Gedanken der Harmonie und der Entwicklung hin zum Guten prägend in die Mitte seiner Reich-Gottes-Verkündigung stellte und von daher alles Abgründige, nicht Verrechenbare und schlechthin Krisenhafte entweder nicht wahrnahm oder es aber gleichsam konstruktiv 'einbaute' in seine harmonistische Reich-Gottes-Konzeption: die Tiefe von Brüchen und Abgründen - kirchlich wie politisch - waren für Blumhardt, den durch und durch nach Schwabenart von Harmoniesucht Geprägten, letztlich nicht wahrnehmbar und dazu gehören auch wesentliche Aspekte, die ein Paulus und ein Martin Luther als Kreuzestheologen für Theologie und Kirche als weltlich betont hatten. Bei Blumhardt hingegen stand weder Kreuz noch Rechtfertigung des Sünders im Vordergrund, sondern ganz und gar das von Christus ermöglichte Reich Gottes als Zielpunkt von allem. Darauf mußte es hinaus für ihn. Und man darf wohl sagen, daß im Zwang dieses von ihm erschauten 'Müssens' ein drängerischer und geradezu heilsdeterministischer Zug seine Verkündigung prägte und auch z. T. tiefgreifend gefährdete. Der Preis war, daß in Blumhardts dauerndem prophetischen Protest gegen alles Höllenmäßige - er sah letztlich die dualistische Höllenmetaphysik als Grund allen Übels an - der gute Gebrauch des paulinisch-lutherischen Dualitätsdenkens nicht mehr wahrgenommen werden konnte: der gute Gebrauch des Redens von Gottes Rechtfertigung und der abgrundtiefen Sündhaftigkeit des Menschen und der Welt, der gute Gebrauch auch des Redens von Gottes Richten im Endgericht, das für Christen der letzte Ausdruck von Gottes schlechthinniger Unverrechenbarkeit sein sollte und auch der Unantastbarkeit des eschatologischen Geheimnisses, das durch eine Lehre vom doppelten Ausgang ebenso zerstört wird wie durch ihre ungleiche Zwillingsschwester, die Allversöhnungslehre.

Daß es schließlich zur Allversöhnung kommt, war im Zug der Blumhardtschen Verkündigung "ewig ausgemacht", und im Bilde gesprochen, sang Blumhardt das universalistische Möttlinger Siegeslied seines Vaters weiter unter machtvoller Betonung der beiden Worte "ewig ausgemacht". Blumhardt sang dieses Lied weiter, so sahen wir, auch als "politisches Lied", wobei - um im schon gebrauchten Bild zu bleiben - sich der Grundton dieses Liedes teilweise mit der Melodie der "Internationale" vermischte. Seine Genossen in der Partei freilich konnte Blumhardt kaum zum Mitsingen seines Liedes ermuntern; das tat er dann aber nachhaltig bei Christen und Theologen wie Kutter, Ragaz, Barth und anderen.

Wobei dann aber die Eigentümlichkeit zu beobachten ist, daß es schon 1919 drei neue Weiterinterpretationen des alten Möttlinger Siegesliedes gab: Ragaz sang das Lied von Jesus, dem Siegeshelden, das seit Möttlingen erklungen war, weiter in der Art, wie man in Lateinamerika das berühmte 'Venceremos' singt, andere vom jüngeren Blumhardt angeregte sangen und singen dieses Blumhardt-Lied weiter und hören darin nichts anderes als einen typisch pietistischen Weckruf an die schlafende Kirche, während die dritte Art dieses Lied zu singen, sich ganz unpietistisch und antipietistisch gibt und gab: die Weise, die Karl Barth angestimmt hat zusammen mit Eduard Thurneysen, wo gleichsam die Melodie von allem religiösen Kitsch befreit wurde, der Text aber bestehen blieb im Barthschen Sprechgesang der kirchlichen Dogmatik, in welcher der 'Triumph der Gnade' gepriesen wurde. Alle drei Weiterinterpretationen des Liedes haben dann oft auch die beiden Worte "ewig ausgemacht" eigentümlich betont, wie wir sahen.

Dies Lied, wie Christoph Blumhardt es sang, bringt in der Tat eine Seite des Neuen Testaments machtvoll zum Klingen. Darin lag die große Leistung Blumhardts, während seine Grenze darin lag, daß er vor lauter Siegesgesang die leiseren und auch dunkleren Töne, wie sie bei Paulus und Luther angestimmt worden waren, doch deutlich überhörte und überdröhnte.

Ein schöner Aufsatz von Ernst Schaeder pries in diesem Sinne bereits 1923/24 die Größe von Blumhardts Lebenswerk, ohne die Grenzen zu übersehen, wo bei allem Blumhardt-Lob auch ein Satz wie dieser zu finden ist: Christoph Blumhardt "als der Vertreter der ihm eigentümlichen... weltoffenen Reichgottesidee... kannte ... weder den Geist des Sozialismus, der auch ihn nicht verstand, wie er auf der anderen Seite auch den Geist nicht würdigte, der in der Kirche trotz aller ihrer offenbaren Mängel und Verfehlungen lebengebend wirkt".Anm.114

An diesem von Schaeder gesehenen doppelten Unverständnis des jüngeren Blumhardt ist sicherlich eine Menge dran; aber auch Schaeders Schlußsätze zu Blumhardt können wir hier an den Schluß setzen:
"Doch wer wollte leugnen, daß solche Männer, wenn man sie in den Grenzen auffaßt, in denen sie stehen, für Kirche und Christenheit nötig sind? Von ihnen kommt der starke, beunruhigende Impuls. Andere müssen diesen Antrieb, soweit er das nötig hat, nach der Analogie des Glaubens korrigieren und mit dem Gottesfrieden, den der Glaube einschließt, verbinden".Anm.115
 

ANMERKUNGEN

1) Bei dieser Arbeit handelt es sich um einen öffentlichen Vortrag, gehalten am 9. Oktober 1988 bei der Jahrestagung des Vereins für württembergische Kirchengeschichte (Gesamtthema: Kirche und soziale Frage im 19. Jahrhundert) im Oetinger-Gemeindehaus Göppingen. Der Vortragsstil wurde beibehalten; lediglich die Anmerkungen sind ergänzt.

2) Gotthold Müller, Sozialistische Motive in der württembergischen evangelischen Kirchengeschichte, in: Kirche und Sozialismus, hg. von Helmuth Flamme, (= Göttinger Taschenbücher 1029), Göttingen (1981), S. 28 - 52 (zu Oetinger und Christoph Blumhardt vgl. a.a.O., S. 48 - 52, zu Oetinger ferner a.a.O., S. 41 -44).

3) Friedhelm Groth, Die "Wiederbringung aller Dinge" im württembergischen Pietismus. Theologiegeschichtliche Studien zum eschatologischen Heilsuniversalismus württembergischer Pietisten des 18. Jahrhunderts, (= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 21), Göttingen (1984).

4) Sozialdemokratie und Protestantismus. Christen in der Tradition der Arbeiterbewegung - Christen in der SPD (1830 - 1979), hg. vom Referat Kirchenfragen (evangelischer Bereich) SPD-Parteivorstand, Bonn 1979.

5) Folgende Blumhardt-Werke werden in dieser Arbeit zitiert: Christoph Blumhardt, Eine Auswahl aus seinen Predigten, Andachten und Schriften, hg. von Robert Lejeune. Bd. 1: Jesus ist Sieger! Predigten und Andachten aus den Jahren 1880 - 1896, Zürich /Leipzig (1937); Bd. 2: Sterbet, so wird Jesus leben! Predigten und Andachten aus den Jahren 1888 - 1896, Zürich/Leipzig 1925; Bd. 3: Ihr Menschen seid Gottes! Predigten und Andachten aus den Jahren 1896 - 1900, Zürich/Leipzig 1928; Bd. 4: Gottes Reich kommt! Predigten und Andachten aus den Jahren 1907 - 1917, Zürich/Leipzig 1932 (zitiert als: Auswahl I - IV). Christoph Blumhardt, Ansprachen, Predigten, Reden, Briefe 1865 - 1917. Neue aus dem Nachlaß, hg. von Johannes Harder, Neukirchen-Vluyn (1978). Bd. 1: Von der Kirche zum Reich Gottes. 1865 - 1889; Bd. 2: Seid Auferstandene! 1890 - 1906; Bd. 3: Geliebte Welt. 1907 - 1917 (zitiert als: Neue Texte I - III). Weitere hier verwendete Blumhardt-Texte werden in den folgenden Anmerkungen angegeben.

6) Auswahl IV, S. 396.

7) Johannes Harder im Vorwort von: Neue Texte I, S. 18.

8) "Missionslied", zitiert nach: Johann Christoph Blumhardt, Ausgewählte Schriften in drei Bänden, hg. von Otto Bruder, Bd. 3: Seelsorge, Zürich 1949, unpaginierter Liedteil am Schluß, viertletztes Lied.

9) Vgl. dazu: Johann Christoph Blumhardt, Gesammelte Werke. Schriften, Verkündigung, Briefe, Reihe I, Schriften (hg. von Gerhard Schäfer), Bd. 1: Der Kampf in Möttlingen. Texte. Unter Mitarbeiter von Paul Ernst, hg. von Gerhard Schäfer, Göttingen (1979), S. 76 und S. 96.

10) Im Bd. 3 der Bruder-Auswahl (vgl. oben A. 5) das letzte Lied im unpaginierten Liedteil.

11) Vgl. Friedhelm Groth, Chiliasmus und Apokatastasishoffnung in der Reich-Gottes-Verkündigung der beiden Blumhardts, in: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus, Bd. 9 (1983), Göttingen (1984), S. 56 - 116, dort bes. S. 82 - 96.

12) Friedrich Zündel, Pfarrer Johann Christoph Blumhardt. Ein Lebensbild, 3. Auflage, Zürich, S. 537.

13) Friedrich Zündel, a.a.O. (A. 12), S. 536.

14) Gerhard Sauter, Die Theologie des Reiches Gottes beim älteren und jüngeren Blumhardt,
(= Studien zur Dogmengeschichte und systematischen Theologie 14), Zürich/Stuttgart 1962, S. 88.

15) Gerhard Sauter, a.a.O. (A. 14), S. 262 A. 60.

16) Helmut Gollwitzer, den ich mit diesem Aufsatz auch zur Vollendung des 80. Lebensjahres am 29. Dezember 1988 grüßte, hat - wie aus seinem Gesamtwerk an vielen Stellen durchscheint - dem jüngeren Blumhardt eine erhebliche Bedeutung für sein eigenes Denken zugemessen, vgl. zuletzt: Helmut Gollwitzer, Christoph Blumhardt - neu sichtbar, in: EvTh 41 (1981), S. 259 - 275. Damit zusammenhängend (und darüber hinaus!) hat Gollwitzer dem Motiv der Apokatastasis - und der Kritik am lutherischen Gerichtsdenken - einen hohen Stellenwert eingeräumt. Vgl. dazu etwa: Helmut Gollwitzer, Krummes Holz - aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, (München 1971), S. 271 - 296: "Gute Botschaft für Judas Ischarioth"; ferner: derselbe, Vom Glauben und Unglauben bei Martin Luther, in: EvTh 44 (1984), S. 360 - 379. - Am Anfang meiner Untersuchungen hatte Gollwitzer mir in Fülle von ihm gesammeltes Material über die Geschichte des Apokatastasisgedankens selbstlos zur Auswertung zur Verfügung gestellt, darunter auch Referate und Arbeiten aus Hauptseminaren, die er in Berlin durchgeführt hatte. Ferner hat er mir brieflich und im Gespräch vielfältige Denkanstöße gegeben.

17) Carl Schmid, Die Frage von der Wiederbringung aller Dinge, in: Jahrbücher für Deutsche Theologie 15 (1870), (S. 102 - 143) S. 103 (zum Wort Schiboleth vgl. Richter 12, 6).

18) Eugen Jäckh, Blumhardt Vater und Sohn und ihre Botschaft, Berlin 1925, S. 264; vgl. a.a.O., S.264: "... er war sich in diesem Punkt seiner göttlichen Berufung bewußt; es klang durch seine Verkündigung ein festes 'Ich aber sage euch', das er allen christlichen Verdammungslehren entgegensetzte", denn er wollte "nicht zu den andern gehören, welche die Leute in die Hölle schicken" (a.a.O., S. 264).

19) Vgl. dazu etwa Friedhelm Groth, a.a.O. (A.11), S. 112 - 114.

20) Auswahl I, S. 411.

21) Auswahl I, S. 413.

22) Auswahl I, S. 416 f.

23) Zu Bengel in Christoph Blumhardts Sicht vgl. etwa auch Auswahl I, S. 353f.

24) Neue Texte I, S. 150 f.

25) Neue Texte I, S. 154.

26) Neue Texte I, S. 178.

27) Vgl. Neue Texte I, S. 179 f.

28) Zur Dissonanz zwischen von Bodelschwingh und Blumhardt vgl. Neue Texte II, S. 44 - 46 und S. 78f.; Neue Texte III, S. 64 f.

29) Auswahl II, S. 79.

30) Auswahl II, S. 515.

31) Gerhard Sauter, a.a.O. (A. 14), S. 189.

32) Vgl. etwa Neue Texte II, S. 203 f. (November 1899): "Man sieht mich an wie einen Gottlosen, weil ich zu den Proletariern sage: zu euch gehört Jesus. Er gehört mitten in eure Hölle hinein; die Welt darf nicht ewig herrschen ... Seid Freie! ... Ihr gehört Christus, und Christus ist Gottes." Gerade die ewig Unterdrückten haben Anspruch auf die Botschaft, daß der Vater "nicht will, daß du ewig unterdrückt wirst" (Neue Texte II, S. 281).

33) Vgl. Robert Lejeune in: Auswahl III, S. 453 (Nachwort).

34) Auswahl III, S. 10 f.

35) Auswahl II, S. 56, vgl. Eugen Jäckh, a.a.O. (A. 18), S. 112.

36) Christoph Blumhardt, Vom Reich Gottes. Aus Predigten und Andachten, Berlin 1923, S. 22 f.

37) Klaus-Jürgen Meier, Christoph Blumhardt. Christ - Sozialist - Theologe, (= Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie 40), Bern/Frankfurt/Las Vegas (1979).

38) Vgl. Eduard Buess/Markus Mattmüller, Prophetischer Sozialismus. Blumhardt - Ragaz - Barth, Mit einem Nachwort von Gerhard Sauter, Freiburg/Schweiz 1986.

39) 'Heruntergespielt' wird Blumhardts sozialistisches Engagement etwa von Anna von Sprewitz, (Auf ewigem Wege. Eigenhändiger Lebenslauf der Schwester Anna von Sprewitz, Gnadau 1923, S. 26 f.), und von Eugen Jäckh, a.a.O. (A. 18), gegen dessen Darstellung Gerhard Sauter zu Recht sagt: "Blumhardt selbst hat ... seinen Schritt [sc. in die Sozialdemokratie}] nicht als unbequeme, ... durch äussere Umstände erzwungene Notlösung angesehen" und nicht als "Opfer", "sondern ihn voll bejaht und nie zurückgezogen" (a.a.O. - A. 14 - S. 138). Vgl. die in ähnliche Richtung gehende Kritik Sauters an Jäckhs Darstellung der Blumhardtschen Spätzeit: a.a.O., S. 125, wo Jäckhs Sicht als "Wunschbild des Biographen" kritisiert wird.

40) Den Text Christoph Blumhardts: "Antwortschreiben an seine Freunde" zitieren wir nach: Religiöse Sozialisten, hg. und eingeleitet von Arnold Pfeiffer, (= Dokumente der Weltrevolution 6), S. 97 - 105; Zitat: S. 97.

41) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 40), S. 100.

42) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 40), S. 104.

43) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 40), S. 105.

44) Politik aus der Nachfolge. Der Briefwechsel zwischen Howard Eugster-Züst und Christoph Blumhardt 1886 - 1919, Theologische Einführung von Arthur Rich, hg. von Louis Specker, Zürich (1984).

45) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 44), S. 68 f.

46) Howard Eugster, a.a.O. (A. 44), S. 69.

47) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 44), S. 137.

48) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 44), S. 137.

49) Howard Eugster, a.a.O. (A. 44), S. 94.

50) Christoph Blumhardt, Christus in der Welt. Briefe an Richard Wilhelm, hg. von Arthur Rich, Zürich (1958), S. 34.

51) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 50), S. 34.

52) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 50), S. 68.

53) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 50), S. 68.

54) Vgl. dazu den Abschnitt über Richard Wilhelm in: Werner Jäckh, Blumhardt Vater und Sohn und ihre Welt, Stuttgart (1977), S. 140 - 144, bes. S. 143.

55) Helmut Gollwitzer, Christoph Blumhardt - neu sichtbar, in: EvTh 41 (1981), S. 274.

56) Christoph Blumhardt an Howard Eugster, a.a.O. (A. 44), S. 240.

57) Vgl. etwa Neue Texte II, S. 227 und S. 288; dazu vgl. auch Klaus-Jürgen Meier, a.a.O. (A. 37),
S. 100 f., S. 130 und S. 134.

58) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 44), S. 242.

59) Howard Eugster, a.a.O. (A. 44), S. 260.

60) Im Nachruf des Kreisvorstandes der sozialdemokratischen Partei Württembergs, abgedruckt in: Neue Texte III, S. 216.

61) Dieses Leitwort der Spätphase setzte Robert Lejeune über: Auswahl IV.

62) Vgl. oben in dieser Arbeit das zu Gericht und theologia crucis in den Jahren 1888 bis 1896 Gesagte.

63) Zu Blumhardts Kritik an gewissen Stellen bei Paulus und im übrigen Neuen Testament vgl. etwa: Neue Texte II, S. 73 f., S. 167f., S. 170, S. 240, S. 246f., S. 249, S. 314, S. 330; Neue Texte III, S. 37; vgl. zur mangelnden eschatologischen Ausrichtung der ersten Christen z. B. Neue Texte III, S. 199. Vgl. auch Neue Texte II, S. 302: Paulus sei dogmatisch mit Vorsicht zu genießen und schon den Aposteln habe man übel zu nehmen, daß sie zu sehr am Alten kleben und zu "wenig vom Reich Gottes sprechen".

64) Neue Texte III, S. 37 (Hervorhebungen von uns); vgl. auch Neue Texte III, S. 112: "Ich kann es nicht erklären, wie das 'Er kommt wieder' in der Bibel gemeint ist. Meine Verbundenheit mit Gott hat mich ohne Bibel auf dasselbe hingeführt: Ich und er, die Menschenkinder und er, die Völker und er. Es vollzieht sich von Gott aus in Menschen persönlich" (Silvesterabend 1911).

65) Auswahl IV, S. 173; in der gleichen Predigt (S. 171 f.) setzt sich Blumhardt auch mit dem schwärmerischen Chiliasmus in der Kirchengeschichte kritisch auseinander.

66) Neue Texte II, S. 255 (Hervorhebung von Blumhardt).

67) Anna von Sprewitz, a.a.O. (A. 39), S. 28.

68) Leonhard Ragaz, Der Kampf um das Reich Gottes in Blumhardt, Vater und Sohn - und weiter!, 2. Auflage, München/Leipzig 1925. Die erste Auflage erschien 1922.

69) Siehe oben A. 38.

70) Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 38), S. 11.

71) Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 38), S. 11. Vgl. im Vorwort dieses dem "Arbeitskreis der Sozialistischen Kirchengenossen in Basel" gewidmeten Buchs, a.a.O., 9: Buess und Mattmüller "sind der Ueberzeugung, dass in der Totalkrise unserer Zeit gewisse, auch tiefgehende Differenzen ihr Gewicht verlieren. Es scheint ihnen [sc. den Verfassern] an der Zeit, Blumhardt, Ragaz und Barth auf die jedem eigentümliche Ausprägung des sie verbindenden 'prophetischen' Auftrags hin zu befragen. Das ist, soweit ihnen bekannt ist, bisher noch nie geschehen."

72) Hermann Kutter, Sie müssen! Ein offenes Wort an die christliche Gesellschaft, Jena 1910 (8. Tausend; die Erstauflage erschien 1903/1904 in Zürich).

73) Vgl. die Kutter-Biographie, die Kutters Sohn schrieb: Hermann Kutter jun., Hermann Kutters Lebenswerk, Zürich (1965).

74) Vgl. Klaus-Jürgen Meier, a.a.O. (A. 37), S. 152, A. 1.

75) Vgl. dazu (neben den Angaben in der nächsten Anmerkung): Hermann Kutter jun., a.a.O. (A.73), S. 16 - 18; die entscheidende Wende, die er bei Blumhardt erlebte, hat Kutter sen. in die Worte gefaßt: "Bisher wurde ich gelehrt und habe ich gelehrt, Christus ist für mich gestorben. Nun weiss ich, dass es heissen soll: Christus ist für mich gestorben" (zitiert a.a.O., S. 16).

76) Hermann Kutter in seinen Briefen 1883 - 1931, hg. von Max Geiger und Andreas Lindt unter Mitarbeit von Uli Hasler und Frieder Furler, (München 1983). Vgl. dort im Register, (a.a.O., S. 680) die Briefstellen, die sich auf Christoph Blumhardt beziehen, besonders die Liebesbriefe an die Braut Lydia Rohner, im Jahr 1891 aus Bad Boll geschrieben (Nr. 19 - 26, a.a.O., S. 76 - 93) oder die Briefe an dieselbe aus Bad Boll im Jahr 1896 (Nr. 66 - 70, a.a.O., S. 154 - 161). Bezeichnend für Kutter ist die Äußerung (vom 24. September 1891): "Ich weiß, daß mir gerade Blumhardt nötig war zur Entwicklung meines Innenlebens. Von Anfang an stand ich ihm nichts weniger als sklavisch gegenüber und scheute mich vor nichts mehr, als vor einem toten Abklatsch seines Wesens. Ich sträubte mich dagegen, blindlings seiner Autorität mich zu beugen - aber eben deswegen, weil ich ihm frei gegenüberstand, konnte ich seinen Einfluß voll und ganz auf mich wirken lassen... Nicht jener Einfluß, der andere zu Sklaven und Nachbetern macht, ist der gesegnete, sondern jener, der andern zur eigenen Freiheit verhilft. Und eben das ist das echt Göttliche an Blumhardt, daß er frei macht" (a.a.O., S. 79). Dabei zeigen die o.g. Briefe aus den Jahren 1896 z.B., daß sich bei Kutter der Widerwille gegen die 'Blumhardt-Nachbeter', zu denen er ein wenig auch Eugster rechnete, steigerte.

77) Howard Eugster, a.a.O. (A. 44), S. 168 (Brief vom 1. Juli 1904).

78) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 44), S. 173 (Brief vom 7. Juli 1904).

79) Hermann Kutter, a.a.O. (A. 72), S. 202 (Hervorhebungen von Kutter).

80) Hermann Kutter, a.a.O. (A. 72), S. 203 f. (Hervorhebungen von Kutter).

81) Gotthold Müller, Hoffnung für die ganze Welt. Gottesglaube und Heilsuniversalismus in der Theologie Hermann Kutters (1863 - 1931), in: Gottesreich und Menschenreich. Ernst Staehelin zum 80. Geburtstag, Basel/Stuttgart (1969), S. 553 - 567.

82) Zum Einfluß den Blumhardt (indirekt) durch Bertha Imhoff schon vor Ragaz' Besuchen in Bad Boll auf Ragaz hatte und zur Bedeutung, die Christoph Blumhardt persönlich 1909 und 1911 für Ragaz bekam, vgl. Markus Mattmüller, Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus. Eine Biographie, Bd. 1, Zollikon (1957), S. 176 f. (dort auch das Ereignis, daß er in der Person Blumhardts visionär Jesus selbst erschaute) und Bd. 2, Zürich (1968), S. 218 - 227 (dort weitere Literatur).

83) Leonhard Ragaz, a.a.O. (A. 68), S. 329 (im Nachwort der 2. Auflage).

84) Leonhard Ragaz, a.a.O. (A. 68), S. 329 (im Nachwort der 2. Auflage); er nennt a.a.O., S. 330 - 332 v.a. Bertha Imhoff und auch (!) Anna von Sprewitz als Blumhardt-Vertraute, die seine 'radikalere' Sicht des Blumhardtschen Lebens und Wirkens legitimierend stützen.

85) "Gerade in jenem Allerkühnsten und Allerrevolutionärsten kommt der echte Blumhardt zum Ausdruck", schreibt Leonhard Ragaz a.a.O. (A. 68), S. 16. Und folgende Stellen zeigen z.B. Ragaz' Wertschätzung der Blumhardtschen Allversöhnungsbotschaft: a.a.O. S. 24, S. 48, S. 68 - 72, S. 76 f., S. 100, S. 161 u.ö. Vgl. a.a.O., S. 298: "Wir dürfen über dem milden, friedvollen, zurückhaltenden Greis nicht den stürmischen, leidenschaftlichen, brausenden, revolutionären und radikalen Mann vergessen." Zur Wertschätzung der Apokatastasis bei Ragaz vgl. etwa auch Gotthold Müller, a.a.O. (A. 82), S. 556 A. 8, Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 83), Bd. 2, S. 256. Ferner Hans Ulrich Jäger, Ethik und Eschatologie bei Leonhard Ragaz. Versuch einer Darstellung der Grundstrukturen und inneren Systematik von Leonhard Ragaz' theologischem Denken unter besonderer Berücksichtigung seiner Vorlesungsmanuskripte, (= Veröffentlichungen des Instituts für Sozialethik an der Universität Zürich 5), Zürich (1971), S. 157 - 164, bes. S. 163.

86) Vgl. zu Barths und Thurneysens damaliger Stellung zwischen Kutter und Ragaz den Briefwechsel der Freunde aus den Jahren 1914 und 1915: Karl Barth - Eduard Thurneysen, Briefwechsel, Bd. 1, 1913 - 1921, bearbeitet und hg. von Eduard Thurneysen (= Karl Barth - Gesamtausgabe V. Briefe), Zürich (1973), bes. S. 12f., S. 16, S. 17f., S. 23f., S. 28, S. 29f., S. 30, S. 35, S. 47f., S. 78f. A.a.O., S. 78f. wird (am 8. September 1915) der Gegensatz (und die Konsequenz der Freunde daraus!) so beschrieben von Barth:

"Ragaz

Kutter

Erlebnis der sozialen Nöte und Probleme

Erlebnis Gottes

Ethische Forderung

Das Gottesreich als Verheißung 

Glaube an die Entwicklung

Einsicht in die Unfreiheit des Menschen ohne Gott

Optimistische Einschätzung der Sozialdemokratie

Die Sozialdemokratie kann uns nie verstehen!!

Opposition gegen die Kirche

Reiligiöse Aufgabe in der Kirche in Fortsetzung der pietistischen Tradition!

Religiössoziale Partei mit 'Neuen Wegen' und Arbeit

Konferenzen und Freundeskreise zur innern Vertiefung

... Schluß: Die religiössoziale 'Sache' ist aus, das Ernstmachen mit Gott fängt an", wobei Barth kommentiert, daß er "in den Betonungen überall auf die Seite Kutters gedrängt worden sei, ... aber die Positionen von Ragaz in keinem Hauptpunkt als auszuschließende betrachten" könne (a.a.O., S. 79).

87) Vgl. dazu das Kapitel "Die Begegnung mit Christoph Blumhardt", in: Eberhard Busch, Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, (München) 1975, S. 96 - 109. Dieses oft etwas als populärwissenschaftlich herabgestufte Buch hat die Stärke, daß die Bedeutung der Barthschen 'Bekehrung' bei Christoph Blumhardt sachgerecht betont wird.

88) Vgl. Gerhard Sauter im Nachwort von: Eduard Buess / Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 38),
S. 223.

89) Vgl. Eberhard Busch, a.a.O. (A. 87), S. 97.

90) Eberhard Busch spricht vor "der Entdeckung Blumhardts" bei Barth, a.a.O., (A. 87), S. 98; vgl. a.a.O. S. 99: "Die Frage nach einem zentralen Zur-Geltung-Kommen Gottes wurde für Barth immer grundlegender. Sie war für ihn dabei - infolge der Bekanntschaft mit Blumhardt - aufs engste verknüpft mit der eschatologischen Frage der christlichen Hoffnung."

91) Karl Barth, zitiert nach: Eberhard Busch, a.a.O. (A. 87), S. 97.

92) Karl Barth, Vergangenheit und Zukunft. Friedrich Naumann und Christoph Blumhardt, in: Anfänge der dialektischen Theologie, Teil I, hg. von Jürgen Moltmann, (= Theologische Bücherei - Systematische Theologie 17), (S. 37 - 49) S. 48f., vgl. a.a.O., S. 45: "Man kann das Neue und Neutestamentliche, das in Bad Boll wieder aufging, zusammenfassen in das eine Wort: Hoffnung: Hoffnung auf eine sichtbare und greifbare Erscheinung der Herrschaft Gottes über die Welt..., Hoffnung für alle, für die Menschheit (im Gegensatz zu der selbstsüchtigen Sorge um das eigene Seelenheil ...)". Der Erstdruck dieses Aufsatzes über Naumann und Blumhardt erfolgte 1919.

93) Neben Barths in der vorigen Anmerkung genannten Aufsatz über Blumhardt vgl. die bei Friedhelm Groth, a.a.O. (A. 11) S. 68 A. 12 genannten Schriften Barths.

94) Christoph Blumhardt, Hausandachten für alle Tage des Jahres. Nach Losungen und Lehrtexten der Brüdergemeinde, Berlin 1926.

95) Christoph Blumhardt, a.a.O. (A. 94), 3.

96) Karl Barth, zitiert nach: Markus Mattmüller, Bd. 2, a.a.O. (A. 82), S. 222; zum Streit um die Hausandachten-Rezension Barths vgl. a.a.O., S. 220 - 223.

97) Vgl. Leonhard Ragaz in seinen Briefen, Bd. 2, 1914 - 1932, hg. von Christine Ragaz, Markus Mattmüller, Arthur Rich, bearbeitet von Georg Kreis, eingeleitet von Arthur Rich, Zürich (1982), S. 84 - 92.

98) Leonhard Ragaz, a.a.O. (A. 97), S. 88.

99) Leonhard Ragaz, a.a.O. (A. 97), S. 89.

100) Vgl. Eberhard Busch, a.a.O. (A. 87), S. 104.

101) Vgl. Karl Barth / Eduard Thurneysen, a.a.O. (A. 86), S. 141 ff.

102) Karl Barth zitiert nach: Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 82), Bd. 2, S. 229; vgl. a.a.O. S. 227: "Von da an liefen die Wege auseinander", nämlich vom Streit um die Rezension an. "Der Briefwechsel Ragaz-Barth bricht im Oktober 1916 ab und wird erst 1944/45 wieder aufgenommen" (a.a.O., S. 227 A. 34).

103) Vgl. Eberhard Busch, a.a.O. (A. 87), S. 97. Zu der Zündelschen Blumhardt-Biographie siehe oben, A.12.

104) Siehe oben A. 68.

105) Eduard Thurneysen, Christoph Blumhardt, München 1926.

106) Vgl. Karl Barth, KD IV 13, 1. Hälfte, Zollikon - Zürich 1959, S. 188 - 317.

107) Vgl. dazu Friedhelm Groth, a.a.O. (A. 11), S. 116, auch die dort in den Anmerkungen 253 und 254 angegebenen Arbeiten.

108) Markus Mattmüller, a.a.O. (A. 83), Bd. 2, S. 256.

109) Vgl. Neue Texte II, S. 89.

110) Eine seiner letzten politischen Reden seines Lebens hielt August Bebel in der Basler Burgvogtei, wo zuvor 1902 Blumhardt seinen vielbeachteten Vortrag gehalten hatte: "Christus und das Evangelium in der modernen Welt" (Neue Texte II, S. 286 - 291).

111) Zu Clara Zetkins Inkognito-Aufenthalt in Bad Boll vgl. Werner Jäckh, a.a.O. (A. 54), S. 140. Dazu, daß gewiß August Bebel und evtl. auch Rosa Luxemburg Besucher Blumhardts in Bad Boll waren, vgl. Klaus-Jürgen Meier, a.a.O. (A. 37), S. 76.

112) August Bebel, zitiert nach: Werner Jäckh, a.a.O. (A. 54), S. 140.

113) Neue Texte II; S. 323.

114) Ernst Schaeder, Theologische Erinnerungen an den jüngeren Blumhardt, in: Zeitschrift für systematische Theologie I (1923/24), (S. 650 - 678) S. 670.

115) Ernst Schaeder, a.a.O. (A. 115), S. 678. Das schöne Buch von Walter Nigg, Rebellen eigener Art. Eine Blumhardt Deutung, (Stuttgart 1988) fiel uns leider erst nach Fertigstellung des Vortrages in die Hände.

Bedeutung einiger hier genannter theologischer Fachbegriffe

Äon (griech.): Ewigkeit, im württembergischen Pietismus auch als eine 'lange Zeitetappe' in Gottes Heilsplan verstanden

Allversöhnung: siehe unten zu Apokatastasis

Apokatastasis pantoon (griech.): die Meinung, daß alles und alle am Ende selig werden, in CA Artikel 17 als Irrlehre verworfen

Confessio Augustana (abgekürzt CA): das evangelisch-lutherische Grundbekenntnis von 1530 (Augsburger Bekenntnis), auf das bis heute z. B. Pfarrer und Presbyter verpflichtet werden

Chiliasmus, chiliastisch: kommt von "chilia" (griech.: tausend) und bezeichnet die (umstrittene) Lehre vom sog. 1000-jährigen Reich (diese '1000 Jahre' kommen in der Bibel nur am Anfang von Offenbarung 20 vor)

Dualismus, dualistisch: das Gegeneinander von zwei unvereinbaren Größen oder Grundkräften (Licht - Finsternis); wenn Luther aber z. B. den Christen als "gerecht und Sünder zugleich" bezeichnet, dann möchten wir aber nicht von Dualismus sprechen, sondern lieber von Dualitätsdenken, vgl. unten: Universalismus / Universalität

Eschatologie, eschatologisch (griech.).: 'es-chaton' heißt: das Letzte, und 'logos' heißt Wort oder Lehre; so ist Eschatologie die Lehre von den letzten Dingen und von der Hoffnung der Christen. Man kann auch sagen: Eschatologie ist die Frage, was es heißt, daß Gott das 'letzte Wort' spricht.

Millennium: 'mille' (lat.) heißt: 'tausend' und 'anni' (lat.) heißt Jahre; Zeitraum von tausend Jahren, s. o. zu Chiliasmus

Pietismus: Frömmigkeitsbewegung in der evangelischen Kirche, um 1700 entstanden (Philipp Jacob Spener, August Hermann Francke, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf), die eine zweite Reformation der Kirche bewirken wollte (wichtige Stichworte des Pietismus: Wiedergeburt, Bibellesen, Erbauungsstunden in Kleingruppen, tätige Nächstenliebe, ecclesiola in ecclesia = Kirchlein in der Kirche)

Universalismus des Heils: berührt sich mit dem oben zu Apokatastasis Erklärten und bezeichnet die Meinung, daß Gottes Gnadenwille jedem Menschen und der ganzen Welt 'universal' gilt (was ja zutrifft), wobei die Endsilbe "-ismus" darauf hinweist, daß der Heilsuniversalismus leicht aus Gottes universaler Liebe ein irriges Prinzip macht. Für den guten Sinn von 'Universalismus' sollte man das Wort 'Universalität' benutzen (vgl. oben Dualismus / Dualität)

Wiederbringung aller Dinge: s. o. zu Apokatastasis pantoon