Friedhelm Groth

Carl Ludwig Josephson (1811-1888)
als Pfarrer in Deilinghofen 1834 gewählt, aber nicht angenommen. Der verhinderte hiesige Pastor, der
dann in den Kerker mußte...

Auszug aus Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte, Heft 3, aber ohne Anmerkungen
Kurzlink dazu:
http://tinyurl.com/PastorJosephson



Vgl. zum gleichen Pfarrer auch meine Kurzfassung im "Deilinghofer Käseblättchen" April 2016 HIER
 


1. Carl Ludwig Josephson - Zur Geschichte seiner Herkunftsfamilie und zu seiner Zeit vor Deilinghofen

In Hennen fing diese Geschichte an. Dem Juden Joseph Meyer aus Hennen (das war Carl Ludwig Josephsons Großvater) wurden in den Jahren 1766 und 1773 zwei Söhne geboren, die gemeinsam später als Kaufleute in Unna ‘Karriere machten’; beide Söhne des Juden Joseph Meyer nannten sich beziehungsreich Josephson, ‘Söhne des Joseph’: Simon und Aron hießen sie mit Vornamen.


Dort in Unna gab es am 31.August 1805 dann eine sehr aufsehenerregende und ganz ungewöhnliche Taufe: Die ganze Sippe Josephson hatte dort als Taufvorbereitung Katechumenenunterricht genommen. Sie wollten Christen werden, und am 31.August 1805 wurde der 39jährige Kaufmann Simon Josephson christlich getauft; er nannte sich seit der Taufe Gustav Simon Josephson. Ebenso wurde seine Ehefrau Frommette geb. Levi an diesem Tag durch die Taufe in die christliche Gemeinde aufgenommen; sie nannte sich von da an Juliane Frederice Josephson. Desgleichen wurde bei dieser Taufe auch der genannte sieben Jahre jüngere Bruder Aron Josephson Christ und hieß von da an Carl Aron Josephson; auch Carl Aron Josephsons Frau, Rosette geb. Simon, ließ sich am gleichen Tag christlich taufen. Doch das war noch nicht alles: Dieser jüngere Bruder Carl Aron und seine Frau hatten zwei Töchter, Caroline und Fanny, die ebenfalls an jenem Tag getauft wurden, während der ältere Bruder, Gustav Simon, mit seiner Frau an diesem Riesen-Tauftag in Unna sogar vier Töchter - Juliane, Jeanette, Francisca und Charlotte - sowie den gerade einen Monat alten kleinen Sohn Gustav zur Taufe brachte. Elf Taufen in einem Gottesdienst! Pastor Wilhelm Krupp in Unna hatte Hochbetrieb!

Doch diese Judentaufe in Unna wirbelte riesigen Staub auf. Schon einen Monat nach der Taufe erhielten alle Josephsons das Bürgerrecht in Unna, ein Recht, das damals Juden nämlich vorenthalten war. Und die Gerüchteküche in Unna brodelte wie wild! Da nur richtige ‘Bürger’ in der Stadt Grundeigentum z.B. erwerben konnten, haben Unnas ‘Poahlbürger’ den Sinneswandel der Familie Josephson in Zweifel ziehen wollen. Ihnen war anscheinend klar, was der wirkliche Grund des Übertritts war: wirtschaftliche Motive natürlich, so meinten die Leute in Unna...

Doch Zeitungsleser wissen mehr, und am 22.September jenes Jahres 1805 - einen Tag nachdem die Josephsons den Bürgereid geleistet hatten - kam es an den Tag. Eine große Erklärung des Ortspfarrers Krupp wurde da in der Unnaer Lokalzeitung ‘Westphälischer Anzeiger’ veröffentlicht. Über seine Erklärung hatte der Pfarrer zwei Bibelstellen gesetzt: ‘Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet’ (Matth.7,1f. aus der Bergpredigt) und das Pauluswort Röm. 14,4: ‘Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest?’. Jener wichtige Zeitungsartikel soll hier in voller Länge zitiert werden:

"Daß die Herren Gebrüder Josephson hieselbst mit ihren Ehegattinnen und Kindern - zusammen 11 an der Zahl - am Ende des vorigen Monaths förmlich zum Christenthum übergetreten sind, ist in unserer Gegend weit und breit, hin und her so häufig herumerzählt worden, daß ich eine öffentliche Anzeige über diesen, obgleich in unserer Gegend seltenen Vorfall für überflüßig erachte und auch umso lieber zurückhielt, damit man uns Christen nur ja nicht des elenden und kleinlichen Gedankens beschuldigte, als wenn wir in dergleichen Acquisition überhaupt eine Art von Triumph setzten. Da ich aber jetzt hören muß, daß manche, zur empfindlichsten Kränkung dieser Familie, so dreist und laut über diesen ihren Schritt absprechen, als wenn es ausgemacht wäre, daß sie ihn aus unlauteren Absichten gethan hätten, so halte ich mich verpflichtet, zur Ehre dieser Familie - die sich mir in dieser so wichtigen Angelegenheit ihres Lebens anvertrauten - und zum Theil auch selbst zur Ehre der Menschennatur hiemit öffentlich, und zwar auf Amt und Pflicht, zu bezeugen: Ich war auch, als sie sich mir zuerst entdeckten, über ihre Absichten, die sie leiteten, vorab ungewiß; aber nach den sorgfältig und auf mancherley Art mit ihnen angestellten Untersuchungen habe ich mich, soweit es in solchen Fällen möglich ist, überzeugt, daß sie diesen wichtigen Schritt nicht aus unlauteren Nebenabsichten gethan haben. Nach den besonderen Datis, die sie mir anführten, haben sie dabey mehr zeitlichen Verlust als Vortheil zu erwarten. Ihr Schritt war nicht das Werk eines augenblicklichen Einfalls, sondern einer langjährigen Prüfung und Ueberlegung, ob sie gleich gegründete wichtige Ursachen hatten, ihr Vorhaben bis zu dem Tage, wo sie getauft wurden, zu verheimlichen. Mit Bedachtsamkeit hatten sie schon vorher mehrere wichtige Schriften, die sie hierbey leiten konnten, z.B. Reinhardts Versuch über den Plan Jesu etc. etc. gelesen und geprüft. Bey den häufig mit ihnen angestellten umständlichen Unterredungen zeigten sie nicht allein ein prüfendes Nachdenken, sondern auch ein so offenes reges Gefühl für Wahrheit, daß mir oft selbst die Thränen in die Augen traten, wenn ich sah, wie ihnen bey der simplen Erzählung von den Lehren und Thaten unsers Erlösers Thränen der Freude und der Rührung aus den Augen quollen. Sie zeigten bey der Taufhandlung einen Ernst und eine Rührung, die jedem Anwesenden tief ins Herz griff. Noch jetzt hören sie nicht auf zu lesen, zu forschen; besuchen so gern und mit wahrer Theilnehmung des Herzens den öffentlichen Gottesdienst, fragen mich noch immer so gern nach allem, was ihnen noch nicht ganz hell ist, und zeigen noch überall, daß es ihnen mit dieser heiligen Sache heiliger Ernst war und ist. - Und über diese Menschen und über ihren gethanen Schritt wagt man es, so dreist und zuversichtlich blindweg, bloß auf allgemeine Muthmaßungen hin abzusprechen? - Denkt man denn nicht daran, wie tief man ein fühlendes Herz dadurch kränkt? Fühlt man denn nicht, wie wenig man sich selbst und seine Religion durch solche voreilige harte Urtheile ehrt und empfiehlt?" 

Diese Taufe aber zog Kreise, und daß die Josephsons wirklich ganz überzeugte Christen geworden waren, sollte sich bald vollends herausstellen. Anscheinend hatten die beiden Josephson-Brüder auch in der eigenen Familie missioniert, denn 1806 zog die Schwester der Josephsons als drittes Kind jenes Hennener Juden Joseph Meyer nach; sie ließ sich zusammen mit ihrem Verlobten von Pastor Krupp taufen und trat damit vom Judentum zum christlichen Glauben über. Aus den Unnaer Kirchenbüchern kann man nach Willy Timm entnehmen, daß die bekehrten Judenfamilien Josephson viel Kontakt hatten mit pietistisch-erwecklich geprägten Christen am Ort. (Daß es in Unna Erweckte im Sinne der Brüdergemeine gab, wie es ja auch oben schon anklang, wird bei Schunke oft vermerkt.) Jedenfalls sind es in den Taufregistern immer Bürger aus diesen Kreisen, die die Paten bei den Josephson-Nachfolgern sein durften.

Zwei der Nachkommen haben wir hier besonders herauszugreifen: Der oben genannte jüngere Bruder Carl Aron Josephson und seine Frau Rosette freuten sich am 17.Januar 1811 - sechs Jahre nach jener denkwürdigen Taufe - über die Geburt des Sohnes Carl Ludwig Josephson, dessen Taufpate sogar der Unnaer Pfarrer und spätere Superintendent Trippler war. Vielleicht hatte dieser Geistliche mit einen Einfluß darauf, daß Carl Ludwig nach Abitur und Theologiestudium selber Pfarrer wurde, und was für einer, wie wir in diesem Kapitel hören werden! Denn die Spur dieses Josephsons führte später nach Deilinghofen, wo er der 13. gewählte evangelische Pfarrer nach der Reformation werden sollte.

Und der zweite, der hier zu nennen ist, hat den Vornamen umgedreht: Es ist Ludwig Carl Josephson, Sohn des genannten älteren der Josephson-Brüder, und im Jahr 1809, also zwei Jahre früher geboren als sein Vetter Carl Ludwig Josephson. Diesen Ludwig Carl finden wir nach seinem Theologiestudium zunächst wieder als Hilfsprediger an der Iserlohner Bauernkirche, dann dort ab 1832 als Amtsnachfolger des von uns oft erwähnten berühmten Iserlohner Pfarreroriginals Johann Abraham Strauß. Ludwig Carl Josephson wurde - wie oben geschildert - als großer christlicher Schriftsteller von Erbauungsliteratur (‘Brosamenmann’), und von ihm stammte auch das Material, das Emil Frommel zur Lebensbeschreibung von Strauß verarbeitete).

Ludwig Carl Josephson (1809-1877) war ein ganz gewichtiger Gottesmann, der später Direktor eines Lehrerseminars und dann so-gar Superintendent in Pommern wurde. Daß dieser ‘Brosamenmann’ den Deilinghofer Pastor Dümpelmann aus Straußens Erzählungen bestens gekannt hat, versteht sich nach unseren Ausführungen im Dümpelmann-Kapitel von selbst. Bei Dümpelmann, dem Erbauer des Alten Pastorats, war der alte Strauß ja - wie oben gezeigt - ‘richtig’ zum Glauben erweckt worden. Daß es in der Verwandtschaft des ‘Josephson-Clans’ noch eine ganze Reihe von Nachkommen gab, die wackere Pfarrer wurden, und daß einer der Nachkommen sogar ein berühmter allseits bekannter Theologieprofessor wurde, der Gründer der sog. ‘Greifswalder Schule’, Prof. Hermann Cremer, dessen Mutter eine Josephson war, ist hier nur anzudeuten. Uns interessiert der andere, der nach Deilinghofen gekommene Vetter des Brosamenmannes, der oben genannte 1811 geborene Pfarrer Carl Ludwig Josephson.

Zu dessen spannender Geschichte, die hier zu skizzieren ist, sei einleitend im Blick auf seine Zeit vor Deilinghofen erwähnt, daß Carl Ludwig, deutlich geprägt in diesem besonderen Elternhaus und in diesem Familienverband, nach der Gymnasiastenzeit in Hamm im Herbst 1828 mit knapp 17 Jahren sein Abitur machte, anderthalb Jahre in Halle, ein Jahr in Berlin und drei Monate (vom 2.Mai bis 2.August 1831) in Bonn Theologie studierte, wobei Herbert Schulte aus dem Bonner Abgangszeugnis Folgendes zitiert:

"Hinsichtlich seines Verhaltens ist in sittlicher und in ökonomischer Rücksicht nichts Nachteiliges bekannt geworden". "Einer Theilnahme an verbotener Verbindung unter Studirenden ist derselbe nicht verdächtig geworden. Der Studiosus C.L.J. hat für folgende Vorlesungen sich gemeldet.

Religionsphilosophie
Logik:  mit vielem Fleiß und Eifer
Geschichte der Philosophie:  (Brandis 28.7.31)
Homiletik (Predigtlehre): sehr rühmlicher Fleiß bezeugt
(Dr. Sack, 27.7.1831)
Moral:  mit sehr erwünschtem Fleiße
Enzyklopädie der Theologie:  und erfreulicher Theilnahme
(Nitsch, 26.7.1831)
Seminar: in Bezug auf das Seminar
dasselbige, Dr. Sack, 27.7.1831".

Von den hier genannten Theologieprofessoren, die unserm Josephson solch ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellten, war im vorigen Jahrhundert eine ziemlich prominente ‘Kapazität’: Professor Carl Immanuel Nitzsch (1787-1868, von 1882 bis 1847 Professor in Bonn), einer der führenden Theologen der sog. Vermittlungstheologie im 19. Jahrhundert.

Der Chronist von Carl Ludwig Josephsons Pfarrerleben, August Witteborg (auch Pfarrer in Deilinghofen gewesen, und zwar von 1885-1894), beschreibt den Studienverlauf und -inhalt so:

"Carl studierte in Halle, Berlin und Bonn in einer Zeit, da die Auseinandersetzung zwischen dem Rationalismus und der bibelgläubigen Theologie im vollen Gange war. Den jungen Studenten zogen mächtig an die Bannerträger der letzten Richtung: Tholuck, Schleiermacher, Neander, Sack und Nitzsch"

Während sich Josephson in seiner Bonner Studienzeit (wie eben erwähnt) im Blick auf Studentenverbindungen zurückhielt, vielleicht um seine Prüfungen nicht zu gefährden, war er zuvor in der Zeit an der Hallenser Universität bei der Allgemeinen deutschen Burschenschaft aktiv gewesen. Herbert Schulte erläutert deren Ziele folgendermaßen:

"diese bezeichnete als ihre Hauptaufgabe die Christlich-deutsche Bildung einer jeden geistigen und leiblichen Kraft zum Dienste des Vaterlandes".

Man muß sich dabei vor Augen halten, daß die ersten Burschenschaften die mutigen und engagierten Vordenker eines freien, demokratischen und einigen Deutschlands waren, basierend auf Gedankengut der Französischen Revolution und eigenen Erfahrungen aus den Befreiungskriegen. Mit dem verstaubten Muff und der stockkonservativen Prägung vieler späterer Studentenverbindungen bis in die heutige Zeit hatte die Studentenbewegung der Burschenschaften wenig gemeinsam. Es war vielmehr eine fortschrittliche und vom preußischen Staat als gefährlich eingestufte Bewegung, die ja dann nach dem Wartburgfest von 1817 und der Ermordung Kotzebues (1819) als - man würde heute sagen - ‘revolutionär und links’ angesehen und bis zum Jahr 1848 verboten wurde. Obwohl die Burschenschaften im Prinzip nicht gewalttätig vorgingen, waren Preußens Reaktionen auf sie äußerst hart und brutal, wie der spätere Deilinghofer Pastor Josephson am eigenen Leibe schmerzlich erfahren sollte.

Witteborg vermerkt dazu, daß die "allgemeine[n] deutsche[n] Burschenschaft ... damals bei der preußischen Regierung ungerechterweise wegen angeblicher umstürzlicher Bestrebungen verdächtigt worden ist, ein Umstand der unserm Josephson wie vielen andern wackern jungen Leuten, z,B. Karl Schurz, Fritz Reuter und andern, unendlich viel Herzeleid bereiten sollte".

Von diesem Herzeleid haben wir im zweiten Unterabschnitt ausführlich zu erzählen.


2. Kandidat C.L.Josephson: in Deilinghofen gewählt und bald drauf in den Kerker


Wie wir zuvor im Basse-Kapitel bereits ausführten, war Carl Ludwig Josephson im letzten Lebensjahr des Pastors Basse schon in Deilinghofen. Er wird wahrscheinlich mit der Pastorenfamilie Bewohner im Deilinghofer Alten Pastorat gewesen sein. Der genaue Zeitpunkt, wann der junge Theologe ins Dorf kam, ist nicht bekannt. Es muß aber zwischen dem Ende seines Studiums am 2.August 1831 und dem 9.Mai 1833 gewesen sein, denn in jenem oben im Basse-Kapitel zitierten Dokument vom 9.Mai 1833 wird ja schon vom "Candidaten Josephson" gesprochen, der als Hilfe des schwerkranken Basse in Deilinghofen wirkte.


Man könnte fragen, in welcher kirchenrechtlicher Stellung sich der gerade Examinierte in Deilinghofen während jener eineinhalb Jahre hier betätigen durfte. Amtlicher Hilfsprediger, Adjunctus, jedenfalls war er wohl nicht. Fest steht, daß Josephson einer der befähigsten Kandidaten war, die es weit und breit gab. Nach Aktenlage im Deilinghofer Kirchenarchiv wird er von Superintendent Hülsemann als Nachfolger des kranken Basse ausersehen und favorisiert, wohl mit der Maßgabe: "Geh du mal nach Deilinghofen, wo ja eine Pensionierung betrieben wird, und wo bis dahin dringend Hilfe geleistet werden muß!"

Auf jeden Fall war das Verhältnis des jungen Josephson zur großen Familie Basse auffallend positiv. Sehr wahrscheinlich war die bedeutende Kaufmannssippe Basse mit der Kaufmannssippe Josephson schon zuvor bekannt gewesen. Und es läßt sich auch denken, daß der Iserlohner Kirchspielpfarrer Johann Abraham Strauß, der sich den Vetter Ludwig Carl Josephson als überaus befähigten Adjunctus ‘an Land gezogen hatte’, es gerne sah, daß ein Frommer und Engagierter (im Sinne des verstorbenen Freundes Dümpelmann) aus dem Hause Josephson in Deilinghofen Einfluß bekam. Jedenfalls waren die Vorgänge vor Basses Tod - wie im vorigen Kapitel gezeigt - kirchenpolitisch eben höchst brisant, und Josephsons Kommen nach Deilinghofen muß in diesem Rahmen gesehen werden.

Was Josephson in jener Zeit in Deilinghofen ‘durfte’ und auf welchen Arbeitsfeldern er wirkte, wird in den Kirchenakten genauestens beschrieben: Er hat "gepredigt, katechisiert, die Kranken besucht, das Kirchenbuch geführt".

Reizvoll wäre sich vorzustellen, wie Carl Franz Friedrich Basse und sein Helfer Carl Ludwig Josephson dort im Alten Pastorat über theologische und politische Angelegenheiten miteinander diskutiert haben mögen. Auf der einen Seite der durch die pietistisch-erweckliche Richtung der Großfamilie Josephson geprägte, überaus kluge Jungtheologe Carl Ludwig, der soviel politisch Gärendes im Kopf hatte, auf der anderen Seite der kranke und verbrauchte, zudem theologisch wohl eher blasse Pastor Basse, der, was politische Gesinnung betraf, zeitlebens eher ein zum Opportunismus neigender obrigkeitsergebener Typ mit besonderen Beziehungen zum preußischen Hof gewesen war. Irgendwie muß es gegangen sein mit dieser Kommunikation, vielleicht unter Vermittlung der bemerkenswerten Pfarrersfrau Charlotte, die es sehr gut mit Carl Ludwig konnte, und die sich in ihrem Deilinghofer Engagement - etwa durch den später von ihr gegründeten Frauen-Enthaltsamkeitsverein - als eine frömmigkeitsmäßig Geistesverwandte Carl Ludwig Josephsons vorstellen läßt. Diese Lotte sollte sich nach dem Tod ihres Mannes für Josephson wie für einen Sohn einsetzen.

Sehr gut waren auch die Beziehungen Josephsons zum Basse-Sohn Carl, dem späteren Vater des Gründers von B & U! Daß es eine enge Beziehung zwischen den beiden Carls war, erkennt man daran (wie oben im Basse-Kapitel gezeigt), daß Carl Basse dann Carl Ludwig Josephsons Schwester Theodora heiratete, die er vermutlich durch Josephson kennengelernt hatte, womit dann seitdem die Familien Basse und Josephson auch verwandtschaftlich verbunden waren.

Nachdem Basse am 25.Mai 1833 gestorben und - wie oben beschrieben - am Pfingstmontag beerdigt worden war, begann man von allen Seiten, die Wiederbesetzung der Pfarrstelle möglichst schnell und unbürokratisch zu betreiben. Man hatte die Zeit von vier Wochen ins Auge gefaßt, in der Josephson Pfarrverweser zu sein hatte, bis dann eine Wahl stattfinden sollte. Normalerweise war damals eine Wahl erst ein Jahr nach dem Tod des Amtsinhabers möglich, weil, wenn eine Witwe vorhanden war, ihr das Recht des sogenannten ‘Nachjahrs’ zustand. Das hieß im Fall von Charlotte Basse, daß ihr noch ein Jahr lang das Pastorat mit seinen sämtlichen Einkünften alleine zustand. Ein neugewählter Pfarrer hätte demnach keine eigenen Einkünfte gehabt. Auf Wunsch des Superintendenten ermittelte das Presbyterium den Wert dieses Nachjahres und 488 Taler und 22 ½ Silbergroschen.

Charlotte Basse nun erklärte sich am 8.Juni 1833 bereit, daß sie, um die Angelegenheit zu beschleunigen, sich das Nachjahr für "300 Taler als Entschädigung" vom Amtsnachfolger abkaufen lassen wollte. Aber man hatte die Rechnung ohne einige notorisch streit- und prozeßsüchtige Deilinghofer Kirchenälteste gemacht! Sollten hier die kaum verheilten schweren Wunden des Agendenstreites wieder aufbrechen?

Am 6.Juni 1833 beschwerten sich die Kirchenältesten Hackstroh und Feldhoff beim Superintendenten Hülsemann. Dabei führten sie unter anderem aus, es wäre doch sehr auffallend, daß die Deilinghofer schon so kurz nach ihres Pfarrers Tod zur Wahl eines neuen Pfarrers genötigt werden sollten. Die Presbyter verwiesen auf die Kirchenordnung, nach der erst verschiedene Kandidaten "gepredigt und catechisiert haben" müßten, daß außerdem drei Kandidaten da sein müßten, von "welchen dann der liebe Gott erwählet": "der wird unser Pastor". Man sollte sich lieber Zeit nehmen, gegen keine Vorschriften verstoßen und außerdem möge der Superintendent "die Güte haben uns das Verzeichnis der Classenpredigten zukommen zu lassen". Mit letzterem war gemeint, daß die beiden Presbyter nicht wünschten, daß Josephson weiter die Stelle versah, sondern daß (wie üblich) Nachbarpfarrer die Vakanzvertreter würden. Außerdem wollte man Verfügungen des Superintendenten direkt zum Presbyterium geschickt haben und nicht an den Kandidaten Josephson, wie es in der Praxis geschah.

Damit waren in der Kirchengemeinde Deilinghofen die Weichen gestellt für einen Konflikt ersten Ranges, der in dem vorangegangenen Agendenstreit noch an Schärfe übertreffen sollte. Daß schon damals das Presbyterium gespalten war in zwei Parteien, ersieht man daraus, daß etwa zur gleichen Zeit ein anderes Schreiben des Presbyteriums Deilinghofen beim Superintendenten eintraf, nämlich ein Presbyteriumsprotokoll vom 2.Juni 1833, das am 12.Juni bei Hülsemann in Elsey ankam, in dem das Gegenteil als Meinung der ganzen Gemeinde vertreten wurde: Man wünschte eine baldige Wahl! Dieses Protokoll hatten die Presbyter Küperloh I und Küperloh II, Schäfer und Wienecke, ferner die Witwe Basse und der Kandidat Josephson unterschrieben - mit einem zusätzlichen Vermerk des bei der Sitzung anwesenden Bürgermeisters Wiesmann, daß die ‘Dissidenten’ Hackstroh und Feldhoff sich geweigert hatten, das Protokoll zu unterzeichen.

Vermutlich hatte Josephson dieses Protokoll dem Superintendenten selber überreicht, denn er war für einige Tage nach Elsey gereist, um dort bei seinem Gönner Hülsemann für seine Sache einzutreten. Außerdem sollte am 17.Juni 1833 in einem Hohenlimburger Gasthof ein Treffen aller Pfarrer und Kandidaten wegen der Deilinghofer Pfarrstellenbesetzung stattfinden. Dort nach Elsey erhielt Josephson auch eine Deilinghofer Unterschriftenliste von Presbyter Fritz Schäfer zugeschickt, in der 51 der 73 stimmberechtigten Colonen (Inhaber der Bauernhöfe) sich mit Josephson und der Witwe Basse solidarisierten und den offenbar aufgabewilligen Kandidaten Josephson flehentlich um Dableiben in Deilinghofen baten.

Wohlgemerkt war jener Initiator der Unterschriftenliste Fritz Schäfer, von Beruf Bergmann und kein alteingesessener Deilinghofer. Davon gab es eine ganze Menge in Deilinghofen, die sog. ‘Häusler’, die zwar auf fremden Grund ein Häuschen bewohnten und als Tagelöhner, Fabrikarbeiter und Bergleute ihr Geld verdienten. Und unser Presbyter und Bergmann Schäfer versäumte es nicht, zu erwähnen, daß auch "die Häusler ... alle für die Sache" waren. Hier deutete sich beretis an, welche sozialpolitische Brisanz der Josephson-Streit noch bekommen würde.

Postwendend beschwerte sich Presbyter Hackstroh über das illegale Stimmensammeln in Deilinghofen beim Bürgermeister Wiesmann, der es dem Presbyter Schäfer unter Androhung von Strafe zu verbieten hatte.

Das Ergebnis der Hohenlimburger Pfarrersversammlung vom 17.Juni 1833 in Sachen Deilinghofer Amtsnachfolge war ein Kompromiß, der Forderungen beider Parteien erfüllte: Josephson durfte Pfarrverweser bleiben, das Abkaufen-Dürfen des Nachjahres wurde bestätigt, und die Wahl wurde nach hinten verzögert, wobei Probepredigten zuvor gehalten werden sollten. Überdies war aufgrund der Hohenlimburger Beschlüsse ein Presbyteriumsvorsitzender zu wählen. Der Bergmann Fritz Schäfer erhielt durch Wahl am 22.Juni 1833 dieses Präses-Amt.

Einen Monat blieb in Deilinghofen für Josephson alles beim alten, daß nämlich der Kandidat seine Predigten und Wochenkatechesen hielt und sein Amt wie ein richtiger Pfarrer innehatte. Indes bröckelte aber die Zahl der Josephson-Befürworter ab, denn der nächste Beschwerdebrief vom 15.Juli 1833 war schon von erheblich mehr Kritikern des Verfahrens unterschrieben, nämlich von 16 alteingesessenen Bauern.

In der Zwischenzeit hatte die Witwe Basse am 8.Juli 1833 eine von Josephson aufgesetzte Erklärung unterschrieben, daß sie zugunsten eines neuen Pfarrers auf ihre Haushaltung im Alten Pastorat und auf das Gnadenjahr verzichtete. Aber dieses konnte den Gang des Verfahrens nicht wirklich beschleunigen; dazu waren die Kontroverspunkte mittlerweile zu viele. So stritt man wochenlang darüber, wer überhaupt den Pfarrer in Deilinghofen zu wählen durfte: nur die Colonen, also die Alteingesessenen? Oder alle Dorfbewohner mitsamt den Häuslern?

Carl Ludwig Josephson muß den Gegenwind im Dorf zu spüren bekommen haben, denn er gab vorläufig auf und zog am 7. September 1833 zurück in seine Heimatstadt Unna. Damals ging es hoch her in Deilinghofen. So melden die Akten für diese Zeit Folgendes:

"a. In der Nacht von sieben auf den 8ten September mehrern Personen, welche für Kirchenordnungsgang und nicht für eine Person oder Parthey sich erklären, daß die Fenster eingeworfen sind.

b. 22 September Nachts zur Sicherheit gegen stark gerüchtlich gedrohte Angriffe einem Gendarmen requiriert worden.

c. Eine Schmähschrift in plattdeutschen Knittelversen auf mehrere Personen, die nicht für den Herrn Candidat Josephson gestimmt und Lachen und Spotten erwägt [lies: erweckt], über a. b. c. ist Fiscal Anzeige bei dem Herrn Bürgermeister in Hemer gemacht."

In jenem Herbst fanden dann in Deilinghofen die Probepredigten statt; und auch Carl Ludwig Josephson in Unna bereitete sich auf die seine vor, die er am 21. Sonntag nach Trinitatis, am 27.Oktober 1833, in der Deilinghofer Kirche zu halten hatte. Für den Abend vor dieser Probepredigt liegt uns ein Protokoll des neben dem Alten Pastorat wohnenden C.D.Sirringhaus vor, der darin die älteste bisher bekannte Demonstration im Dorf Deilinghofen beschrieb, die auch eindeutig politische Züge trug. Der Nachbar des Alten Pastorats faßte seine Aussage wie folgt:

"Am Samstage Abend vor dem Tage, wo der H Candidat Josephson vor 26[st]en in Deilinghofen sein Probepredigt hielt, ging ich mit einigen meiner Freunde um Jagdschutzung außerhalb Deilinghofen; kam um Mitternacht mit Bernadt Schulte und Wiethöft nach dem Dorfe zurück, ich bemerkte schon von weitem in dem Pastorath Haus Licht, hierüber wurde ich nebst meinen beiden Gesellschafts-Männern aufgebracht indem ich wußte, daß das Pastorathhaus schon seit einiger Zeit nicht mehr von der Wittwe Basse bewohnt warm ging also näher um zu untersuchen, wo das Licht in dem Pastorathause herkömme bei dem Annähern des Hauses hörete ich, daß großer Tumult und viele Menschen in und vor dem Hause auf dem Hofe waren und fortwährend passasige von Carl Bassen Hause nach der Pastorath und von da zurück sich wechselten; mittlerweile ging die ganze Versammlung von da weg nach dem Kirchhofe, wir traten wiederum näher und fanden daselbst eine für die Nacht unzählbare Anzahl von Menschen beiderlei Geschlechts, die unter Lärm und Taumeln mit dem Aufrichten eines Ehrenbogens worinnen ein Kranz mit einer Herzfigur hing beschäftigt waren, es waren diese Menschen größtentheils aus Deilinghofen, auch aus Apricke und einige wenige auswärtige Fabrickarbeiter von der Oese, ich habe noch dabei zu bemerken, daß mehrere Frauenzimmer [.] davon liefen als wir auf den Kirchhoff kamen, denen ich zurief sie sollten sich unserenthalben an ihrer Arbeit nicht stören worauf dieselben zurück kamen -

Der folgende Morgen also am Tage wo der bemerkte H Candidat seine Probepredigt verrichtete, versammleten sich einige Kinder vor dem Pastorathhaus diese wurden von der Wittwe Basse ins Haus gerufen, über eine Weile standen dieselben Kinder vor Carl Basses Hause, aus diesem kam der H Candidat Josephson empfing die Kinder mit einem Drückelhändchen und ging mit denselben in Geleitschaft zur Kirche.

Am Abende aber versammelten sich wiederum eine Menge Menschen die mit Klaenetblasene und Taumeln durchs Dorf gingen und die Worte ausstießen Pattrioten heraus, auch unter dieser Musik zum Kirchhofe gingen, und den am vorigen Abend gesetzten Ehrenbogen nebst Kranz wegnahmen und unter vorbemerkten Blasen damit nach Carl Bassen gingen, wo der Herr Candidat Josephson von Unna in logis war. Dieselbe daselbst unter Lärmen Fluchen und schmtzigen Liedersingen ans Haus richteten und sodann mit dem vor erwähnten Klaenetblasen sich zurück ins Dorf begaben.

Weiter ist mir von dieser Sache nichts bekannt die Wahrheit desselben kann ich auf Verlangen bestätigen C D Sirringhaus".

Kenner der preußischen Geschichte können aus diesem überaus bemerkenswerten Bericht ersehen, daß es sich bei dieser Demonstration pro Josephson um so etwas wie die Anfänge des Parteienwesens im 19. Jahrhundert handelte.

Nachdem im November jenes Jahres die Reihe der verschiedenen Probepredigten in der Deilinghofer Kirche gehalten worden waren, sollte im Dezember 1833 die endgültige Wahl des künftigen Amts-inhabers stattfinden. Am 19.November bestimmte man (wie vorgeschrieben) im Deilinghofer Presbyterium die ‘Dreizahl’ der Kandidaten, die zur eigentlichen Wahl zugelassen wurden: die jungen Theologen Hammerschmidt, Wilsing und Carl Ludwig Josephson. Josephson schaffte es gerade so eben mit drei Stimmen seiner Anhänger im Presbyterium, zu dieser ‘Dreizahl’ für die Endausscheidung dazu zu gehören.

Doch die Gegenpartei im Presbyterium wollte sich nicht an die demokratischen Spielregeln halten. Am 29.November 1833 schrieb man an den inzwischen neugewählten Superintendeten Johann Wilhelm Friedrich Grevel (1792 -1863; reformierter Pfarrer in Iserlohn und von 1833 bis 1841 dort Superintendent) mit vielleicht neuen Hoffnungen und forderte ihn auf, Josephson aus der Dreizahl zu entfernen. Die Gegner Feldhoff und Hackstroh fuhren schwere Geschütze auf und versuchten zu beweisen, daß Josephson sich entgegen der Kirchenordnung vom 6.August 1687 ein Amt durch Eigennutz, Betrug, Menschengunst, List und Gewalt erschleichen wollte. So hätte er unter anderem

"durch fleißige Hausbesuche mit der Wittwe Basse ... sich der Liebe und die Gunst der Gemeindeglieder zu erwerben getrachtet".

Die "ganz ungwöhnlichen öffentlichen Ehrenbezeugungen" vor und nach seiner Probepredigt hätten dem Kandidaten imponiert, und er hätte nichts getan, daß sie unterblieben. Außerdem wurden alle bereits genannten ‘Vergehen’ wie unzulässige Amtsfortführung durch Josephson, unerlaubtes Stimmensammeln oder die Verschafflung des Wahlrechts für die Häusler erneut angeführt. Auch gegen Carl Basse und seine Mutter wurden in diesem Brief schwere Anschuldigungen erhoben. Die Familie Basse hätte nur ein persönliches Interesse an der Wahl Josephsons haben können, wobei man ausdrücklich darauf hinwies, daß die Witwe Basse die Schwiegermutter der Schwester Josephsons wäre. Auch Präses Schäfer aus dem Deilinghofer Presbyterium warf man Eigennutz vor, denn einen "Einlieger" wie ihm, also einem zur Miete Wohnenden, könnte ein solch ehrenvolles Amt ja gar nicht zustehen. Dann vergaß man auch die Schmähschriften nicht und machte letztendlich für alles Josephsons angeblichen Egoismus verantwortlich.

Unter all diesen fragwürdigen Bedenken fand sich aber auch ein gewichtigeres Problem, nämlich

"daß der Herr Candidat Josephson dem zur Wahlfähigkeit das Canonische Alter fehlt / 1 Jahr und zwei Monate / dennoch in die Zahl der Wahl Subjecte gesetzt wird". 

Damit war die geplante Wahl erst einmal wieder geplatzt. Superintendent Grevel mußte alle Anschuldigungen untersuchen und der Regierung in Arnsberg berichten. Die hatte dabei festgestellt, daß bis zum Ablauf des Nachjahres - der Verzicht der Witwe Basse war demnach nicht wirksam geworden - noch viel Zeit wäre. So legte man erneut für das erste Halbjahr 1834 die ‘Classenprediger’ fest, d.h. die Nachbarpfarrer kamen zum Gottesdienst-Halten ins Dorf.

Bemerkenswert dabei ist, daß am Sonntag Judica der Candidat Friedrich Leopold Woeste den Gottesdienst in der Stephanuskirche zu halten hatte. Ob ‘Hemers großer Sohn’ wirklich während der Basse-Vakanz hier aushalf, wissen wir leider nicht, denn am 26.März 1834 beschwerte sich das Presbyterium beim Superintendenten, daß diese Vertretungen des öfteren ausgefallen waren. In diesen Fällen fand der Gottesdienst trotzdem statt. Dann sprang nämlich der Dorflehrer als Ersatzlektor ein:

Es "hat der H Lehrer Mar[c]ks aus einem Buche Vorlesung gehalten, worin Predigten auf Sonn= und Festtag enthalten, welches ihm von dem seligen H Pastor Basse zu Theil geworden".

Über Arnsberg hatte der Superintendent Grevel beim Ministerium in Berlin zwar umgehend um einen Dispens vom Canonischen Alter im Falle Josephsons nachgesucht, er erhielt aber am 9.Februar 1834 von dort die Antwort, daß man sich dort erst entscheiden könnte, wenn alle Anschuldigungen der Josephson-Gegner widerlegt wären. In dem Rahmen kam es dann zu den Untersuchungen wegen der Vorfälle vor und nach der Probepredigt, als C.D.Sirringhaus seine oben zitierte bemerkenswerte Zeugenaussage machen mußte.

Auch die Presbyteriumsmitglieder, die mit Josephson solidarisch waren, gingen am 3.März 1834 ebenfalls ausführlich auf alle Anschuldigungen ein. Sie versuchten klarzustellen, daß zwar vieles stimmen würde, man dafür aber nicht den Kandidaten Josephson verantwortlich machen könnte. In diesem Brief an den Superintendenten Grevel liest man zum Beispiel zu den Vorgängen bei der Probepredigt:

"So kann es nur lächerlich erscheinen, dem Cand. Josephson zur Last zu legen, daß ihn die Kinder, die er früher unterrichtet hatte, und die ihn sehr liebten, Blumen auf den Weg streuten".

Tatsächlich nutzte, wie sich aus den Akten herausstellt, die Witwe Basse immer noch die Einkünfte aus ihrem Nachjahr. Sie beschwerte sich nämlich im Frühjahr 1834 bei dem Superintendenten Grevel, daß man ihr Witwenrechte streitig machen wollte, weil sie im Alten Pastorat "keine Haushaltung mehr habe", und man würde ihrem Sohn Carl "das nicht mehr gönnen"; demgegenüber wollte sie auf den Wald erst nach Ablauf des Nachjahres verzichten.

Und dann drohte dieses Nachjahr im Mai 1834 abzulaufen, ohne daß ein Nachfolger eingesetzt war. Man wollte aber auf Josephson nicht verzichten. Da mit dem Ende des Nachjahrs auch die ‘Classenpredigten’, also die kostenlosen Vakanzvertretungen aus der Nachbarschaft, ausliefen, hätte die Gemeinde von da ab auf eigene Kosten einen Aushilfsprediger beschäftigen müssen.

Um die Zeit noch etwas herauszögern zu können, fiel dem Presbyterium auf einmal ein, daß nach alter Observanz angeblich die "Gnadenzeit in dieser Gemeinde ein Jahr und sechs Wochen" dauerte, wie in einem Brief vom 7.Mai 1834 ins Feld geführt wurde, was aber wahrscheinlich nur ein typisch Deilinghofer Schlitzohren-Trick war. Man wollte eben dem Kandidaten Josephson nicht die Chancen verbauen, doch noch Basse-Nachfolger zu werden, und die Pro-Josephson-Partei wußte wahrscheinlich, daß der amtliche Dispens vom Canonischen Alter in aller Kürze zu erwarten wäre. Auch Charlotte Basse schrieb am 16.Mai in gleicher Angelegenheit an den Superintendenten von dem nach Deilinghofer Sitte um sechs Wochen längeren Nachjahr.

Glücklicherweise traf schon einen Tag später am 17.Mai das amtliche Schreiben mit dem Dispens beim Superintendenten in Iserlohn ein. Darin wurde auch angeordnet, daß die Abhaltung der Wahl unverzüglich einzuleiten wäre. Die ‘Josephson-Contras’ kochten vor Wut! Erneut mußte eine Dreizahl gebildet werden. An dieser Auswahl nahmen die Feinde Josephsons nicht teil. So erhielt unser Carl Ludwig Josephson am 3.Juni 1834 wieder seine drei Stimmen; das waren aber dieses Mal mehr Stimmen als seine Mitbewerber erreichten. (Es waren bei dieser Auswahl jetzt Wilsing aus Hörde und Schütz aus Arnsberg.)

Da die Josephson-Gegner im Presbyterium bei dieser Dreier-Auswählung nicht zugegen waren, versuchten sie im Juni 1834 ihren letzten Coup: Die Bestimmung der Dreizahl durch das Presbyterium solle wegen ihrer Abwesenheit für ungültig erklärt werden, doch darauf ließ sich keiner mehr ein. Das letzte Gefecht war verloren.

Übrigens hatte die Gemeinde Deilinghofen inzwischen im Juni 1834 - auf den ersten Blick ist das verwirrend - in dem ‘Vicarius Varnhagen’ (Karl Friedrich Ferdinand Varnhagen, 1800-1841) einen neuen Pastor bekommen. Aber hier handelte es sich nur um einen Stellvertreter in der Zeit der Vakanz bis zur Amtseinführung des Basse-Nachfolgers, und dieses Einsetzen eines Vakanz-Pfarrers war eben im Juni 1834 nach Ablauf des Nachjahrs der Charlotte Basse erforderlich geworden, nachdem der Deilinghofer Trick mit der sechswöchigen Verlängerung nicht verfangen hatte.

Nun wurde es aber nach allen Verzögerungen doch ernst mit der Wahl. Die Regierung in Arnsberg gab am 9.Juli 1834 grünes Licht. Und am 7. August 1834 war endlich der Wahltag!

Vor dem Deilinghofer Kircheneingang war auch an diesem Tage wieder Spektakuläres zu beobachten. Dort hatten sich zwei "handfeste Bauernburschen" aufgepflanzt, die "zwischen sich hoch-erhoben ein Schild" zeigten,

"auf dem weithin zu lesen war:
Ueb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab
und weiche keinen Finger breit
vom Josephsone ab!"

Die Quelle dieser denkwürdigen Anekdote aus Deilinghofen ist ein biographischer Artikel im ‘Deutschen Pfarrerblatt’, den der Konsistorialrat Hermann Carl Eduard Josephson (1864-1949), das 16.(!) Kind unseres Carl Ludwig Josephson, verfaßte. Und für Deilinghofen interessant ist durchaus, was Hermann Josephson aus dem Leben seines Vaters als zweite Deilinghofen betreffende Anekdote beisteuerte:

"Als ... 45 Jahre später, am 19.November 1879, sein [sc. Carl Ludwig Josephsons] 25jähriger Sohn Johannes als Pastor in Deilinghofen eingeführt wurde, und Vater beim Festessen jene lustige Wahlgeschichte erzählte, da meldete sich ein ehrwürdiger Greis und rief mit Begeisterung: ‘Ich war einer von den beiden!’"

Man stelle sich das einmal vor: 1879, als Josephson II., Max Johannes Josephson (1854-1928, der Gründungsvater und 1.Vorsitzender des 1881 gegründeten CVJM Deilinghofen, der damals noch ‘Jünglingsverein’ hieß) als 16.Pfarrer von Deilinghofen (hier im Amt von 1879 bis 1885) eingeführt wurde, da war auch der spätere Konsistorialrat Hermann Josephson "als Sekundaner und Festgenosse" im Alten Pastorat beim Festessen nach der Einführung seines ‘großen Bruders’ dabei. Und dieser fromm-geprägte Schüler Hermann, der die Jünglingsvereins-Entwicklung im Pastoren-Elternhaus in Barmen-Wupperfeld sicherlich aus nächster Nähe verfolgt hatte, konnte hier in Deilinghofen indirekt mitkriegen, wie politisch umstritten sein Vater Carl Ludwig Josephson in diesem Deilinghofen einmal gewesen war.

Kommen wir zurück zum Wahltag. Unser Carl Ludwig Josephson, um den hier im Dorf so viel Staub aufgewirbelt worden war, dieser erst "23jährige Kandidat", wie sein Sohn Hermann in seinen Erinnerungen betonte, "wurde ... mit 44 gegen 20 Stimmen zum Pfarrer der Gemeinde gewählt". Erwähnenswert ist, daß wir dieses Wahlergebnis im Deilinghofer Kirchenarchiv nicht auffinden konnten; aber sicherlich ist es korrekt, da es in der Tat - ohne die Häusler - 64 Wahlberechtigte gab.

Nun sollte man meinen, daß nach vollzogener Wahl deren Bestätigung durch die Regierung reine Formsache gewesen wäre. Doch es sollte ganz anders kommen. Den jungen Theologen Carl Ludwig Josephson holte seine Vergangenheit als Burschenschaftler ein. Wir zitieren dazu seinen Sohn Hermann Josephson:

"Soeben hatte er [der Vater] sich ... mit Julie Kuchen aus Neuenrade in Westfalen verlobt, soeben war er in dem westfälischen Dorfe Deilinghofen bei Iserlohn zum Pfarrer gewählt worden ..., als ein ihm nahestender Freund ihn heimlich davon in Kenntnis setzte, daß er wegen seiner Teilnahme an der Burschenschaft verhaftet werden solle und ihm zur Milderung der bevorstehenden Strafe riet, sich freiwillig zur Untersuchung zu stellen. Sofort reiste er nach Berlin".

Dazu würden die letzten zwei Briefe Carl Ludwig Josephsons im Deilinghofer Kirchenarchiv passen. Gleich nachdem der Superintendent ihn aufgefordert hatte, einige "nötige Papiere" zu übersenden, unternahm Josephson nämlich, wie er im ersten Brief vom 22.August 1834 aus Unna ausführte, eine Reise, die sich unerwarteterweise verlängerte. Anschließend begab er sich gleich zum Superintendenten nach Iserlohn, wie auch aus diesem ersten Brief hervorgeht, um ihn zu sprechen. Dieser Kontakt war nicht zustandegekommen, da Grevel zu der Zeit in einer Sitzung gewesen war. Es dürfte sich bei dieser Reise nicht um die Reise nach Berlin gehandelt haben. Vielleicht war er bei seiner Braut in Neuenrade und wollte deshalb den Superintendenten aufsuchen, weil er mit sich noch uneins war, wie er weiter vorgehen sollte. Wenige Tage später suchte ihn der Presbyter Schäfer in Unna auf und überbrachte ihm das Berufungsschreiben, das Josephson dann unterschrieben dem Supterintendenten zurücksenden sollte.

Den zweiten Brief - es ist auch der letzte, den wir in unserem Archiv von Josephson haben - schickte unser Josephson aus Unna zusammen mit dem unterschriebenen Berufungsschreiben nach Iserlohn zum Superintendenten. Der letzte Absatz dieses Briefs vom 26.August 1834 zeigt uns andeutend die Sorgen, die sich Josephson für die Zukunft machte:

"Möge mir der Herr nun ferner seinen Segen geben zu dem Amte, dessen schwere Pflichten sich oft so bange und verzagt machen wollen. Indem ich dazu um Ihre fernere Liebe und gütigen Rath bitte, empfiehlt sich Ihnen ergebenst C.Josephson".

Zu Verzagtheit war wirklich aller Anlaß, denn nur wenige Tage später muß Josephson nach Berlin gefahren sein, um sich den Ermittlungsbehörden zu stellen. Ob der ‘gute Freund’, der ihm das geraten hatte, wirklich ein guter war, wäre zu fragen. Jedenfalls lief Josephson in Berlin in offene Messer. Und während man in Deilinghofen noch auf ihn wartete und sogar das wieder geeinigte Presbyterium einstimmig (!) am 21.Oktober 1834 um dringende Bestätigung der Wahl in Arnsberg nachsuchte, kam von dort eine lapidare Absage. Am 5.November 1834 teilte die Regierung ohne Angabe von Gründen mit, daß "Carl Ludwig Josephson aus Unna als solcher die Bestätigung nicht erhalten kann", und man teilte dem Superintendenten weiter mit:

"Beauftragen Sie deshalb schleunigst die nöthigen Einleitungen zur Abhaltung einer neuen Predigerwahl bey der Gemeinde zu Deilinghofen zu treffen"; inzwischen sollte der Vicarius Varnhagen die Pfarrstelle weiter verwalten.

Was genau war in Berlin geschehen? Hermann Josephson gibt dazu Auskunft:

"Obschon der Hofprediger Strauß sich seiner [sc. C.L.Josephsons] annahm ‘wie ein Vater’ und für ihn einzutreten suchte, obwohl die Untersuchungsrichter ihm persönlich gewogen zu sein schienen und ihn ‘menschenfreundlich behandelten’, obschon irgendwelche Beweise von Umsturzideen u. dgl. gegen ihn nicht aufzubringen waren, konnte er es doch nicht hindern, daß die einfache Tatsache, daß er der vom Staate verbotenen Burschenschaft angehört hatte, ihn wie viele andere ins Gefängnis brachte. Am 1.November 1834 trat er seine Haft in der Hausvo[i]gtei (in Berlin) an, eine ‘harte Gefangenschaft’, wie er schreibt. Mitte April 1835 wurde er wieder entlassen, aber nicht dauernd, sondern nur so lange, bis das Endurteil in seiner Sache gefällt sein würde."

Was aber tat sich in der Berliner Gefängniszeit von November 1834 bis April 1835 in Deilinghofen? Hatte man Josephson einfach abgeschrieben oder gar als Häftling geächtet? Oder galt dort immer noch das, was damals auf dem Wahlplakat gestanden hatte: ‘Weiche keinen Finger breit vom Josephsone ab?’

Die Josephson-Gegner jedenfalls hatten wieder Aufwind bekommen. Schon am 23.November 1834 stellten sie in einer Presbyteriumssitzung eine neue ‘Dreizahl’ auf, wobei ausdrücklich vermerkt wurde, daß der Präses Schäfer das zwar genehmigt hatte, aber mit der Unterschrift gezögert hatte.

Bemerkenswert ist zu Josephson noch ein Brief von dessen Mutter an den Superintendeten Grevel vom 22.November 1834, der Pro-Josephson-Aktivitäten in Deilinghofen belegt hatte.

"Von Seiten der evangelischen Gemeinen zu Deilinghofen ist man mit einer Immediat=Vorstellung bey Pr Majestät dem Könige dahin eingekommen, daß Allerhöchst gestattet werden möge, daß diese Pfarrstelle zu Deilinghofen bis zur Freilassung meines dorthin berufenen Sohnes von dem Herrn Vicarius Varnhagen verwaltet werde."

Dieses Gesuch der Josephson-Befürworter war am 21. November zur Post gegeben worden, also ziemlich zeitgleich mit der genannten Bildung der ‘Dreizahl’ durch die Gegner. Bis König Friedrich Wilhelm III. darüber entschieden hätte, so schreibt die Witwe,

"dürfte eine billige und in den bestehenden Gesetzen begründete Bitte seyn, wenn ich Euer Hocherwürden hierdurch ergebenst ersuchen, mit der Einleitung einer anderweitigen Wahl gütigst Abstand zu nehmen".

Von oben aber war man vermutlich die ewigen Querelen um und aus Deilinghofen gründlich leid. Es deutet alles darauf hin, daß man ‘von oben’ darauf drängte, daß hier im Dorf umgehend ein Pfarrer des Ausgleichs und der Ruhe eingesetzt würde. Kein Geringerer als Konsistorialrat Wilhelm Bäumer (1783-1846), seines Zeichens Regierungs- und Schulrat bei der Königlichen Regierung in Arnsberg und Mitglied der Regierung, zuvor Präses der Märkischen Generalsynode, forcierte das Hierherkommen seines Günstlings. Dieser hieß August Limborg und wurde schnellstens in Deilinghofen zum Pfarrer gemacht, dem 14. nach der Reformation, auf dessen Leben und Wirken wir im nächsten Heft BDKG 4 eingehen wollen. Hier sei zu Limborg noch eine pikante Anmerkung gemacht, die auf den Fall Josephson ein bezeichnendes Licht wirft: Limborg hatte als Ex-Burschenschaftler ganz ähnliche Probleme wie Josephson, aber man konnte ihm nichts nachweisen. Daß Limborg (anders als Josephson) Günstling der staatlichen Obrigkeit in Arnsberg war und das Intrigenspiel geradezu zum Himmel stank, ließe sich an vielen Tatsachen weiter belegen, die wir dem Limborg-Kapitel vorbehalten. Doch zum Abschluß des Kapitels Josephson in Deilinghofen noch ein Satz der Regierung in Arnsberg vom 1.Mai 1835 (da war Limborg schon zwei Wochen in Deilinghofen tätig und Josephson gerade Haftentlassener), der lapidar so lautet:

"Auch ist hinsichtlich des Kandidaten Josephson uns noch eine Nachricht zugekommen, daß derselbe in der gegen ihn obschwebenden Untersuchung freygesprochen sey."

Daß dieser Freispruch später revidiert wurde und nicht zu einer Begnadigung wie bei Limborg führte, paßte in die ungerechte Politik der Obrigkeit.

Zuvor haben wir den Lebensweg eines jungen Mannes beschrieben, der in einem sehr erwecklich ausgerichteten Elternhaus, das den Herrnhutern nahestand, groß wurde, und der sich auf diesem Grund seit seinen Studentenzeiten auch politischen Idealen öffnete. Freilich war das auch ein tragischer Weg, in dem er sich direkt nach seiner Deilinghofer Zeit innerhalb von Kerkermauern wiederfand.

Von seinem Sohn Hermann haben wir in dessen mehrfach zitierten Aufsatz ergreifende und geradezu erschütternde Selbstzeugnisse Carl Ludwig Josephsons aus der Haftzeit, in dem die einsetzende Läuterung und auch Glaubensvertiefung bei Josephson ausdrucksstark beschrieben wird. Wir wollen diese Zeugnisse, die ja auch indirekte Früchte der Deilinghofer Erfahrungen waren, unseren Lesern nicht vorenthalten.

An seinen 24.Geburtstag schrieb Josephson in der Hausvogtei in Berlin folgenden Lebensrückblick:

"Mein Auge blickt sinnend in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und mancher Geburtstag ist mir vergangen, wo ich auch sann und schaute, aber ach! Wie war das Licht, das mir die Gegenstände beleuchtete, wie war Zweck, Beziehung, Gegenstand meines Sinnens so trübe, eitel, nichtig. O brünstiger Dank, daß ich in seinem Lichte, im Lichte des Wortes Gottes nun alles sehen kann, daß ich beim Vorwärts= und Rückwärtsschauen stets auch aufwärts schaue und alles beziehe auf sein Reich. Und wenn ich nun heute, wo ich vor 24 Jahren das Licht erblickte, betrachtend verweile bei der Vergangenheit, o dann beugen sich die Kniee meines Herzens von Dank, Demut, Scham und Reue, dann rufe ich zerbrochenen und doch freudigen seeligen Herzens mit Jakob aus: 'Ach Herr! Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an mir, deinem unwürdigen Knechte getan hast! ....

Und ich soll noch sagen, was die Gegenwart mir gibt, die Zukunft mir noch bringen wird? I c h   h a b e  F r i e d e n, den Frieden, den mein Jesus auch mir hinterlassen, als er sprach: ‘Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!’ Was kümmert’s mich, daß ich, von Menschen verlassen, einsam weile im Gefängnis? Die Schuld, durch die ich selbst es mir zugezogen, die ist vergeben, des gibt der Geist mir Zeugnis. Drum ist nicht Strafe das Gefängnis mir, sondern liebende Zucht des Herrn. Und seine Liebesabsicht habe ich deutlich schon erkannt und werde noch deutlicher sie einst erkennen. - Daß mir so manche schöne irdische Hoffnung, so manche Freude entschwunden? ‘Unser keiner lebt ihm selber, und unser keiner stirbt ihm selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn’. - Daß ich so manches entbehren, so manches mir entsagen muß? Der Herr hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte und - will der Jünger über seinen Meister sein? - Daß es scheinen will, als ob mich Gott vergessen habe? Daß man etwas von mir will, wovon ich nichts weiß? Daß man meinen Worten nicht Glauben schenken will? ‘Um Jerusalem her sind Berge; und der Herr ist um sein Volk her von nun an bis in Ewigkeit.’ Er wird es mir, dem Aufrichtigen, gelingen lassen, er wird mir durchhelfen, er wird Recht und Gerechtigkeit ans Licht bringen, es wird schon wieder helle werden. Er da droben heißt: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst, er ist der Treue und Gerechte, er hilft mir, wenn ich unterliege. Ich habe Frieden tief im Herzen, wenn es oben auch wohl stürmt und tobt, ich schau aufs Kreuz, von dort strahlt Gottes ewige Liebe und Treue hell und leuchtend mir entgegen".

An anderer Stelle in Hermann Josephsons Beschreibung der Haftzeit seines Vaters bedenkt der in Berlin Gefangene seine Haftsituation und läßt seine trostlosen Überlegungen in ein Gebet ausmünden:

"Die Wellen der Trübsal umgeben mich. Einsam sitze ich hier, verlassen in meinem Kerker. Einförmig läuft die Zeit mir hin, den Gruß der Liebe hör ich seufzend nicht am Morgen; die Schwestern und die Brüder, die teure Mutter ... und die holde Braut, sie weilen fern, und mit den ihren hebt mein Auge tränennaß sich oft zum Himmel ... seufzend schau ich in der Zukunft dunkle Ferne. Wo finde ich Trost? Wo Stärke? Wo Geduld? O, ich finde die - Halleluja! Auf Golgatha strahlt leuchtend mir das Kreuz des Herrn. Auf Jesu totenbleichem Angesicht ruht der höchsten Liebe größte Fülle. Da glaube ich, da erkenne ich meine Gnadenwahl. Da steht des Vaters Herz mir offen, und gläubig bittend als sein Gnadenkind, find ich dort Trost, Stärke, Hoffnung und Geduld. ... Gott ist die Liebe! Und wenn er züchtigt, die größte Liebe. Und wen er züchtigt, den hat er lieb. O Vater, laß mir deine Liebe! Dann will ich gerne dulden, fröhlich leiden, dann will ich stille harren, gläubig beten, dann will ich mutig kämpfen, standhaft ringen, bis deine Liebe mir des Kerkers Tore öffnet. Anbetend fall ich nieder vor dem Thron deiner Gnade. Herr, gib mir neue Lieder in den Mund! Amen!"

Solch ein neues Lied wäre etwa das Wallfahrtslied von dem Herrn, der die Gefangenen Zions befreien wird, daß sie dann sein werden wie die Träumenden, weil sie, die mit Tränen säen und mit Freuden ernten, Psalm 126,1-6. Ein Trostbrief, den der gefangene Carl Ludwig Josephson im Kerker von einem Freund erhielt und der von diesem 126. Psalm handelt, ist hier noch zu dieser ersten Haftzeit in Berlin nennenswert. Hermann Josephson führt dazu aus:

"In dem Buch, in das er [der Vater] seine Aufzeichnungen zu machen pflegte, liegt ein loses Blatt, auf dem ein ergreifendes Gedicht aus jener Haftzeit steht. Einige von dessen Strophen lauten:

 
Hüter, wird die Nacht der Leiden nicht bald scheiden?
Hüter, ist die Nacht schier hin?
Will es nimmer, nimmer tagen? Soll verzagen?
ach! vor Angst mein schwacher Sinn?

Einsam sitz ich und verlassen. O mit nassen
Augen weil’ im Kerker ich;
schon drei Monde sind vergangen, und mit bangen.
Blicken naht die Zukunft sich ....

Soll vergebens ich denn bauen, gläubig schauen
auf dein Wort, das ewig ist?
Soll ich denn vergebens flehn, nimmer sehn,
daß du, Gott, mein Helfer bist?

Herr, o meiner dich erbarme! Deine Arme
breite liebend nach mir aus!
Herr, ach laß mich nicht verzagen, hilf mir tragen,
führ es herrlich bald hinaus!


Auf der Rückseite des Blattes stehen Worte der Liebe und Teilnahme, die ihm ein Freund gesandt. Dieser schreibt u.a.: ‘Ich suchte nach etwas Tröstlichem für Sie und fand nichts Erquicklicheres als den Psalm 126. Singen und spielen sie ihn in dem Herrn in Ihrem Herzen. Selbst kein Ignorant auf dem Kreuzeswege, weiß ich, daß jener Psalm mir schon manche Träne gespart. Möge er in bangen Stunden die Ihrigen trocknen oder, was noch besser ist, in Freudentränen verwandeln. Gott sei mit Ihnen und Ihrem ....
v.Rappard".

Hermann Josephson schildert in seinem Aufsatz über das Gefangenenschicksal seines Vaters, wie nach der Untersuchungshaft in Berlin und dem (vorläufigen) Freispruch die Situation Carl Ludwig Josephsons aber noch erheblich zuspitzte, so daß man davon sprechen kann, daß "Vater ... den Leidenskelch bis zur Hefe austrinken" mußte. Dazu führt Hermann Josephson aus:

"Da seine [des Vaters] nicht ganz unbemittelte Braut nach dem Verlust ihrer Mutter ganz allein auf der Welt stand und seine Zukunft völlig ungewiß und unübersehbar war, so gründete er nach seiner Rückkehr von Berlin in der Stille mit ihr in Neuenrade den eigenen Herd, am 10.November 1835. Es folgte eine schwere Zeit des Schwankens zwischen Furcht und Hoffnung um so schwerer, als er ohne Amt und Beruf, ohne irgendwelchen festen Aussichten für die Zukunft war. ...

Fast 1½ Jahre gingen so dahin. Endlich traf das Urteil ein; es war mehr als erschütternd, es war vernichtend. Der angehende Pfarrer wurde ‘wegen Teilnahme an der Burschenschaft in Halle’ - so heißt es wörtlich in der am 11.Februar 1837 veröffentlichten Entscheidung des Berliner Kammergerichts - zu sechsjähriger Festungshaft und zu lebenslänglicher Unfähigkeit, ein öffentliches Amt zu bekleiden, verurteilt.

Nach unendlichen Bemühungen gelang es ihm, die Gnade des Königs dahin zu erweichen, daß die sechsjährige Festungshaft in eine halbjährige, die lebenslängliche Unfähigkeit, ein öffentliches Amt zu bekleiden, in eine dreijährige verwandelt wurde.

Und doch war der Schlag noch schwer genug. Im Herbst 1837 verließ Vater seine leidende Frau und sein einjähriges Söhnchen Paul ..., um auf der Festung Wesel seine Strafe abzubüßen".

In dieser unvorstellbar harten "Kreuzesschule", so schildert es der Sohn, sind mitten aus der Bedrängnis in Wesel "in gebundener und ungebundener Form ergreifende Lieder und Worte" des Carl Ludwig Josephson entstanden, von denen der Konsistorialrat des Vaters Gedicht mit der "Ueberschrift ... Hoffnung" mitteilt:

Was wird’s doch sein, wenn ich euch wiedersehe,
o du mein teures Weib, o liebes Kind;
was wird’s doch sein nach allem bittern Wehe,
wenn ich euch dankend, jubelnd wiederfind’! .....
Ach! einsam muß ich und verlassen wallen,
kein freundlich Auge grüßet liebend mich,
ich höre nicht des Kindes süßes Lallen,
und hart vermisse, teures Weib ich dich.
Nicht kann ich mit dir, o Geliebte, beten,
wie wir’s gewohnt am traulich stillen Herd,
nicht Hand in Hand mit dir zum Herren treten --
o Gott, was hab ich alles nicht entbehrt .....
Vereine wieder, was du, Herr, getrennt,
vereine wieder, was so treu sich liebt,
vereine, was vereint in sich dir nennt,
vereine, was zerrissen und betrübt .....".


 

3. Die Verbindung zwischen Deilinghofen und Wupperfeld - Zu C.L.Josephsons späterem Wirken

In einem Schlußausblick haben wir hier darzustellen, wie es mit diesem jungen Mann Carl Ludwig Josephson nach 1834 weiterging, der - wie schon angedeutet - erst nach seiner Haftentlassung in Wesel (1838) ein Pfarramt anstreben durfte. Ganz kurz nach der Weseler Festungszeit war er - was zu allem Schlimmen hinzukam - im April 1838 zum ersten Mal zum Witwer geworden. Anschließend heiratete er die aus Lüdenscheid stammende Pfarrerstochter Emilie Philipps, und als Pfarrer in Heedfeld bei Lüdenscheid wirkte er von 1839 bis 1842, danach als Pfarrer an St.Pauli in Soest von 1842 bis 1845 , bevor die entscheidende Station: Pfarramt in Barmen-Wupperfeld erreicht war, die Stelle, an der er jahrzehntelang sehr segensreich bis zu seiner Pensionierung Pfarrer war.


Wenn dieses Buch vom Titel her auch nur ‘bis 1834 geht’, so muß dieser Ausblick auf Josephsons Wupperfelder Wirken hier aus gutem Grund doch etwas umfangreicher ausfallen, als man erwarten könnte. Schon angedeutet wurde im vorigen Unterabschnitt, daß die evangelische Gemeinde Barmen-Wupperfeld eine gewisse innere Verbindung zur Deilinghofer Gemeinde besaß, nämlich dadurch, daß Wupperfeld der langjährige Wirkungsort unseres Carl Ludwig Josephson (Bild in Wupperfelder Zeit: links) bis zu seinem Ende wurde und auch der Geburtsort seines Sohnes Max Johannes Josephson, des späteren Deilinghofer Pfarrers, der dann ja als Gründungsvater des hiesigen CVJM bei uns wichtige Entwicklungen einleitete. Aber eigentümlicherweise gibt es noch eine weitere innere Verbindungslinie zwischen Wupperfeld und Deilinghofen, auf die wir hier zu kommen haben:

Über die restliche Entwicklung unseres Carl Ludwig Josephson (nach den dramatischen Ereignissen der Festungshaft) gibt nämlich am besten sein Deilinghofer und Wupperfelder Amtskollege August Witteborg in seiner 1927 geschriebenen "Geschichte der evang.-lutherischen Gemeinde Barmen-Wupperfeld" Auskunft. Pastor Witteborg (1860-1944) war in Deilinghofen (übrigens ein sehr angesehener) Pfarrer von 1885 bis 1894, und zwar direkter Amtsnachfolger des genannten CVJM-Gründers Josephson II. August Witteborg war nach einem Zwischenspiel als lutherischer Pfarrer in Ronsdorf Pfarrer in Barmen-Wupperfeld (von 1899 bis 1930); in Barmen starb er auch 1944.

In Witteborgs oben genannter ‘Kirchengeschichte Wupperfelds’ - die sorgfältig erstellte Arbeit erschien zum 150jährigen Bestehen der Gemeinde -ging dieser auch ausführlich auf die Aktivitäten des Carl Ludwig Josephson ein, der also nach seiner Gefangenschaftsszeit dann schließlich Pfarrer in Wupperfeld wurde. Im Rahmen der "Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte" ist es aus den genannten Gründen höchst interessant, hier über 1834 hinauszugreifen und einiges aus der Feder des Ex-Deilinghofer Witteborg über den Ex-Deilinghofer Carl Ludwig Josephson mitsamt seinem familiären Umkreis und seiner Theologie und kirchlichen Wirksamkeit zu erfahren.

Witteborg schreibt aus seiner guten Kenntnislage heraus zur Zeit nach der Haft und zu den zu den schon genannten Wirkungsstationen von Josephson in Heedfeld und Soest:

"Als er [sc. C.L:Josephson] 1838 entlassen wurde, starb in demselben Jahre, am 24.April seine Frau und hinterließ ihm zwei kleine Kinder. Und er konnte auch dieses Leid aus der Vaterhand Gottes annehmen und tragen. Dann erhielt er am 26.April 1839 die Pfarrstelle in Heedfeld bei Lüdenscheid, verheiratete sich, um seinen Kindern eine Mutter zu geben, mit Emilie Philipps in Lüdenscheid und entfaltete dann die Kraft der ihm von Gott im tiefen Leid geschenkten Gnade vom 30.Juni 1842 an als Pastor der St.Pauligemeinde in Soest, wo durch seine und Pastor Wiesmanns Tätigkeit eine Erweckung entstand, da sie die einzigen Pastoren dort waren, die Gottes Wort mit Beweisung des Geistes und der Kraft verkündigten.

Bald kam ein neuer Schlag: am 18.März starb seine zweite Frau auch an der Schwindsucht. Vier Kinder waren zu erziehen, am 14.Sept. 1844 reichte ihm die Schwester der verstorbenen Sophie Philipps die Hand zum Ehebündnis. Noch indemselben Jahre erfolgte seine Wahl nach Wupperfeld. Aber erst am 6. März konnte er eingeholt werden, in Vogelsang von einer Menge Wagen und Reitern abgeholt".

Die schweren Schicksalsschläge waren für Josephson noch nicht zuende:

"Am 9.November 1861 starb seine dritte Frau, nachdem sie an demselben Morgen einen Sohn geboren hatte, der zwei Monate später seiner Mutter folgte. Fünf Kinder waren auswärts, aber sechs noch zu Hause. Wer sollte sie erziehen? Da heiratete er zum vierten Mal und zwar Anna von der Schulenburg, Tochter des General-Leutnants Hermann von der Schulenburg, eine Diakonisse vom Hause Bethanien in Berlin, am 1.Oktober 1863. (Der Volksmund sagt, er habe zuerst die reiche, dann die schöne, dann die kluge und dann die vornehme Frau gehabt.) Noch drei Kinder wurden ihm geboren, aber zwei ältere starben am 19. und 21.März 1867, vier Jahre später eine Schwiegertochter und ein Sohn, 1878 eine Tochter, 1879 wieder ein Schwiegersohn, 1881 ein Sohn. Welch eine Summe von Leid!" 

Für Deilinghofen ist daraus wichtig, daß Max Johannes Josephson, der spätere hiesige CVJM-Gründer, geboren in Wupperfeld am 2.Januar 1854 Sohn der ‘Klugen’ der vier Frauen war: Sohn der dritten Frau Marianne Sophie Theodore Philipps. Und bedeutsamer noch ist, daß dieser Deilinghofer Josephson II in seiner Kindheit und Jugend all dies familiäre Leid als Erbteil mit auf seinen Weg bekam, aber sicherlich auch die Glaubensstärke und die missionarische Engagiertheit seines Vaters.

Was letzteres betrifft, war Deilinghofens Josephson I in seinem langen Wirken in Wupperfeld ein ebenso ungewöhnlicher Mann! Liest man Witteborgs Arbeit zu Carl Ludwig Josephson läßt sie keinen Zweifel daran, und man könnte sich dabei klagend fragen, was alles der evangelischen Kirchengemeinde Deilinghofen durch die verhinderte Anstellung dieses Mannes geistlich verloren ging im vorigen Jahrhundert...

Einige das theologische Profil des Wupperfelder Pfarrers Carl Ludwig Josephson charakterisierende Abschnitte sind hier nach Witteborg anzufügen. Bezeichnend ist schon, daß die Gemeinde Wupperfeld in ihrer ‘Pfarrerwahl-Politik’ durchaus anspruchsvoll war, denn bevor unser Josephson dort Pfarrer wurde, hatten sie sich keinen Geringeren als Philipp Spitta (1801-1859), den bekannten Liederdichter (‘Es kennt der Herr die Seinen’, ‘O komm du Geist der Wahrheit’ u.v.a.), als ihren Pastor auserkoren. Spitta aber mußte absagen,

"weil ihm sein streng konfessioneller Standpunkt nicht gestatte, ein Amt an einer zwar lutherischen, aber doch der Union zugehörigen Gemeinde zu übernehmen" .

Als dann in Wupperfeld gewählt wurde am 28.November 1844, da schaffte es unser Josephson, der Ex-Häftling, der in Berlin und Wesel hinter Gittern gesessen hatte, seinen Konkurrenten, "Pastor Möller in Diesfort", einen hochkarätigen Mann, der immerhin später zum "Generalsuperintendenten in Magdeburg" wurde, im zweiten Wahlgang mit 42:29 Stimmen aus dem Rennen zu schlagen. Ebenso war Josephson ja genau zehn Jahre zuvor bei der beschwerlichen und dann schließlich gescheiterten Wahl in Deilinghofen als ein äußerst befähigter und viele andere überragender Theologe ins Rennen gegangen.

Inhaltlich vermerkt Witteborg, einen Zeitzeugen zitierend, zur Art des Josephsonschen Wirkens Folgendes:

"Ob er den ganzen Schatz alt- und neutestamentlicher Wahrheit vor der Gemeinde ausbreitete ..., ... ob er über Bergpredigt [], Ehe, Kindererziehung, das Verhältnis der Herrschaften und Dienstboten, die Pflichten gegen die Obrigkeit, den Eid redete, aus allem tönte der Glauben an den Gekreuzigten. Dabei war und blieb er selbst demütig, weil er ein lebhaftes Gefühl seiner Sünden hatte und die ständigen Kämpfe gegen sie duchmachte. Er hatte ein hohes Amtsbewußtsein, duldete keinen Widerstand und leitete die Gemeinde. ... Das Köstlichste in seinem Leben war es Sünder selig zu machen. Darum war er ein Priester in seinem Haus und in der Gemeinde." 

Aus eigner Sicht setzt Witteborg da hinzu:

"Und ... er war eine geheiligte Persönlichkeit, vor der jedermann Ehrfurcht hegte. Es ist bezeichnend, daß der Barmer Witz, der sonst so leicht keinen verschont, sich an ihn nicht heranwagte."

Witteborg erzählt weiter zur ‘kirchlichen Karriere’ und zur Wupperfelder Art der Amtsführung bei Josephson:

"1855 wurde er zur Teilnahme an einer Generalkirchenvisitation in der Synode Minden und 1856 in Stralsund und Rügen von der obersten Kirchenbehörde aufgefordert. Bis in sein hohes Alter hat er jede Predigt aufgeschrieben und memoriert. Seine Reden waren kraftvoll und klar, wurden mit wohllautendem Organ lebhaft vorgetragen und weckten das Gewissen auf. In der späteren Zeit nahmen sie mehr den Charakter einer Bibelstunde an. Oft las Josephson längere Bibelstellen vor, deren Aufschlagen immer einige Zeit in Anspruch nahm, aber auch diese Art der Rede war packend und ergreifend. Für die geschäftliche Seite des Pfarramts hatte er wenig Neigung, auch nicht für Kindergottesdienste, Vereinspflege, Gemeinschaftspflege und dergleichen." 

Ob Josephson dem in Wupperfeld bereits um 1849 gegründeten ‘Jünglingsverein’ (im Blick auf den sein in Wupperfeld geborener o.g. Sohn Hermann 1899 die später gedruckte Festpredigt hielt) auch skeptisch gegenüberstand, wissen wir nicht, und ob er, der ja auch noch im Alter in Deilinghofen war, den dort von seinem Sohn Max Johannes gegründeten ‘Jünglingsverein’ mit Wohlgefallen zur Kenntnis nahm, ist uns genauso unbekannt.

Josephson starb am 7.Juli 1888 in Bielefeld, und wie bei Dümpelmanns Heimgang seinerzeit wurde von einem der Amtsbrüder Josephsons, Pastor Frick, beim Beerdigungsgottesdienst in Wupperfeld über Lukas 2, 29f. (‘Simeons Abschied’) gepredigt. Auf seinem Grabstein stand das Wort des anderen ‘Leichenpredigers’, Pastor Kirschstein: 1.Tim.1,15. Es paßt bestens zu Josephsons "Lebensprogramm: nichts als Christum den Gekreuzigten wollte er verkündigen, und er hat sein Vorhaben und Versprechen gehalten". So kann 1.Tim.1,15 hier auch als treffliches Abschlußwort dieses Kapitels stehen. Der da - anstelle von Menschen - gepriesen wird, soll auch in Deilinghofen, Wupperfeld, Hemer, Iserlohn, Hemmerde und anderswo heute und alle Zeiten das letzte Wort haben:
Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der Vornehmste bin.


1. Timotheus 1, Vers 15

 
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