Zwei Predigten in der Karwoche :
23.10.1997 und 10.4.1998
1.
Festpredigt zur Goldenen Konfirmation
(Pastor Ravenschlags beiden ersten
Konfirmationsjahrgänge '47 und '48)
So. Palmarum, 23.3.97, Stephanuskirche Deilinghofen
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des hl. Geistes sei mit euch allen. Amen.
Meine lieben
Goldkonfirmandinnen und Goldkonfirmanden, liebe Gemeinde am heutigen
Palmsonntag!
Stichwort Konfirmandenprüfung
- das ist jetzt hier der rote Faden! Mit der Konfirmandenprüfung beginne ich
heute an diesem Festtag die Predigt! Für den älteren Jahrgang von Ihnen war die
damals in dieser Kirche am Sonntag Judica, dem 23. März 1947, eine Woche vor
der Konfirmation - und der damals noch neue Pastor Alfred Ravenschlag
testete seine Jungen und Mädchen auf Herz und Nieren. Sage und schreibe über 70
Liedstrophen waren zu lernen, so wurd's mir
berichtet, gestern noch einmal, samt all den Katechismuserklärungen und den
Psalmen und so weiter. Und wer weiß, ich stell mir das vor - vielleicht hat
damals an jenem 23. März Alfred Ravenschlag mitten in
der Prüfung z.B. den Konfirmanden Klaus Bartmann aufgerufen und gefordert:
"Klaus, sag mal das Christuslied von Paulus aus dem Philipperbrief
auf, Phil. 2, 5-11". Sicherlich mußte
Sie den auch lernen; es ist sozusagen ein Psalm aus dem Neuen Testament, von
Paulus zitiert im Brief an die Philipper, in diesem Brief, der aus dem
Gefängnis geschrieben wurde. Und der Konfirmand Klaus Bartmann soll diesen
Christushymnus jetzt aufsagen (bitte schön!) - es ist nämlich jetzt unser
Predigttext. Damit Herr Bartmann aber nicht bloßgestellt wird, darf er beim
Aufsagen des Christuspsalms, des heute vorgeschriebenen Predigttextes, die
Seite 1 des Programmblatts vornehmen, wo alles steht, und wir alle zusammen
helfen ihm; wir lesen den Predigttext nämlich alle gemeinsam laut:
Ein jeglicher
sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war. Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich
selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung
nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum
Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den
Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem
Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und
unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß
Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Liebe
Festgemeinde, meine lieben Jubilarinnen und Jubilare!
"Konfirmandenprüfung"
- wenn wir den heute für den Palmsonntag vorgeschriebenen Predigttext auslegen,
bleiben wir allen Ernstes und ganz ohne "Gag" bei diesem Stichwort.
Denn als ich an die Predigtvorbereitung dieser Predigt ging, da habe ich
keineswegs nur an den Paulus damals gedacht, an die Lebensumstände des Paulus,
wie der - in Fesseln gebunden, eingekerkert in Ephesus - den Brief an die
Gemeinde in Philippi schrieb. Nein, ich habe die
Liste der 27 Männer und Frauen hier vor Augen gehabt und mir zu vielen von
Ihnen einiges vorgestellt, was alles in den 27 x 50 Jahren seit Ihrer
Einsegnung geschehen ist und was damals war: als Sie 14 waren, am Palmsonntag
1947 und am Palmsonntag 1948 - vor 50 und 51 Jahren!
Vieles weiß ich
aus Ihren Schilderungen, von den Gesprächen, die wir zur Vorbereitung des
heutigen Tages geführt haben - und viel davon kommt heute noch im Lauf des
Tages mit Sicherheit im Martin-Luther-Haus noch zur Sprache. Lassen Sie mich
nur einige Stichpunkte von damals hier nennen:
Der eine der
Konfirmanden, Herr Adolf Alberts, erzählte, wie ihm in der direkten
Nachkriegsnot mit 14 für ein oder zwei Pfund Butter beim Schneider ein
Konfirmandenanzug angefertigt werden konnte, beim andern, Klaus Bartmann, wurde
der Stoff eines Uniformmantels dunkel eingefärbt und zum Festtagsanzug
umgearbeitet. Sie erzählten von Lebensmittelkarten, von Stromsperren und den
Schwierigkeiten bei der Essensbeschaffung: daß z.B.
der Pastor bei einem Festtagsmahl bei einer Konfirmation 1947 Erbsensuppe
kriegte und bei einer anderen 1948 ein Jahr später dort auf dem Bauernhof an
der Hönnetalstraße schon Karnickelbraten; Sie
erzählten, wie sie in ihrer Kindheit Tiefflieger und Angst des Krieges noch
mitgekriegt haben, auch hier im Dorf; ganz zu schweigen von denen unter Ihnen,
die als Kinder durch den Krieg den Vater verloren haben. Und ich kann mich -
glaube ich - ein klein bißchen hineinversetzen in die
innere Verfassung Ihres Konfirmators Alfred Ravenschlag, der ja direkt aus dem Krieg gekommen und
unmittelbar bei der Gründung seiner Familie, es hier im Dorf nicht so leicht
hatte, Fuß zu fassen, Alfred Ravenschlag, der
Palmsonntag 1947 zum ersten und Palmsonntag 1948 - heute vor 50 Jahren - zum
zweiten Male hier Jungen und Mädchen der gebeutelten Kriegsgeneration in Deilinghofen in der Stephanuskirche
einsegnete an diesem Altar.
Konfirmandenprüfung:
Wer weiß, vielleicht war gar nicht das die eigentliche Prüfung für Ravenschlag, aus den über 70 Strophen sich was aufsagen zu
lassen von Jungen und Mädchen. Vielleicht war es eine viel größere Prüfung für
ihn, nach all dem, was in Deutschland passiert war mit Männern seiner
Generation und unter Hitler, bewußt - Jesus Christus
und sein Wort bezeugend - Jugendliche rauszuschicken ins Leben - in der
Hoffnung auf eine neue Zeit, in der man von Vergebung und Versöhnung lebt und
in einem neuen Anfang Schuld bewältigt. Genau davon hat mir Pastor Ravenschlag unter vier Augen oft etwas gesagt (so offen wie
ich es von Männern seiner Generation übrigens selten hörte): daß er sich und seine Generation als eine von Schuld
gezeichnete ansah.
Und
"Konfirmandenprüfung", meine lieben Jubilarinnen und Jubilare, das
kann für Sie, die Sie hier in den ersten Reihen sitzen an Ihrem Festtag, heute
auch noch in einem bißchen anderen Sinne verstanden
werden: nicht zuerst als Abfragen damals am Sonntag vor Palmarum,
Konfirmandenprüfung, das kann heißen: daß Sie jetzt
an vieles Schöne Ihrer Jugend zurückdenken, aber sicherlich auch an viele
Prüfungen und Feuerproben, durch die Sie seit damals, als Sie Konfirmanden mit
14 waren, durchmußten. Von manchen von Ihnen weiß ich
das besonders gut: was Sie in den 50 Jahren seit '47 und '48 durchmachten,
manche habe ich auch ein Stück in solchen Situationen begleiten können bei
Gesprächen in schweren Krankheitszeiten und dunklen Trauerzeiten. Und wenn wir
diese Erfahrungen von 27 x 50 Jahren hier zusammenpacken, wenn wir diese
Erfahrungen auch von Proben und Prüfungen in diesen zusammen fast 1500 Jahren
zusammennehmen, dann ist die ernsteste Prüfungsfrage die: Kann ich nach all
meinen Erfahrungen noch ehrlich die Hände falten und an Gott glauben? Oder
anders gesagt: Würdest Du die Konfirmandenprüfung 50 Jahre danach bestehen,
wo die richtige Lösung lautet: Ich halte allem erlebten und durchgemachten
Kreuz zum Trotz zu diesem Jesus Christus und versteh mich mit ihm im Bund,
durch dick und dünn, mit diesem Jesus Christus, auf den ich getauft bin und zu
dem ich mich vor 50 Jahren bei meiner Konfirmation bekannte - zu dem will ich
mich heute bekennen!
Unser Text heute,
liebe Gemeinde, ist ja eigentlich - recht verstanden - ein Prüfungstext, nicht
ein Prüfungstext zum Richtig-Aufsagen von Auswendiggelerntem, sondern ein
Prüfungstext anderer Art. Wie ich schon andeutete, ist der Philipperbrief
in Fesseln entstanden und nicht am Schreibtisch ausgedacht, von einem, der aus
Glaubensgründen eingelocht wurde, und der gerade da Not und Tod massiv vor
Augen, hart geprüft, den Einen bekennt, der ihn nicht fallen läßt: Jesus Christus, den Gekreuzigten.
Und dieser
berühmte Christushymnus: Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch
war, der nicht reich blieb, sondern ganz tief runter ging, gehorsam war bis zum
Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz, das ist für Paulus keine Auswendiglernsache
und keine Schreibtischsache; das ist sein Glaubensbekenntnis und
Lebensbekenntnis mitten in schwersten Leiden und Prüfungen, da wo man Warum
fragt und wo Gott - menschlich gesehen - abwesend zu sein scheint, da ist es
Menschen, die es wie Paulus halten, geschenkt, zu bekennen: ER, mein Ein und
Alles, ER, der Gekreuzigte, ist erfahrbar auch und gerade am allertiefsten
Punkt als der Herr, und - Gott sei Dank, bis heute erfahren genau so etwas
Menschen, die zu beten wagen: ich bin gehalten, sogar an meinem tiefsten Punkt,
von IHM, dem Einzigeinen, der für mich starb der, den untersten Weg ging und
gehorsam war bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz.
Liebe Gemeinde,
ich habe Männer vor Augen und Frauen auch, die sich erhaben vorkamen, an solch
einen Gott noch zu glauben, die fertig zu sein meinten mit diesem Gott und all
den Geschichten ihrer Kindheit, und die dann, an tiefsten Punkten des Kreuzes,
mitten in eigenen Suchtproblemen, mitten in Intensivstationerfahrungen,
mitten in tiefen Trauererlebnissen oder sogar den eigenen Tod vor Augen ihre
Hand nach diesem Retter ausstreckten und da - in eigenen Tiefendimensionen
ihres Lebens - manchmal auch - Gott sei Dank! - in meinen letzten 15 Jahren
hier in Deilinghofen ihn, den Retter noch fanden, ihn
fanden, der tief zu uns runter kam, ganz tief, daß er
gehorsam wurde bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz. Ganz gewiß, wenn ich um solche lebendige Erfahrungen nicht wüßte - mitten im oft lauen und unglaubwürdigen
Kirchenalltag -, wenn ich um solche Erfahrungen nicht wüßte,
aus dem eignen Leben und dem Leben von anderen, dann ständ
ich heute nicht hier und hätte meinen Talar längst in die Ecke gepfeffert. Und
Gott sei dank - sogar einige der heute 14jährigen Konfirmanden, die Anfang Mai
hier eingesegnet werden, haben mitten in schweren eigenen Lebensprüfungen zu
Gott gefunden und verstehen, so jung sie sind, "Konfirmandenprüfung"
nicht nur als Auswendiglernsache.
Und der
allgemeinen Strophe, Gott "von gestern" sein soll, daß Gott tot sein soll gar, wie es die Spatzen von den
Dächern zu pfeifen scheinen, setzen wir hier an diesem Festtag sehr kräftig und
aus vollem Herzen eine andere Melodie und eine andere Schlußstrophe
entgegen: sie steht auf dem Programmblatt auf Seite 1 und wurde von uns
gemeinsam gelesen im Predigttext. Denn da geht es nicht um das "Lied vom
Tod", da geht es um das Lied des Lebens, den Christuspsalm, der jubelnd
endet: diesen Christus, den sie für tot erklären wollten damals und bis heute
wollen allerorten, den hat Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der
über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich
beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde
sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus
Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Das heißt auf gut
deutsch: egal wie gut du singen kannst, egal wie gut du Frommes auswendig
lernen kannst, fang neu an, von Herzen dieses Lied mitzusingen, dies
Glaubens-Lied, daß Jesus Christus der Herr der Welt
und Herr deines Lebens sein will und ist, dies Lied, daß
Jesus Christus als König herrscht und alles ihm untertänig wird, daß sich alle Mächte vor ihm beugen werden und aller Knie:
im Wissen daß Karfreitag mit all dem Kreuz und Warum
nicht das Letzte war und daß seit Ostern der Name
Jesu, dieser herrliche Name Jesus der Name wurde, der über alle Namen ist.
Und wenn das hier
das Ende der Predigt ist, liebe Konfirmanden und liebe Gemeinde, dann gibt es
im Namen dieses Christus vielleicht noch eine Zusatzpredigt an einige
persönlich hier, wenn gleich die alten Denksprüche, die Ihr Konfirmator
vor fünfzig Jahren verlas, den gleichen Menschen im Namen Jesu noch einmal
zugesprochen werden und sie ansprechen, und wer weiß, vielleicht erfahren wir
hier es auch am Altar bei Brot und Wein, daß Glaube
neu anfängt und Neuanfang ermöglicht, wo wir im Namen Jesu uns persönlich sagen
lassen: "Christi Leib für dich gegeben, Christi Blut für dich
vergossen". Das heute so verstehen zu können, das gebe hier Gott! Wohl dem
von uns, der die richtige Konfirmandenprüfung besteht und heute neu erfährt, daß Gott nicht tot und nicht "von gestern" ist,
sondern für dich und für mich das Leben hat für heute und morgen und bis in
Ewigkeit! Amen.
2.
Predigt am Karfreitag, 10.4.98 in der Stephanuskirche Deilinghofen
Gnade sei mit euch und Friede von
Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde an
diesem Karfreitag, kein Brief des neuen Testamentes zeigt so deutlich, daß Paulus betont ein Theologe der Kreuzes ist, ein Christ
in der Leidensnachfolge des Gekreuzigten von Golgatha, wie der zweite
Korintherbrief. Wie schon einige Male in diesem Kirchenjahr ist jetzt für den
heutigen Karfreitag wieder ein Text aus dem zweiten Korintherbrief zu predigen
vorgeschrieben in der Ordnung der Predigttexte. Hören wir auf 2.Kor. 5,18-21,
die Zusammenfassung dessen, was von Paulus aus das Kreuz von Golgatha zu sagen
hat:
Gott hat uns
mit sich selber versöhnt durch Christus und uns das Amt gegeben, das die
Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich
selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet
das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn
Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Laßt
euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die
Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Gebet: Herr, stärke
mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die
dich bewog, von aller Schuld des Bösen mich zu erlösen. Laß
du deinen Geist uns hier leiten zum rechten Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde,
vor fünf Tagen am Palmsonntag bei der Goldenen Konfirmation dachten an einem unvergeßlichen Tag viele an ihre Konfirmation und an Pastor
Ravenschlag damals bei seiner ersten und zweiten
Konfirmation in Deilinghofen. In dem Zusammenhang
fiel mir die letzte Predigt von Pastor Ravenschlag in
die Hände, die er auf dieser Kanzel hielt, es war Gründonnerstag 1984, und
diese Predigt beginnt mit den Versen, die er am Eingang eines Friedhofs einmal
gelesen und notiert hatte:
"Wir sind
ein Volk,
vom Strom der Zeit
gespült ans Erdeneiland
voll Unruh und voll Herzensleid,
bis heim uns holt der Heiland.
Ein Vaterhaus
ist immer nah,
und wechseln auch die Lose:
Es ist das Kreuz von Golgatha,
Heimat für Heimatlose".
Das mag sich in
den Ohren mancher altertümlich anhören, angestaubt und überholt, das mag die
Welt nicht hören wollen oder als sentimental verlachen, genau das ist die Mitte
des Karfreitags und die Mitte des christlichen Glaubens: ein Vaterhaus ist
immer nah, es ist das Kreuz von Golgatha, Heimat für Heimatlose. Wenn’s
irgendeinen Punkt gibt, der mich bei Gott hält, der mich in dieser Kirche – bei
allem, was wackelt – dennoch dabeibleiben und auf festen Füßen stehen läßt, dann ist es dieses Kreuz von Golgatha, die Heimat für
Heimatlose. Und was mich an Paulus fasziniert – gerade am zweiten und auch am
ersten Korintherbrief, das ist seine Einseitigkeit, mit der er nicht den Glanz
der Kirche und die Großtaten der Christen preisen will, wie seine großkotzigen
Gegner, sondern allein den einen: Christus den Gekreuzigten; "ich will
nichts anderes wissen als Christum den Gekreuzigten", das sagt er da
einmal und das durchzieht all sein Tun und Reden. Fest steht man nirgends
anders als da auf diesem Boden jenes Hügels, bei dem von allen Seiten
verlachten und verachteten Gekreuzigten und seiner Versöhnung am Kreuz von
Golgatha, wo Heimatlose Heimat finden, Trostlose ihren Trostgrund,
Schuldbeladene ihren neuen Anfang und Wankende und Angefochtene das Einzigeine, was sie in der Tiefe hält.
Paulus in unserm
Text heute zum Karfreitag beschreibt diese Mitte des Glaubens mit dem Wort
Versöhnung. Er blickt da nach Golgatha, auch wenn er mit keinem Wort die
Geschehnisse dort erwähnt, und er beschreibt das, was ihm die Mitte ist mit den
Worten:
Gott hat uns mit
sich selber versöhnt durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung
predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und
rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu.
Nein, bloß nicht
falsch verstehen: das ist keine billige Allversöhnung,
so wie’s manche juxend beim Schunkeln zu singen pflegen: "Wir kommen alle alle in den Himmel, weil wir so brav sind, weil wir so brav
sind". Es ist nicht jene billige Gnade, die ein Bonhoeffer als die
Hauptkrankheit in der lauen Christenheit bezeichnete, es ist eine teure
Gnade, die anzunehmen ist: wir sind teuer erkauft, es kostete ihn das
Leben, der für uns litt und starb. "Teuer erkauft", so wie es knapp
und präzise an der Friedhofskapelle auf dem schwarzen Kanzeltuch zu lesen ist:
wir waren Gott das Teuerste wert, wir waren Gott seinen Christus wert,
den er für uns gab bis hinein in die Leidens- und Tiefendimensionen des Lebens,
bis hinein in den Tod.
Und das Amt, das
die Versöhnung predigt, das ist der Ruf zur Buße: Komm dahin unter dies einzigeine Kreuz, wo du, der du dich verlaufen hast und heimatlos
in die Irre gehst, wieder Sohn wirst und Tochter, wo du Kind Gottes wirst und -
mit Gott versöhnt - ins Reine kommst. Insofern ist wirklich das Kreuz von
Golgatha das Vaterhaus, das immer nah ist, und die Heimat für Heimatlose.
Liebe Gemeinde,
sieben Wochen lang haben wir uns in dieser Kirche in diesem Jahr in den
Passionsandachten fortlaufend mit Texten der Passionsgeschichte des
Evangelisten Johannes beschäftigt. Wir haben dort auch gesehen, wie im
Johannesevangelium der Weg Jesu in die Tiefe seiner Leiden – mit rechten Augen
betrachtet – immer auch ein Weg zur Verherrlichung dessen ist, der Ostern der
wahre König, der Herr über alles, blieb. Und heute vollends im Schlußabschnitt des Johannesevangeliums kam das eben bei
der Lesung [Joh.19] wieder raus: Sie wollten Jesus verhöhnen und schrieben in
allen Sprachen der König hängt da, und in Wirklichkeit hing er, aufgerichtet
und inthronisiert, er, der Eine, der versöhnend der Herr über alles wurde. Und
da am Kreuz aufgerichtet, wo sie juxen und würfeln um seine Kleider, wie
haargenau dort vorne abgebildet – sehr drastisch – an unserm Altar, da versöhnt
er, macht den Jünger, den er lieb hat, noch am Kreuz zum Sohn seiner Mutter,
die weint, wie auch
dort vorne zu sehen ist. Das Kreuz, hier
aufgerichtet auf dem mittelalterlichen Altar, erinnert uns Sonntag für Sonntag
an diese Versöhnung.
Paulus aber,
liebe Gemeinde, in unserm Text des 2. Korintherbriefs drückt das Gleiche auf
seine Weise aus: Aufgerichtet wurde nicht nur das Kreuz, aufgerichtet wurde das
Wort von der Versöhnung.
Und jetzt kommt
das faszinierndste Wort unseres Textes: aufgerichtet
wurde das Wort von der Versöhnung, und er hat uns gemacht zu Botschaftern,
zu Botschaftern an Christi Statt! Da lohnt sich’s innezuhalten:
Botschafter, so überlegten wir auch am Mittwoch in der Frauenhilfe zu genau
diesem Vers: Botschafter sind doch Repräsentanten eines anderen Reiches in
einer fremden Umgebung, Botschafter sind Stellvertreter, die für ihr Land und
für ihr Reich stehen und sogar zeichnungsberechtigt sind. Und hier sogar
zugespitzt: Botschafter an Christi Statt, in seinem Namen sprechend und
handelnd: nicht mehr und nicht weniger dürfen wir sein! Er litt alles
stellvertretend für uns, und wir dürfen dann stellvertretend – zum Kreuz von
Golgatha hinweisend - für ihn sein Mund heute werden, als Botschafter der
wichtigsten Botschaft für unsere Welt, und die Botschaft lautet: "Laßt euch versöhnen mit Gott!"
Wohlgemerkt, nur
von dieser Mitte her gesehen ist Versöhnung kein Schwafelwort für
Sonntagsreden! Auch nicht nur ein Wort für Pastoren allein. Nur vom Kreuz aus
und von nirgends anders ist Versöhnung in der Welt: daß
Gott uns dank seines Sohnes – wo wir ihn finden – zu seinen Söhnen und Töchtern
macht, zu seinen Kindern werden läßt, die dann
untereinander verbunden sind und auch vertikal Versöhnung stiften, wie da am
Kreuz im Bild, Versöhnung schaffen und leben – wie es da zum ersten Mal
passierte, als der eine der Schächer am Kreuz noch Heil fand und Maria und der
Jünger neu miteinander verschwistert und versöhnt und verbunden werden durch
die Botschaft der Versöhnung.
Und umgekehrt
kreuzigen wir ihn neu, wo wir untereinander an diesem Kreuz, an diesem
"teuer erkauft" vorbeileben, uns nicht mit Gott
versöhnen lassen und dann uns gegenseitig die Versöhnung verweigern.
Unter uns
aufgerichtet ist das Wort von der Versöhnung im Namen des Gekreuzigten - Gott
sei Dank! - bis heute! Der Ort, sich als Sohn und als Tochter, als Kind Gottes
zu verstehen, ist und bleibt nur da, am Kreuz von Golgatha, der Heimat für
Heimatlose. Mag das verstaubt klingen und altmodisch, mag die Welt mit allen
möglichen Medien spannendere Botschaften, tollere "messages"
unter die Leute bringen wollen als diese anfechtbare ärgerlich-schlichte
Karfreitagsbotschaft hier, mag sie andere glänzendere
Heilswege finden und sich dabei nur umso mehr verirren, ich möchte mich
jedenfalls an das halten, was schon den Paulus hielt und nichts anderes als
Mitte meines Lebens wissen als Christus den Gekreuzigten, und in dessen Namen
möchte ich, mit Gott versöhnt, um meine Heimat im Glauben wissen und
Heimatlosen im Glauben und Heimatlosen im Leben eine Heimat bieten und
Trostlosen einen Trost, der in der Tiefe trägt, und Versöhnung schaffen und leben,
wo immer ich kann im Blick auf dies aufgerichtete einzigeine
Wort von der Versöhnung, wie wir es angeboten erhalten auch im Brot und im Wein
hier an seinem Tisch, um es in uns aufzunehmen und durch uns wirken zu lassen,
durch uns, die Botschafterinnen und Botschafter, daß
es Frucht der Versöhnung bringe und an Christi statt wirke, der durch uns ruft:
Laßt euch versöhnen mit Gott! Gelobt sei Gott, der
den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde
gemacht hat, daß wir im fröhlichen Wechsel – wie Luther
das sagte – die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt! Amen.