Wüsten-Erfahrungen nach Psalm 107, 1-9

Passionsandacht am 11.4.2000 in der Stephanuskirche Deilinghofen

(Besucher waren v.a. viele aus der Goldkonfirmationsgruppe, die am Palmsonntag ihr großes Fest haben wird; die Jubilarinnen und Jubilare haben im Anschluss an die Andacht eine Vorbesprechung für den Sonntag in der Kirche)

Nach dem alten Gesangbuch (EKG): 6. Passionsandacht der Markusreihe, S. 982 bis 983

Begrüßung

Lied 60 Str. 1 und 2 (Herzliebster Jesu)

Im Namen... Psalm 130, 6. Bußpsalm (S. 1021)

Lied 55 (O Lamm Gottes unschuldig)

Gebet (zuerst stilles Gebet)

Alttestamentliche Lesung Psalm 107, 1-9 (heutiger Text)

Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. So sollen sagen, die erlöst sind durch den HERRN, die er aus der Not erlöst hat, die er aus den Ländern zusammengebracht hat von Osten und Westen, von Norden und Süden. Die irregingen in der Wüste, auf ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, in der sie wohnen konnten, die hungrig und durstig waren und deren Seele verschmachtete, DIE DANN ZUM HERRN RIEFEN IN IHRER NOT, UND ER ERRETTETE SIE AUS IHREN ÄNGSTEN und führte sie den richtigen Weg, dass sie kamen zur Stadt, in der sie wohnen konnten: DIE SOLLEN DEM HERRN DANKEN FÜR SEINE GÜTE UND FÜR SEINE WUNDER, DIE ER AN DEN MENSCHENKINDERN TUT, dass er sättigt die durstige Seele und die Hungrigen füllt mit Gutem.

 

Lied 60, 3:

Lesung Markus 15, 6-15

Lied 60, 4

Markus 15, 16-19

Lied 60, 5

 

 

Auslegung Psalm 107, 1-9

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Exkonfirmandinnen und Exkonfirmanden, die hier 1949 und 1950 eingesegnet wurden!

Da muss man die Bibel gar nicht ganz gut kennen, um zu wissen: "Wüste" kommt da oft vor, Wüstenleiden, Durststrecken, Wüstenerfahrungen in 40 Jahren Wüstenwanderung in Gottes Volk im Alten Testament – und im Neuen Testament da gleich am Anfang: 40 Tage Jesus in der Wüste, herausgefordert vom Versucher. Und damit auch unsere Neuhinzugekommenen den "Roten Faden" dieser Andachten im Blick haben, habe ich mit Bedacht meine beiden letzten Andachten über Wüstenerfahrungen an diesen Dienstagen, nämlich die Andacht über Jesus in der Wüste und über den lebensmüden Elia in der Wüste, kopiert, vervielfältigt und Ihnen ausgeteilt. So können Sie vom heutigen Abend jedenfalls etwas mit nach Hause nehmen, und ich denke, wenn Sie diese insgesamt 3 ½ Seiten mal in Ruhe abends im Bett vor dem Schlafengehen mit Verstand lesen, dann merken Sie ein bisschen davon, dass die Bibel wahrlich kein weltfernes Buch, kein schönfärberisches Buch ist, das uns in kindischer Weise eine heile Welt vorgaukelt, sondern krass das Gegenteil: ein Buch, das uns aufstöbert und uns in radikaler Weise auf verdrängte Dinge unserer Existenz hinweist und uns den Spiegel vorhält. Gerade beim Thema Leid, beim Thema Passionserfahrung, beim Thema Durststrecken, die da durchzumachen waren in der Wüste.

Lassen Sie uns unter dieser Voraussetzung jetzt noch einmal auf die 9 Verse hören, die wir eben bei der alttestamentlichen Lesung vor Augen gestellt bekamen: Psalm 107, 1-9.

Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. So sollen sagen, die erlöst sind durch den HERRN, die er aus der Not erlöst hat, die er aus den Ländern zusammengebracht hat von Osten und Westen, von Norden und Süden. Die irregingen in der Wüste, auf ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, in der sie wohnen konnten, die hungrig und durstig waren und deren Seele verschmachtete, DIE DANN ZUM HERRN RIEFEN IN IHRER NOT, UND ER ERRETTETE SIE AUS IHREN ÄNGSTEN und führte sie den richtigen Weg, dass sie kamen zur Stadt, in der sie wohnen konnten: DIE SOLLEN DEM HERRN DANKEN FÜR SEINE GÜTE UND FÜR SEINE WUNDER, DIE ER AN DEN MENSCHENKINDERN TUT, dass er sättigt die durstige Seele und die Hungrigen füllt mit Gutem.

Liebe Gemeinde, wenn Sie zu Hause einmal diesen gesamten Psalm 107 sich mal aus der Bibel vornehmen und für sich betrachten, ich sag nur, das lohnt sich sehr, versuchen Sie es mal, vielleicht auch gerade als Vorbereitung auf den Psalmsonntag! Wenn Sie das tun und diesen Psalm 107 aufmerksam in sich aufnehmen, dann werden sie feststellen, dass das ein ungewöhnlich faszinierender Psalm ist, wo es formal immer nach dem gleichen Schema in jeder Strophe geht, wo immer der Refrain und Leitvers ist, "die dann den Herrn riefen in ihrer Not", "die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder" – aber Wunder, wohlgemerkt, das sind hier in Psalm 107 jedesmal sehr sehr bewegende Erlebnisse mitten in allergrößer Not, bei schrecklicher Krankheit, bei Schulderfahrungen, die da bildreich beschrieben werden, bei Erfahrungen mit Sturm und Unwetter auf dem Meer, und eben bei Erfahrungen wie hier – mitten in der Wüste, mitten in der Wüste, wo die Zunge am Gaumen klebt, wo du kaputt gehst, wo du elendiglich zu verschmachten drohst, da, wo du auf ungebahnten Wegen zu gehen hast, wo du ein Zuhause suchst, die Stadt, in der du wohnen kannst und eine Heimat hast.

Es ist keine drei Stunden her, da habe ich genau diesen Psalm 107 drüben im Martin-Luther-Haus unserm Altpresbyter Willi Teves vorgelesen, der drüben mit seiner Festgesellschaft seinen 80. Geburtstag begeht. Und ich glaube, was da steht und angesprochen ist von Heimatlosigkeit, von Durststrecken-Erfahrung, das wissen so Menschen aus jener Generation von Krieg und Gefangenschaft, auch ohne dass ich es ihnen groß deute, dass da auch so Erfahrungen von Stalingrad indirekt mit angesprochen sind, durch die der Jubilar drüben hindurchmusste, und von denen zu reden sonst schwerfällt.

Ich denke da an ein anderes Gemeindeglied, das auch Stalingrad erlebt hat und mit Not da rauskam, und das als Lebenswende dann sogar gesehen hat, als mir dieser Mann kurz vor dem Tod gesagt hat: "Wer diese Hölle, die Menschen da Menschen antaten und aus der Hölle rauskam und dann nicht zu beten anfängt, der ist kein Mensch, sondern ein Tier. Ich jedenfalls habe von dem Tag an jeden Tag gebetet."

Genau in die gleiche Richtung geht, liebe Gemeinde, der Textabschnitt, den ich zweimal las! Lobet den Herrn, vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, danket dem Herrn, denn er ist freundlich: das ist da nicht bloß so ein gängiger Spruch, das wird aufs innigste mit Tiefenerfahrungen aus dem eigenen Leben, mit Bilder, die man da plastisch vor sich hat – mitten aus dem Leben - verknüpft und verwoben: Wer einmal solche Wüste sah, die Wüste, die schlimme Durststrecke der Leiden, wer einmal diese Einsamkeit in sich hochkriechen fühlte, die die Heimatlosigkeit mit sich bringt, wer solche Erfahrungen in sich selbst hat und davon weiß, wenn man hungrig und durstig war und wenn die Seele verschmachtete, wie da Psalm 107 sagt, dann soll man um Gottes und seiner selbst willen das Zweite nicht vergessen: ER hat getragen bis hierher, wie man aus der Rückschau dann sehen kann; und Psalm 107 ist da wie ein Spiegel, der uns beides zeigt: was wir ähnlich in der Wüste erlebten, und das zweite dann auch, dass es so mit Gott ist, dass der hören kann bis heute, denn da heißt es , wie es noch heute erfahren und gesehen werden kann: DIE DANN ZUM HERRN RIEFEN IN IHRER NOT, UND ER ERRETTETE SIE AUS IHREN ÄNGSTEN und führte sie den richtigen Weg, dass sie kamen zur Stadt, in der sie wohnen konnten, die sollen dem Herrn danken und ihn für seine Wunder preisen!

Liebe Gemeinde, bei dem, was ich eben mit dem Stichwort Stalingrad andeutete als Inbegriff für Heimatlosigkeit und Wüstenerfahrung und Durststrecke, da waren die, die Sonntag Goldkonfirmation begehen noch kleine Kinder, und als Sie aus dem Unterricht kamen damals, da begann bald eine andere Welt, in der nach Trümmern was geschaffen wurde.

Und doch musste ich heute morgen, als ich einen Großteil der Konfirmationsurkunden schrieb und mir die Namen ansah und dazu die jeweiligen Denksprüche, oft denken zu den Namen, die ich da las und zu den Sprüchen, die Ihnen zugesprochen wurden: Wie mag der, wie mag die das aus der Bibel da wohl als 14jährige oder 14jähriger damals bei Pastor Ravenschlag gehört haben: das mit Gott, mit Christus und seinem Segen, und wie mag er oder sie es heute neu hören nach all den Erfahrungen der fünf Jahrzehnte dazwischen. Bei nicht wenigen von Ihnen weiß ich, was sie an Durststrecken und Wüstenerfahrungen hinter sich haben, vieles davon konnte ich manchmal ein Stück begleiten.

Und vielleicht passt kaum ein Text besser als dieser, den ich las aus Psalm 107, der uns den Sinn dessen, worauf es Sonntag ankommt, vorbereiten kann: Mensch, in deinen Leiden, in deinen tiefen Erfahrungen, mach die Augen auf und sieh, was alles war, lass den Film ablaufen, verdräng es nicht, aber mach dann auch die Augen auf, dass da mitten im Leid immer noch Gott auf dem Plan war, dass da mitten im Kreuz Christus der Gekreuzigte dir nahe kommen wollte, mach die Augen auf dafür, dass dieser heute noch angerufen werden kann und von sich was zeigt, ja, dass er gerade auch umgekehrt dich anruft und mich und uns in seinen Bund ruft, auch am Sonntag hier am Altar beim Abendmahl in Brot und Wein. - Alles das wird dir und mir gesagt in dieser Passionsandacht, indem unsere Augen da gelenkt werden auf Wüstenerfahrungen, wenn wir da zu verschmachten drohten, und wenn wir trotzdem unter der großen Verheißung stehen, dass wir noch Wunder sehen sollen von diesem großen Gott, von Christus, der das Kreuz trug und dich und mich tragen kann. In dessen Namen behält die Wüste und das Kreuz mit dem Tod nicht das letzte Wort, Gott sei Dank! Amen.

Lied 436, 1-2 (Das Konfirmandenlied von 1949 und 1950: Mein Schöpfer, steh mir bei)

Luthers Abendsegen (EKG S. 1030)

Lied 436, 3

Vater unser

Lied 436, 4

Schluss-Segen und Orgelnachspiel

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