Passionsandacht am 28.3.2000 in der Stephanuskirche Deilinghofen
(mit dem Kirchenchor)

Nach dem alten Gesangbuch (EKG) 4. Passionsandacht der Markusreihe, S. 978 bis 980
Thema der Deilinghofer Andachtsreihe: Wüstenerfahrungen


Erstes Lied des Kirchenchors: Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken? Wem künd ich  mein Entzücken, wenn freudig pocht mein Herz? Zu Dir, zu Dir, o Vater, komm' ich...

Begrüßung

Lied 66 Str. 1 (Du großer Schmerzensmann)

Im Namen des Vaters... Psalm 51, 4. Bußpsalm (S. 1020)

Gebet
 
 
 
Alttestamentliche Lesung 1. Könige 19, 3-8 (heutiger Text)

Da fürchtete Elia sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. 

Lied 59, 1-2: Wir danken dir, Herr Jesu Christ

Lesung Markus 14, 43-53

Lied 70, 2: Ich folge dir durch Tod und Leid

Markus 14, 53-65

Lied 59, 3-4
 
 

Auslegung 1. Könige 19, 3-8
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.


 


Liebe Gemeinde, mit Engeln ist das so eine Sache. Bei mir jedenfalls, von Kind an. Neulich habe ich noch mit Pastor Lohmann ausführlich von meiner „frühkindlichen Engelallergie“ geredet. Vielleicht habe ich mir den Schaden im katholischen Kindergarten Schwerte zugezogen, den ich eine Zeitlang besuchte, wo wir damals ein Abendgebet von 14 Englein lernten, die zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen, zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken usw. waren, dass ich da vor lauter Engeln nicht mehr wusste, wo Gott da Platz hatte an meinem Bettchen bei der ganzen Enge-lei. Jedenfalls: manche Engelgeschichten konnte ich, schon als ich sehr klein noch war, gar nicht leiden, besonders wenn sie zu sehr ausgemalt wurden, wenn da biblische Geschichten allzu phantasievoll ausgeschmückt und sozusagen putzig gemacht wurden und man gar nicht mehr wusste: war man jetzt im Märchen, wo da auf wunderbare Weise die gute Fee kommt und den Zauberstab rausholt und alles wird gut – oder war man in der Bibel, wo es um andere Wahrheit ging und geht.... Und biblische Geschichten von Märchen, die ich auch liebte, unterscheiden: das wollte ich damals schon und will ich heute noch.

Genau so emotional, liebe Gemeinde, sind mir andere Geschichten der Bibel auf die Pelle gerückt und an die Nähte gegangen, seitdem, und sind zu meinen wichtigsten Geschichten geworden. Aus dem alten Testament z.B. das, wie da der Jakob, der gerade noch im Traum die Leiter zum Himmel sah, auf einmal die ganze Nacht mit Gott ringt da am Fluss Jabbok, dem da Gott, den er gar nicht recht sieht, fast zum Dämon wurde, und der da bei Sonnenaufgang dort hinkt fortan, weil seine Hüfte kaputt ist. Ich kann gar nicht be-schreiben, wie oft mir das mit diesem Kampf und dieser hinkenden Hüfte nahegegangen ist von kleinauf!

Und Jesu Kampf da in der Wüste, was heute vor 14 Tagen Thema an dieser Stelle war, diese Versuchung, das ist für mich von Anfang an fast eine Zwillingsgeschichte dazu gewesen, die mich genauso anrührte, und zwar – wohlgemerkt! – ganz anders als so schön ausgeschmückte putzige Engelgeschichten oder grausige Teufelsgeschichten, wie man sie in katholischen Kindergärten hörte...

Und wenn es heute heißt im eben gelesenen Text: „Und ein Engel rührte ihn an, den Elia“, dann möchte ich es nicht als Engelgeschichte nach dem Erzählmuster Kindergarten hier vernehmen, dann geht mich diese geheimnisvolle Wüstengeschichte ganz anders an – ganz parallel zu Jakob am Jabbok und Jesus in der Wüste, wohlgemerkt! – und „rührt“ mich anders „an“, vielleicht dich auch?

Denn das ist das Eigenartige und in der Bibel Typische, dass da sonst tabuisierte Abgründe nicht geschönt und verschwie-gen werden, dass die Bibel schon im Alten Testament ein schonungslos offenes Buch ist, auch was Passionen und Leiden betrifft, und dass nur wer die Leidensabgründe wahrzu-nehmen wagt, die Durststrecken da in der Wüste, auch das Wunderbare mitkriegt, worauf es rausläuft.

Die Geschichte, die ich eben las von Elia, der um sein Leben rennt und da in die Wüste kommt, das ist eine geradezu un-erhörte Geschichte! Haben Sie es noch im Ohr, haben Sie es noch vor Augen, was da uns vorgestellt wird? Elia dort in der Wüste kam und setzte sich unter den Wacholder und wünschte sich den Tod und sprach: „Es ist genug, Herr, so nimm denn meine Seele!“ Was war geschehen?  Elia, der große Gottesmann, war auf der Flucht, auf der Flucht vor der Geheimpolizei des Königs Ahab, dessen heidnische Frau  Isebel die Fruchtbarkeitsgötter der heidnischen Umwelt in Gottes Volk populär gemacht hatte, die Priester des Baals hatten das Sagen gekriegt, und jenes berühmte Gottesurteil dort oben auf dem Berg Karmel, das hatte kurz zuvor den Gott Elias als Sieger gesehen gegen Heerscharen der heidnischen Baalspriester, aber wieder musste er auf die Flucht, mit der Riesengefahr, gefangen und erledigt zu werden, ja, inzwischen stand es ihm bis zum Hals, dem Elia, jetzt, als er da um sein Leben läuft – in die Wüste rein, jetzt dort unter jenem Wacholderbaum.

Wüste außen und Wüste in ihm drin – das zeigt unser Text! Bis an seine Grenzen angefochten, lebensmüde, sitzt er da, der völlig geschaffte Mann Gottes, und ein Satz bringt alles nach außen, was in ihm ist: Er wünschte sich den Tod und sprach: „So nimm, Herr, meine Seele“.

Ja, genau so; kein ergebenes: „So nimm denn meine Hände“, sondern das Gegenteil: „So nimm denn meine Seele, es ist genug Herr.“ Und ich kann mir vorstellen, dass bei diesem erschreckenden: „Es ist genug, Herr“ so ein unausgesprochener Nachsatz mitschwingt: „Es ist genug, Herr, wenn du überhaupt noch da bist; es ist genug, mir steht es bis hier oben, ich hab es satt, ich bin am Ende!“

Ja, liebe Gemeinde, das ist nun wirklich unerhört, ein unerhörte Geschichte, und das berührt mich in der Tat, dieses: „Es ist genug, ich bin am Ende“, das kenn ich aus mir selbst zur Genüge, da kenn ich mich aus auf diesem Gebiet, und das kenn ich besser als mir lieb ist von anderen, aus Dutzenden von Gesprächen mit Menschen, mit denen ich zu tun habe.

Nun mag das bei uns nicht so sein, dass wir es als Einzelne mit Hundertschaften feindlicher Baalspriester und mit der Geheimpolizei der Königin Isebel aufnehmen müssen wie der Elia da, und es mag auch nicht sein, dass wir so tief in der Wüste sind wie der da, in seinen abgrundtiefen Depressionen, er, der ja zuvor so Himmelhochjauchzendes mit Gott erlebte, der jetzt da - zu Tode betrübt - von bohrenden Selbstmordgedanken angenagt wird und sich völlig allein vorkommt, in einer Gottesfinsternis ohnegleichen. So radikal geht es bei uns meist nicht zu, und wir schaudern, wenn wir da wahrnehmen, wie schonungslos offen das Alte Testament Durststrecken von Menschen in der Wüste von Leiden zeigt. Auch hier ist einer, der mit Gott ringend, sozusagen ans Hinken kommt – er der große Elia, hier an der Grenze von Todessehnsüchten und Selbstmordgedanken...

„Es ist genug, Herr“, ich denke da nur an Passionen, an Leiden von Menschen in Deilinghofen, wo allein vom 1. bis 7. März sieben Menschen zu Grabe geleitet wurden, und seitdem noch eine Reihe andere, ich denke an Sterbebegleitun-gen und Trauergespräche, ich denke an das, was da Leute als ihre eigene Passion auf dem Herzen haben, auch todkranke, und an das, was ich da auf dem Herzen habe, wenn ich sie begleite: Wie oft kommt es da ganz elia-mäßig hoch, dies: „Es ist genug, Herr!“ Es ist da manches Mal so, als müsste man schreien: Wo bleibst du, Gott? Wo bleibst du in all solchen abgründigen Gottesfinsternissen, bei Menschen, denen Gräber und Abschiede nicht aus dem Sinn gehen, bei denen, die heimgesucht werden von Krankheiten, Operationen, von Krebs, von Herzinfarkt und tausend andern Kreuzen, wo bleibst du, bei uns, die wir aus unsern selbstverschuldeten Verstrickungen nicht rauskommen? Ja, „es ist genug“, dieser abgründige Seufzer, der da aus Elia rauskommt, den kennen viele,  und dieser Seufzer hat manch einen so taumelig gemacht, dass ihm die Sache mit Gott und Christus ganz fern zu werden droht, und manch einer hat da Schluss gemacht: „Es ist genug, ich lass Gott einen guten Mann und Kirche Kirche bleiben...“.

Ich jedenfalls, liebe Gemeinde, meine den Elia da unter seinem Baum gut zu verstehen, ich meine es gut zu verstehen, wie da der in Schlaf Gefallene, dann plötzlich aufwacht – da steht einer inkognito, sagt nicht seinen Namen, "Malach Jahwe" steht da im Hebräischen nur, "Bote Gottes" heißt das, "Engel", kann man auch sagen, mehr sagt die Bibel überhaupt nicht, die da immer sehr nüchtern ist, dass den Engeln dann immer Flügel wuchsen, daran sind am meisten die Maler der abendländischen Malerei Schuld, und wir sollten dem Mann da in der Nüchternheit des Alten Testaments sein Inkognito lassen und hier nicht groß fragen und spekulieren, wie Gott das macht mit seinen Boten, mit seinen Engeln.

Jedenfalls wird ihm der Fremde da in den Weg gestellt, und auf einmal ist da, wie es in dem schönen Segenslied heißt: „Quelle und Brot in Wüstennot“, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser und – Gott sei Dank, das kenn ichauch, und wie!, dass dich wie den Elia der Engel Gottes ein zweites Mal weckt – dann kannst Du auf einmal frisch gestärkt, weiterziehen, bei Elia waren es 40 Tage und 40 Nächte, bis ihm da in besonderer Weise am Berg Horeb der lebendige Gott nahekam, was Sie zu Hause noch mal durchlesen sollten. Denn so wie da bei Elia so ist es innen drin im Glauben, so führt es in einer unterirdischen Linie von Berg Karmel zum Berg Horeb bis zum Berg Golgatha, wohl dem, der auf Wüstenwegen, auf denen man liegenzubleiben droht, da nach Golgatha hinsieht und sich von Gott sagen lässt wie Elia: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Amen.

2. Lied des Kirchenchors: Welch Glück ist's, erlöst zu sein, Herr, durch dein Blut

Lied 549 (Nun wollen wir singen das Abendlied, dann das Gebet, das darunter - unter Nr. 549 - steht, gemeinsam beten und das Vaterunser)

Segen und Orgelnachspiel
 

Heim zu Pastoerchen oder zur Seite der Kirchengemeinde oder ins Deilinghofer Internetcafé.