Verraten und verkauft
4. Deilinghofer
Passionsandacht am 9.3.1999
Matthäussreihe, 4. Passionsandacht:
EKG S.962-964. Zum Schluß
Abendlied EKG 358, 1-4
Unsere Auslegungen in dieser Reihe der
Passionsandachten, liebe Gemeinde, sind dieses Jahr Betrachtungen, sind
Bildmeditationen, wenn man so will. Wir betrachteten vor vierzehn Tagen das Danielbild
auf dem linken Deilinghofer Presbytergestühl von 1588: "Daniel in der Löwengrube" - und wir
kommen heute zu einem Bild, das vielleicht gar nicht jeder hier kennt, weil es
im Kunstführer dieser Kirche nicht abgebildet ist: auf dem rechten
jüngeren Presbytergestühl von 1859 (Bild oben!) das rechte Schnitz-Bild, das
Halbrelief, das Sie - wenn auch sicherlich undeutlich (mit einer Polaroidkamera
aufgenommen) - oben erkennen können, das Halbrelief, dem ich die Überschrift
geben möchte: "Verraten und verkauft!".
"Verraten und verkauft!". Unter dem Bild steht die
Bibelstelle: 1. Mose 37, und ich lese zur heutigen
Bildbetrachtung einen wichtigen Vers aus der gleichen Geschichte:
1.Mose 50,20: Ihr
gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu
tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
Ich habe den gleichen Vers aus der alten Luther-Übersetzung so in
Erinnerung:
1. Mose 50,20: Ihr gedachtet es böse zu machen, Gott aber hat es gut gemacht.
Liebe Gemeinde, ein großer Bogen geht da im Alten Testament von
1. Mose 37 bis hin nach 1. Mose
50 - und dazwischen steht die gesamte Josephgeschichte: die Geschichte von
Joseph und seinen Brüdern, die man von der Form her eine Novelle nennen könnte,
eine Geschichte, die sich spannend liest wie ein Roman. Sie mündete ja auch in
einen sehr berühmten Roman ein, den dicken dreibändigen Roman "Joseph und
seine Brüder" von Thomas Mann, den ich Ihnen hier mitgebracht habe, Band
1: "Der junge Joseph", Band 2: "Joseph in Ägypten" und Band
3: "Joseph der Ernährer". Manche werden bei dieser Bildbetrachtung
des Josephbildes stark an Kinderbibelzeiten zurückerinnert, und ich habe auf
unserm Blatt heute deshalb ein Bild aus meiner alten Bilderbibel von früher danebengestellt, beidesmal das
gleiche Thema: der minderjährige Joseph, der zweitjüngste Sohn des Erzvaters
Jakob wird "verraten und verkauft". Und da auf unserm
Presbytergestühl, da ist auf eindrückliche Weise dies "verraten und
verkauft" ins Bild umgesetzt wurden: der Kleine hält sich in seiner Trauer
und Angst die Hand vors Gesicht und hat sich dem Fremden da auszuliefern, dem
Ägypter dort mit seinem Turban, der mit der Karawane an jener Zisterne
vorbeizieht. Und der große Bruder dort ist ihm da nicht der beschützende
"große Bruder", hat auch nichts von der Verwandtschaft von einem Erzvater,
sondern von einem Erzverbrecher: Ruben, der Älteste der zwölf Brüder verkauft
im Auftrag der anderen Brüder den eigenen Bruder Joseph, und er hält den Beutel
in der Hand mit dem Geld, das er in klingender Münze vom Ausländer da mit dem
Turban erhalten hat, während man hinten die Zisterne sieht, den Brunnen, in den
man den Kleinen hineingeworfen hatte.
Die Zisterne, der Brunnen, das Loch in der Tiefe, im Alten
Testament ein Inbegriff für letzte Leiden, die Menschen aushalten müssen:
denken wir nur an den Daniel in seiner Grube vor 14 Tagen, denken wir nur an
den Propheten Jeremia ganz unten am Tiefpunkt in der Zisterne, denken wir hier
an den kleinen Joseph, "verraten und verkauft".
Es kein wohlgemerkt Zufall, daß
ausgerechnet die Szene von Joseph und der Zisterne auf unserem Chorgestühl von
1859 abgebildet ist. Wir haben Akten von der Herstellung dieses
Presbytergestühls, die der verstorbene Presbyter Harald Korsch-Gerdes
durcharbeitete und wobei er heruasfand, daß nämlich Pastor Limborg bei
der riesengroßen Kirchenrenovierung vor 1859 bei einem Kölner Meister für die
rechte Seite ein Presbytergestühl in Auftrag geben ließ, das genau nach dem
Muster des linken Presbytergestühls anzufertigen wäre, und beim gleichen
Meister wurde auch der Altar in der heutigen Form, also wenn man so will, der
Schrank des Altars angefertigt, in den hinein die alten Figuren aus dem
Mittelalter kamen. Und alles drei gehört seit jenem Jahr 1859 in unserer Kirche
zusammen: das alte Presbytergestühl, das neue Presbytergestühl hier im Chor der
Stephanuskirche und im Zentrum und im Scheiterpunkt
zwischen beiden der Schnitzaltar mit der Golgathaszene des Gekreuzigten in der
Mitte. Ja, was wir heute sehen - seit 1859 ist eine große Bilderbibel, wenn man
so will, eine Bilderbibel mit biblischen Leidengeschichten, die ihren
Schnittpunkt in der Mitte beim Mann am Kreuz haben, wo aber dieser leidenden
Jesus am Kreuz mit dem Daniel in der Löwengrube und dem Joseph, der in der
Zisterne war, genau ein gleichschenkliges Dreieck bildet. Und wenn Sie
alle sechs Bilder an beiden Chorgestühlen betrachten, haben die allesamt einen
inneren Zusammenhang: die schwerwiegendsten Leidens- und Anfechtungsgeschichten
aus dem alten Testament werden da bilderbibelmäßig
uns vor Augen gestellt.
Liebe Gemeinde, was ich jetzt kunstgeschichtlich ausdrückte und
zu deuten suchte, das ist im Kern für mich eine Glaubensaussage: das
Presbytergestühl will uns etwas lehren. Es will uns lehren: denkt an Daniel und
seine Leiden, denkt an Joseph und seine Tiefen, durch die er durchmußte, und denkt von ihm her an den Mann in der Mitte,
der alles für euch tat und das Tiefste für euch durchlitt: diese lange
Geschichte, die hier wie im Dreieck angeordnet ist, die hat einen weiten
Horizont: bis zu euch hin in euren heutigen Leiden, die ihr diese hier
angeordneten Bilder in dieser Deilinghofer Stephanuskirche betrachtet: Ihr mit euren Leiden sollt
sozusagen in diese Dreiecksgeschichte hineingestellt sein und in dieser
Geschichte mit vor Christus gestellt sein, der für euch litt und starb und
alles für euch tat.
Ja, das lehrt uns dies Bild, das wir heute betrachten, dies
holzgeschnitzte Halbrelief von Joseph aus dem vorigen Jahrhundert: Passion, Leiden,
das ist nicht nur ein Thema der Evangelien, das ist nicht nur ein
Weg, den Jesus ging ans Kreuz: da ist er unterirdisch verbunden
mit bewegenden Szenen des Alten Testamentes, mit tiefen Leiden dort: bei
Daniel, bei Hiob, bei Jeremia, und eben hier bei diesem kleinen Jungen Joseph,
der aus der Zisterne gezogen wird: "verraten und verkauft": eine
Leidensgeschichte und eine Schuldgeschichte wie es kaum eine andere so
eindrucksvoll im Alten Testament gibt - in all den Irrungen und Wirrungen, die
wir von der Josepggeschichte sicherlich aus der
Erinnerung vor Augen haben: der von Vater Jakob bevorzugte kleine Junge erst
mit dem bunten Rock vom Vater mit dem er kindlich durchaus ein wenig angab vor
den andern, seine Träume und die Wut der Brüder, die ihn in den Brunnen warfen
und den mit Blut rotgemachten Rock dem Vater
brachten, der meinte, sein Lieblingssohn wäre tot - dann die Szene unseres
Bildes: "verraten und verkauft", dann der Weg nach Ägypten an Pharaos
Hof und Josephs Aufstieg dort: und am Ende dreizehn Kapitel später nah
spannenden Entwicklungen, die Versöhnung mit den Brüdern, die als hungernde
Bittsteller nach Ägypten zu Joseph gekommen waren und dort der Satz vom Anfang:
Ihr
gedachtet es böse zu machen, Gott aber hat es gut gemacht.
Liebe Gemeinde, Parallelen mit Jesu Leiden zum Gang am Kreuz sind
unverkennbar: verraten und verkauft auch dieser. Und da - bei Jesu Passion -
hat auch einer den Beutel, der Judas, der ihn verriet, wie unserer Beutelträger
hier auf dem Bild - der große Bruder Ruben. Und durch alle Wirrnisse hindurch,
durch alle Schuld der Menschen hindurch und alle Abgründe kann mans beidesmal von hinten her
lesen als eine Geschichte, in der Gottes Wille zum Zuge kommt bei Menschen.
Ihr
gedachtet es böse zu machen, Gott aber hat es gut gemacht.
Das ist der Endpunkt da bei Joseph, wo vorher die Geschichte
aussah, wie so eine gestickte Decke von hinten - mit wirren Linien und Fäden,
verwirrend durcheinander, und wo auf einmal vom Sehepunkt
her, vom Ende her die Decke mit all den Fäden anders betrachtet werden konnte.
Wo man dann sieht, daß Gott für die Seinen die Hand
im Spiel hatte und einen Sinn draus gemacht hat aus allen wirren Fäden, daß am Ende für Menschen das stimmt, was Paulus in Römer 8
sagt und was man manchmal so nicht sehen kann vorher: Wir wissen, das denen die
Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen!
Es wäre schön, wenn hier uns zu Hause mal in unserer Bibel diese
Kapitel der Josephgeschichte 1. Mose 37 bis 50 mal genau durchläsen. Es wäre noch schöner, wenn
wir dann auch uns selbst da mit entdecken in den schuldhaften Wirrungen in
dieser Leidensgeschichte - und wenn wir von daher neu an die Geschichte im
Scheitelpunkt des Chorraums dieser Kirche dächten, an Jesu Leiden für uns, und
uns von daher dran erinnern: daß Gott die Leiden
nicht grenzenlos sein läßt bei uns, daß wir mal die andere Seite der Decke sehen werden, und daß dann gilt wie bei Joseph: das was böse schien, wurde
Gott sei Dank! - von Gott gutgemacht, oder mit Paulus gesagt: alle Dinge dienen
den Seinen zum Besten. Amen.