Passionsandacht Stephanuskirche Deilinghofen 23.3.99

Sechste Andacht nach der Matthäus-Reihe unter Mitwirkung des CVJM-Posaunenchors
(im alten Gesangbuch EKG S. 967 - 968)

Statt der dort stehenden alttestamentlichen Lesung hören wir im Zusammenhang mit der heutigen Andacht und Bildbetrachtung 1. Mose 22, 1-13:

Und es geschah nach diesen Dingen, da prüfte Gott den Abraham. Und er sprach zu ihm: Abraham! Und er sagte: Hier bin ich! Und er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebhast, den Isaak, und ziehe hin in das Land Morija, und opfere ihn dort als Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir nennen werde! Da machte sich Abraham früh am Morgen auf, sattelte seinen Esel und nahm seine beiden Knechte mit sich und seinen Sohn Isaak. Er spaltete Holz zum Brandopfer und machte sich auf und ging an den Ort, den Gott ihm genannt hatte. Am dritten Tag erhob Abraham seine Augen und sah den Ort von ferne. Da sagte Abraham zu seinen Knechten: Bleibt ihr mit dem Esel hier! Ich aber und der Junge wollen dorthin gehen und anbeten und zu euch zurückkehren. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak, und in seine Hand nahm er das Feuer und das Messer. Und sie gingen beide miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham und sagte: Mein Vater! Und er sprach: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sagte: Siehe, das Feuer und das Holz! Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer? Da sagte Abraham: Gott wird sich das Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn. Und sie gingen beide miteinander. Und sie kamen an den Ort, den Gott ihm genannt hatte. Und Abraham baute dort den Altar und schichtete das Holz auf. Dann band er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar oben auf das Holz. Und Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! Und er sagte: Hier bin ich! Und er sprach: Strecke deine Hand nicht aus nach dem Jungen, und tu ihm nichts! Denn nun habe ich erkannt, daß du Gott fürchtest, da du deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast. Und Abraham erhob seine Augen und sah, und siehe, da war ein Widder hinten im Gestrüpp an seinen Hörnern festgehalten. Da ging Abraham hin, nahm den Widder und opferte ihn anstelle seines Sohnes als Brandopfer.

Andacht über das Bild auf dem Deilinghofer Presbytergestühl von 1859: "Abraham und Isaak auf dem Weg nach Morija hoch" (1. Mose 22, 1-13)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn, Jesus Christus. Amen.

In den Wochen der Passion, liebe Gemeinde, haben wir allabendlich dienstags Bilder betrachtet: Leidensbilder aus vorigen Jahrhunderten, die dargestellt sind hier in dieser Stephanuskirche und ihrer Kunst, die wie eine Bilderbibel ist. Vom linken Presbytergestühl aus dem Jahr 1588 betrachteten wir z.B. das Bild des Daniel, des jungen Mannes Daniel in der Löwengrube.Vom - von Ihnen aus gesehen - rechten Presbytergestühl aus dem Jahr 1859 betrachteten wir die Leiden des kleinen Joseph, der aus der Zisterne gezogen und von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde. Und nicht älter als Daniel oder Joseph ist der Junge heute auf unserm Bild hier auf dem Liedblatt, dieses Bild linksaußen (hier: unten) auf dem rechten Presbytergestühl, das man sich am Ende der Andacht noch einmal genau im Original ansehen sollte.

Ich glaube nicht, daß jeder hier dieses Bild schon einmal bewußt gesehen hat.

Was sehen wir da? Ein Weg im Gebirge, hügelig und holperig. Es geht steil den Berg hoch. Und die Last, die da zu schleppen ist, den Berg hoch, ist schwer! Der Kleine hat das Holz auf seinem Rücken. Er trägt schwer auf seiner linken Schulter. Und hinter ihm der Vater, hier nur blaß zu erkennen, daß an seiner Seite ein Schwert, ein großes Messer hängt. Abraham und Isaak - auf dem schweren Weg den Berg Morija hoch. Und darunter schnitzte nach 1850 der Kölner Holzschnittmeister, von dem ich neulich erzählte, die Bibelstelle ein, auf die sich sein Motiv bezieht: "1. Mos. 22" ist da, ins Holz des Presbytergestühls geschnitzt, zu lesen auf dem Presbytergestühl unter dem Bild.

Ich las ja eben die ganze ungeheuerliche Geschichte, 1. Mose 22, 1-13, die übrigens auch am vergangenen Sonntag in unseren Kirchen vorgeschriebener Predigttext gewesen wäre, die aber Pastor Schreyer "für heute ließ". Und aus dieser Geschichte geht mir der eine Satz besonders nach, der uns da auch aus dem Deilinghofer Bild förmlich entgegenkommt:

Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham und sagte: Mein Vater! Siehe, das Feuer und das Holz! Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?

Ja, liebe Gemeinde, beim ersten Betrachten sieht's aus wie so ein idyllisches Bild aus einer Kinderbibel, ein schönes biblisches Bildchen, harmlos und sehr anschaulich. Aber mit dieser Kinderfrage zusammen, die ich eben las, der Frage des kleinen Isaak, wird das Ganze für uns dunkel, hintergründig und sogar geradezu gespenstisch. Das ist nichts für Kinder, nicht einmal für Große vielleicht, meint man. Das ist kein "schönes Bildchen", das ist empörender Widersinn, der dort abgebildet ist, der schiere Wahnsinn auf diesem Bild von 1859 und in dieser Geschichte von 1. Mose 22, so kann man denken, wenn man's sich zu Herzen gehen läßt! Abraham, der Vater, soll sein Ein-und-Alles hergeben, den lange versprochenen Sohn! Er soll sogar das Messer nehmen, das wir da an der rechten Seite des Vaters sehen! Und jedesmal, wenn ich das lese, wie der Knabe fragt: "Siehe, das Feuer und das Holz! Wo aber ist das Schaf zum Brandopfer?", dann krampft sich mir das Herz zuammen: Was ist das für ein Gott, der solche Zerreißprobe zuläßt? Wie kann ein liebender Gott, der Zukunft verheißt, solch einen Weg zulassen und zu gehen fordern? Und ich hab mir den Jungen da mit dem Holz auf dem Rücken lange angesehen, und ich hab gedacht: "Wenn das deiner wäre!!, der Junge da, - wenn Gott dir deinen nehmen würde", Gedanken, die man gar nicht zu Ende denken kann...

Liebe Gemeinde, es gibt wohl keine empörendere Geschichte im ganzen Alten Testament als diese von der Versuchung Abrahams und der geforderten Opferung Isaaks. Und zu allen Zeiten haben sich die Menschen an dieser unmöglichen Geschichte gerieben, gestoßen und über alle Maßen gestört. Viele 100 Buchseiten wurden über diese Geschichte geschrieben von den Großen der Welt, von Philosophen, Theologen und andern Gelehrten. Und in der Tat: An dieser Geschichte scheiden sich die Geister!!! Und manch ein Atheist und Gottloser hat sich lächerlich gemacht über diesen grausamen "lieben Gott", der solch eine Zerreißprobe veranstaltet. Und manch einer hat gesagt, daß der angebliche "liebe Gott" Israels und der Christen ein Sadist sei, ein Willkür-Gott sei, einer, dem man nicht trauen kann.

Freilich geht es auch genau anders herum, liebe Gemeinde, und das kann man an einem besonderen Mann lernen, an Sören Kierkegaard, dem großen, tiefsinnigen Denker des vorigen Jahrhunderts, dem dänische Philosophen und Theologen, der sein Buch "Furcht und Zittern" nannte und darin von vorne bis hinten über den Weg Abrahams und Isaaks den Berg hoch meditiert und sehr tief nachdenkt. Ich habe hier Kierkegaards Buch "Furcht und Zittern" mitgebracht und mir Kierkegaard Gedanken zu 1. Mose 22 für heute abend noch einmal vor Augen geführt. Was Kierkegaard uns da sagen will zu unserer Geschichte ist - allgemeinverständlich ausgedrückt - : laß deine gelernten Vorstellungen von Gott, deine Bilder von einem idyllischen "lieben Gott" fahren - Gott ist anders, so anders, daß man ihn nicht mit allgemeinen Begriffen, in denen man "über Gott" redet, beschreiben kann. Ihn in "Furcht und Zittern" erfahren (wie da auf dem Weg nach Morija hoch), das ist ganz etwas anderes als unser folgenloses Reden "über Gott", über Gott, der angeblich die Liebe ist. Und nur wer selbst was hat an Erfahrungen wie Abraham mit Isaak, wer etwas von diesem Widersinn in sich selbst erfuhr, in eigenen Lebenswunden, der kann in dieser Geschichte von Gott etwas erkennen, nicht von dem "lieben Herrgott" wie es die Leute gerne sagen, sondern von Gott, der bei mir selbst manchmal ans Eingemachte geht und mich bis in meine Grundfesten erschüttert. Gerade das, was die Atheisten belächeln und verhöhnen an dieser Geschichte, ist in Kierkegaards Sinn das Allerwichtigste und Revolutionärste in dieser Geschichte: Gott, das ist nicht ein so ein Begriff für "das Wahre, Schöne und Gute", Gott, das ist nicht ein schönes Wort für humanistisch geprägte Sonntagsreden, Gott, das ist nicht ein harmloses Bild aus den Bilderbibeln kleiner Kinder, nein, Gott ist anders, er "geht mich an", wenn er mit Wucht mein Leben in Frage stellt und mir bis "an die Nähte" geht, wenn er mir "bis ans Eingemachte" geht, wenn er mich in meiner Hingabe an ihn prüft, ja, wenn mir sogar der Glaube zu entschwinden droht, auf den Durststrecken, die er mich führt, die manchmal so sind wie dort, den steilen Berg hoch auf fürchterlichen Gängen. Viele auch der Jubiläumskonfirmanden, die heute fünf Tage vor der Jubiläumskonfirmation zusammen sind in der Kirche, werden hier heute und am kommenden Sonntag von innen her auch an solch schlimme Wege aus dem eigenen Leben denken in den Jahren seit der eigenen Konfirmation.

Gott ist sehr anders, als es die Leute sagen, liebe Gemeinde, ähnlich radikal wie ein Kierkegard hatte es schon ein Martin Luther aus der Bibel herausgelesen. Luthers Grundwort heißt da Anfechtung, und aufs zugespitzteste drückte Luther es auch: in der Anfechtung scheint es manchmal so zu sein, als stehe Gott gegen Gott, als stehe "deus contra deum" - wie Luther sagt. Ja, Luther hat sogar gesagt: manchmal sieht es in der Anfechtung aus, als wäre Gott unser Teufel. Und wenn ich anfangs von einer geradezu gespenstischen Szene auf den Weg den Berg Morija hoch redete, dann hat Luther genau so etwas gemeint: die Erfahrung, daß man vor lauter Widersinn fast nichts mehr vom liebenden Gott in den eigenen Erfahrungen sehen kann.

Genau das aber, liebe Gemeinde, ist das Thema der Passion Jesu: dieses Gott gegen Gott, dieses deus contra deum, keiner kennt es besser als ER, der Sohn, in seiner Passion, ER in Anfechtung geprüft, wie wir es kennen, ER warum-schreiend am Kreuz, wie wir es in unserm Kreuz tun, er verzweifelnd an Gott und den Menschen, wie wir es aus unsern Erfahrungen kennen. Anfechtung und Heimsuchung, keiner kannte es so wie dieser Mann dort am Kreuz von Golgatha an jenem Karfreitag, an dem er in besonderer Weise auch mit Abraham und Isaak ganz am Anfang des Alten Testaments verbunden ist - und all den andern Leidensszenen vor ihm - Daniel in der Grube bei den Bestien, Joseph in der Zisterne, "verraten und verkauft", ja, auch mit unsern Anfechtungen ist Jesus der Gekreuzigte verbunden: und wenn ich da aufs Kreuz blicke mit den rechten Augen, dann kann es geschehen, das von daher die erlittenen Anfechtungen und Heimsuchungen Gottes Nach-Hause-Suchungen für mich werden, daß ich da erkenne nach einem langen Prozeß: ER will mich zu sich finden lassen, ER, läßt meine Opfer, die ich bringen soll, am Ende nicht unerträglich sein, denn er selbst trug ja das Holz auf den Berg hoch, nicht auf den Berg Morija, sondern auf den Hügel Golgatha und gab sich da als Opfer für uns, als Opfer, das ganz etwas anders bewirkt als ein geschlachteter Widder wie damals bei Isaak. Der Weg nach Morija hoch, auch alle meine eigenen Morijawege, sehe ich dort auf dem Deilinghofer Bild von 1859 - und unerträglich bliebe diese Geschichte, wenn wir von dem Berg da nicht auf den andern Berg bei Jerusalem sehen könnten: wo Jesus unsere Anfechtungen teilt mit uns und wo Gott dann seinen angefochtenen Sohn heimsucht - und nach Hause sucht und einsetzt als Herrn der Welt, weil dort am Ostermorgen das Warum und der Karfreitag der Anfechtungen nicht das letze Wort behielt. Werde das bei unsern Anfechtungen doch genauso, nämlich so, wie es Paulus mal in einer Bekenntnisaussage beschrieb aus 1. Kor. 10, 14, die hier bewußt am Schluß steht: Gott ist treu, der euch nicht läßt versuchen über eure Kraft, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinnt, daß ihr sie könnet ertragen. Amen.

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