Predigt in der Stephanuskirche Deilinghofen am letzten So. nach Epiphanias, 24.1.1999 (Predigttext: 2. Mose 3, 1-10)


  Predigt für den Abendmahlsgottesdienst am Tage des Neujahrsempfangs für unsere Mitarbeiter der Gruppen und Kreise und für die Leute, die zur "Kerngemeinde" gehören

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde! Daß das Fremdwort "Epiphanias" oder "Epiphanie" auf deutsch "Erscheinung" heißt und daß an den nachweihnachtlichen Sonntagen nach Epiphanias, also nach dem 6. Januar, in den Gottesdiensten über Texte gepredigt wird, die Gottes hellmachende "Erscheinung" im Dunkel der Welt zum Inhalt haben, das wissen regelmäßige Gottesdienstbesucher hier aus den Predigten der letzten Wochen. Von solch einer hellmachenden Gotteserscheinung handelt auch der für den heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias vorgeschriebene Predigttext. Der findet sich im Alten Testament im 2. Buch Mose im dritten Kapitel in den Versen 1-10:

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Liebe Gemeinde, eine uralte Geschichte haben wir da gehört, altbekannt und vertraut. Wohl jeder fast kennt sie von Kindergartenzeiten, von Kindergottesdienstzeiten an. Und in jeder Bilderbibel ist es zu finden: das faszinierende Bild vom brennenden Dornbusch, wo es dem Mose fast die Schuhe auszieht, dort am heiligen Berg, wo ihm Gott begegnet.

Und sicherlich auch welche, die es nicht so mit Kinderbibeln hatten, sind von diesem Mose, der da vorkommt am brennenden Dornbusch fasziniert: gerade ist ja ein großer amerikanischer Film rausgekommen: "Der Prinz von Ägypten" - unser Mose von 2. Mose 3 in der Hauptrolle eines Zeichentrickfilms, für den im letzten Vierteljahr ganz oft im Werbefernsehen geworben wurde. Mose, der "Prinz von Ägypten" - wirklich, ein Stoff, aus dem selbst Hollywood etwas machen kann, siehe damals den berühmten großen Monumentalfilm die "Zehn Gebote", den ich schon als Kind sah und wo mir eine Gänsehaut über den Rücken lief, als da Mose, gespielt von Charles Heston, am brennenden Dornbusch in einer der spannendsten und merkwürdigsten Szenen des Ganzen seine Beauftragung erfuhr.

Brennender Dornbusch - eine eigenartige Faszination von Bilderbibel-Tagen an bis heute. Ein Bekannter war im Land der Bibel gewesen und zeigte einen Diavortrag mit sehr malerischen Bildern vom Berg Horeb/Sinai, wo an der Stelle, wo damals der brennende Dornbusch gestanden haben soll, heute ein mächtiges Kloster steht, das 1300 Jahre alt ist und wo heute noch Mönche leben, dort im weltberühmten Katharinenkloster am Berg Sinai.

Und den Touristen wird da heute noch ein gewaltiger Dornbusch gezeigt von der Sorte, wie er damals zu Moses Zeiten am Sinai stand. Und mein Bekannter, selber Theologe, erläuterte, daß Forscher da in der Gegend des Sinai in der Tat an gewissen Dornbüschen je und dann ein merkwürdiges Naturereignis wahrgenommen hätten: daß da Dornensträucher unter gewissen Umständen leuchtend brennen, daß sie brennen und doch nicht verzehrt werden!

Doch wem's nur darum geht, liebe Gemeinde, um all dies Faszinierende rund um den brennenden Dornbusch, wer möglicherweise bloß dafür eine Erklärung sucht, der hat von dem Wunderbaren, was unsere heutige Geschichte berichtet, noch gar nichts begriffen!

Denn das Wunder, von dem da in 2. Mose 3 erzählt wird, das ist gar nicht das, wie, warum und wieso solch ein Dornenstrauch brennen kann! Das Wunderbare liegt ganz woanders! Lassen Sie mich's erzählen:

Da ist ein Mann auf der Flucht, ein Mann mit Vergangenheit - ein Mensch mit einem schlechten Gewissen. Hart gesagt ein Mörder, zumindest ein Totschläger. Mose heißt er, von einer ägyptischen Prinzessin als Baby im Körbchen aus dem Schilf gezogen, als ihr Vater, der Pharao, die Erstgeborenen der hebräischen Minderheit töten lassen wollte. Aber dieser Mose wurde gerettet, wuchs am Hof in Ägypten auf, man kann sagen zur Hälfte "Prinz von Ägypten", zur Hälfte leidenschaftlicher Israelit und Hebräer, der mit seinen unterdrückten Landsleuten, die dort Ziegeln brennen und Pyramiden bauen mußten für Pharao, zutiefst litt und in dieser Unterdrückungsgeschichte mitfühlte. Und dann die Flucht und das dauernde schlechte Gewissen, nach jener Tat, die sein Leben veränderte. Einen Ägypter hatte er in der Wut erschlagen, vom Jähzorn übermannt, als dieser einen hebräischen Landsmann quälte. Mose hatte das Weite zu suchen. Er, von klein auf ein Verfolgter, riß aus, getrieben von der drohenden Verfolgung der Polizei des Pharao, aber mehr noch getrieben vom eignen schlechten Gewissen...

Ein Mörder und Totschläger, ein Gehetzter und Zerrissener, mit zwei Seelen in der Brust: in der Ferne, in Midian, bei einem Priester findet er vorläufig Ruhe, findet sogar die Frau seines Lebens, nämlich die Tochter dieses Priesters Jitro.

Schafhirte wird er, mit dem Auftrag, die Herde seines Schwiegervaters Jitro zu hüten, dort in der Gegend des Sinai, der später der heilige Berg genannt werden sollte. Und da - bei seiner ganz alltäglichen Arbeit, da geschieht das Wunderbare! Und mögen Kinder, die Bilderbibeln betrachten, noch so staunen über den brennenden Busch und mögen Erwachsene noch so fasziniert nach Erklärungen suchen für dies wunderbare Naturereignis, nicht da liegt das wirkliche Wunder! Das Wunder liegt da, daß ein gehetzter, innerlich zerrissener Mensch gestellt wird. Gestellt nicht von Pharaos Polizisten, sondern von Gott selbst! Da liegt das wirklich Wunderbare, daß Mose dort am Dornenbusch - mitten in seiner alltäglichen Arbeit - von Gott gestellt wird und Gottes Ruf hört: "Mose, Mose!" - und auf Gottes Ruf hin antwortet: "Hier bin ich!"

In der Tat, liebe Gemeinde, nach menschlichen Maßstäben ein merkwürdiger Gott, der sich nicht einen frommen Menschen mit Heiligenschein aussucht, sondern solch eine schräge Type wie Mose, den jähzornigen Totschläger! Ein merkwürdiger Gott, der diesen ganz und gar unfrommen und charakterlich alles andere als einwandfreien Mann Mose da bei seinem Namen anspricht und ausgerechnet diesem seinen Willen zeigt, dort am Dornenbusch, wo der Mose sein Gesicht verhüllt hat und die Sandalen ausgezogen, weil er da - mitten in seinem Alltag - von DEM ergriffen wird, von DEM ergriffen wird und dem begegnet, der ihn nicht nur bei seinem Namen ruft, sondern auch einen ganz konkreten Auftrag hat: "Ich, Gott, habe das Elend meines Volkes erkannt und das Geschrei über ihre Bedränger. Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand. So geh nun hin: ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten aus Ägypten führst!"

Liebe Gemeinde, wir halten an dieser Stelle inne. Natürlich ist keiner von uns Mose, und unser Leben 1999 hier in Deilinghofen ist anders als dort am Rande der Steppe, wo am Berg der leuchtende Dornbusch für Mose zum Zeichen wurde, zum Signal des Neuanfangs, den Gott ihm und seinem Volk gab.

Unsere Fragen nach Gott sind offenbar von anderer Art. Ein Achtjähriger öffnete mir auf seine Weise dafür die Augen - für die heutige Frage nach Gott. Es ist ein bißchen her; der Junge war unser damaliges Pflegekind, und als ich mal samstags beim Predigtschreiben war, da guckte er zu und fragte mir Löcher in den Bauch. Und er sagte mir: "Du, Friedhelm, ich glaube an Gott und bete jeden Abend, seit ich drei war, und ich weiß, daß Gott uns hilft. Aber wie kann das dann sein, daß manche Leute sagen, Gott gibt es nicht. Einer in meiner Klasse sagt das, und sein Vater hätte ihm das auch so erklärt: daß es ihn nicht gibt! Aber so was darf man doch nicht denken! Und das sind doch dann böse Menschen, oder? Erklär mir das doch mal, daß die einen an Gott glauben und die andern nicht!"

Liebe Gemeinde, ich war damals ganz verdattert über diese Frage unseres Pflegekindes - und dann merkte ich, daß so Kinderfragen viel klüger sind als viele Erwachsenenfragen, ja das da, was der Kleine da in meinem Arbeitszimmer fragte, das ist gerade die brennendste Zentralfrage nach Gott. Und mein Achtjähriger dort in meinem Arbeitszimmer, der verstand mich bald ganz gut, als ich ihm erklärte: "Weißt du, Torsten, es gibt auch Menschen, die glauben nicht an Liebe, weil sie nie Liebe erfahren haben, weil sie kaum jemand mal liebgehabt hat. Und trotzdem gibt's Liebe. Und wenn man diese Leute liebhat, nur dann kapieren sie, was das ist: LIEBE. Und so ist's auch mit Gott. Daß es Gott nicht gibt, sagen nur Menschen, die von ihm nie was erfahren konnten. Die sind dann nicht böse, sie wissen's nur nicht anders." "Ja", sagte der Kurze dann, "und du meinst das so, wenn man die ganz lieb hat und für sie betet, vielleicht merken die dann auch, wer Gott für uns ist!"

Liebe Gemeinde, es scheinen Welten zu liegen zwischen Torsten und Mose, zwischen uns und 2. Mose 3 damals am Dornenbusch, aber wenn wir uns ganz intensiv in diese Geschichte hineinversetzen, dann kommt das Damals mit dem Heute zusammen. Denn zentral geht’s hier um völlig das Gleiche: die Gottesfrage, "merken, wer Gott ist", darum geht's damals bei der Gottesbegegnung des Mose und darum geht’s heute, auch heute am Tag des Gemeinde-Neujahrsempfanges, auch wenn hier keine Büsche brennen.

Und davon, daß der Mose vor der Geschichte mit dem Dornbusch an Gott geglaubt hat, davon hören wir kein Wort in der Bibel. Er kannte das Wort Gott vom Hörensagen, er kannte die Geschichte der Väter höchstens, mit Abraham, Isaak und Jakob. Aber daß er gläubig war, das kann man bezweifeln. Bis zu jener Epiphanie da, als er den Anruf Gottes hört: "Mose, Mose!" Und bis er da antwortet: "Hier bin ich!" Da erst hat er gemerkt, daß Gott nicht nur ein Wort vom Hörensagen ist, sondern einer, der ihn persönlich meint, der ihm seine Zerrissenheit und Schuld und seine Gewissensbisse wegnimmt, der ihm die ganze Vergangenheit, sogar den Mord, durchstreicht, und mit ihm und dem unterdrückten Volk für die Zukunft Großes vorhat. Erst da, als Gott ihm begegnet, merkt Mose, wer Gott ist, und daß Gott wunderbar ist!

Haargenau so ist's bis heute und gilt's sogar (und gerade) bei Mitarbeitern hier in der Kirche: einen Gott, den man nur vom Hörensagen kennt und wo man sich fragt, vielleicht gibt’s den und vielleicht auch nicht, so ein unverbindlicher Gott, der ist nicht wunderbar, so einen Gott kann man sogar vergessen! Aber dieser Gott der Bibel, der Mose ruft, hat die Rufen nicht aufgegeben, hat's nicht aufgegeben, auf unser Geschrei auch für '99 eine Antwort und einen neuen Anfang für uns bereit zu haben! Mit uns und mit seinem Volk hier!

Und zu solchen Epiphanien, zu solchen Gotteserscheinungen - mitten im Alltag - braucht Christus keine brennenden Büsche! Bis heute begegnet er mitten in der Last des Alltags! So wie dem älteren Mann, der mich vor einiger Zeit morgens anrief, ihm stehe eine schwere gefährliche Operation vor und die Chancen zu überleben sei 1:3, ich möchte doch bitte für ihn beten, obwohl er im Glauben zum Sterben bereit sei. Als dieses Gebet eine Antwort erfuhr, da schilderte mir dieser Mann, wie dieses Erlebnis für ihn ein Gotteserlebnis war, ein Gotteserlebnis, wie er es oft erfahren hatte, wo ihm in seinem langen Leben oft klar geworden war, daß sein Leben keine Kette von Zufällen war, sondern ein Leben unter der Führung Christi, wo der ihn durchgetragen hatte, und wo gerade Tiefstes ihn eng mit Gott zusammengeschmiedet hatte, eine Lebensgeschichte, wo Gott sehr persönlich reingesprochen hatte, nicht anders als bei Mose an jenem Busch dort.

Glücklich der von uns, der von solchen Gottesbegegnungen erzählen kann und weiß, daß Gott wunderbar ist, auch heute! Wohl dem, der durch sein Leben in Wort und Tat andern Mut macht, an Gott zu glauben, und andere merken läßt, wer der lebendige Gott ist! Und wenn heute morgen unter uns nur einer neu zum Beten kommt oder bewußt zum Abendmahl geht und einen Neuanfang wagt im Glauben, und kapiert: dieser Gott ist wunderbar und hat mit meinem Leben einen Plan und für mich in dieser Gemeinde eine Aufgabe, so wär das viel wunderbarer als alles, was Kinderbibeln oder Kinofilme von brennenden Sträuchern zeigen und was Touristen am Sinai fasziniert. Amen.