Wolfgang Thielmann, So geht evangelisch: Heinrich Bedford-Strohm im Porträt
Verlag: Verlag Herder, 1. Auflage Mai 2015
Gebundene Ausgabe -160 Seiten
ISBN-10: 3451342375
ISBN-13: 978-3451342370
21 x 2,3 x 19,5 cm
Preis: € 12,99
PDF-Version dieser Rezension unter http://www.pastoerchen.de/kaffeestuebchen/pastoerchen/RezensionThielmann.pdf
Schon im November 2014 hatte der Autor dieses Büchleins in "Christ und Welt" in der ZEIT einen hoffnungsvollen Artikel über den neuen EKD-Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm verfasst (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-11/heinrich-bedford-strohm-portraet), der so begann:
"Heinrich Bedford-Strohm - Der Tablet-Theologe
Die Evangelische Kirche soll sich einmischen, sagt der neue EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. Politisch, wirtschaftlich und kulturell. Er macht es auch - mit dem iPad.
VON WOLFGANG THIELMANN
Aktualisiert 11. November 2014 17:34 Uhr 71 Kommentare
Der neue Mann an der Spitze der Evangelischen Kirche ist die Synthese zwischen Wolfgang Huber und Margot Käßmann. Ein volkstümlicher Professor, akademisch gebildet und den Menschen zugewandt, so herzlich wie möglich, so elitär wie nötig.
Heinrich Bedford-Strohm wurde 2011 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Seitdem hat der 55-jährige Theologieprofessor die Herzen im Sturm erobert. Er kann Kirchweih auf dem Dorf genau so gut wie das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei."
Im weiteren Verlauf des ZEIT-Artikels wird auch das neue Programm des Vorsitzenden genannt: "Es heißt 'öffentliche Theologie'", was auch einschließe. "mit der Botschaft des Evangeliums an den Diskursen der Gesellschaft teil[zu]nehmen"; da sei "Zweisprachigkeit" angesagt: das Christliche in säkulare Zusammenhänge zu übersetzen.
In genau der gleichen Linie ist das "Porträt" des Professors mit dem Doppelnamen dargestellt, das Wolfgang Thielmann ein halbes Jahr später im Mai 2015 im hier vorzustellenden autobiographischen Büchlein anbietet.
Es handelt sich um viel Buch für wenig Geld: die 160 Seiten kosten 12,99 €. Dieses Porträt ist flott geschrieben und sehr gut zu lesen, ein handliches Buch, dem man weite Verbreitung wünscht. Der Autor Wolfgang Thielmann, der sich auch durch Interviews mit dem Ratsvorsitzenden und mit Menschen aus seinem Umfeld auf sein Thema vorbereitet hat, gehört zu den bestinformierten Journalisten Deutschlands, die Religion und Kirche als ihr Spezialgebiet haben. Man merkt bei der Lektüre des Büchleins, dass das ein erfahrener Journalist mit viel Sachverstand und Insiderwissen geschrieben hat. Und mit Begeisterung und mit Liebe zur Sache. Thielmann versteht es, biographische, aber auch kirchliche und theologische Zusammenhänge klar und anschaulich darzustellen. Auch wer nicht die Kirchensprache oder die theologische Terminologie beherrscht, wird leicht verstehen, worum es jeweils geht. Das Buch ist geeignet, allgemeinverständlich drüber aufzuklären, um was es bei der evangelischen Kirche geht. Man sollte sich wünschen, dass sich viele Ehrenamtliche im Raum der Kirche anhand dieses Buches kundig machen über Fragestellungen der evangelischen Kirche allgemein und der EKD speziell. Auch z.B. als Geschenk für Mitglieder von Kirchenvorständen ist das Buch gut vorstellbar.
Zweimal Assoziationen dazu als Exkurs
a) Ein interessantes und sehr reizvolles Buch ist es obendrein. Das kann man sich allein schon am Titel des Buches klarmachen: Hatte oben Thielmann in seiner lebendigen journalistischen Sprache ausgeführt, Bedford-Strohm könne ‚Kirchweih auf dem Dorf so gut wie Gespräche in der Staatskanzlei', so wählt er als Titel ganz ähnlich, dass der Bischof-Professor auch "evangelisch" kann, sogar beispielhaft kann, denn das Buch heißt ja: So geht evangelisch…
Das klingt flapsig und jugendgemäß einerseits, aber dann auch ganz schön auffällig und programmatisch! Jedenfalls lädt der Titel zu einigen Assoziationen ein:
"So geht Fußball" - das schreibt ein Sportjournalist, wenn er ein begeisterndes Spiel gesehen hat, das er beschreiben will, bei dem z.B. im DFB-Pokal der Bundesligist die Mannschaft aus der vierten Liga mit 8:1 abgefertigt hat und in die nächste Runde kam. "So geht Fußball", sagt dann aus, dass der Schreiber sich humorvoll-flapsig journalistisch ausdrücken kann und dennoch ein kritischer Kenner ist, der um Qualitätsunterschiede Bescheid weiß, der "weiß, wie gespielt wird"… "So geht Fußball", sagt einer, der den haushohen Sieger lobt und zugleich auch durch diese gelungene Aussage sich selber als Kenner des Spiels ausweist.
Bei "So geht evangelisch", dem Titel des hier vorzustellenden Büchleins, könnte es ein bisschen ähnlich sein. Doch welches genau ist das Spiel, das hier gespielt wird? Der Könner aus der ersten Liga ist hier der bayerische Landesbischof, der es - wie beschrieben wird - ‚drauf hat' im Blick auf seine Karriere, der die nächste Runde erreichte und dann EKD-Vorsitzender wird: top in der ersten Liga.
Und der Journalist, der dieses alles beschreibt, ist auch nicht ohne: Ein recht bekannter Zeitungsmann bei der liberalen ZEIT, dort führend bei der Beilage CHRIST UND WELT tätig, gewesener Redakteur bei dem nicht ganz so liberalen RHEINISCHEN MERKUR und davor ebenfalls leitender journalistischer Mitarbeiter der evangelikalen Presseagentur idea. Und das, was er gelernt hat, ist er dabei immer noch: im Predigerseminar der Freien evangelischen Gemeinde in Ewersbach ausgebildeter freikirchlicher Pastor. Genau in der Ausbildungsstätte, die der Schreiber dieser Zeilen auch gut kennt: 13 Monate Ausbildung dort – in der heutigen „Theologischen Hochschule Ewersbach“ (THE).
Die dort Ausgebildeten - so wie ich sie kenne - pflegen bei Beispielen gelungener landeskirchlicher theologischer und geistlicher Biographien nicht ohne weiteres Beifall zu klatschen, sind doch die Freien evangelischen Gemeinden angetreten, auf der Basis des Neuen Testaments eine glaubwürdige ekklesiologische Alternative zur Volkskirche zu bieten.
Umso erstaunlicher der FeG-Pastor (das ist er bis heute!) und ZEIT-Redakteur Wolfgang Thielmann in diesem Büchlein: der "höchste" Evangelische aus der Landeskirche wird zum Gegenstand seiner biographischen Beschreibung erkoren und kriegt vorne drauf das lobende Qualitäts-Etikett: "So geht evangelisch"! Das Etikett wird da verliehen von einem, der zu urteilen weiß, der "weiß, wie gespielt wird", der sogar Oberjuror war bei der Vergabe des Deutschen Predigtpreises. Und wer so etwas beurteilen kann, weiß, wer kirchlich und theologisch die Bundesligareife besitzt…
b) Noch eine Assoziation dazu: Als ich das Büchlein im Mai zum ersten Mal im Internet angekündigt sah, auch das attraktive werbefotoartige Titelbild mit dem freundlichen Kirchenmann und dessen einladenden Lächeln im Gesicht und dem symbolisch anmutenden Blau im Hintergrund, da wunderte ich mich ein bisschen. Und unwillkürlich musste ich denken an jenen andern Journalisten mit Namen Peter Seewald, der sich durch Papstbücher einen Namen machte bzw. seinen Namen bekannter machte, als er Benedikt XVI. umfangreich und sehr sehr wohlwollend porträtierte. Bei diesen Büchern mit den Titeln "Salz der Erde" und "Licht der Welt" war die Faszinationskraft des aufgrund von umfassenden Interviews Dargestellten - wie man las - so groß, dass der Kirchenskeptiker und Journalist Seewald sogar in die Katholische Kirche eintrat. Wie sich doch manche Dinge ähneln, zwischen jenem katholischen und diesem evangelischen deutschen Theologieprofessor im kirchenleitenden Amt, die beide aus dem Bundesland Bayern stammen: Zweimal gibt es da über sie je eine "Home Story", von Journalisten dargestellt, zweimal sind es Journalisten. die vertrauensvoll Insider werden und aus dieser Perspektive berichten und porträtieren durften…
Weil wir diese Buchbesprechung mit der ZEIT (bzw. "Christ und Welt") begannen: Thielmann ist dort als Journalist nicht immer mit Glacé-Handschuhen mit EKD-Vorsitzenden umgegangen! Er hat da auch gern einmal die Führenden geärgert, "wider den Stachel gelöckt", advocatus diaboli gespielt. M.E. am krassesten zum Beispiel im März/April 2011 in einem sehr satirisch bzw. ironisch gehaltenen und etwas bärbeißig ausgerichteten Offenen Brief an Nikolaus Schneider: "Lieber Nikolaus Schneider! Atomkraft ist besser, als Sie denken".
Im hier vorzustellenden Büchlein fehlen diesbezüglich Distanzierungen und kritische Passagen fast ganz. Nur an einer Stelle erwähnt Thielmann ein Pro und Contra zwischen ihm selbst und Bedford-Strohm: in "Christ und Welt" habe sich Bedford-Strohm "pro" und er, Thielmann, im Gegenartikel "contra" Kirchensteuern stark gemacht (vgl. S. 8: "die theologischen Klingen gekreuzt" mit Bedford-Strohm), übrigens passend dazu, dass Freikirchler sich in dieser Hinsicht im "contra" natürlich gut auskennen.
Hier ist nun der Inhalt von Thielmanns Buch in den Hauptzügen zu skizzieren. Thielmann liebt offenbar trendige Begriffe und Begriffe, die Trends beschreiben oder setzen. So taucht der Begriff "Charme-Offensive" gleich als Überschrift des ersten Teils der Biographie auf (S. 13 - 15): "Der frisch Gewählte. Die Charme-Offensive beginnt". Da wird geschildert, wie der bayerische Bischof, zum EKD-Vorsitzenden gewählt, im Herbst 2014 seine allerersten Aktivitäten nach der Wahl beginnt. "Immer noch federt sein Gang. Die Züge des freundlichen Gesichts hinter der braunen Hornbrille sind entspannt, ein Lächeln liegt auf den Lippen" (S. 13). Und ähnlich das, wieder mit ‚Gesicht": "Heinrich Bedford-Strohm mit seiner geradlinigen Karriere ist das neue Gesicht der evangelischen Kirche. Ein Bischof. Ein Professor. Eine Charme-Offensive. […] Die evangelische Kirche meldet sich mit Freundlichkeit auf der öffentlichen Bühne zurück" (S. 15). Man hat fast den Eindruck, als gehöre auch das Büchlein, in dem das steht, zur gleichen Charme-Offensive dazu, als sei es Teil dieser Sorte von Öffentlichkeitsarbeit und -darstellung…
Über die Kindheit und Jugend von Heinrich Strohm (wie er vor seiner Ehe hieß) erzählt Thielmann auf S. 16 - 26: Geboren wurde Heinrich 1960 in einem Dorf, das heute zu Memmingen gehört. Er wuchs dort auf in einem Pfarrhaus als zweitjüngstes Kind von fünf Geschwistern. Sein Vater Pfarrer Albert Strohm prägte ihn mit seiner nüchternen Frömmigkeit und seiner starken Orientierung am Gemeinwohl; in seiner Gemeinde geschah Offene Jugendarbeit, und theologisch wurde besonders Bonhoeffer in der Familie hochgehalten. Mutter Strohm arbeitete engagiert bei Amnesty International mit. Der recht bekannte Theologieprofessor Theodor Strohm, ein Bruder des Vaters; gab auf Rückfrage dem Neffen Heinrich den letzten Anstoß, Theologie zu studieren.
Als Heinrich sieben Jahre alt war, zog die Familie nach Coburg, wo der Vater in einer neuen Gemeinde Pfarrer wurde, in der ein Jahr später ein neues Gemeindezentrum errichtet wurde. "Im Gemeindezentrum am Ketschendorfer Hang bekommt Heinrich die Impulse, durch die er später das Programm der Öffentlichen Theologie mitformulieren wird. Schon in den Sechzigerjahren ist dem Vater Gemeinwesenarbeit wichtig" (S. 20). Und der Sohn "hat die Kirche des Vaters als einen Raum der Freiheit erlebt" (S. 22).
Sechzehnjährig traf er erstmals Deborah Bedford, die amerikanische Austauchschülerin, mit der er sich anfreundete und brieflich verbunden blieb; später sollte sie seine Ehefrau werden. Als der Vater 1977 Dekan in Passau wurde, lernte auch der Sohn den Unterschied kennen, was es heißt, dass dort die Evangelischen krass in der Minderheit waren. In dieser Passauer Zeit absolvierte Heinrich seinen Grundwehrdienst, beantragte dann aber die Befreiung vom Waffendienst.
Der Abschnitt S. 27 - 37 ist der Schilderung der Studentenzeit und seiner Zeit als Assistent bei Prof. Wolfgang Huber gewidmet. Ab 1981 studierte Heinrich Theologie, zuerst zwei Semester in Erlangen, u. a. bei Wilfried Joest. In dieser Zeit traf er Deborah Bedford wieder, die auf einer kunstgeschichtlichen Weltreise war, was aber durch die neuerliche Begegnung mit Heinrich zum Zusammenziehen der beiden führte und dann schließlich zur Heirat. Zum dritten Semester war der Wechsel nach Heidelberg - und insgesamt "17 Jahre wird er in der Stadt verbringen" (S. 29). Besonders schätzte er dort "Heinz-Eduard Tödt, den großen alten Mann der Sozialethik" (ebd.). Tödts Schwerpunkt Friedensforschung und Bonhoeffer wurde auch für Heinrich weiter wichtig; Impulse von Tödt veranlassten Heinrich dann zur Verfassung seiner Dissertation über die Gerechtigkeitstheorie des Amerikaners John Rawls, die er bei Huber, seinem Doktorvater, schrieb. Liebevoll zeichnet Thielmann seine theologische Entwicklung in dieser wichtigen Zeit nach, aber auch den persönlichen Lebensgang. Man erfährtt, wie sich Deborah, die angehende Psychotherapeutin, und Heinrich gerade in ihrer Gegensätzlichkeit ergänzten und wie sich dieses sogar frömmigkeitsmäßig auswirkte: dass sie als Amerikanerin einen viel emotionaleren Glauben hatte, auf den er - der nüchterner Erzogene - sich sehr gern einließ. Thielmann schildert die Entwicklung, die 1984 zur Eheschließung der beiden in Boston in den USA führte und zum Ehenamen "Bedford-Strohm", den fortan beide führten. Prägende Aufenthalte in den USA werden beschrieben, z.B. dass die beiden von Heidelberg aus sich in Berkeley einschrieben, wo Heinrich Bedford-Strohm bei keinem Geringeren als bei dem peruanischen Professor Gustavo Gutiérrez, dem bekannten Vertreter (und Namensgeber!) der ‚Theologie der Befreiung' studieren konnte.
Seit 1984 war Wolfgang Huber als Professor von Marburg nach Heidelberg gekommen, und Bedford-Strohm wurde sein Assistent, aber auch sein Freund, eine enge Freundschaft, in die auch die Ehefrauen eingeschlossen waren. Thielmann benennt die sozialethische Konzeption und die Arbeitsgemeinschaft der beiden so: "Wolfgang Huber hat den Begriff der ‚Öffentlichen Theologie' geprägt. Bedford-Strohm erweiterte ihn mit seinen Erfahrungen" (S. 35); beide wurden auch die Herausgeber einer theologischen Buchreihe gleichen Namens.
Was ‚Öffentliche Theologie' im Sinne von Huber und Bedford-Strohm will, ist im Zitat des Letztgenannten bei Thielmann schön so zusammengefasst: "Öffentliche Theologie erhebt durchaus den Anspruch, über die distanzierte Grundsatzkritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen hinaus Wegweisungen für die Politik zu geben, die auch tatsächlich Politik möglich machen" (S. 118). Und zweifellos erkennt der deutlich mit Bedford-Strohm sympathisierende Wolfgang Thielmann als Theologe und Journalist in diesem weiten Plausibilitätsrahmen auch Spielräume, die wie für die Politik so auch für sein eigenes Metier in der Presse und den Medien gelten.
Von diesen Grundlinien her können wir uns bei den beiden nächsten Abschnitten viel kürzer fassen: Nach seiner Promotion wurde Dr. Bedford-Strohm erst einmal 1992 bis 1994 bayerischer Gastvikar im badischen Heddesheim, 1995 dann Gastprofessor für Sozialethik am renommierten Union Theological Seminary in New York, schließlich ab 1997 bis 2002 Gemeindepfarrer in Coburg und Pfarrer in einer diakonischen Einrichtung, wobei in dieser Phase auch seine Habilitationsschrift erstellt wurde und er zwischendrin schon eine Professurvertretung für Systematische Theologie in Gießen bewältigte (1999 - 2001).
Und diese Karriere fand dann vorerst ihre Krönung, dass er Professor für Systematische Theologie und Theologische Gegenwartsfragen an der Universität Bamberg wurde und das in den Jahren von 2004 bis 2011 blieb. Thielmann schildert Bedford-Strohms theologisches, sozialethisches und ökumenisches Wirken in dieser Zeit als Bamberger Professor im Abschnitt: "Der Professor: Südafrika, und Oberfranken" (S. 53 - 71).
Mit dem Abschnitt "Der Bischof: Als Außenseiter in Amt" (S. 72 - 75) kann Thielmann als Medienexperte den Bischof Bedford-Strohm auch aus eigener Anschauung und Einschätzung schildern in der Art, wie der Bischof und Professor über Bayern hinaus "ankam" und überzeugte und Menschen gewann. Es ist die Zeit, seit der die breite Öffentlichkeit ihn z.B. auch vom Bildschirm her kennt. Thielmann schreibt über diese Zeit ab der Wahl im April 2011, dass Bedford-Strohm seine "Öffentliche Theologie nun als Kirchenführer praktizieren wollte" (S. 70). Später konkretisierte der neue Bischof in seiner programmatischen Rede vor der Synode, ihm gehe es um eine authentische Kirche, "die aus Begeisterung für die befreiende Botschaft des Evangeliums lebt, die ausstrahlt wovon sie spricht" (S. 77), bei der es - wie bei Karl Barth - ganz und gar um Jesus Christus gehe, aber ebenso um Gefühl und Erfahrung wie bei Schleiermacher (vgl. ebd.). Zur öffentlichen Theologie gehören bei Bischof Bedford-Strohm so stark wie wohl bei keinem anderen Kirchenführer auch seine Aktivitäten bei Facebook, aber auch das Projekt, dass er zusammen mit seinem Sohn Jonas ein offenes und kritisches Zwei-Generationen-Gespräch über den Glauben als Buch herausgibt (vgl. S. 81 - 83). Jonas habe nach Erstellung des Buches sich als Theologiestudent eingeschrieben, ist bei Thielmann zu lesen (S. 83).
Erst recht als kompetenter Beobachter der evangelischen Kirche und ihrer Leitenden kann Thielmann dann (S. 86 - 114), mit viel Insiderwissen unterfüttert, die Wahl Bedford-Strohms zum EKD-Ratsvorsitzenden und seine Aktivitäten in diesem neuen Amt schildern. Bei dieser Darstellung der Ereignisse kommt aus Thielmanns Sicht dem Erbe des ehemaligen Ratsvorsitzenden Huber besonderen Gewicht zu, denn Huber, Vorvorgänger und enger Freund von Bedford-Strohm, "stieß in der Evangelischen Kirche einen Erneuerungsprozess an, von der sie immer noch zehrt" (S. 89). Von der Wahl an bis in die Aktivitäten in den ersten Amtsmonaten wird der Weg des neuen Vorsitzenden ausführlich geschildert, bis hin zu seinem Kontakt zu Bill Gates (S. 95) bis hin zu Bedford-Strohms aktuellen Bemerkungen zum Islam und zum Thema Sterbehilfe (vgl. etwa S. 97 - 100). All das kennt Thielmann in extenso, sogar dass der Chauffeur des Ratsvorsitzenden Ralf Meyer heißt und einen BMW fährt (kommt öfter vor: S. 102, 103, 109; "Der BMW hat WLAN", S. 103). ;-)
Als sehr gewinnend wird Bedford-Strohms "Antrittsbesuch" in der vielbesuchten Schweinfurter Vesperkirche St. Johannis geschildert, in der man z.B. essen, reden und hören kann. Thielmann erzählt diesen Besuch aufs ausführlichste (S. 103 - 108) und schließt, dass diese Kirche für den Ratsvorsitzenden "ein wunderbarer Ausdruck" seiner "Vision von Kirche" (S. 107) sei. Genauso ist Thielmann in seinem Element bei der ausführlichen Schilderung des Besuchs von Bedford-Strohm bei der zum evangelikalen Lager gehörenden charismatischen "Micha-Bewegung" (S. 109 - 112), wo der Kirchenführer eine prima Figur abgibt und sich nicht einmal zu schade ist, bei den "Bewegungslieder[n] im Gottesdienst" (S. 110) mitzusingen und bei einer persönlichen Gebetsgemeinschaft im kleinen Kreis teilzunehmen.
Bei so viel Bedford-Strohm-Lob lässt Thielmann seinen Helden aber auch Selbstkritisches sagen; es sei seine "Schwäche […] , niemand enttäuschen zu wollen", außerdem gebe er zu, dass er "die Dinge manchmal zu positiv sehe" (beide Zitate S. 109). Ansonsten fallen in Thielmanns Darstellung – wie schon angedeutet wurde – kaum Schatten auf Bedford-Strohm. Dass die EKD von konservativer Seite zunehmend verachtet und als unglaubwürdig empfunden wird, dass in der aktuellen Situation Kübel von Kritik über die EKD und ihre Hauptrepräsentanten ausgegossen werden (auch auf der anderen Seite – von den Kirchenkritikern und Freidenkern), bleibt bei Thielmann eher vornehm außen vor. Die EKD-Kritiker, die das stets gewinnende Lächeln des Vorsitzenden anders deuten, als taktisches und nerviges Dauergrinsen, bleiben im Büchlein ausgeblendet.
Gegen Ende des Büchleins beschreibt Thielmann den Ratsvorsitzenden als "Der öffentliche Theologe" (S. 115 - 125). Da geht es um Prinzipien der Kirchenleitung und um die Fragen, wie im politischen Raum bis hin zu TV-Talkshows Kirche sich zu präsentieren hat, was da die legitime Aufgabe der Kirche sei und was falsche Politisierung. Besonders interessant ist, wie und wann aus dieser Sicht ‚prophetischer Protest' vonnöten ist (vgl. S. 123 - 125). Der letztgenannte Aspekt wird in dem Abschnitt "Der Prophet: Wacher Zeuge in der Gesellschaft" erweitert und vertieft (S. 125 - 132).
Allmählich zum Schluss kommend, beschreibt Thielmann den "Gläubigen", oder anders gesagt, was aus der Sicht von Bedford-Strohm über "Frömmigkeit und falsche Gesetzlichkeit" zu sagen ist (S. 133 - 137). Geschildert wird, dass sich Bedford-Strohm wie ein Pietist wünschen kann, dass es eine neue Erweckungszeit für den Glauben gibt. Sein soll das eine "Erweckung […], die tiefe Frömmigkeit mit radikaler Liebe zur Welt verbindet" (S. 133). Sehr intime eigene Glaubensdinge kommen hier zur Sprache, z.B. dass der Glaube des Ratsvorsitzenden eher eine konstante Line darstellt und eigentlich nie von Anfechtungen und Zweifeln durchschüttelt wurde (S. 135) und dass der eigene sonntägliche Gottesdienstbesuch für ihn grundlegend geblieben ist (S. 135 f.).
Von dort geht es weiter zu Bedford-Strohm als Ökumeniker: "Der Interkonfessionelle: Ökumene der kurzen Wege" (S. 138 - 145), ein Abschnitt, in dem herausgearbeitet wird, dass Bedford-Strohm und Erzbischof Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, die beiden Führenden der beiden Konfessionen, sich bestens verstehen und als Sozialethiker auch sehr ähnlich denken und einander als Nachbarn kennen und sich von Anfang an nah waren..
Ein weiterer Abschnitt, überschrieben "Der Brückenbauer: Zeit für mehr Brüderlichkeit" (S. 144 f.), enthält kurze Ausführungen zum christlich-jüdischen und zum christlich-islamischen Verhältnis.
Etwas ausführlicher ist dann noch ein Abschnitt: "Der Gestalter: trau dir etwas zu", in dem erörtert wird, was für den Ratsvorsitzenden aus dem inzwischen viel gescholtenen und mancherorts geradezu gehassten EKD-Konzept "Kirche der Freiheit" wird und was aus dem Reformationsjubiläum 2017 (S. 146 - 150). Auch bei „Kirche der Freiheit“ wird bei Thielmann der positive Aspekt deutlicher betont.
Abgerundet wird die Darstellung dieses Optimismus, den der Ratsvorsitzende ausstrahlt, durch den Schlussabschnitt; "Der Fröhliche: Glaubenslust und Feierlaune", in der Bedford-Strohm dafür plädiert, mit Lust evangelisch zu sein. Wie das geht, evangelisch, das hat Thielmann ja ausführlichst dargestellt und biographisch belegt: So geht evangelisch…
Zwei Anhänge schließen sich an: ein Exklusivinterview, in dem Bedford-Strohm Thielmann offen Antwort gibt über seine Hoffnung über den Tod hinaus (S. 154 - 157), und eine Zeittafel zur Vita von Heinrich Bedford-Strohm (S. 158 - 160).Dr. Friedhelm Groth, Sümmern
Weitere Darstellungen im Internet zum gleichen Thema:
1. http://www.herder.de/buecher/details?k_tnr=342374. http://www.deutschlandradiokultur.de/wolfgang-thielmann-ueber-heinrich-bedford-strohm-ein.1278.de.html?dram%3Aarticle_id=324552 (Interview Deutschlandradio Kultur - Interview mit Thielmann über das Buch)
Auch aus dem Internet - zwei Bilder (Mai und Juni 2015) als Zugabe, auf denen Thielmann und Bedford-Strohm gemeinsam zu sehen sind: