Die
Rezension der Bände 3 und 4 der Blumhardt-Briefe
findet sich hier.
Die
Rezension der Bände 5 bis 7 der Blumhardt-Briefe
findet sich hier.
Hier die in Pietismus
und Neuzeit (Band 22 – 1996, Göttingen 1997: Vandenhoeck,
S. 293 - 304) veröffentlichte Rezension von:
Blumhardt, Johann Christoph:
Gesammelte Werke. Schriften, Verkündigung, Briefe, hg. von Gerhard Schäfer,
Reihe III: Briefe.
Band I:
Frühe Briefe bis 1838. Texte. Hg. von Dieter Ising.
545 S.
Band 2:
Frühe Briefe bis 1838. Anmerkungen. Bearbeitet von Dieter Ising,
690 S. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993.
„Wenn ich die
Geschichte grosser, edler Männer lese, so schmerzt
es mich, nicht auch in ihrer Zeit gelebt zu haben, nicht gerade, um aus ihrem
Umgang Wonne zu schöpfen, sondern um ihnen recht zeigen zu können ..., wie lieb
ich sie habe“, schreibt Johann Christoph Blumhardt
1826 dem ihm innigst verbundenen Eduard Mörike (im o.g. Band 1, im folgenden stets als I zitiert: I, 100).
Offensichtlich von einem ganz ähnlichen Eros beseelt und motiviert, ist diese
bemerkenswerte kommentierte Briefausgabe entstanden. Genau 25 Jahre nach der
Herausgabe des ersten Bandes von Blumhardts
‚Gesammelten Werken’ (Blätter aus Bad Boll 1 - 4, Göttingen 1968 -1970, Bd. 5
Kommentarband von
In diesem Jahrbuch
war in Band 18/1992 (230-233) das von Dieter Ising
verfasste „Appetithäppchen“ (230), sein aus der Arbeit an der hier vorliegenden
Briefedition als Seitenprodukt entstandenes schönes Blumhardt-Brevier
(Göttingen 1991), besprochen worden, das gespannt machte auf die ‚Briefe bis
1838’ und auf das, was danach, von Ising bearbeitet,
noch folgt. Die schöne, reife Frucht eines gewaltigen Arbeitspensums ist das
hier anzuzeigende umfangreiche zweibändige Werk, zu dem der Herausgeber und
Bearbeiter sehr zu beglückwünschen ist und das man nur mit großem Gewinn lesen
kann. Es ist eine sehr aufwendig zusammengestellte Arbeit – zwar recht teuer , aber auch überaus kostbar .Nicht viele ‚große
Gestalten der Vergangenheit’ erfahren solch eine eingehende und sorgsame Dokumentation
und Aufarbeitung ihres Entwicklungsgangs, wie Ising
sie hier zu Blumhardt dem Älteren vorlegt.
Dieter Ising, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landeskirchlichen
Archivs in Stuttgart und von daher mit der Edition der Blumhardt-Briefe
betraut, wobei er in engerem Kontakt stand und steht mit dem ‚Blumhardt-Archiv bei der Württembergischen Landesbibliothek
Stuttgart’, hat mit diesem Werk die Blumhardt-Forschung
auf ein völlig neues Qualitätsniveau gehoben. Man könnte von außen her sicherlich
fragen, ob der Aufwand, der in diesen über 1200 Seiten steckt, nicht arg
übertrieben sei und bemängeln, dass das Unternehmen etwas ‚over-sized’
daherkomme: Ist da nicht die Bedeutung des schlichten und bescheidenen
Gottesmannes Johann Christoph Blumhardt (1805-1880),
des schwäbischen Landpfarrers und Seelsorgers, maßlos überschätzt? Gründliche
Lektüre freilich zerstreut diese Bedenken sehr bald: Was Ising
mit dieser kommentierten Briefedition aus dem Umkreis der frühen Biographie Blumhardts aufarbeitet und darbietet, ist für
Kirchenhistoriker und pietismus-interessierte Leser außerordentlich eindrucksvoll,
aber weit über dieses Publikum hinaus bietet es Forschern (auch aus
‚weltlichen’ Nachbardisziplinen) einen faszinierenden Ausschnitt aus der
württembergischen Geistesgeschichte im ersten Drittel des vorigen
Jahrhunderts.
Jedenfalls stellt
diese Blumhardt-Briefausgabe viel mehr dar, als der
Titel verspricht. Sie enthält z.B. eine ‚verkappte’ Biographie des älteren Blumhardt über dessen frühe Jahre ‚vor Möttlingen’
von 1805 bis 1838. Allein die im Anmerkungsband (im folgenden
als II zitiert) jeweils als ‚Einführungen ‚ zu den einzelnen Lebensstationen Blumhardts gebotenen eigenen Zusammenfassungen von Ising sind bemerkenswert. In sechs Abschnitten stellt er –
gut lesbar, in der Darstellungsweise ähnlich wie im Blumhardt-Brevier
– das biographisch, historisch und theologisch
Wesentliche aus dem jeweiligen Zeitraum dar: 1. Blumhardts
Kindheit und Jugend in Stuttgart 1805 bis 1820 (II, 7-26)~ 2. seine Schöntaler
Seminarzeit 1820 bis 1824 (II, 33-69), 3. die Tübinger Stifts und
Universitätsjahre 1824 bis 1829 (II, 75-131), 4. die Dürrmenzer
Vikariatsjahre 1829 und 1830 {II, 265-290), 5. die Zeit als Missionslehrer in
Basel 1830 bis 1837 (II, 315-358) und schließlich die Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen 1837 und 1838 (II, 555591). Schon diese
schlichten Zusammenfassungen Isings übertreffen an Umfang
und von der Sache her etwa das, was man in der bekannten und oft wiederaufgelegten Biographie von Blumhardts
Bundesgenossen Friedrich Zündel über diesen Zeitraum
lesen kann. Bekanntlich hat der ‚Zündel’ in vielen
Auflagen seit 1880 maßgeblich und wirkungsmächtig dazu beigetragen, dass Blumhardts Leben und Verkündigung für die Nachwelt lebendig
erhalten blieb. Man könnte sich gut vorstellen, dass Ising
der Mann ist, der einen ‚Zündel’ für unsere Zeit
verfasst, eine ‚richtige’ Blumhardt-Biographie, die
(in höherer Auflage, als sie in dem hier anzuzeigenden Werk möglich ist) heute
den Johann Christoph Blumhardt der Gemeinde und der
Theologie nahebringt.
Eigentlich stellt uns
Ising, der ja auch Mitinitiator der schönen Blumhardt-Gedenkstätte im Dittus-Haus
zu Möttlingen und Verfasser des dortigen
Ausstellungskataloges (2. Auflage Metzingen 1992) war, mit diesen Bänden I und
II gleichsam ein komfortabel und in sinnvoller Ordnung aufgebautes ganzes ‚Blumhardt-Museum’ mit sehr vielen liebevoll ausgestatteten
Ausstellungsräumen vor Augen, das ‚Blumhardt und
seine Welt’ in größtmöglicher Anschaulichkeit vor uns ausbreitet. Dazu gehört,
dass Isings Briefausgabe zugleich ein
auskunftsreiches ‚Kursbuch’ darstellt, das im Blick auf das erste Drittel des
vorigen Jahrhunderts etwa die verschlungenen Linien der Entwicklung der
Erweckungsbewegung und der Missionsgeschichte im süddeutschen und Basler Raum
mit allen wesentlichen ‚Anschlüssen’ durchschauen lässt. Auf diesem Gebiet,
aber auch darüber hinaus ist die kommentierte Briefausgabe ein auskunftsreiches
‚Who is who?’
und eine unerschöpfliche historische Fundgrube besonders zur Theologie- und
Geistesgeschichte Württembergs. In der Tat: es handelt sich um „eine
Briefedition im weiteren Sinne“ (I, 8), was wir hier nicht nur darauf beziehen,
dass von Ising eben auch Blumhardts
Lebensläufe, Studien und Examensarbeiten usw. mitaufgenommen
werden.
Wenn wir hier das in Band I und II Gebotene vom Inhalt her
kurz vorstellen, kann es bei der Fülle des Stoffs verständlicherweise nur um
das Andeuten einiger Akzente gehen, die diese Briefausgabe neu setzt.
1. Zu den Stuttgarter Kindheits- und Jugendjahren und
Blumhardts Zeit als Seminarist (1805-1824):
Viel stärker als bei
seinem Vorgänger
2. Blumhardts Tübinger Stifts- und Studienjahre 1824 -1829:
Ein gewaltiger
Schwerpunkt im Anfangsteil der Briefedition, von Ising
stark herausgearbeitet, ist dann in der Tübinger Stiftszeit und den
Universitätsjahren (vgl. die Blumhardt Texte aus
dieser Zeit von 1824 bis 1829 in: 1,47-179; ausführlichst
von Ising kommentiert in II, 75-263) die Freundschaft
Johann Christoph Blumhardts zum späteren Dichter und
Pfarrer Eduard Mörike (1804-1875). Das Mörike-Thema nimmt
in diesen umfangreichen Texten aus der Tübinger Zeit und zu ihr den weitaus
größten Raum ein (die Blumhardt-Texte an Mörike
finden sich in: 1,49-158, kommentiert in: II, 132-252, vgl. ferner Isings Zusammenfassung "Freundschaft mit Mörike",
II, 113-118). Das, was Ising aus Blumhardts
an Mörike gerichteteten Briefen und tagebuchähnlichen
Aufzeichnungen ausgräbt, darbietet und kommentiert, ist ein sehr gelungener
erster Höhepunkt seines Werks. Die Außerordentlichkeit der Liebe zu Mörike
beschreibt Ising so: "Die Intensität der
Freundschaft mit Mörike wird von keiner anderen Beziehung Blumhardts
in seiner Tübinger Zeit erreicht. Das gilt auch für Wilhelm Hoffmann, ...dem er
die Verbindung zur Korntaler Brüdergemeinde ...verdankt" (II, 120) und im
Vergleich mit dem die Beziehung Blumhardts zu Mörike
enger war.
In der bisherigen
Literatur zu Mörike und in entsprechenden Lexikonartikeln und Zusammenfassungen
ist immer auch einmal unter Mörikes Freunden Johann Christoph Blumhardt erwähnt worden, meist aber nur en passant,
sozusagen verdeckt durch den Schatten, den andere (angeblich wichtigere) Männer
aus Mörikes Freundeskreis – Wilhelm Waiblinger, Ludwig Bauer u.a. – warfen. Dieses dürfte, soweit wir das einschätzen
können, mit dem hier vorzustellenden Werk nun auch in der Literaturwissenschaft
durchaus zu revidieren sein, denn zu auffällig - und darüber hinaus
psychologisch und biographisch zu interessant - ist die hier dargebotene zarte
(uns heute streckenweise fast homoerotisch anmutende und z. T., wie Blumhardt selbst gelegentlich bemerkt – vgl. etwa I, 73 f. u.ö. – an Menschenvergötzung
grenzende) romantische Liebesgeschichte zweier Jünglinge, die beide je auf
ihre Weise leicht zu unterschätzende Rand-Existenzen waren und blieben und die
in ihren Anfängen fast wie Zwillinge zusammenzugehören schienen. Dabei
freilich war von vornherein der junge Blumhardt der
Frommere und 'Missionarischere' von beiden, der – ansonsten ein Herz und eine
Seele mit Mörike – dem religiös schon früh zurückhaltenden späteren Dichter
von seiner vorhandenen Glaubenssubstanz etwas abgeben wollte und im Blick auf
Mörike dessen problematisches Anderssein teils vor sich selbst und anderen
glättete und harmonisierte, teils in Liebe und in einer damit zusammenhängenden
sehr auffälligen Liberalität ertrug. Leider fehlen uns zu den von Blumhardt an Mörike gerichteten Schreiben meist dessen
Gegenbriefe; man hätte zu gerne gewusst, ob wirklich aus der Optik Mörikes das
„Lieb Blumhärdtle“ (I, 52 u.ö.)
für ihn wirklich eine genauso bedeutende Rolle spielte, oder ob die Liebe in
der Tendenz eher doch ‚asymetrisch’ war. Dass aber
zur Entwicklung der Persönlichkeit Mörikes, zu seinem eingeschlagenen Lebensweg
als Pfarrer und Dichter mitsamt den da aufgetretenen Problemen, Blumhardt einen nicht zu unterschätzenden prägenden
Beitrag leistete, wird durch die 'Frühen Briefe' mehr als deutlich. Dass bekanntlich
Jahrzehnte später der Dichter in Bad Boll unter den Händen des Jugendfreundes
Heilung seiner psychosomatischen Krankheitssymptome erfuhr (Sommer 1848),
gehört in diesen Zusammenhang. Der zeitgenössische Schriftsteller Peter
Härtling, der vor Jahren ja schon einmal einen ‚Blumhardt-Roman’
geschrieben hatte ('Das Familienfest', 1969) und der in den 80er Jahren zwei
einfühlsame literarische Erzählungen zur Biographie und den Liebesgeschichten
Eduard Mörikes veröffentlichte (‚Die dreifache Mafia’, 1982; ‚Waiblingers
Augen’, 1987), könnte, ausgehend von Isings
Quellenmaterial, eine ganz schöne Geschichte über die nicht minder anrührende
Liebesgeschichte Mörike / Blumhardt schreiben (beide
treten gemeinsam bei Härtling nirgends auf).
Ähnlich reizvoll ist
es, nach den Blumhardt-Briefen sein Verhältnis zu
David Friedrich Strauß, seinem durchaus vertrauten Tübinger Mitstiftler,
zu verfolgen (vgl. zu Strauß etwa: I, 105, 115,125; II, 93 f., 97 f, 124, 197,
199, 202, 209 f. , 217 f., 244, 281, 341 f. u.ö.). Dass von vornherein alle drei aus diesem Kameradenkreis,
Mörike, Strauß und Blumhardt, eine gemeinsame
auffällige Affinität zu Phänomenen übernatürlicher Art (Magnetismus u. dgl.)
besaßen, betont Ising mehrfach und verdeutlicht es an
Justinus Kerner und seiner ‚Seherin von Prevorst’,
(besonders pointiert in: II, 209 f.), deren Aufsuchen durch Strauß freilich
auch nach Blumhardts späterer Meinung einen Beitrag
dazu geleistet habe, dass Strauß vom Glauben abgekommen und auf den Weg seines
‚Lebens Jesu’ geraten sei (vgl. II,210).
Als andere wichtige
Aspekte der Tübinger Zeit nennen wir hier nur summarisch Blumhardts
Freundschaft mit dem frommen Rudolf Flad (im Stift
sind Mörike, Blumhardt und Flad
das „Fladderdat Cleeblatt“,
II, 121) und zu anderen, wobei zu Beginn Blumhardt, Flad und Wilhelm Hofacker der Tübinger „pia“ angehörten (dazu gehörte vor Blumhardts
Studienzeit z. B. auch Ludwig Hofacker), einem pietistisch-erwecklich
ausgerichteten Freundschaftsbund frommer Tübinger Studenten und Repetenten
(vgl. II, 111 - 113).
Theologisch
erwähnenswert ist zu diesem Lebensabschnitt Blumhardts,
das von Ising zu Luther, Eschenmayer
und Baur Herausgearbeitete. Ising sieht Blumhardt – bei all seinem Luther-Interesse – zeitweise in
einer deutlichen Distanz zu Luther (vgl. II, 107-109; in 109 A. 126 ausdrücklich
gegen Zündel formuliert, aber auch implizit gegen
eine Sicht wie die o.g. von Paul Ernst), was u. E.
ein sachgerechtes Urteil darstellt.
Wichtig für das
Verständnis von Blumhardts weiterem Weg sind auch
seine Tübinger Studienerfahrungen, die er bei Prof.
C. A. Eschenmayer machte (vgl. dazu Isings Ausführungen in: II, 99 -101) .Eschenmayer,
der sich in seiner Psychologie mit Magnetismus, , ekstatischem Schlaf und
Verwandtem aus dem Bereich paranormaler Phänomene
beschäftigte, fand Blumhardts Interesse und
vermittelte diesem sicherlich auch eine Prägung, aber so, dass Blumhardt später auf diesem Gebiet seinen eigenständigen
Weg fand (vgl. ll, 101).
Was den Begründer der
sog. Zweiten Tübinger Schule Ferdinand Christian Baur angeht, hat nach Ising Blumhardt diesen als dessen
treuer Hörer in Tübingen mehr geschätzt als in der früheren Forschung Zündel und andere Glauben machten (ll,
221 f., vgl. ll, 93 f).
Alle weiteren den
Bildungsgang in Tübingen betreffenden Aspekte aber, wie sie in Isings Ausgabe ausführlich zur Sprache kommen, können wir
auf sich beruhen lassen. Hier ist nur noch darauf zu verweisen, dass das eschatologische Problem Jüngstes Gericht und Wiederbringung
aller Dinge von Anfang an eine bohrende Kernfrage des Glaubens für Blumhardt darstellte, was bei Ising
auch in (einer für den Rezensenten erfreulichen) Deutlichkeit immer wieder
angedeutet und besonders im Zusammenhang mit der Examensarbeit von 1829 über
dieses Thema als wesentliches Problem breit herausgearbeitet wird (vgl. den
Text der Blumhardt-Arbeit, in: I, 164-179, in der er
„Sympathie für die Hoffnung auf eine Apokatastasis
erkennen“ lässt, I, 164 ; von Ising wird dieses Thema
ausgiebig kommentiert in: ll, 257 - 262). Dass da
auch eine wahrhaft merkwürdige unterirdische Verbindungslinie zur weiteren
Entwicklung des Mitstiftlers David Friedrich Strauß
besteht – Strauß schrieb 1831 seine Doktorarbeit just über dieses
württembergische Lieblingsproblem (!) –, deutet
sich auch bei Ising an (vgl. ll, 258 f.).
3. Blumhardts
Vikariatszeit in Dürrmenz und die Jahre als
Missionslehrer in Basel (1829 bis 1837):
Aus den Texten der
beiden Dümnenzer VIkariatsjahre
1829/30 (1, 181-213; kommentiert in: ll, 265-290)
geht schön hervor, dass Blumhardt ähnliche Dinge, wie
bei den späteren übernatürlichen Phänomenen in Möttlingen
von Anfang seiner seelsorgerlichen Tätigkeit an ständig im Blick hatte. Auf
Träume, Spukgeschichten, Geistererscheinungen und Ähnliches kommt er in seinem Dürrmenzer Tagebuch des öfteren zu sprechen (vgl. I, 183 f., 191, 193, 195,
197 f.). Zu Recht betont Ising, „daß
das hier Erzählte Blumhardts Einstellung zu den
späteren Vorkommnissen in Möttlingen mit geprägt hat“
(1, 284, vgl. den ganzen Abschnitt "Berichte über die 'Geisterwelt"',
ll, 284-286, vgl. zu den folgenden Basler Jahren den
diese Dinge betreffenden Abschnitt, in: ll,
354-356), und er resümiert diese praktischen Dürrmenzer
Erfahrungen des Vikars Blumhardt so: „Hat er sich
während des Tübinger Studiums mit Eschenmayers
Versuchen einer wissenschaftlichen Durchdringung dieser Erscheinungen
beschäftigt, so begegnen Blumhardt nun, wie früher
bereits in Korntal, wieder volkstümliche Erzählungen über die Geisterwelt, die
anders als Eschenmayer vor allem das Dunkle,
Gefährliche dieses Gebietes betonen. Daß
es Polterspuk und Geistererscheinungen tatsächlich gebe und diese in Verbindung
mit Verstorbenen zu sehen seien, wird ihm hier nahegebracht",
II, 286).
Sehr eindrucksvoll
ist dann als ein weiterer Höhepunkt des Werkes, was Ising
zu Blumhardts Jahren als Lehrer im Basler
Missionshaus (1830-1837) im Blick auf Blumhardt-Texte
und auf Sekundärliteratur zur Geschichte
der Basler Mission und zu Basel als ‚organisatorische Zentrale’ der Deutschen
Christentumsgesellschaft in der Zeit der Erweckungsbewegung des vorigen Jahrhunderts
in den beiden Bänden darbietet (vgl. I, 215-383; kommentiert in: II, 315-554).
Gerade hier hat Ising ungeheure Stoffmassen
aufgearbeitet, und er ordnet die Fülle des Stoffes so zusammen, dass im Großen
ein sehr klares Bild der Entwicklungslinien entsteht, aber er zeigt auch ‚im
Kleinen’ mit einer bewundernswerten, geradezu detektivischen Findigkeit, was in
Blumhardtschen Texten hinter allen möglichen
Bemerkungen und Anspielungen steht. Was das Letztere angeht, lässt Ising durchgängig in seinem Kommentarband kaum jemals eine
Frage offen. Und oft genug stellt sich dann in dieser Bemühung um das Detail,
das auf den ersten Blick wie überdrehtes ‚Fliegenbeinzählen’ anmutet, heraus,
das man diesen Detailforschungen die schönsten Einsichten verdankt. Dieter Ising (übrigens selbst weder Württemberger noch Pietist,
aber ein beachtlicher Kenner des württembergischen Pietismus) partizipiert mit
dieser Gabe der Darstellung offensichtlich an einem alten württembergisch-pietistischen
Erbe, wo sich ja schon seit Bengel die manchmal pedantisch anmutende Treue im
Kleinen und die Bemühung um das Einzelne mit dem Im-Blick-Haben
der großen Linien des Ganzen niemals ausschlossen, sondern sich wechselseitig
ergänzend befruchteten.
Auf Beides, das Kleine
und Einzelne und das Große und Ganze kann im Blick auf diese Basler Jahre Blumhardts in dieser Besprechung nur in ganz unzureichenden
Andeutungen eingegangen werden. Andeuten möchten wir ,
dass gerade der hier anzuzeigende Abschnitt für kirchengeschichtliche
Forscher, die sich mit dem Erweckungs-Zeitalter und der Missionsgeschichte
jener Zeit beschäftigen, eine Fundgrube und ein Schatzkästchen ersten Ranges
ist.
Gleichgültig ob man
sich für Hermann Gundert (1814-1893) interessiert,
den Indien-Missionar und berühmten Indologen und späteren Leiter des Calwer
Verlagsvereins, der dann Schwiegervater wurde von Johannes Hesse (dem
Nachfolger des genannten Hoffmann als Leiter der Korntaler Brüdergemeinde und
Vater des Dichters Hermann Hesse), oder für Samuel Gobat
(1799-1879), den bekannten Ägypten und Abbessinien-Missionar,
den späteren Bischof von Jerusalem und Vater der erwecklichen
Schriftstellerin Dora Rappard, oder für Christian
Gottlob Barth (1799-1862), den Pfarrer, Schriftsteller und Organisator in
Sachen Mission, der durch seine Mammut-Aktivitäten als Blumhardts
Amtvorgänger das württembergische Möttlingen zu
einer Missions-Zentrale erster Güte machte und dann auch als Gunderts Nachfolger in der Leitung des Calwer
Verlagsvereins einer der wichtigsten Träger der Verbreitung des
Missionsgedankens war, oder für Samuel Hebich
(1803-1868), den Pioniermissionar der Basler Mission in Indien, oder für
Christian Friedrich Spittler (1782-1867), der 1815
die Basler Mission ins Leben rief, das Werk in Chrischona
gründete und als Sekretär der Christentumsgesellschaft wirkte, oder für viele
andere: Stets erhält man von Ising ausführlichste
Informationen über die Kontakte dieser Männer mit Blumhardt
und über deren Wirken insgesamt unter Hinweis auf alle relevante zu diesen
Personen erschienene Sekundärliteratur (in Auswahl sind hier einige Textpassagen
zu den Genannten anzuführen: Hermann Gundert: I, 328
f., II, 270 f., 289, 458, 463, 501; Samuel Gobat: I,
294, 299, 347, 352 f., II, 436 f., 449, 525, 531, 589, 633; Christian Gottlob
Barth I, 277, 284, 294 f., 306 f., 306 f., 313-316, 318 - 320, 350 f., II, 350,
353, 355, 409 f., 435 f., 440, 449, 458, 475 - 481, 483 - 488, 489 - 496, 528
f., 531 u.ö., s.u.; Samuel Hebich I, 299, 341, 338, II, 347, 437 f., 447 ,450 , 513,
517; Christian Friedrich Spittler: I, 239, 294, 483,
486, II, 332 f., 353, 463, 505, 520, 652; vgl. den ganzen Abschnitt zur
Christentumsgesellschaft: II, 332 - 348).
Viele dieser Namen
und Kontakte weisen auf die wichtige schweizerisch-württembergische Achse hin,
die damals gerade auch zwischen Basel und Möttlingen/Calw
bestand. Die hier genannten württembergischen Beförderer des Missionsgedankens
im 19. Jahrhundert waren allesamt stark geprägt vom Vätererbe, von der alten
(von Bengel und Oetinger ausgehenden)
württembergisch-pietistischen Tradition, die sie freilich eigenständig flexibel
abänderten und in ihre Zeit übersetzten. Mitten in diesem Milieu übte Blumhardt seine Tätigkeit als Basler Missionslehrer aus –
eben auch ganz und gar ein Erbe des alten Pietismus in der Zeit der
Erweckungsfrömmigkeit und vom Grundmuster her mit all den anderen vergleichbar.
Man kann da nur mit Ising „Blumhardts
Stehen in der Erweckungsbewegung seiner Zeit“ (II, 567) betonen.
Da kann es schon
erstaunen, dass Karl Barth und Eduard Thurneysen, die den älteren Blumhardt wesentliche Impulse verdankten und von Blumhardt dem Jüngeren her in Bad Boll eine bedeutende
Weichenstellung ihrer Theologie erfuhren, in ihren Äußerungen über Blumhardt immer wieder das ‚gänzlich Unpietistische’ der Blumhardtschen Reich-Gottes-Hoffnung wie ein
Qualitäts-Markenzeichen hervorhoben. In Isings
Interpretationshorizont bietet sich u.E. das Bild ein wenig anders da: So wie
auch die Krankenheilung von Möttlingen Blumhardt nicht ‚senkrecht von oben’ in den Schoß fiel,
sondern bei ihm in der angedeuteten Weise prädisponiert war, so war die
anschließende Buß- und Erweckungsbewegung und die daraus resultierende
Reich-Gottes Verkündigung bei Blumhardt eine aus dem
Erweckungs-Pietismus des 19. Jahrhunderts herausgewachsene Entwicklung. Die
meisten Grundpositionen behielt auch nach Möttlingen Blumhardt mit den hier genannten Pietisten und Erweckungsleuten
gemeinsam, und alle ‚Ingredenzien’ der sich
herausbildenden eigenen Verkündigung Blumhardts sind
samt und sonders pietistischem Wurzelboden entsprossen (was natürlich nicht
ausschließt bei Blumhardt wie bei den anderen
Genannten, sich je und dann heftig gegen das Etikett ‚Pietist’ zu wehren und
sich von einem ‚falschen Pietismus’ abzusetzen; aber dieses ‚zum-Original-Geprägt-Werden’ und damit ‚über-den-Pietismus-Hinausweisen’ ist von vornherein eben
immer auch ein Teil von echtem Pietismus gewesen; Blumhardt
spricht z.B. später in einem Brief aus der Iptinger
Zeit vom „bekannten falschen Pietismus“ in: I, 457, vgl. dazu auch Isings Bemerkungen in: II, 567 f.).
Ebenso was die alten
Bengelschen Berechnungen des Beginns des chiliastischen
Reiches angeht, starrten die genannten Missionsfreunde Barth und Spittler und eben auch Blumhardt
„nicht wie gebannt auf den Termin 1836, sondern arbeitet, angespornt durch die
Erwartung der Wiederkunft Christi, beharrlich daran, der Welt das Evangelium
bekanntzumachen“ (II, 353, vgl. den ganzen Abschnitts Isings
zum Thema „Das Jahr 1836“ in: II, 350 - 354, ferner Isings
Bemerkungen zur Bengel-Lektüre in der Blumhardts Dürrmenzer Zeit: II, 282 f.; zu Blumhardt
und Oetinger vgl. übrigens die Zusammenfassung in:
II, 631 f.).
4. Blumhardts Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen
(1837 und 1838):
Dieser Schlussabschnitt (1, 385 - 545; kommentiert in: II, 555 - 690) erhält seinen Reiz daher, dass wir über die der Lebensetappe Möttlingen unmittelbar vorangehende Blumhardtsche Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen vor allem aus einer besonderen Quelle informiert sind: durch die Liebes und Brautbriefe, die er mit Doris Köllner, seiner späteren Frau, wechselte. In vielem wird man an die mit Mörike gewechselten o.g. ‚Liebesbriefe’ erinnert. Bei aller Zartheit und Sensibilität, mit der diese intimen Briefe geschrieben wurden, sind sie doch immer auch Dokumente, die theologisch für das Verständnis der sich herausbildenden Position Blumhardts und seine Verkündigungsart etwas hergeben.
Auf der einen Seite erfahrt man die wichtigen Kleinigkeiten zwischen zwei
Liebenden. Z.B. klagt Doris über den zeitweise in den Briefen fehlenden
„Bräutigamsstil“ und „Bräutigamston“ bei Blumhardt (I, 424 f.), oder man kann man sich die Skizze
seines engen Zimmers im Iptinger Pfarrhaus ansehen,
wie Blumhardt sie für die von ihm getrennt lebende
Braut zeichnete (1, 404). Blumhardt musste dort in
der nicht einfachen Pfarrfamilie des Ortspfarrers zur Untermiete wohnen und
bemühte sich die ganze Zeit in Iptingen darum,
endlich eine ordentliche Pfarrstelle zu erhalten, um seine Doris heiraten zu
können. Oder man erlebt mit, wie sich der Bräutigam freute, dass auf dem Weg
nach Stuttgart bei Regenwetter Christian Gottlob Barth plötzlich „ein
Fläschchen mit herrlichem Liqueur“ hervorzog und Blumhardt davon gab, mit dem Hinweis: „Papa Köllner hat die Bouteille auf seinem letzten Besuche bei
mir vergessen, und dieß ist der Rest davon",
woraufhin Blumhardt dem Möttlinger
Pfarrer und Freund – gerührt in Erinnerung an den zukünftigen Schwiegervater
und die Braut – "einen herzlichen Kuß
geben" musste (Zitate: I, 416). Selbst dass das in einem Brief genannte
Liebesandenken Lebkuchen war, bekommt man mit Isings
Hilfe heraus (vgl. I, 382 mit II, 552; die ersten Liebes- und Brautbriefe
wechselten Blumhardt und Doris Köllner
noch am Ende der Basler Zeit). Aber auch solche Sachverhalte erfährt man durch Isings Kommentierung, dass etwa das Pharmazieunternehmen Böhringer auf die Stuttgarter Materialienhandlung
(Drogerie) Engelmann und Böhringer zurückgeht (beide
Namen tauchen in dem Schlußteil der Briefe des öfteren auf), und dass der Firmenmitinhaber Christian
Gotthold Engelmann sowohl mit Christian Gottlob Barth wie auch mit der Familie Köllner, in die Blumhardt einheiratete,
verwandt war (II, 596 f). Dieser Engelmann war in dieser Zeit durch seine
Beziehungen oftmals Fürsprecher und Vermittler für Blumhardt
in dessen Bewerbungsnöten (vgl. etwa I, 437,478, II, 608, 620, 647 u.ö.).
Andererseits sind Blumhardts Iptinger Briefe an
Doris Köllner aber gerade, was ihren theologischen
und seelsorgerlichen Inhalt und Blumhardts
diesbezügliche Entwicklung angeht, überaus aufschlussreich. Der so hart von der
Verlobten getrennte Bräutigam Blumhardt, nach der
baldigen Möglichkeit des Heiratens schmachtend und bei wiederholten
Bewerbungen hin und her im Land immer wieder Absagen erhaltend, erzählte in den
Liebesbriefen seine Gemeindeerfahrungen haarklein,
und zwar in der Absicht, so Doris näherzukommen und
die Braut damit auch auf ihre Aufgabe als Pfarrfrau an seiner Seite
vorzubereiten.
Er berichtete ihr
seine beachtlichen Fortschritte im Konfirmandenunterricht und schrieb von zu haltenden
pietistischen Stunden ebenso wie von vielen Hausbesuchen, gerade auch bei den
Separatisten in Iptingen, die er mit der Zeit auf
seine Seite ziehen konnte Da wurde „der Karfreitag 1838 für Blumhardt ‚ein Triumphtag erster Größe’ “ (II, 581, vgl. 1,
510), als die Separatisten und auch der Führer der Gruppe Christian Flattich dann zum Abendmahl kam. Durchaus ganz ähnlich wie
später in Möttlingen nach der Krankenheilung hatte Blumhardt in Iptingen stets eine
ungewöhnlich gut gefüllte Kirche mit viel Zulauf aus umliegenden Ortschaften
(vgl. besonders 1, 465 f.), und man konnte schon dort von einer kleinen
Erweckungsbewegung reden. Ising schreibt dazu:
"Was Blumhardt später in Möttlingen
in noch größerem Maße erleben wird, deutet dich hier bereits an" (II,
565).
Blumhardts zuständiger Dekan Gottlob Eberhard Hafner stellte
ihm von seiner Tätigkeit in Iptingen folgendes
Zeugnis aus, das die Art des Pfarrgehilfen gut charakterisiert und den Ertrag der
Iptinger Zeit zusammenfasst: „Wenn Blumhardt gleich nach seinem Eintritt in Iptingen als Prediger und Catechete
Beyfall fand, so konnte dieß
aus dem fuhlbaren Gegensatze seiner Leistungen gegen
die, welche die Gemeinde vorher gewohnt war, leicht erklärt werden. Daß er aber die unter sich uneinigen Parteyen
zu kirchlicher und mehrerer bürgerlicher Einigkeit zurückführte, die
vieljährigen Separatisten, zum Theil noch Zöglinge
des bekannten SeparatistenHäuptlings Rapp, fast alle
zur Theilnahme am öffentlichen Gottesdienste brachte
und überhaupt in dieser Gemeinde das erloschene religiöse Leben wieder
anfachte, gereicht ihm nicht nur zu besonderem Lob, sondern giebt
den sprechenden Beweis dafür, daß Blumhardt
in seiner aufrichtig frommen Richtung sich von jenem Eifer mit Unverstand
fernhält, mit welchem häufig besonders jüngere Geistliche Leben wecken wollen,
aber nur unfruchtbaren Lärmen erregen und Parthieen
machen" (1,472).
Natürlich erfährt man
in Isings Kommentar alles Wesentliche über diesen
Johann Georg Rapp mit seinen Rappisten und ihrer Auswanderung von Württemberg
nach Amerika (II, 568 - 581), wobei einige eben noch im Lande und z. B. eben in
Iptingen geblieben waren. Genauso wichtig ist es für
die theologische Entwicklung BIumhardts in Iptingen hervorzuheben, dass zwei Personen in dieser Zeit
seine engsten Vertrauten und wichtigsten Begleiter waren.
Zum einen war es der
schon im vorigen Abschnitt in seinen vielen Kontakten zu Blumhardt
gebührend genannte Christian Gottlob Barth, dessen Name über die vorher
angeführten Stellen hinaus in den Iptinger Briefen
fast jedes Mal genannt wird und der Blumhardts großer
Rückhalt war (vgl. Isings Zusammenfassung dazu in:
II, 588 f.).
Zum andern war es der
mit Christian Gottlob Barth verwandte zukünftige Schwiegervater Blumhardts Karl Köllner, ein erwecklich ausgerichteter engagierter Missionsfreund mit
ebenfalls separatistischen Neigungen, die er kurz zuvor überwunden hatte. Köllner kommt auch - verständlicherweise - in den Briefen der
Iptinger Zeit immer wieder vor. Bei Ising wird Köllner so
beschrieben: Als Pfarrerssohn ,,1790 in Idstein (Hessen-Nassau) geboren, wächst
er in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach einer Kaufmannslehre in Frankfurt fuhrt er das Weingeschäft der verwitweten Mafia Keerl, geb. Schumann in Segnitz
am Main und heiratet sie 1814. In Segnitz hält man
christliche Hausversammlungen und hat Verbindungen zur Christentumsgesellschaft
in Basel. Nach der Übersiedlung nach Würzburg versucht Karl Köllner
vergeblich die Gründung eines Missionsvereins. Den Weinhandel gibt er
schließlich auf~ 1822 erwirbt er das ehemalige Klostergut Sitzenkirch
(bei Müllheim im Breisgau) und widmet sich der Landwirtschaft. Dort gründet er
eine Anstalt zur Erziehung armer jüdischer Kinder, die jedoch aus Mangel an Schülern
eingeht. Danach entsteht in Sitzenkirch eine kleine
'Töchteranstalt' ...In den 1830er Jahren schließt sich Köllner
vorübergehend der von Johann Jakob Wirz gegründeten
Nazarenergemeinde an ..., kehrt aber 1835 wieder zur Landeskirche zurück. Sein
Haus wird zum Treffpunkt von Missionaren und Missionsfreunden, was auch Blumhardt nach Sitzenkirch
fuhrt" (II 517 f.; zur Wlrz’schen Sekte vgl. II,
552 f.). Etwas von dem hier beschriebenen Frömmigkeitserbe gehörte fortan
durch die sich anbahnende Verheiratung mit Doris Köllner
zur Familie Blumhardt, ja mehr noch: Blumhardt ließ sich von seinem originellen Schwiegervater
prägen und titulierte ihn hochachtungsvoll als „mein nun zweiter Vater“ (I,
359, dazu: II, 536), eben ein „Ersatzvater“ (II, 575), wie es vorher ja
Hoffmann gewesen war, der wie Köllner mit einem Fuß
in der Kirche stand und mit einem Fuß draußen war .
In immenser Spannung
wie bei einem Roman wartet man gegen Schluss der Iptinger
Briefe darauf: Kriegen sie sich bald, Blumhardt und
Doris – und auch: die Blumhardts und Möttlingen? Immer wieder scheint zwischendrin das Ziel Möttlingen auf, und Blumhardts
scheint's nicht zu merken, denn dicht daneben: retardierende Elemente, andere
Wege und Ziele, bis es dann so kam, wie es kommen sollte: Barth ging zum Calwer
Verlagsverein in die Nachbarstadt und machte damit seinem Vertrauten das
Pfarrhaus frei, jenes besondere Pfarrhaus, durch das in der Zeit von Barths
Tätigkeit „Möttlingen zu einem Zentrum weltweiter
Missionsverbindungen gemacht“ (II, 682) wurde. Noch heute gibt es in Möttlingen eine Barth und eine Blumhardt-Straße,
dicht beieinander ...
Nach vielem Lob über
dieses faszinierende Buch kann die Liste der Fehler kurz ausfallen: Druckfehler
fanden wir in diesem auch formal vorbildlich sauber gestalteten Werk so gut wie
überhaupt nicht (aber wohl drei computerbedingte Macken: II, 557 und 562.
Ferner: "Sitzenkirch" in der ersten Zeile
von II, 616).
Der größte „Fehler“
aber des Werkes ist der traurige Umstand, dass man auf das Personennamen-Register
noch warten muss, was seine Brauchbarkeit sehr beschneidet. Deswegen haben wir
in dieser Besprechung zu einigen wichtigen Namen hier auch besonders viele
Stellenangaben zusammengesammelt. Der andere Fehler liegt dann, dass wegen des
Preises viele das Buch nicht zu Gesicht bekommen und sich mit der kürzlich
erschienenen wohlfeilen Reprint-‚Konkurrenzausgabe’
von Otto Bruder begnügen werden (vgl. dazu unsere Rezension
in diesem Jahrbuch 18/1992, 225-229). Aber gerade viele an Blumhardt
und der Erweckungsbewegung Interessierte auch unter den 'Laien' hätten es
verdient, dazu das Beste zu finden, wie Dieter Ising
es bietet.
Friedhelm Groth, Hemer-Deilinghofen
Die Rezension der
Bände 3 und 4 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.
Die Rezension der
Bände 5 bis 7 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.
Und Pastoerchens Seite mit den anderen Veröffentlichungen
kriegt man hier.