Die Rezension der Bände 3 und 4 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.

 

Die Rezension der Bände 5 bis 7 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.

 

 

 

Hier die in Pietismus und Neuzeit (Band 22 – 1996, Göttingen 1997: Vandenhoeck, S. 293 - 304) veröffentlichte Rezension von:

 

Blumhardt, Johann Christoph: Gesammelte Werke. Schriften, Verkündigung, Briefe, hg. von Gerhard Schäfer, Reihe III: Briefe.

Band I: Frühe Briefe bis 1838. Texte. Hg. von Dieter Ising. 545 S.

Band 2: Frühe Briefe bis 1838. Anmerkungen. Bearbeitet von Dieter Ising, 690 S. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993.

 

„Wenn ich die Geschichte grosser, edler Männer lese, so schmerzt es mich, nicht auch in ihrer Zeit gelebt zu haben, nicht gerade, um aus ihrem Umgang Wonne zu schöpfen, sondern um ihnen recht zeigen zu können ..., wie lieb ich sie habe“, schreibt Johann Christoph Blumhardt 1826 dem ihm innigst verbundenen Eduard Mörike (im o.g. Band 1, im folgenden stets als I zitiert: I, 100). Offensichtlich von einem ganz ähnlichen Eros beseelt und motiviert, ist diese bemerkenswerte kommentierte Briefausgabe entstanden. Genau 25 Jahre nach der Herausgabe des ersten Bandes von Blumhardts ‚Gesammelten Werken’ (Blätter aus Bad Boll 1 - 4, Göttingen 1968 -1970, Bd. 5 Kommentarband von Paul Ernst, Göttingen 1970) und auch inzwischen schon weit über ein Jahrzehnt nach Erscheinen der dann folgenden Ausgabe des ‚Kampfes in Möttlingen’ (Göttingen 1979) liegen nun in den ‚Gesammelten Werken’ endlich die ‚Frühen Briefe bis 1838’ vor.

 

In diesem Jahrbuch war in Band 18/1992 (230-233) das von Dieter Ising verfasste „Appetithäppchen“ (230), sein aus der Arbeit an der hier vorliegenden Briefedition als Seitenprodukt entstandenes schönes Blumhardt-Brevier (Göttingen 1991), besprochen worden, das gespannt machte auf die ‚Briefe bis 1838’ und auf das, was danach, von Ising bearbeitet, noch folgt. Die schöne, reife Frucht eines gewaltigen Arbeitspensums ist das hier anzuzeigende umfangreiche zweibändige Werk, zu dem der Herausgeber und Bearbeiter sehr zu beglückwünschen ist und das man nur mit großem Gewinn lesen kann. Es ist eine sehr aufwendig zusammengestellte Arbeit – zwar recht teuer , aber auch überaus kostbar .Nicht viele große Gestalten der Vergangenheit’ erfahren solch eine eingehende und sorgsame Dokumentation und Aufarbeitung ihres Entwicklungsgangs, wie Ising sie hier zu Blumhardt dem Älteren vorlegt.

 

Dieter Ising, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart und von daher mit der Edition der Blumhardt-Briefe betraut, wobei er in engerem Kontakt stand und steht mit dem ‚Blumhardt-Archiv bei der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart’, hat mit diesem Werk die Blumhardt-Forschung auf ein völlig neues Qualitätsniveau gehoben. Man könnte von außen her sicherlich fragen, ob der Aufwand, der in diesen über 1200 Seiten steckt, nicht arg übertrieben sei und bemängeln, dass das Unternehmen etwas ‚over-sized’ daherkomme: Ist da nicht die Bedeutung des schlichten und bescheidenen Gottesmannes Johann Christoph Blumhardt (1805-1880), des schwäbischen Landpfarrers und Seelsorgers, maßlos überschätzt? Gründliche Lektüre freilich zerstreut diese Bedenken sehr bald: Was Ising mit dieser kommentierten Briefedition aus dem Umkreis der frühen Biographie Blumhardts aufarbeitet und darbietet, ist für Kirchenhistoriker und pietismus-interessierte Leser außerordentlich eindrucksvoll, aber weit über dieses Publikum hinaus bietet es Forschern (auch aus ‚weltlichen’ Nachbardisziplinen) einen faszinierenden Ausschnitt aus der württembergischen Geistesgeschichte im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts.
 

Jedenfalls stellt diese Blumhardt-Briefausgabe viel mehr dar, als der Titel verspricht. Sie enthält z.B. eine ‚verkappte’ Biographie des älteren Blumhardt über dessen frühe Jahre ‚vor Möttlingen’ von 1805 bis 1838. Allein die im Anmerkungsband (im folgenden als II zitiert) jeweils als ‚Einführungen ‚ zu den einzelnen Lebensstationen Blumhardts gebotenen eigenen Zusammenfassungen von Ising sind bemerkenswert. In sechs Abschnitten stellt er – gut lesbar, in der Darstellungsweise ähnlich wie im Blumhardt-Brevier – das  biographisch, historisch und theologisch Wesentliche aus dem jeweiligen Zeitraum dar: 1. Blumhardts Kindheit und Jugend in Stuttgart 1805 bis 1820 (II, 7-26)~ 2. seine Schöntaler Seminarzeit 1820 bis 1824 (II, 33-69), 3. die Tübinger Stifts­ und Universitätsjahre 1824 bis 1829 (II, 75-131), 4. die Dürrmenzer Vikariatsjahre 1829 und 1830 {II, 265-290), 5. die Zeit als Missionslehrer in Basel 1830 bis 1837 (II, 315-358) und schließlich die Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen 1837 und 1838 (II, 555­591). Schon diese schlichten Zusammenfassungen Isings übertreffen an Umfang und von der Sache her etwa das, was man in der bekannten und oft wiederaufgelegten Biographie von Blumhardts Bundesgenossen Friedrich Zündel über diesen Zeitraum lesen kann. Bekanntlich hat der ‚Zündel’ in vielen Auflagen seit 1880 maßgeblich und wirkungsmächtig dazu beigetragen, dass Blumhardts Leben und Verkündigung für die Nachwelt lebendig erhalten blieb. Man könnte sich gut vorstellen, dass Ising der Mann ist, der einen ‚Zündel’ für unsere Zeit verfasst, eine ‚richtige’ Blumhardt-Biographie, die (in höherer Auflage, als sie in dem hier anzuzeigenden Werk möglich ist) heute den Johann Christoph Blumhardt der Gemeinde und der Theologie nahebringt.

 

Eigentlich stellt uns Ising, der ja auch Mitinitiator der schönen Blumhardt-Gedenkstätte im Dittus-Haus zu Möttlingen und Verfasser des dortigen Ausstellungskataloges (2. Auflage Metzingen 1992) war, mit diesen Bänden I und II gleichsam ein komfortabel und in sinnvoller Ordnung aufgebautes ganzes ‚Blumhardt-Museum’ mit sehr vielen liebevoll ausgestatteten Ausstellungsräumen vor Augen, das ‚Blumhardt und seine Welt’ in größtmöglicher Anschaulichkeit vor uns ausbreitet. Dazu gehört, dass Isings Briefausgabe zugleich ein auskunftsreiches ‚Kursbuch’ darstellt, das im Blick auf das erste Drittel des vorigen Jahrhunderts etwa die verschlungenen Linien der Entwicklung der Erweckungsbewegung und der Missionsgeschichte im süddeutschen und Basler Raum mit allen wesentlichen ‚Anschlüssen’ durchschauen lässt. Auf diesem Gebiet, aber auch darüber hinaus ist die kommentierte Briefausgabe ein auskunftsreiches ‚Who is who?’ und eine unerschöpfliche historische Fundgrube besonders zur Theologie- und Geistesgeschichte Württembergs. In der Tat: es handelt sich um „eine Briefedition im weiteren Sinne“ (I, 8), was wir hier nicht nur darauf beziehen, dass von Ising eben auch Blumhardts Lebensläufe, Studien­ und Examensarbeiten usw. mitaufgenommen werden.

 

Wenn wir hier das in Band I und II Gebotene vom Inhalt her kurz vorstellen, kann es bei der Fülle des Stoffs verständlicherweise nur um das Andeuten einiger Akzente gehen, die diese Briefausgabe neu setzt.

 

1. Zu den Stuttgarter Kindheits- und Jugendjahren und Blumhardts Zeit als Seminarist (1805-1824):

 

Viel stärker als bei seinem Vorgänger Paul Ernst (der im o.g. Kommentarband von 1970 Blumhardt eher sachfremd nach einem streng lutherischem Schema interpretierte und in der Tendenz einen Lutheraner eigener Art 'herausbekam') tritt uns bei Ising als Grundzug die typisch württembergisch-pietistische Verwurzelung Blumhardts in den Blick und sein vielfältiges Eingebundensein in erweckliche Strömungen und Gemeinschaftskreise dieser Provenienz. Schon die Briefe und Texte zur Stuttgarter Kinder­ und Jugendzeit sowie zur Zeit im Schöntaler Seminar (I, 25-34 und I, 35-45, kommentiert in: II, 9-32 und II, 33-71) betonen diesen Aspekt überaus stark. Als mitprägend wird (neben anderen erwecklichen Strömungen, denen Blumhardt von seinen Stuttgarter Anfängen an ausgesetzt war) z.B. ein gewisser Einfluss vom pregizerianischen Frömmigkeitsstil her (vgl. II, 11 f. u.ö.) konstatiert, und gebührend hervorgehoben wird dann die wichtige Prägung, die Blumhardt aus seiner biographischen Verbundenheit mit der Brüdergemeine Korntal und ihrem Gründer Gottlieb Wilhelm Hoffmann (1761-1841) erfuhr, den er als seinen Ersatzvater ansah und mit dessen ältesten Sohn Wilhelm Hoffmann (1806-1873), dem späteren – von  Bismarck beargwöhnten – einflussreichen preußischen Hofprediger, Blumhardt von Seminarzeiten an innigst befreundet war (II, 57-69 u.ö.). Wenn der Korntal-Initiator Vater Hoffmann seinen irenischen Glaubensstil und seinen Frömmigkeitsweg einmal so charakterisierte, er sei als Pregizerianer erweckt worden, wolle im Heiligungsernst der Michelianer (der Gemeinschaft des Michael Hahn) leben und einmal als Herrnhuter, d.h. im völligen Vertrauen auf Christus, sein Blut und seine Wunden, sterben (vgl. II, 63), so sieht Ising hier eine auffällige Strukturanalogie und Sachparallele in Leben und Verkündigung des älteren Blumhardt, ohne freilich monokausal Blumhardts Art von Hoffmann herzuleiten. Gebührend aber wird betont, dass natürlich ganz viel auch von den alten BengeIschen Voraussetzungen des württembergischen Pietismus, besonders auch von dessen chiliastischer Reich-Gottes-Hoffnung, in einer irenisch gemilderten Form in Hoffmanns Brüdergemeinde Korntal präsent war und dass auch im Blick auf die später so wichtige Frage nach dem Okkulten und der Geisterwelt Blumhardt dort vieles hatte finden können (vgl. etwa II, 65-68).

 

2. Blumhardts Tübinger Stifts- und Studienjahre 1824 -1829:

 

Ein gewaltiger Schwerpunkt im Anfangsteil der Briefedition, von Ising stark herausgearbeitet, ist dann in der Tübinger Stiftszeit und den Universitätsjahren (vgl. die Blumhardt­ Texte aus dieser Zeit von 1824 bis 1829 in: 1,47-179; ausführlichst von Ising kommentiert in II, 75-263) die Freundschaft Johann Christoph Blumhardts zum späteren Dichter und Pfarrer Eduard Mörike (1804-1875). Das Mörike-Thema nimmt in diesen umfangreichen Texten aus der Tübinger Zeit und zu ihr den weitaus größten Raum ein (die Blumhardt-Texte an Mörike finden sich in: 1,49-158, kommentiert in: II, 132-252, vgl. ferner Isings Zusammenfassung "Freundschaft mit Mörike", II, 113-118). Das, was Ising aus Blumhardts an Mörike gerichteteten Briefen und tagebuchähnlichen Aufzeichnungen ausgräbt, darbietet und kommentiert, ist ein sehr gelungener erster Höhepunkt seines Werks. Die Außerordentlichkeit der Liebe zu Mörike beschreibt Ising so: "Die Intensität der Freundschaft mit Mörike wird von keiner anderen Beziehung Blumhardts in seiner Tübinger Zeit erreicht. Das gilt auch für Wilhelm Hoffmann, ...dem er die Verbindung zur Korntaler Brüdergemeinde ...verdankt" (II, 120) und im Vergleich mit dem die Beziehung Blumhardts zu Mörike enger war.

In der bisherigen Literatur zu Mörike und in entsprechenden Lexikonartikeln und Zusammenfassungen ist immer auch einmal unter Mörikes Freunden Johann Christoph Blumhardt erwähnt worden, meist aber nur en passant, sozusagen verdeckt durch den Schatten, den andere (angeblich wichtigere) Männer aus Mörikes Freundeskreis – Wilhelm Waiblinger, Ludwig Bauer u.a. – warfen. Dieses dürfte, soweit wir das einschätzen können, mit dem hier vorzustellenden Werk nun auch in der Literaturwissenschaft durchaus zu revidieren sein, denn zu auffällig - und darüber hinaus psychologisch und biographisch zu interessant - ist die hier dargebotene zarte (uns heute streckenweise fast homoerotisch anmutende und z. T., wie Blumhardt selbst gelegentlich bemerkt – vgl. etwa I, 73 f. u.ö. – an Menschenvergötzung grenzende) romantische Liebesgeschichte zweier Jünglinge, die beide je auf ihre Weise leicht zu unterschätzende Rand-Existenzen waren und blieben und die in ihren Anfängen fast wie Zwillinge zusammenzugehören schienen. Dabei freilich war von vornherein der junge Blumhardt der Frommere und 'Missionarischere' von beiden, der – ansonsten ein Herz und eine Seele mit Mörike – dem religiös schon früh zurückhaltenden späteren Dichter von seiner vorhandenen Glaubenssubstanz etwas abgeben wollte und im Blick auf Mörike dessen problematisches Anderssein teils vor sich selbst und anderen glättete und harmonisierte, teils in Liebe und in einer damit zusammenhängenden sehr auffälligen Liberalität ertrug. Leider fehlen uns zu den von Blumhardt an Mörike gerichteten Schreiben meist dessen Gegenbriefe; man hätte zu gerne gewusst, ob wirklich aus der Optik Mörikes das „Lieb Blumhärdtle“ (I, 52 u.ö.) für ihn wirklich eine genauso bedeutende Rolle spielte, oder ob die Liebe in der Tendenz eher doch ‚asymetrisch’ war. Dass aber zur Entwicklung der Persönlichkeit Mörikes, zu seinem eingeschlagenen Lebensweg als Pfarrer und Dichter mitsamt den da aufgetretenen Problemen, Blumhardt einen nicht zu unterschätzenden prägenden Beitrag leistete, wird durch die 'Frühen Briefe' mehr als deutlich. Dass bekanntlich Jahrzehnte später der Dichter in Bad Boll unter den Händen des Jugendfreundes Heilung seiner psychosomatischen Krankheitssymptome erfuhr (Sommer 1848), gehört in diesen Zusammenhang. Der zeitgenössische Schriftsteller Peter Härtling, der vor Jahren ja schon einmal einen ‚Blumhardt-Roman’ geschrieben hatte ('Das Familienfest', 1969) und der in den 80er Jahren zwei einfühlsame literarische Erzählungen zur Biographie und den Liebesgeschichten Eduard Mörikes veröffentlichte (‚Die dreifache Mafia’, 1982; ‚Waiblingers Augen’, 1987), könnte, ausgehend von Isings Quellenmaterial, eine ganz schöne Geschichte über die nicht minder anrührende Liebesgeschichte Mörike / Blumhardt schreiben (beide treten gemeinsam bei Härtling nirgends auf).

 

Ähnlich reizvoll ist es, nach den Blumhardt-Briefen sein Verhältnis zu David Friedrich Strauß, seinem durchaus vertrauten Tübinger Mitstiftler, zu verfolgen (vgl. zu Strauß etwa: I, 105, 115,125; II, 93 f., 97 f, 124, 197, 199, 202, 209 f. , 217 f., 244, 281, 341 f. u.ö.). Dass von vornherein alle drei aus diesem Kameradenkreis, Mörike, Strauß und Blumhardt, eine gemeinsame auffällige Affinität zu Phänomenen übernatürlicher Art (Magnetismus u. dgl.) besaßen, betont Ising mehrfach und verdeutlicht es an Justinus Kerner und seiner ‚Seherin von Prevorst’, (besonders pointiert in: II, 209 f.), deren Aufsuchen durch Strauß freilich auch nach Blumhardts späterer Meinung einen Beitrag dazu geleistet habe, dass Strauß vom Glauben abgekommen und auf den Weg seines ‚Lebens Jesu’ geraten sei (vgl. II,210).

Als andere wichtige Aspekte der Tübinger Zeit nennen wir hier nur summarisch Blumhardts Freundschaft mit dem frommen Rudolf Flad (im Stift sind Mörike, Blumhardt und Flad das „Fladderdat Cleeblatt“, II, 121) und zu anderen, wobei zu Beginn Blumhardt, Flad und Wilhelm Hofacker der Tübinger „pia“ angehörten (dazu gehörte vor Blumhardts Studienzeit z. B. auch Ludwig Hofacker), einem pietistisch-erwecklich ausgerichteten Freundschaftsbund frommer Tübinger Studenten und Repetenten (vgl. II, 111 - 113).

 

Theologisch erwähnenswert ist zu diesem Lebensabschnitt Blumhardts, das von Ising zu Luther, Eschenmayer und Baur Herausgearbeitete. Ising sieht Blumhardt – bei all seinem Luther-Interesse – zeitweise in einer deutlichen Distanz zu Luther (vgl. II, 107-109; in 109 A. 126 ausdrücklich gegen Zündel formuliert, aber auch implizit gegen eine Sicht wie die o.g. von Paul Ernst), was u. E. ein sachgerechtes Urteil darstellt.

Wichtig für das Verständnis von Blumhardts weiterem Weg sind auch seine Tübinger Studienerfahrungen, die er bei Prof. C. A. Eschenmayer machte (vgl. dazu Isings Ausführungen in: II, 99 -101) .Eschenmayer, der sich in seiner Psychologie mit Magnetismus, , ekstatischem Schlaf und Verwandtem aus dem Bereich paranormaler Phänomene beschäftigte, fand Blumhardts Interesse und vermittelte diesem sicherlich auch eine Prägung, aber so, dass Blumhardt später auf diesem Gebiet seinen eigenständigen Weg fand (vgl. ll, 101).

 

Was den Begründer der sog. Zweiten Tübinger Schule Ferdinand Christian Baur angeht, hat nach Ising Blumhardt diesen als dessen treuer Hörer in Tübingen mehr geschätzt als in der früheren Forschung Zündel und andere Glauben machten (ll, 221 f., vgl. ll, 93 f).

Alle weiteren den Bildungsgang in Tübingen betreffenden Aspekte aber, wie sie in Isings Ausgabe ausführlich zur Sprache kommen, können wir auf sich beruhen lassen. Hier ist nur noch darauf zu verweisen, dass das eschatologische Problem Jüngstes Gericht und Wiederbringung aller Dinge von Anfang an eine bohrende Kernfrage des Glaubens für Blumhardt darstellte, was bei Ising auch in (einer für den Rezensenten erfreulichen) Deutlichkeit immer wieder angedeutet und besonders im Zusammenhang mit der Examensarbeit von 1829 über dieses Thema als wesentliches Problem breit herausgearbeitet wird (vgl. den Text der Blumhardt-Arbeit, in: I, 164-179, in der er „Sympathie für die Hoffnung auf eine Apokatastasis erkennen“ lässt, I, 164 ; von Ising wird dieses Thema ausgiebig kommentiert in: ll, 257 - 262). Dass da auch eine wahrhaft merkwürdige unterirdische Verbindungslinie zur weiteren Entwicklung des Mitstiftlers David Friedrich Strauß besteht – Strauß schrieb 1831 seine Doktorarbeit just über dieses württembergische Lieblingsproblem (!) –, deutet  sich auch bei Ising an (vgl. ll, 258 f.).

 

3. Blumhardts Vikariatszeit in Dürrmenz und die Jahre als Missionslehrer in Basel (1829 bis 1837):

 

Aus den Texten der beiden Dümnenzer VIkariatsjahre 1829/30 (1, 181-213; kommentiert in: ll, 265-290) geht schön hervor, dass Blumhardt ähnliche Dinge, wie bei den späteren übernatürlichen Phänomenen in Möttlingen von Anfang seiner seelsorgerlichen Tätigkeit an ständig im Blick hatte. Auf Träume, Spukgeschichten, Geistererscheinungen und Ähnliches kommt er in seinem Dürrmenzer Tagebuch des öfteren zu sprechen (vgl. I, 183 f., 191, 193, 195, 197 f.). Zu Recht betont Ising, „daß das hier Erzählte Blumhardts Einstellung zu den späteren Vorkommnissen in Möttlingen mit geprägt hat“ (1, 284, vgl. den ganzen Abschnitt "Berichte über die 'Geisterwelt"', ll, 284-286, vgl. zu den folgenden Basler Jahren den diese Dinge betreffenden Abschnitt, in: ll, 354-356), und er resümiert diese praktischen Dürrmenzer Erfahrungen des Vikars Blumhardt so: „Hat er sich während des Tübinger Studiums mit Eschenmayers Versuchen einer wissenschaftlichen Durchdringung dieser Erscheinungen beschäftigt, so begegnen Blumhardt nun, wie früher bereits in Korntal, wieder volkstümliche Erzählungen über die Geisterwelt, die anders als Eschenmayer vor allem das Dunkle, Gefährliche dieses Gebietes betonen. Daß es Polterspuk und Geistererscheinungen tatsächlich gebe und diese in Verbindung mit Verstorbenen zu sehen seien, wird ihm hier nahegebracht", II, 286).

 

Sehr eindrucksvoll ist dann als ein weiterer Höhepunkt des Werkes, was Ising zu Blumhardts Jahren als Lehrer im Basler Missionshaus (1830-1837) im Blick auf Blumhardt-Texte und auf  Sekundärliteratur zur Geschichte der Basler Mission und zu Basel als ‚organisatorische Zentrale’ der Deutschen Christentumsgesellschaft in der Zeit der Erweckungsbewegung des vorigen Jahrhunderts in den beiden Bänden darbietet (vgl. I, 215-383; kommentiert in: II, 315-554). Gerade hier hat Ising ungeheure Stoffmassen aufgearbeitet, und er ordnet die Fülle des Stoffes so zusammen, dass im Großen ein sehr klares Bild der Entwicklungslinien entsteht, aber er zeigt auch ‚im Kleinen’ mit einer bewundernswerten, geradezu detektivischen Findigkeit, was in Blumhardtschen Texten hinter allen möglichen Bemerkungen und Anspielungen steht. Was das Letztere angeht, lässt Ising durchgängig in seinem Kommentarband kaum jemals eine Frage offen. Und oft genug stellt sich dann in dieser Bemühung um das Detail, das auf den ersten Blick wie überdrehtes ‚Fliegenbeinzählen’ anmutet, heraus, das man diesen Detailforschungen die schönsten Einsichten verdankt. Dieter Ising (übrigens selbst weder Württemberger noch Pietist, aber ein beachtlicher Kenner des württembergischen Pietismus) partizipiert mit dieser Gabe der Darstellung offensichtlich an einem alten württembergisch-pietistischen Erbe, wo sich ja schon seit Bengel die manchmal pedantisch anmutende Treue im Kleinen und die Bemühung um das Einzelne mit dem Im-Blick-Haben der großen Linien des Ganzen niemals ausschlossen, sondern sich wechselseitig ergänzend befruchteten.

 

Auf Beides, das Kleine und Einzelne und das Große und Ganze kann im Blick auf diese Basler Jahre Blumhardts in dieser Besprechung nur in ganz unzureichenden Andeutungen eingegangen werden. Andeuten möchten wir , dass gerade der hier anzuzeigende Abschnitt für kirchengeschichtliche Forscher, die sich mit dem Erweckungs-Zeitalter und der Missionsgeschichte jener Zeit beschäftigen, eine Fundgrube und ein Schatzkästchen ersten Ranges ist.

 

Gleichgültig ob man sich für Hermann Gundert (1814-1893) interessiert, den Indien-Missionar und berühmten Indologen und späteren Leiter des Calwer Verlagsvereins, der dann Schwiegervater wurde von Johannes Hesse (dem Nachfolger des genannten Hoffmann als Leiter der Korntaler Brüdergemeinde und Vater des Dichters Hermann Hesse), oder für Samuel Gobat (1799-1879), den bekannten Ägypten­ und Abbessinien-Missionar, den späteren Bischof von Jerusalem und Vater der erwecklichen Schriftstellerin Dora Rappard, oder für Christian Gottlob Barth (1799-1862), den Pfarrer, Schriftsteller und Organisator in Sachen Mission, der durch seine Mammut-Aktivitäten als Blumhardts Amtvorgänger das württembergische Möttlingen zu einer Missions-Zentrale erster Güte machte und dann auch als Gunderts Nachfolger in der Leitung des Calwer Verlagsvereins einer der wichtigsten Träger der Verbreitung des Missionsgedankens war, oder für Samuel Hebich (1803-1868), den Pioniermissionar der Basler Mission in Indien, oder für Christian Friedrich Spittler (1782-1867), der 1815 die Basler Mission ins Leben rief, das Werk in Chrischona gründete und als Sekretär der Christentumsgesellschaft wirkte, oder für viele andere: Stets erhält man von Ising ausführlichste Informationen über die Kontakte dieser Männer mit Blumhardt und über deren Wirken insgesamt unter Hinweis auf alle relevante zu diesen Personen erschienene Sekundärliteratur (in Auswahl sind hier einige Textpassagen zu den Genannten anzuführen: Hermann Gundert: I, 328 f., II, 270 f., 289, 458, 463, 501; Samuel Gobat: I, 294, 299, 347, 352 f., II, 436 f., 449, 525, 531, 589, 633; Christian Gottlob Barth I, 277, 284, 294 f., 306 f., 306 f., 313-316, 318 - 320, 350 f., II, 350, 353, 355, 409 f., 435 f., 440, 449, 458, 475 - 481, 483 - 488, 489 - 496, 528 f., 531 u.ö., s.u.; Samuel Hebich I, 299, 341, 338, II, 347, 437 f., 447 ,450 , 513, 517; Christian Friedrich Spittler: I, 239, 294, 483, 486, II, 332 f., 353, 463, 505, 520, 652; vgl. den ganzen Abschnitt zur Christentumsgesellschaft: II, 332 - 348).

 

Viele dieser Namen und Kontakte weisen auf die wichtige schweizerisch-württembergische Achse hin, die damals gerade auch zwischen Basel und Möttlingen/Calw bestand. Die hier genannten württembergischen Beförderer des Missionsgedankens im 19. Jahrhundert waren allesamt stark geprägt vom Vätererbe, von der alten (von Bengel und Oetinger ausgehenden) württembergisch-pietistischen Tradition, die sie freilich eigenständig flexibel abänderten und in ihre Zeit übersetzten. Mitten in diesem Milieu übte Blumhardt seine Tätigkeit als Basler Missionslehrer aus – eben auch ganz und gar ein Erbe des alten Pietismus in der Zeit der Erweckungsfrömmigkeit und vom Grundmuster her mit all den anderen vergleichbar. Man kann da nur mit IsingBlumhardts Stehen in der Erweckungsbewegung seiner Zeit“ (II, 567) betonen.

Da kann es schon erstaunen, dass Karl Barth und Eduard Thurneysen, die den älteren Blumhardt wesentliche Impulse verdankten und von Blumhardt dem Jüngeren her in Bad Boll eine bedeutende Weichenstellung ihrer Theologie erfuhren, in ihren Äußerungen über Blumhardt immer wieder das ‚gänzlich Unpietistische’ der Blumhardtschen Reich-Gottes-Hoffnung wie ein Qualitäts-Markenzeichen hervorhoben. In Isings Interpretationshorizont bietet sich u.E. das Bild ein wenig anders da: So wie auch die Krankenheilung von Möttlingen Blumhardt nicht ‚senkrecht von oben’ in den Schoß fiel, sondern bei ihm in der angedeuteten Weise prädisponiert war, so war die anschließende Buß- und Erweckungsbewegung und die daraus resultierende Reich-Gottes­ Verkündigung bei Blumhardt eine aus dem Erweckungs-Pietismus des 19. Jahrhunderts herausgewachsene Entwicklung. Die meisten Grundpositionen behielt auch nach Möttlingen Blumhardt mit den hier genannten Pietisten und Erweckungsleuten gemeinsam, und alle ‚Ingredenzien’ der sich herausbildenden eigenen Verkündigung Blumhardts sind samt und sonders pietistischem Wurzelboden entsprossen (was natürlich nicht ausschließt bei Blumhardt wie bei den anderen Genannten, sich je und dann heftig gegen das Etikett ‚Pietist’ zu wehren und sich von einem ‚falschen Pietismus’ abzusetzen; aber dieses ‚zum-Original-Geprägt-Werden’ und damit ‚über-den-Pietismus-Hinausweisen’ ist von vornherein eben immer auch ein Teil von echtem Pietismus gewesen; Blumhardt spricht z.B. später in einem Brief aus der Iptinger Zeit vom „bekannten falschen Pietismus“ in: I, 457, vgl. dazu auch Isings Bemerkungen in: II, 567 f.).

Ebenso was die alten Bengelschen Berechnungen des Beginns des chiliastischen Reiches angeht, starrten die genannten Missionsfreunde Barth und Spittler und eben auch Blumhardt „nicht wie gebannt auf den Termin 1836, sondern arbeitet, angespornt durch die Erwartung der Wiederkunft Christi, beharrlich daran, der Welt das Evangelium bekanntzumachen“ (II, 353, vgl. den ganzen Abschnitts Isings zum Thema „Das Jahr 1836“ in: II, 350 - 354, ferner Isings Bemerkungen zur Bengel-Lektüre in der Blumhardts Dürrmenzer Zeit: II, 282 f.; zu Blumhardt und Oetinger vgl. übrigens die Zusammenfassung in: II, 631 f.).

 

4. Blumhardts Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen (1837 und 1838):

 

Dieser Schlussabschnitt (1, 385 - 545; kommentiert in: II, 555 - 690) erhält seinen Reiz daher, dass wir über die der Lebensetappe Möttlingen unmittelbar vorangehende Blumhardtsche Zeit als Pfarrgehilfe in Iptingen vor allem aus einer besonderen Quelle informiert sind: durch die Liebes­ und Brautbriefe, die er mit Doris Köllner, seiner späteren Frau, wechselte. In vielem wird man an die mit Mörike gewechselten o.g. ‚Liebesbriefe’ erinnert. Bei aller Zartheit und Sensibilität, mit der diese intimen Briefe geschrieben wurden, sind sie doch immer auch Dokumente, die theologisch für das Verständnis der sich herausbildenden Position Blumhardts und seine Verkündigungsart etwas hergeben.

 

Auf der einen Seite erfahrt man die wichtigen Kleinigkeiten zwischen zwei Liebenden. Z.B. klagt Doris über den zeitweise in den Briefen fehlenden „Bräutigamsstil“ und „Bräutigamston“ bei Blumhardt (I, 424 f.), oder man kann man sich die Skizze seines engen Zimmers im Iptinger Pfarrhaus ansehen, wie Blumhardt sie für die von ihm getrennt lebende Braut zeichnete (1, 404). Blumhardt musste dort in der nicht einfachen Pfarrfamilie des Ortspfarrers zur Untermiete wohnen und bemühte sich die ganze Zeit in Iptingen darum, endlich eine ordentliche Pfarrstelle zu erhalten, um seine Doris heiraten zu können. Oder man erlebt mit, wie sich der Bräutigam freute, dass auf dem Weg nach Stuttgart bei Regenwetter Christian Gottlob Barth plötzlich „ein Fläschchen mit herrlichem Liqueur“ hervorzog und Blumhardt davon gab, mit dem Hinweis: „Papa Köllner hat die Bouteille auf seinem letzten Besuche bei mir vergessen, und dieß ist der Rest davon", woraufhin Blumhardt dem Möttlinger Pfarrer und Freund – gerührt in Erinnerung an den zukünftigen Schwiegervater und die Braut – "einen herzlichen Kuß geben" musste (Zitate: I, 416). Selbst dass das in einem Brief genannte Liebesandenken Lebkuchen war, bekommt man mit Isings Hilfe heraus (vgl. I, 382 mit II, 552; die ersten Liebes- und Brautbriefe wechselten Blumhardt und Doris Köllner noch am Ende der Basler Zeit). Aber auch solche Sachverhalte erfährt man durch Isings Kommentierung, dass etwa das Pharmazieunternehmen Böhringer auf die Stuttgarter Materialienhandlung (Drogerie) Engelmann und Böhringer zurückgeht (beide Namen tauchen in dem Schlußteil der Briefe des öfteren auf), und dass der Firmenmitinhaber Christian Gotthold Engelmann sowohl mit Christian Gottlob Barth wie auch mit der Familie Köllner, in die Blumhardt einheiratete, verwandt war (II, 596 f). Dieser Engelmann war in dieser Zeit durch seine Beziehungen oftmals Fürsprecher und Vermittler für Blumhardt in dessen Bewerbungsnöten (vgl. etwa I, 437,478, II, 608, 620, 647 u.ö.).

 

Andererseits sind Blumhardts Iptinger Briefe an Doris Köllner aber gerade, was ihren theologischen und seelsorgerlichen Inhalt und Blumhardts diesbezügliche Entwicklung angeht, überaus aufschlussreich. Der so hart von der Verlobten getrennte Bräutigam Blumhardt, nach der baldigen Möglichkeit des Heiratens schmachtend und bei wiederholten Bewerbungen hin und her im Land immer wieder Absagen erhaltend, erzählte in den Liebesbriefen seine Gemeindeerfahrungen haarklein, und zwar in der Absicht, so Doris näherzukommen und die Braut damit auch auf ihre Aufgabe als Pfarrfrau an seiner Seite vorzubereiten.

 

Er berichtete ihr seine beachtlichen Fortschritte im Konfirmandenunterricht und schrieb von zu haltenden pietistischen Stunden ebenso wie von vielen Hausbesuchen, gerade auch bei den Separatisten in Iptingen, die er mit der Zeit auf seine Seite ziehen konnte Da wurde „der Karfreitag 1838 für Blumhardt ‚ein Triumphtag erster Größe’ “ (II, 581, vgl. 1, 510), als die Separatisten und auch der Führer der Gruppe Christian Flattich dann zum Abendmahl kam. Durchaus ganz ähnlich wie später in Möttlingen nach der Krankenheilung hatte Blumhardt in Iptingen stets eine ungewöhnlich gut gefüllte Kirche mit viel Zulauf aus umliegenden Ortschaften (vgl. besonders 1, 465 f.), und man konnte schon dort von einer kleinen Erweckungsbewegung reden. Ising schreibt dazu: "Was Blumhardt später in Möttlingen in noch größerem Maße erleben wird, deutet dich hier bereits an" (II, 565).

 

Blumhardts zuständiger Dekan Gottlob Eberhard Hafner stellte ihm von seiner Tätigkeit in Iptingen folgendes Zeugnis aus, das die Art des Pfarrgehilfen gut charakterisiert und den Ertrag der Iptinger Zeit zusammenfasst: „Wenn Blumhardt gleich nach seinem Eintritt in Iptingen als Prediger und Catechete Beyfall fand, so konnte dieß aus dem fuhlbaren Gegensatze seiner Leistungen gegen die, welche die Gemeinde vorher gewohnt war, leicht erklärt werden. Daß er aber die unter sich uneinigen Parteyen zu kirchlicher und mehrerer bürgerlicher Einigkeit zurückführte, die vieljährigen Separatisten, zum Theil noch Zöglinge des bekannten SeparatistenHäuptlings Rapp, fast alle zur Theilnahme am öffentlichen Gottesdienste brachte und überhaupt in dieser Gemeinde das erloschene religiöse Leben wieder anfachte, gereicht ihm nicht nur zu besonderem Lob, sondern giebt den sprechenden Beweis dafür, daß Blumhardt in seiner aufrichtig frommen Richtung sich von jenem Eifer mit Unverstand fernhält, mit welchem häufig besonders jüngere Geistliche Leben wecken wollen, aber nur unfruchtbaren Lärmen erregen und Parthieen machen" (1,472).

 

Natürlich erfährt man in Isings Kommentar alles Wesentliche über diesen Johann Georg Rapp mit seinen Rappisten und ihrer Auswanderung von Württemberg nach Amerika (II, 568 - 581), wobei einige eben noch im Lande und z. B. eben in Iptingen geblieben waren. Genauso wichtig ist es für die theologische Entwicklung BIumhardts in Iptingen hervorzuheben, dass zwei Personen in dieser Zeit seine engsten Vertrauten und wichtigsten Begleiter waren.

 

Zum einen war es der schon im vorigen Abschnitt in seinen vielen Kontakten zu Blumhardt gebührend genannte Christian Gottlob Barth, dessen Name über die vorher angeführten Stellen hinaus in den Iptinger Briefen fast jedes Mal genannt wird und der Blumhardts großer Rückhalt war (vgl. Isings Zusammenfassung dazu in: II, 588 f.).

 

Zum andern war es der mit Christian Gottlob Barth verwandte zukünftige Schwiegervater Blumhardts Karl Köllner, ein erwecklich ausgerichteter engagierter Missionsfreund mit ebenfalls separatistischen Neigungen, die er kurz zuvor überwunden hatte. Köllner kommt auch - verständlicherweise - in den Briefen der Iptinger Zeit immer wieder vor. Bei Ising wird Köllner so beschrieben: Als Pfarrerssohn ,,1790 in Idstein (Hessen-Nassau) geboren, wächst er in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach einer Kaufmannslehre in Frankfurt fuhrt er das Weingeschäft der verwitweten Mafia Keerl, geb. Schumann in Segnitz am Main und heiratet sie 1814. In Segnitz hält man christliche Hausversammlungen und hat Verbindungen zur Christentumsgesellschaft in Basel. Nach der Übersiedlung nach Würzburg versucht Karl Köllner vergeblich die Gründung eines Missionsvereins. Den Weinhandel gibt er schließlich auf~ 1822 erwirbt er das ehemalige Klostergut Sitzenkirch (bei Müllheim im Breisgau) und widmet sich der Landwirtschaft. Dort gründet er eine Anstalt zur Erziehung armer jüdischer Kinder, die jedoch aus Mangel an Schülern eingeht. Danach entsteht in Sitzenkirch eine kleine 'Töchteranstalt' ...In den 1830er Jahren schließt sich Köllner vorübergehend der von Johann Jakob Wirz gegründeten Nazarenergemeinde an ..., kehrt aber 1835 wieder zur Landeskirche zurück. Sein Haus wird zum Treffpunkt von Missionaren und Missionsfreunden, was auch Blumhardt nach Sitzenkirch fuhrt" (II 517 f.; zur Wlrz’schen Sekte vgl. II, 552 f.). Etwas von dem hier beschriebenen Frömmigkeitserbe gehörte fortan durch die sich anbahnende Verheiratung mit Doris Köllner zur Familie Blumhardt, ja mehr noch: Blumhardt ließ sich von seinem originellen Schwiegervater prägen und titulierte ihn hochachtungsvoll als „mein nun zweiter Vater“ (I, 359, dazu: II, 536), eben ein „Ersatzvater“ (II, 575), wie es vorher ja Hoffmann gewesen war, der wie Köllner mit einem Fuß in der Kirche stand und mit einem Fuß draußen war .

 

In immenser Spannung wie bei einem Roman wartet man gegen Schluss der Iptinger Briefe darauf: Kriegen sie sich bald, Blumhardt und Doris – und auch: die Blumhardts und Möttlingen? Immer wieder scheint zwischendrin das Ziel Möttlingen auf, und Blumhardts scheint's nicht zu merken, denn dicht daneben: retardierende Elemente, andere Wege und Ziele, bis es dann so kam, wie es kommen sollte: Barth ging zum Calwer Verlagsverein in die Nachbarstadt und machte damit seinem Vertrauten das Pfarrhaus frei, jenes besondere Pfarrhaus, durch das in der Zeit von Barths Tätigkeit „Möttlingen zu einem Zentrum weltweiter Missionsverbindungen gemacht“ (II, 682) wurde. Noch heute gibt es in Möttlingen eine Barth­ und eine Blumhardt-Straße, dicht beieinander ...

 

Nach vielem Lob über dieses faszinierende Buch kann die Liste der Fehler kurz ausfallen: Druckfehler fanden wir in diesem auch formal vorbildlich sauber gestalteten Werk so gut wie überhaupt nicht (aber wohl drei computerbedingte Macken: II, 557 und 562. Ferner: "Sitzenkirch" in der ersten Zeile von II, 616).

 

Der größte „Fehler“ aber des Werkes ist der traurige Umstand, dass man auf das Personennamen-Register noch warten muss, was seine Brauchbarkeit sehr beschneidet. Deswegen haben wir in dieser Besprechung zu einigen wichtigen Namen hier auch besonders viele Stellenangaben zusammengesammelt. Der andere Fehler liegt dann, dass wegen des Preises viele das Buch nicht zu Gesicht bekommen und sich mit der kürzlich erschienenen wohlfeilen Reprint-‚Konkurrenzausgabe’ von Otto Bruder begnügen werden (vgl. dazu unsere Rezension in diesem Jahrbuch 18/1992, 225-229). Aber gerade viele an Blumhardt und der Erweckungsbewegung Interessierte auch unter den 'Laien' hätten es verdient, dazu das Beste zu finden, wie Dieter Ising es bietet.

 

Friedhelm Groth, Hemer-Deilinghofen

 

Die Rezension der Bände 3 und 4 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.

 

Die Rezension der Bände 5 bis 7 der Blumhardt-Briefe findet sich hier.

 

Und Pastoerchens Seite mit den anderen Veröffentlichungen kriegt man hier.