Die Deilinghofer „Finger-Daumen-Ellenbogen-Glocke“, 

der „Benjamin“ unter den vier hiesigen Glocken
Zum „75. Geburtstag“ dieser Glocke im Dezember 2001
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Der folgende Text ist entnommen aus der Einleitung zu dem Heft: „... so läuten die Glocken von Deilinghofen“. Zu den ersten zwei Jahrhunderten der evangelischen Kirchengemeinde Deilinghofen 1565 bis 1765, Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte 2, im Auftrag der Gemeinde hg. von F. Groth, P. Kramme, H. Vicariesmann unter besonderer Mitarbeit von H. Schulte, Deilinghofen 1991, S. 10-18.
 

Die Dorfkirche und der Heimkehrer
Von Ewald Hohage (Deilinghofen 1949)

Der Wind stand mir entgegen,
als ich zum Dörfchen schritt,
er kam mir nicht gelegen
für meinen müden Tritt.

Und doch, in seinem Singen
klang mir’s, dem kranken Mann
Ein wohlbekanntes Klingen,
das mich so traut umspann.

Die Glocken-Töne schenkten
Der heimwehsiechen Brust,
mir armen Leidgetränkten
ein Stückchen Himmelslust.

Als ich die Höh’ erklommen,
sah ich mein Kirchlein steh’n,
das meinen Schritt vernommen,
eh’ ich’s mit Lust gesehn.

Wie wohl war’s mir zumute,
es wichen Weh und Schmerz;
die Kirche,- ach, die ‚Gute’
gab Freud mir in’s Herz.


Präludium: Das sehr eigentümliche Läuten der
sprichwörtlichen Glocken von Deilinghofen

Dass jeden Sonntag die Glocken der Stephanuskirche läuten, gleichsam als „Präludium“, also zu deutsch als Vorspiel zum Gottesdienst, scheint die selbstverständlichste Sache der Welt zu sein. Nun aber hat unsere Stephanuskirche ganz besonders geschichtsträchtige Glocken: drei im Turm und die sog. „Kuhschelle“ außen vor. Und es sind buchstäblich „sprichwörtliche“ Glocken! Deshalb ist in diesem Heft das einleitende Kapitel über die Deilinghofer Kirchengeschichte den Glocken gewidmet, wobei die Schreiber dieses Artikels ein liebevolles, geradezu inniges Verhältnis zu unseren besonderen Glocken entwickelt haben, wie der Leser aus diesen Zeilen vielleicht sogar herausspüren kann. Man muss nicht Friedrich Schiller heißen, der bekanntlich „Die Glocke“ schrieb, um vom Glockenthema, das ja unterschwellig an die tiefsten Menschheitsfragen heranrührt, gefesselt und fasziniert zu sein.

Das zu Beginn abgedruckte Gedicht, von Ewald Hohage verfasst in einer ganz besonderen historischen Situation, ist auch als so ein „Liebesgedicht“ auf unsere Kirche und ihre Glocken (ihre „Glocken-Töne“ und ihr „wohlbekanntes Klingen“) zu lesen.

Leider fehlt im schönen gedruckten Kunstführer durch die Stephanuskirche, im Text von El-mar Hartmann, ein Kapitel über die Glocken ganz! Dabei kann man sich gerade am Beispiel der vier Glocken so viel aus der hiesigen Kirchengeschichte klarmachen. Hören wir also und erlauschen wir, was die drei, nein: vier Glocken uns zu sagen haben und was sie in der ihnen eigenen musikalischen Weise zum erklingen bringen. Auch das ist ein Vorspiel, ein „Präludium“, das uns einstimmt auf Deilinghofen und seine Kirche in Vergangenheit und Gegenwart.
Dass in diesem einstimmenden Glockenkapitel auch im Vorgriff Ereignisse erwähnt werden, die im jetzigen Jahrhundert und in vorigen Jahrhunderten geschehen sind (und die thematisch somit zu den nun vorhandenen und  noch geplanten  Ausgaben der „Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte“ gehören), ist unvermeidlich und auch so gewollt. Denn der besondere Glockenklang gerade dieser vier Glocken verbindet die Gegenwart mit der Vergangenheit und mit der ersten Deiinghofer Kirchengeschichte, die evangelischerseits 1565 begann und darüber hinaus zurückreicht in die katholische Zeit unserer Kirche. (Auch darüber übrigens kann man anhand unserer Glocken, der ältesten von 1510 [manche sagen: 1570] und der draußen aufgehängten von 1250, wie unten in 3. Abschnitt ausgeführt wird, etwas erfahren.)

Aber lassen Sie uns bei den Glockenpräludium bei der Gegenwart anfangen und von daher weit in die Vergangenheit hineinhören...
 
 

1. Abschnitt: Vom Finger, vom Daumen und Ellenbogen.
Oder: Unsere „Benjamin-Glocke“ aus dem Jahr 1926

Hören wir zunächst einmal auf den Ton der mittleren Glocke. Es ist die auf „a“ gestimmte jüngste von den vier Geschwistern, also der Benjamin. Diese Glocke aus dem Jahr 1926 konnte man früher auch „Hochzeits-Glocke“ nennen, denn bei Trauungen erklang da ihr Glockensolo (heute: volles Geläut). Mit dieser Glocke ist das für Deilinghofen Typische und Sprichwörtliche besonders verbunden; es ist auf der 1926 aufgehängten Glocke buchstäblich eingeprägt...

Um jene Inschrift aber überhaupt verständlich zu machen, die auf der mittleren Glocke steht, also buchstäblich „eingeprägt“ ist, wollen wir ein wenig erzählen aus jüngerer und fernerer Vergangenheit; denn wichtig ist nicht nur, dass man „weiß, wo die Glocken hängen“. Wichtig ist, dass man ihren Klang recht deutet und ihre Sprache versteht. Zu solchen Erzählungen gibt uns also gerade die mittlere, jüngste Glocke mit ihrem eingeprägten Sprichwort allen Anlass. Erlauben Sie also, hier im Zusammenhang mit der "Benjamin-Glocke" etwas weiter auszuholen.

Ganz besonders typisch und einprägsam war früher das Läuten der Glocken in Deilinghofen, sagen die Leute heute noch. Früher, als es noch kein elektrisches Läutewerk gab, haben die Glocken wohl auch wirklich einen Tick anders geklungen als heute. Gustav Figge vom Brockhauser Weg etwa erzählt, dass der alte Küster Wilhelm Kaiser beim manuellen Glockenläuten immer darauf achtete, dass von den Jugendlichen beim Ziehen am Glockenseil kein unorthodoxer Takt die Reinheit des typisch Deilinghofer Glockendreiklangs störte.
Und Liesel Lange, geb. Kaiser, die Küsterstochter, hat heute noch eine enge innere Beziehung zu dem schönen alten Kirchengebäude und zu ihren besonderen Glocken; das ist für sie ein ganz wichtiges Stück Familiengeschichte.

Denn immerhin war ihr Vater Wilhelm Kaiser (1903 bis 1968), ihr Opa gleichen Namens (verstorben 1931) und - wenn auch für kürzere Zeit - ihr Bruder Kurt von der hiesigen Kirchengemeinde angestellt als "Küster von Deilinghofen". Liesel Lange kann da schön und liebevoll erzählen, z.B. wie der vater gegn ende seines Lebens traurig war über das neue Läutewerk (ab 1962) und das leidige "Nachbemmeln" der Glocken, das - per Hand geläutet - nie vorkommen durfte: "Wehe!" Der Vater habe später zu den Tönen der "elektrischen"  Glocken immer gesagt: "Das sind nicht mehr meine Glocken..."

Übrigens war Vater Kaiser auch ein absoluter Spezialist im sogenannten "Beiern", einer kunstfertigen Läutetechnik zu besonderen Festtagen, vor allem in der Silvesternacht auf Neujahr zu. Der Küster als Glöckner verband für zehn Minuten (länger schaffte man das konditionell nicht!) zwei Glockenklöppel durch Seile miteinander. Dieses Seil schlang er dann hinter den eigenen Rücken, und auf diese Weise konnte er das Glockenpaar "spielen", als wäre es ein Instrument. Mit der dritten Glocke hatte eine Assistentin, meistens, die Tochter Liesel, zur gleichen Zeit passend dazu zu "spielen".

Heute noch versteht Ex-Küster Jürgen Marwick (in "Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschich-te", Heft 1, in einer originellen Anekdote genannt) die alte Technik des Beierns, wie Liesel Lange erzählt. "Aber am besten konnte es außer unserem Papa die Tante Lina (Anmerkung: Lina Ziegenhirt, geb. Kaiser, 1898 bis 1987)", stellt die Küsterstochter stolz fest. Sie weiß natürlich, wie alle älteren Dorfbewohner, dass die Deilinghofer Glockensprache, der Rhythmus der Deilinghofer Glocken, sprichwörtlich geworden ist im hiesigen Volksmund, und dass das viel mit der mittleren der drei Glocken zu tun hat.

"Mein Finger, mein Daumen,
mein Ellenbogen,
so läuten die Glocken
von Deilinghofen."
1952 schon geht Emil Hieke in einer Festschrift für den Kirchenchor darauf ein, dass die "Glocken im alten Turm (...) ihre eherne Sprache sprechen", und Hieke fährt fort: "Es sind (außer einer) dieselben Glocken, die mehr als 400 Jahre die Gläubigen zur Kirche riefen, sie auf ihrem letzten Wege begleiteten oder auch Sturm läuteten, wenn Gefahr drohte." Doch ebenso genau wie diese Zeitangabe ist dann der nächste Satz: "Eine der alten Glocken  trägt die eigenartige Inschrift: "Mien Finger, mien Diumen, mien Illebogen, sio liäutet de Klocken von Deilinkhoven".

Emil Hieke hat hier sicher eine mündliche plattdeutsche Version des Spruchs, nicht aber die jetzige Glockeninschrift der "Benjamin-Glocke" wiedergegeben. Aber da hat er recht, es ist ein durchaus eigenartiger Spruch!! So gibt es also über den Dreitakt bzw. Dreiklang unseres Geläuts jenes altüberlieferte Wort vom "Finger, Daumen und Ellenbogen", den Spruch, den zwar viele kennen, der aber - wie sich bei unseren Nachforschungen ergab - gar nicht einfach zu erklären ist, sondern bis in die Gegenwart hinein recht unterschiedliche (Be-)Deutungen erfahren hat.

So scheint das Naheliegendste zu sein, das "Bim-Bam-Bum" unserer Glocken damit in Verbindung zu bringen, dass jemand mit dem Finger, dann mit dem Daumen und dann mit dem Ellenbogen auf eine harte Unterlage schlägt und damit den Deilinghofer Eigenklang der Glocken imitiert.

Ähnlich deutete es ein heimatkundiger Lehrer unserer Schule: "Finger, Daumen und Ellenbogen symbolisieren meiner Meinung nach die drei unterschiedlichen Größen und demzufolge auch die unterschiedlichen Klanghöhen unserer Deilinghofer Glocken!"

Doch die Deutung von Grete Kirchmann gefiel Lehrer Gerd Herchenröder schließlich noch viel besser. Grete Kirchmann (74) [heute also: 84] vom Bäingser Weg, im ältesten Haus dort wohnend, kennt unseren Spruch als Reim, der gesungen wurde! Sie erzählt, dass ältere Leute ihn von Eltern und Großeltern als Kinderlied gelernt haben. Sie kann bis heute die Me-lodie singen, und sie hat das Liedchen mit dem plattdeutschen Text dem in ihrem Haus aufgewachsenen Christian Figge (4) [heute: 15], jetzt in Apricke wohnend, beigebracht: "Me-in Finger, me-in Düumen, me-in Ellenbuogen, sau gott de Glocken von Deilinghuoven. Bim-bam. Bim-bam-Bim-bam."
Grete Kirchmann berichtet, wie ihr Vater dies Lied oft mit den Kindern gesungen hat, aber noch viel häufiger die Großmutter. Das war Minna Voß, genannt Schütte, geb. Küper, die 1932 als 83jährige verstarb. Diese Großmutter, eine "richtige alte Märchentante, so eine Bilderbuch-Oma von früher", ließ die Kinder das Finger-Daumen-Ellenbogen-Liedchen stets als dreistimmigen Kanon singen, wobei die drei Singgruppen mit Handbewegungen beim Singen der Worte jeweils auf den betreffenden Körperteil zeigten. Und natürlich wurden beim dritten Liedteil, beim dreifachen Bim-bam, die Arme stets hin- und hergeschwungen.

Unsere Zeitzeugin kann noch mehr von den Glocken berichten, so wie sie von den Leuten in Brockhausen gehört wurden: "Schon die Alten sagten, wenn man die Glocken von Deilinghofen hört, ist es ein Schlechtwetterzeichen. Wenn man hingegen die Eisborner Glocken hört, gibt es gutes Wetter." Und das Wichtigste, was Grete Kirchmanns Oma Minna in dem Zusammenhang den Kleinen erzählt hatte: Jede Kirche habe ihre eigene Glockensprache, so wie auch jeder Mensch eine ganz bezeichnende individuelle Sprache habe. Und das Deilinghofer Läuten müsse man so begreifen als Spraceh, oder besser noch: als Musik sogar. Es sei ein ganz charakteristisches Singen. Genau diese Sprache, dieses Singen werde, so Oma Minna seinerzeit, in diesem Kinderkanon vom Finger, Daumen und Ellenbogen abgebildet.

Etwas anders wieder die Deutung eines sehr glockenkundigen Heimatfreundes: Der Deilinghofer Küster habe das Läuteseil stets vom Zeigefinger zum Daumen hin zum Ellenbogen geschlungen, und das sei des Spruches tiefster Sinn, wie ihm alte Deilinghofer erzählt hätten. Doch andere wiederum halten das nicht so plausibel.
An des Rätsels Lösung führt uns wohl der 1991 verstorbene Ernst Krieger näher heran, der auch für unsere Glockensprache ein Sensorium hatte. Er hat oft in seiner Familie einen alt-überlieferten Spruch zum besten gegeben, dass in Hemer die Glocken sagen: "Setten grauten Pott opp!" (Setz’ einen großen Pott auf!), worauf die Sundwiger Glocken antworten: "Hätte nix inte daun?" (Hast du nichts reinzutun?). Prahlerisch fügen die Deilinghofer Glocken diesem Dialog in ihrer Sprache hinzu:"Dau de Späck un Baunen drin!" (Tu’ den Speck und Bohnen rein!)

Interessanterweise gibt es eine ganz ähnliche Topf-Speck-Bohnen-Version von drei Bielefel-der Kirchen, deren Glocken fast, aber nicht ganz den gleichen Rhythmus der Glockensprache haben wie bei uns in jenem überlieferten Dreiergespräch. Unser typisch Deilinghofer "Dau de Späck un Baunen drin"  aber hat, wie jeder leicht am Rhythmus merkt, haargenau die gleiche "Rhythmus-Melodie" wie "Finger-Daumen, Ellenbogen", wenn man es hinterein-ander liest. So ist sicherlich keine der hier geschilderten Lösungen rundweg falsch, aber die beiden von Grete Kirchmanns Oma Minna und von Ernst Krieger führen uns vielleicht darauf, wie dieser Spruch wohl ursprünglich gemeint gewesen sein mag.

Nach diesen erzählten Geschichten, wie im Volksmund hier am Ort das Glockenthema lebendig ist und überliefert wird, gerade im Blick auf jenen Finger, den Daumen und den Ellenbogen, gehen wir einfach hoch auf den Turm unserer Stephanuskirche und schauen uns die „Benjamin-Glocke“ von 1926 an. Es ist eine „Friedensglocke“, wie wir auf den ersten Blick an der Inschrift sehen: „Der Krieg schlug dich darnieder – 1917, die Liebe schuf dich wieder – 1926.“ Das genaue Glockenweihdatum ist auf der anderen Seite besonders groß eingraviert: „Weihnachten 1926“. Die für uns interessanteste Inschrift aber steht in vier Schriftbändern um die Schulter der Glocke. Da liest man in gotischer Zierschrift:

„Mein Finger mein Daumen mein Ellenbogen
Der uralte Spruch im Sturmwind verflogen
Nun singe dem Herrn der Herrlichkeit
Dein ehernes Lied in neuen Strophen
In schwerer Zeit sei Gott geweiht
Die jüngste Glocke von Deilinghofen“
Außerdem ist dort zu lesen, dass Pastor Axthelm 1926 Pastor war in Deilinghofen und dass Presbyter waren die Herren Eppmann, Busch, Schulte, Kahler, Gockel und Mündelein. Sogar der Geburtsort ist auf der Glocke angegeben: die Firma Rinker in Sinn (Dillkreis).

 

 

Ein sehr schöner Zeitungsartikel des „Märkischen Landboten“ vom 15. Dezember 1926 macht uns die historische Situation plastisch deutlich, die vorlag, als diese Glocke geweiht wurde und in unserm Turm aufgehängt wurde. Der Zeitungsbericht, den der Deilinghofer Ex-Bürgermeister Dietrich Heer uns dankenswerterweise zur Verfügung stellte, ist überschrieben mit: „Feierliche Glockenweihe in Deilinghofen“. Der Bericht zeichnet ein lebhaftes Bild der Ereignisse, die damals hier geschehen sind, wobei die politische Nachkriegssituation in der Zeit der Weimarer Republik deutlich durchklingt. Dort liest man: „Deilinghofens Glocken grüßen freudvoll ihre neue Schwester, die wiedererstanden, neu erweckt worden ist. Die alte Glocke, sie, die in Freud und Leid ihren alten Vers verkündete: ‚Mien Finger, mien Duomen, mien Ellenbuogen ...’, die dann dem Vaterlande geopfert ward in schwerster Zeit (...), in neuem Gewande hält sie ihren Einzug“.

Angespielt wird dabei auf die polizeilich-militärische Anordnung vom 10. Mai des vorletzten Weltkriegsjahres 1917. Angeordnet wurde, dass „Kupfermengen (...) an der Kirche in Deilinghofen“ in Hemer bei der „Sammelstelle, Fabrik Clarfeld & Springmeyer (...) abzuliefern“ waren, dass also die Vorgängerglocke von 1852, die ja auch schon den Finger-Daumen-Ellenbogen-Spruch eingraviert hatte (siehe Zeitungsartikel oben), zur Herstellung von Grana-ten herausgegeben werden musste. Neuneinhalb Jahre lang hat diese Glocke gefehlt, und jetzt – kurz vor Weihnachten des Jahres 1926 – konnte endlich die neue Glocke wieder an alter Stelle läuten.

Der genannte Bericht des Landboten beschreibt dieses Großereignis für Deilinghofen so: „Kurz nach 9 Uhr hatte sich der Zug vom Bahnhof Hemer aus in Bewegung gesetzt. Das Presbyterium unter Führung von Pfarrer Axthelm gab der Glocke, die auf einem festlich mit Tannenreis geschmückten, mit acht Pferden bespannten Wagen ruhte, das Geleite. Fünf schmucke Reitergestalten bildeten den Vortrab, weiterhin folgten zwei Kutschwagen. Gegen 10 Uhr wurde der Zug an Deilinghofens Grenze von den Schulkindern empfangen; in großer Prozession ging es dann zum ehrwürdigen Kirchlein, wo gegen 10.40 Uhr die Feierlichkeit der Glockenweihe begann.“ Und die ganze Glockenweihrede, die nach dem gemeinsamen Lied „Süßer die Glocken nie klingen“ Pastor Axthelm „in wohlgeläuterter Rede hielt“, ist in diesem aufschlussreichen Zeitungsbericht abgedruckt. Wir haben mit mehreren Gemeinde-gliedern gesprochen, die sich noch lebhaft an diese Großereignis aus ihrer Kindheit bzw. Jugend erinnern (so etwa auch Dietrich Heer, dessen Kindheitserlebnis übrigens sechzig Jahre später, am 20. Dezember 1986, in einem IKZ-Bericht geschildert wurde; dort auch das obige eindrucksvolle Foto von den damaligen Mitgliedern des Presbyteriums und der „Benjamin“-Glocke vor der Kirche).

In unserem Zusammenhang hier interessiert uns besonders der Spruch vom Finger, Daumen und Ellenbogen. Auf der neuen „Benjamin“-Glocke von 1926 ist er drauf, freilich – strenggenommen – nur als Zitat: Denn es ist ja „der uralte Vers vom Sturmwind verflogen“, wie es auf der „neuen“ Glocke ganz deutlich heißt, also mit der vorherigen Glocke im Sturm des Ersten Weltkriegs untergegangen. Die an gleicher Stelle vorher von 1852 bis 1917 hängende Glocke (von Herbert Schulte „Gescher-Glocke“ genannt, da sie zur Amtszeit von Pastor Limborg in der Glockengießerei in Gescher gefertigt wurde) hatte den Spruch ebenfalls drauf; damals als „Zitat“, wenn man will, aus dem Deilinghofer Dorf.

Ob freilich die „Vor-Vorgängerglocke“, die an gleicher Stelle von 1706 bis 1852 hing (H. Schulte nennt sie nach ihrem wahrscheinlichen Guß-Ort „Essen-Glocke“), den volkstümlichen Spruch eingraviert hatte, wäre noch zu erforschen.

Es kann beeindrucken, dass dieser Spruch nicht nur im Volksmund in seinen Variationen und Bedeutungen eine ganze Geschichte mitgemacht hat; oben im Glockenturm ist es in den Versionen dieses Spruchs und ihrem geschichtlichen Wandel entsprechend.

 

 

Die Jubiläumstasse 75 Jahre jüngste Glocke von Deilinghofen und (an der Kanzel)
der Lichterbogen von Heinz Steiof mit dieser Glocke, der Kirche und dem Deilinghofen-Wappen.

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