1. Passionsandacht in Deilinghofen am 6. März 2000 in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, zwei Verse, die ich Sonntag hier an diesem Pult las, zwei Verse aus der vorgeschriebenen Epistellesung, aus der Brieflesung von vorgestern am ersten Sonntag der Passionszeit, liegen jetzt unserer biblischen Betrachtung in dieser Passionsandacht zugrunde, zwei Verse, die besonders gut geeignet sind, die Reihe der Passionsandachten in diesem Jahr zu eröffnen und uns auf das einzustimmen, was Jesu Leiden heißt für uns.

Hören wir Hebr. 4, 14 und 15, da heißt es: Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasset uns halten an dem Bekenntnis. Denn wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist gleich wie wir, doch ohne Sünde.

Zum Einprägen lese ich diese beiden Verse aus Hebr. 14 noch einmal:
Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasset uns halten an dem Bekenntnis. Denn wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unsern Schwachheiten, sondern der versucht ist gleich wie wir, doch ohne Sünde.

Liebe Gemeinde, in diesen beiden Versen aus dem Hebräerbrief wird für mich der innerste Sinn der Passionszeit deutlich, ja mehr noch: das innerste Wesen dessen, der den Passionsweg nach Golgatha für dich und für mich auf sich genommen hat. In diesen beiden Versen kann ich gleichsam Jesus, dem Gekreuzigten, ins Herz sehen und dort sehen, was das Herz, das Herzstück des christlichen Glaubens und des christlichen Bekenntnisses ist. Und das Herz des christlichen Glaubens ist kein anderer als dieser Große Hohepriester Jesus, dessen Leben und Sterben in diesem Passionstext aus dem Hebräerbrief in die Worte gefasst und zusammengebündelt wird: „Mitleiden mit unsern Schwachheiten“. „Mitleiden mit unsern Schwachheiten“ - wer das für sich begreift und erkennt, der erkennt das Herz Jesu; der blickt Jesus ins Herz, und der kann in sein eigenes Herz aufnehmen, was das Herzstück der Passionszeit und das Herz der Passion Jesu ist: nämlich, dass dieser Jesus mitleidet und durch sein Mitleiden die Schwachen trägt, die sich an ihn halten, dass er sie hält in ihren Schwachheiten. Ja, Mitleiden, Mitleiden an deinen und meinen Schwachheiten, das ist das tiefste und innerste Wesen Jesu.

Wenn wir den griechischen Urtext des Neuen Testamentes einsehen, dann steht für „Mitleiden“ ein Wort, das wir aus unserer deutschen Umgangssprache kennen, nämlich das Wort sym-pathäsai, und davon kommt unser deutsches Wort Sympathie und auch Sympathisant.

Und im tiefsten Wortsinn ist einer, der mir in „Sympathie“ zur Seite steht, nicht nur so einer, der mich ganz nett findet und mir wohl gesonnen, nein, nach dem griechischen Wortsinn heißt Sympathie: „Leiden zusammen mit“, „Leiden zusammen mit“, Also: an einem Strick ziehen mit einem, der in die Klemme geraten ist, ihn nicht im Stich lassen, wenn’s ihm dreckig geht, sein Leiden als eigenes Leiden begreifen und da im Leiden sein „Sympathisant“, also sein Mitleider sein. 

Liebe Gemeinde, wer Jesus ins Herz blicken lernt, der erkennt: „Jesus ist sympathisch durch und durch“, „Jesus ist sympathisch“, d.h. Jesus leidet mit mit denen, die mit ihren eigenen Schwächen immer wieder in die Klemme geraten, die sich im Sog von Zweifeln und Anfechtungen im Stich gelassen fühlen. Ja, Jesus wird im gesamten Neuen Testament von vorne bis hinten beschrieben als solch ein im buchstäblichen Sinn „sympathischer“, also auf deutsch: Mitleidender Heiland und Messias, als der Mensch Gottes, der sich als Sympathisant ganz auf die Seite der Schwachen, Ausgestoßenen und Verachteten, auf die Seite der geistlich Armen geschlagen hat, wogegen die Stolzen und Reichen und Superfrommen, also die, die meinten, sie brauchten Jesus den Sympathischen, Jesus den Mitleidenden nicht, nicht die Spur von dem verstanden, was dieser Jesus als Gottes Willen gelebt hat.

Und das, was da nach Karfreitag und Ostern in Hebr. 4 so ausgedrückt ist, dass Jesus als Hoherpriester weiß, was Mitleiden und Schwachheiten bedeuten, das ist das Herzstück des Glaubens an Christus bis in die Passionszeit 2001 hinein.

Ich möchte es so ausdrücken: für die, die Jesus ins Herz blicken lernen, für die gehören Wunden, die eigenen Zweifel, die eigenen Schwächen zusammen mit den Wunden des Gekreuzigten, denn der, der uns da vor Gott vertritt, der weiß, was Schwachheit heißt, der ist als Großer Hoherpriester geradezu ein Sympathisant mit meinen und deinen Schwachheiten und Wunden. Und er kennt deine und meine Versuchungen, denn er wurde versucht wie wir, doch ohne Sünde. Und er bietet dir und mir an, dies alles nicht zu verdrängen, sondern im gebet unter sein Kreuz zu bringen – und da abzuladen. Und genau an dieser Stelle echtes, glaubwürdiges und tatkräftiges Mitleid zu lernen, Mitleid mit andern, die Schwachheit und Kreuz zu tragen haben – und denen reichlich abzugeben von dieser Sympathie, die man bei Jesus lernt.

Ja, liebe Gemeinde, Jesus ins Herz zu sehen, das heißt: Anteil zu kriegen an seiner Sympathie, an seinem Mitleiden, das heißt: an seinem Kreuz gewiss zu werden, dass wir mit unseren Versuchungen und Wunden nicht allein sind.

Eine alte Legende, die ich zum Abschluss erzähle, zeigt, was es mit dem herzen der Passionszeit, mit dieser Sympathie Jesu auf sich hat:

Einmal wollte sich der Teufel dem hl. Martin in dessen Anfechtungen als Halt anbieten. Der Teufel erschien dem Martin als König in majestätischer Pracht. Er sagte: Martin, ich danke dir für deine Treue! Du sollst erfahren, dass ich auch treu bin. Du sollst jetzt immer meine Nähe spüren. Du kannst dich an mir festhalten. Sankt Martin fragte: „Wer bist du denn eigentlich?“ „Ich bin Jesus, der Christus,“ antwortete der Teufel.„Wo sind denn deine Wunden?“, fragte Martin zurück. „Ich komme aus der Herrlichkeit des Himmels, da gibt’s keine Wunden,“ Darauf Sankt Martin: „ Den Christus, der keine Wunden hat, den mag ich nicht sehen. An dem Christus, der nicht das Zeichen des Kreuzes trägt, kann ich mich nicht festhalten.“

Ja, liebe Gemeinde, daran ist Gott bis heute zu erkennen: an Jesu Wunden; und Christen sind dran zu erkennen, dass sie sich in ihren eigenen Wunden und Versuchungen den Wunden Jesu anvertrauen. Denn was Sympathie, Mitleiden heißt, lernt man bei Jesus. Und wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unseren Schwachheiten, sondern der versucht worden ist gleichwie wir – doch ohne Sünde. Amen.

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