3. Passionsandacht in Deilinghofen am 13. März 2001 in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

 

Heute wirkte der Ev. Kirchenchor Deilinghofen mit und sang unmittelbar vor der Andacht Bodelschwinghs Lied: „Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha“.
Die Andacht hielt sich an die Ordnung in EKG S. 990 bis 991 (Dritte Passionsandacht nach der Lukasreihe).
Es folgt der Wortlaut der biblischen „Auslegung“:

 

Liebe Gemeinde, mit den Worten des Lehrtextes der Tageslosung am heutigen Dienstag darf ich hier beginnen, denn da heißt es in Offenbarung 1, 4:

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Und der markanteste Satz dessen, der da ist, war und kommt, der markanteste Satz Jesu aus der heutigen Lukas-Lesung, soll hier im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen, wenn da Jesus – wie gehört – zu seinen Jüngern sagte: „Ich aber bin unter euch wie ein Diener“.

Der Satz steht in Lukas 22, Vers 27: Ich aber bin unter euch wie ein Diener.

Wir erinnern uns, dass Jesus einleitend im heutigen Lesungstext zu den Seinen gesagt hatte, dass die Könige herrschen über ihre Völker, und dass ihre Machthaber sich Wohltäter nennen lassen, dass aber bei ihm und den Seinen völlig andere Maßstäbe gelten sollen: „Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener.“

Ja, der obere Weg des Herrschens sei ihnen verwehrt, und als gnädige Herren sollen sie sich bitteschön auch nicht nennen lassen, in der Nachfolge seines Jesusweges ins Reich, zu gehen ist da der unterste Weg ins Reich, ein Weg, der sich an Jesus orientiert: Ich aber bin unter euch wie ein Diener.

Liebe Gemeinde, und wenn hier nun das Wort „Diener“ im Mittelpunkt steht, wenn es hier im Zusammenhang unseres Textes ein Beispiel und ein Ausdruck dessen ist, was es heißt, den unteren Weg des Leidens und des Ertragens zu gehen, dann sollte man gerade bei diesem Wort – beim Wort Diener und auch beim Ausdruck: den unteren Weg gehen, ziemlich genau am Text bleiben, wie er da im Neuen Testament steht.

Denn Diener, das hat man wahrlich oft falsch verstanden und den „unteren Weg gehen“ ebenso. Viele früheren Jungen unter uns mussten vor 30 oder 40 Jahren noch „den Diener machen“, wenn man einen anderen begrüßte, und die Mädchen machten brav den „Knicks“ – den „Diener machen“ hieß: ein braver Junge gibt das „richtige“ Händchen – und wenn man nicht das richtige Händchen gab oder wenn man als Linkshänder mit rechts schrieb, dann kriegte man was auf die Finger, denn die oben, die hatten Macht, Eltern, lehrer, Pfarrer, Polizei, und die unten Kinder und Untertanen, die mussten gehorchen und sich fügen.

Garantiert ist gerade dieses Dienersein, das man ja zur Genüge in der deutschen und preußischen Tradition mit allen Folgen kennt, bei Jesus da in der Leidensgeschichte nun gerade nicht gemeint.

Denn Jesus will gerade nicht denen oben das Wort reden, wie er in unserm Text sehr betont, deshalb genau hat er gesagt: Die Könige herrschen über ihre Völker, und dass ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen lassen: „Ihr aber nicht so!“

Diener in Jesu Weise nach seinem Bilde sind niemals Mucker und Ducker, nein, es sind beherzte und freie Menschen, die wissen, wo sie stehen und die deshalb keine Angst haben vor andern und sich niemals eine Zacke aus der Krone brechen, wenn sie die eigene Person hintenanstellen und dienend den unteren Weg gehen, ganz genauso wie es da der Petrus in unserer eben gehörten Geschichte dann in einer einschneidenden Lektion lernen musste: dass ihm in der Leidensgeschichte der allzugroße Mund dann sehr gestopft wurde, und dass er als Versager dann weinen musste, bitterlich weinen, als der Hahn krähte, genau wie Jesus ihm das vorhergesagt hatte. Ja, Diener und Herren in diesem Sinne, da setzt Jesus im heutigen Text auf ganz eigene Weise seinen Gegensatz an.

Und ein ungeheuer interessanter Film, der vorigen Donnerstag, am 8. März 2001, in unseren Kinos anlief, kann – wie ich finde – ein wichtiges Grundproblem unseres heutigen Textes gut vor Augen führen. Ich meine den Film „Das Experiment“ mit Moritz Bleibtreu, für den in diesen Tagen ja auch im Fernsehen zur Zeit geworben wird; vielleicht haben sie ein Stück der Vorschau gesehen. „Das Experiment“ ist ein Film nach einer wahren Begebenheit, und da geht es darum, dass in einem psychologischen Institut sich zu Forschungszwecken Testpersonen für einen Versuch melden. Dies Experiment findet statt in einem eigens dafür errichteten, mit Video-Überwachungskameras ausgestatteten Zellentrakt im Keller der Universität. Und die Versuchspersonen, alles Männer, werden dann dort per Zufallsgenerator in zwei Gruppen aufgeteilt: in die Gruppe der Wärter und in die Gruppe der Häftlinge einer Strafanstalt, und Moritz Bleibtreu und die anderen Versuchskaninchen in diesem Film werden da getestet, wie ein Mensch in Extremsituationen reagiert, wobei das Experiment zwei Wochen lang dauert, zwar bezahlt wird, aber die Männer unter weitgehender Beschneidung ihrer bürgerlichen Rechte in die neue Rolle fesselt.

Die „Gefangenen“ müssen einige einfache Regeln befolgen:

1. Die Gefangenen reden sich gegenseitig mit Nummern an.

2. Alle Gefangenen reden alle Wärter mit „Herr Strafvollzugsbeamter“ an.

3. Nach "Licht aus!" redet keiner der Gefangenen mehr.

4. Mahlzeiten sind vollständig aufzuessen.

5. Die Gefangenen beschädigen kein Anstaltseigentum.

6. Nichteinhalten der Regeln wird bestraft.

Die „Strafvollzugsbeamten“ müssen nur eine Regel befolgen: Es ist ihnen strengstens untersagt, in irgendeiner Weise Gewalt anzuwenden. Niemand der Beteiligten dieser Geschichte, die dort dieser Film das Experiment nachspielt, ahnt, dass das Experiment zu einem grauenvollen und gnadenlosen Kampf auf Leben und Tod eskalieren wird, auch zu einer Leidensgeschichte, aber einer Leidensgeschichte eigener Art . . . Ja, der Film zeigt, dass der Mensch, wenn er die Macht hat zu herrschen, vor nichts zurückschreckt, und er zeigt beklemmend, wie das in Menschen drinsteckt, denen  man das von außen nicht zugetraut hätte.

Herrschen und Dienen, liebe Gemeinde, genau die heutige Szene dort mit Petrus und den andern Jüngern in der Leidensgeschichte nach Lukas ist dazu sozusagen ein Kontrastprogramm: Er, der der Diener wurde, gehorsam bis zum Tod am Kreuz, will die Seinen aus der Todesspirale von Leiden und Dulden erlösen, aus den Fallstricken, die in der eigenen Psyche drin sind, aus dem Kreislauf von Schuld, von Leiden und Sich-Rächen, von Herrschen und Andere-Kaputtmachen. Genau dafür ist er den Leidensweg gegangen, um genau davon zu erlösen, um vom Tod zu erlösen und aus der Schuld herauszuholen, ist er für uns am Kreuz gestorben, und zwar nicht, dass Menschen wie Knete in der Hand der Mächtigen werden, sondern dass – wie Luther das sagte - der „Christenmensch ein dienstbarer Knecht aller Menschen in der Liebe wäre, der jedermann untertan ist, und zugleich als Gottes Kind und Jesusnachfolger ein freier Herr über alles und niemand untertan“, denn der Christ, der auf Jesus sieht, wie er sich zum Diener macht, der partizipiert und hat teil an Jesu Leiden und an Jesu Sieg über das Böse.

Ich aber bin unter euch wie ein Diener – so verstanden ein heilmachender Satz, denn eine verrückte und aggressionsbereite Welt braucht Jesus, du und ich, wir brauchen Jesus, wir brauchen’s, neu zu verstehen, was dienen heißt, was den unteren Weg gehen heißt – in Jesu Sinn! „Unterer Weg“ und „Dienen“, da gibt es Beispiele, wie das richtig begriffen wurde: wie etwa vor 100 Jahren Bodelschwingh der Ältere das erlebte, Pfarrer Bodelschwingh, der auf einmal den unteren Weg gehen musste, als ihm 1868/69 seine vier ältesten Kinder starben an Stickhusten und auf dem Friedhof in Dellwig bei Fröndenberg beerdigt werden mussten, und wie er gerade in diesen tiefen unteren Wegen als Christ reifte und zum Jesusdiener und Retter wurde, nämlich als Vater der Betheler Anstalten, der Zigtausenden von behinderten und ausgestoßenen Leuten  da in Bethel ein Jesuszeuge und Helfer, ein Diener in Jesu Sinn wurde. Von Bodelschwinghs Sohn und Nachfolger, von dem jüngeren Friedrich Bodelschwingh, stammt das eben gesungene Lied des Kirchenchors: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha, und gerade dieses Lied bezeugt, worauf’s ankommt bei der Quelle richtigen Dienerseins: auf den Gekreuzigten zu sehen: „wie der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering, als für Sünder der gerechte in des Todes Rachen ging“, so dass ganz am Ende wir (mit Bodelschwingh) sagen dürfen, was Gott uns schenken möge: „Ja, wir dienen dir von Herzen, ja, du machst einst alles neu.“. Amen