Gottesdienst am 11. Sonntag nach Trin., 3. September 1999
in der Stephanuskirche zu Deilinghofen
(musikalische Mitwirkung beim Eingangslied: Frauenhilfe)

Einüben des Eingangsliedes: Vorsänger (im Gesangbuch: "V.") Frauenhilfe unter Leitung der Presbyterin Karin Heß-Wendel), A. = alle.

Orgelvorspiel und Abkündigungen

Eingangslied (EG 577):
1. V Kommt herbei, singt dem Herrn,/ ruft ihm zu, der uns befreit.
A Kommt herbei, singt dem Herrn, / ruft ihm zu, der uns befreit. /V Singend lasst uns vor ihn treten, / mehr als Worte sagt ein Lied.
A Singend lasst uns vor ihn treten, / mehr als Worte sagt ein Lied.
2. Er ist Gott, Gott für uns, / er allein ist letzter Halt. / Er ist Gott, Gott für uns, / er allein ist letzter Halt. / Überall ist er und hilft uns [eigenmächtig geändert], / Höhen, Tiefen, sie sind sein. / Überall ist er und hilft uns, / Höhen, Tiefen, sie sind sein.
3. Ja, er heißt: Gott für uns; / wir die Menschen, die er liebt. / Ja, er heißt: Gott für uns; / wir die Menschen, die er liebt. / Darum können wir ihm folgen, / können wir sein Wort verstehn. / Darum können wir ihm folgen, / können wir sein Wort verstehn.
6. Menschen, kommt, singt dem Herrn, / ruft ihm zu, der uns befreit. / Menschen, kommt, singt dem Herrn, / ruft ihm zu, der uns befreit. / Singend laßt uns vor ihn treten, / mehr als Worte sagt ein Lied. / Singend laßt uns vor ihn treten, / mehr als Worte sagt ein Lied.

Text: Diethard Zils 1972/1974 nach Psalm 95; Melodie: Volkslied aus Israel, Sarah Levy-Tanai (zu Hoheslied 2,8)

 

Im Namen des Vaters... Unsere Hilfe ... DER HIMMEL UND ERDE GEMACHT HAT.

Das eben im Wechsel gesungene Eingangslied hat den Text nach Psalm 95, dessen Anfang wir hier als Eingangspsalm hören: Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken und jauchzen dem Hort unsres Heils! Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen! Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. Denn in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein. Denn sein ist das Meer, und er hat's gemacht, und seine Hände haben das Trockene bereitet. Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. Denn er ist unser Gott, und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand. Wenn ihr doch heute auf seine Stimme hören wolltet. Kommt, lasset und anbeten. EHR SEI DEM VATER UND DEM SOHN...

Sündenbekenntnis: Herr, Du kennst uns und weißt, wie oft wir mit unserm bisschen Glauben ins Gedränge kommen, wie wir zum Jauchzen und Anbeten nicht kommen, wie oft wir unsere Höhen und Tiefen nicht aus deiner Hand nehmen und nicht uns verstehen als Volk deiner Weide. Du weißt um unsere Sünde, Herr, dass wir statt deine Schafe zu sein, eigenmächtig unsere Wege gehen wollen an dir vorbei und so oft auch am Nächsten neben uns. Wir bringen Dir unseren kleinen Glauben mit all der Last unserer Schuld und bitten dich, dass wir heute morgen abladen können, dass wir Entlastung und Entsorgung erfahren am Kreuz von Golgatha und, neu ausgerichtet von dir, als Christen frei leben dürfen. Herr, erbarme dich unser. Amen.

KYRIE UND GNADENZUSPRUCH:
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er Jesus, seinen einzig-einen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben! EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE ... / ALLEIN GOTT IN DER HÖH... / DER HERR SEI...

Gebet: Herr, ich bitte dich für uns alle und mich: Herr, öffne mir die Herzenstür, zieh mein Herz durch dein Wort zu dir, lass mich dein Worte bewahren rein, lass mich dein Kind und Erbe sein. Schenke, guter Gott, dass du uns so sammelst, dass dieser Gottesdienst deiner Ehre dient und uns ausrichtet auf das, was vor uns liegt. Wir preisen dich als unsern Vater, der du mit Jesus Christus, deinem Sohn, unsern Herrn und Bruder, in der Gemeinschaft des Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. AMEN.

Alttestamentliche Lesung:
Die vorgeschlagene alttestamentliche Lesung dieses 11. Sonntags nach Trinitatis ist die Folgegeschichte nach dem Ehebruch des Königs David mit der schönen Bathseba, deren Ehemann Uria David indirekt umkommen ließ. Da heißt es in 2. Sam 12:
Und der HERR sandte [den Propheten] Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach Nathan zu David [im Gleichnis]: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter.
Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.
Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazu tun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter.
Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.
So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Halleluja! Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Wegen! Halleluja!

Glaubensbekenntnis

Lied vor der Predigt (EG 351, 1-5 und 13):

1. Ist Gott für mich, so trete / gleich alles wider mich; / sooft ich ruf und bete, / weicht alles hinter sich. / Hab ich das Haupt zum Freunde / und bin geliebt bei Gott, / was kann mir tun der Feinde / und Widersacher Rott?
2. Nun weiß und glaub ich feste, / ich rühm's auch ohne Scheu, / dass Gott, der Höchst und Beste, / mein Freund und Vater sei / und dass in allen Fällen / er mir zur Rechten steh / und dämpfe Sturm und Wellen / und was mir bringet Weh.
3. Der Grund, da ich mich gründe, / ist Christus und sein Blut; / das machet, dass ich finde / das ewge, wahre Gut. / An mir und meinem Leben / ist nichts auf dieser Erd; / was Christus mir gegeben, / das ist der Liebe wert.
4. Mein Jesus ist mein Ehre, / mein Glanz und schönes Licht. / Wenn der nicht in mir wäre, / so dürft und könnt ich nicht / vor Gottes Augen stehen / und vor dem Sternensitz, / ich müsste stracks vergehen / wie Wachs in Feuershitz.
5. Der, der hat ausgelöschet, / was mit sich führt den Tod; / der ist's, der mich rein wäschet, / macht schneeweiß, was ist rot. / In ihm kann ich mich freuen, / hab einen Heldenmut, / darf kein Gerichte scheuen, / wie sonst ein Sünder tut.
6. Nichts, nichts kann mich verdammen, / nichts nimmt mir meinen Mut: / die Höll und ihre Flammen / löscht meines Heilands Blut. / Kein Urteil mich erschrecket, / kein Unheil mich betrübt, / weil mich mit Flügeln decket / mein Heiland, der mich liebt.

Text: Paul Gerhardt 1653; Melodie: England um 1590, geistlich Augsburg 1609

Predigt Galater 2, 16-21

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn, Jesus Christus! Amen.

Liebe Gemeinde,
"Briefe sind ätzend langweilig!" Den Satz hörte ich neulich, und der das sagte und da zufügte: "Die ollen Briefe mag ich nicht", der dachte an leidvolle eigene Erfahrungen beim Predigten-Hören und da besonders an Paulus. Kennen Sie das auch? Da liest der Pastor sonntags am Lesepult oder auf der Kanzel so einen Brieftext vom Apostel Paulus, und man kapiert da meist zuerst kaum was. Und dann predigt er drüber – und alles ist ziemlich hoch und steif und abstrakt. Er tönt da mit erhobener Stimme von "Gerechtigkeit des Glaubens ohne des Gesetzes Werke", von "Juden und Heiden", die allzumal Sünder seien und davon, dass "alles Fleisch des Ruhms vor Gott ermangele" und so – und der auf der Kanzel interpretiert vollmundig und zugleich zähflüssig den Abschnitt aus einem Paulusbrief – und du schaltest ab und denkst: O Gott, wie dogmatisch! Hätte der doch lieber Paulus außen vor gelassen und die "ollen Briefe", hätte der lieber was Anschauliches genommen, eine schöne bildhafte Jesus-Geschichte oder ein Gleichnis – oder meinetwegen so eine plastische Geschichte wie eben gehört von Nathan und David, die einem automatisch unter die Haut geht...

Ja, "Briefe sind ätzend langweilig", das denken viele, und eine ganze Reihe gibt es, die deswegen Paulus nicht so mögen. Diesem Vorurteil zum Trotz ist hier zum zweiten Male hintereinander nach unserer Predigtordnung ein Stück aus einem Paulusbrief zu predigen. Wollen wir hören, ob es am Ende wirklich was Langweiliges meint, wenn Paulus da in seinem Brief an die Galater in Kapitel 2, in den Versen 16-21 schreibt:

 

Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

 

Liebe Gemeinde, ob alte Briefe wirklich so langweilig sind?!? Erlauben sie mir einen kleinen Umweg... Manche hier wissen das, dass ich ein für manche recht sonderbares Hobby habe, das auch eine ganze Menge mit meiner Arbeit zu tun hat. Ich sammle alte Briefe und alte Dokumente über die Geschichte von Deilinghofen, besonders auch was früher hier in der Kirche los war! Vorgestern vor 17 Jahren fing ich in Deilinghofen als Pastor an, und damals im September 83 hätte ich mir noch nicht träumen lassen, dass man sich mal für solch ein Kaff interessiert (wie ich damals dachte) und da sogar alte Briefe liest: Hunderte von Briefen und Dokumenten habe ich gesammelt, viele Ordner mit alten Sachen voll. Da ist Leidenschaft draus geworden und Liebe... Ich will’s mal plastisch erzählen: Da kommt vor längerer Zeit eine ältere Frau aus Iserlohn zu mir, Tochter eines Herrn Pütthoff, der Anfang des Jahrhunderts, also vor 100 Jahren, hier führender Presbyter und Kirchmeister in Deilinghofen war, und die Frau hat einen ganzen Packen Briefe in der Hand: Presbyter Pütthoff im vorletzten Kriegsjahr 1917 an den Pfarrer Axthelm in Thüringen, der wenig später als Pastor nach Deilinghofen kommen sollte, und ebensoviele Briefe von Axthelm aus Thüringen hier nach Deilinghofen. Erst kann ich mit den Briefen gar nichts anfangen: sie sind in alter Schrift geschrieben, in Sütterlin, die ich schwer entziffern kann, doch dann, als mir eine alte Frau, die das kann, mir hilft beim Lesen, als ich mich an die alte Schrift und die altmodische Sprache gewöhnt habe, da wird es auf einmal wie ein Film, der vor mir abläuft. Das ist ungeheuer spannend zu lesen, wie es in dem Jahr 1917 in jenem Kriegs- und Hungerjahr hier war, "Steckrübenwinter" wurde der Winter anno 1917 ja genannt, kaum was Gutes gab’s zu essen, und da hat in seinen Briefen Axthelm auch die Frage, ob im Keller des Pfarrhauses noch Eingemachtes vom Vorgänger wäre und was für eine "Sorte Mäuse" das wären, die Leute im Sauerland und alles so was, was aufs Bunteste und Anschaulichste unser Deilinghofen von damals beschreibt, ja, und am Ende ist das gar nicht mehr unentzifferbares Sütterlin und nix Langweiliges, da ist es auf einmal packend wie ein Krimi - das in diesen alten Briefen, ja, am Ende ist das, was der Axthelm da schreibt, "als wär’s ein Stück von mir".

Was hier von Briefen aus dem Jahr 1917 gilt, könnte das nicht auch von Paulusbriefenn gelten, wenn man sie richtig entziffert, wenn man dann das da Beschriebene wie einen Film an sich vorbeiziehen sieht und am Ende merkt: Das ist "ein Stück von mir", und ein Stück für mich, gar nicht langweilig, sondern unter die Haut gehend!!?

Vielleicht, liebe Gemeinde, ist der heutige Predigttext von Paulus aus Galater 2 dazu das allerbeste Beispiel, denke ich. Haben Sie es in Erinnerung, dass Paulus da am Anfang so stark den Glauben den guten Werken entgegensetzt und sagt, dass man durch das Gesetz und die Werke nicht gerecht wird? Er hatte da geschrieben, dass wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.

Was sich da so leicht liest, und was dann für manche so steil klingt, wie eine theologisch-dogmatische Hochgebirgs-Tour mit Kraxelei in dünner Höhenluft, liebe Gemeinde, da steckt nichts Abstraktes, da steckt eine ganze spannende Geschichte hinter! Ein Kampf bis aufs Messer, kann man sagen! Denn Paulus sieht seine Galater-Gemeinde und alles, was er aufgebaut und als Evangelium verkündet hat, durch feindliche Kräfte in Frage gestellt. Die Leute dort in Galatien wenden sich von Jesus Christus ab und vertrauen lieber auf was anderes, so sieht er das, wogegen er, unser Paulus, da den gesamten Galaterbrief hindurch leidenschaftlich kämpft. "Wer hat euch verhext, dass ihr nicht mehr auf Christus an erster Stelle vertraut, sondern auf menschliche Gemeinderegeln, auf Paragraphen, die die Menschen gemacht haben, auf eure Traditionen, auf alte jüdische Regeln und Gebote? Ich steh auf der Seite von Christus!" - so schleudert er es polemisch und scharf der Gemeinde in Galater Kapitel 1 entgegen, und wer da "ein anderes Evangelium" verkündet und vertritt, der soll lieber außen vorstehen, wer die Botschaft von Jesus zurückreformiert in eine Pharisäerreligion, in der die Befolgung von Gesetzen, in der das ach so fromme Tun der Menschen Heil schafft, der vernichtet alles, was Christus uns erworben hat, der streicht am Ende Christus und sein Kreuz selbst durch! "Hütet euch", so kämpft Paulus da mit offenem Visier: "Da sind einige unter euch, die alles kaputtmachen und verfälschen!"

Ja, liebe Gemeinde, lesen Sie es mal zu Hause nach, mit welcher scharfen Waffen der Paulus da ficht und zusticht in seinem Brief an die Galater. Wenn man es liest im Ganzen, wenn man das Ganze dieses Briefes an seinen inneren Auge vorbeiziehen lässt, dann ist das kein bisschen langweilig, dann ist das alles ziemlich radikal und zugespitzt, was Paulus da als seine Lage und als Lage des Evangeliums beschreibt. Kaum einen kämpferischeren Brief gibt es im Neuen Testament, und Rechtfertigung nur aus Glauben ohne des Gesetzes Werke, so wie wir es eben in unserm Abschnitt auch hörten, das hat da mit dünner theologischer Höhenluft und mit steiler Dogmatik gar nichts zu tun. Im Gegenteil, so wie der Paulus da kämpft, so kann nur eine leidenschaftlich Liebender kämpfen, dem es um "sein Ein und Alles" geht. Und darum geht es ihm: Christus und sein Kreuz, das, worauf Paulus steht, das wird da zunichte gemacht, wenn man dem Paragraphenregeln der Judenchristen folgt, die sich als Irrlehrer in der Galatergemeinde breit machen.

Und das Brisanteste und Heikelste von allem habe ich hier bis jetzt noch gar nichts erzählt von dem Krimi, von dem Drama, in dem der Paulus da drinsteckt. Der heikelste Punkt bei allem ist, dass das Apostelamt und die Berufung des Paulus dort in Zweifel steht, von den Gegnern in Zweifel gezogen wird: "Was will der mickrige Paulus denn schon mit seinem bisschen Evangelium und mit seinem bisschen Kreuz, auf dem er ewig rumreitet??? Wir, die Gesetzestheologen, haben doch viel bessere Autoritäten hinter uns: keinen Geringeren als den Führer der Urgemeinde in Jerusalem, Simon Petrus höchstselbst!!!" Ja, lesen Sie es nach im Galaterbrief von vorn bis hinten: Wo immer Paulus von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werke schreibt und von der neuen Freiheit vom Gesetz, da hat er immer als Gegner in der Ferne, mit dem er sich viel auseinandersetzte und mit dem er schließlich auch einen Kompromiss zu finden hatte, auch den Jesusjünger Petrus als Führer der Urgemeinde in Jerusalem im Blick!

Spannender geht es fast nirgends zu als da, wo wie im Galaterbrief mit Leidenschaft die Rechtfertigung nur aus Glauben der Selbstrechtfertigung durch Erfüllen von Gesetzen entgegengesetzt wird! Und wir wissen ja wohl auch alle, dass in der Reformationszeit ein Reformator Martin Luther genauso spannend das gleiche Anliegen des Paulus gegen die katholische Kirche und ihre Gesetzlichkeit geltend gemacht hat!

Seinen Gegnern hat der Paulus in unserm Text mit ganz spitzer Feder und paradox formuliert entgegen, was sein Glaube stattdessen und was sein "Ein und Alles" ist: Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe.

Das heißt: keine Gesetze, keine Paragraphen und keine Regeln machen mich selig, machen mich frei hier und bringen mich einmal in den Himmel, sondern Christus allein!

Nu mögen Schlaumeier sagen, na schön diese Kontroverse! Aber die ist doch Mitte ersten Jahrhunderts gewesen, und dann Mitte des 16. Jahrhunderts, heute ist doch das alles abgehakt - mit Regeln, Paragraphen und Gesetzen. Das ist doch inzwischen out! Liebe Gemeinde, ich bin mir da nicht so sicher! Heute regiert immer noch und erneut - und wie!!! - die pure Gesetzlichkeit und die Lehre, dass das eigene Tun selig macht! Genau wie damals im ersten Jahrhundert und bei Luther im 16.! Da regieren die Kirchenleute auf ihren Synoden und haben Konzepte, wie man die Kirche in dieser Krisenzeit über Wasser hält: Geldkonzepte, Friedens- und Antrassismus-Konzepte, Umweltkonzepte, Qualitätskonzepte, Strategien für Jugendliche, Sparpläne, Haushaltspläne, aber das Wichtigste, das was Paulus in unserm Text als neuralgischen Punkt und alles Zentralpunkt anführt, das wird weithin außen vor gelassen als wäre es weniger wichtig als Geld und menschliches Tun! Christus und das Kreuz als Ein und alles bleibt weitgehend raus! Und im Privatleben der Menschen ist es entsprechend: Hauptsache ich tu was, hab Geld genug und mühe mich, Hauptsache, ich müh mich und mach mein Ding. was muss ich da noch weitere Rechtfertigungsgründe meines Lebens, weiteres Heil haben? Jesus und sein Kreuz, der Grund allen Christseins, tragender Grund der großen Freiheit, Christ sein zu dürfen, der muss neu zum Zuge kommen - in der Kirche aktuell und bei uns als Einzelnen hier!

Und da gibt Paulus unüberhörbare Denkanstöße zu einer großen Freiheit, die heute noch trägt! Und da mögen alte Briefe noch als so ätzend langweilig empfunden werden: Ich finde es spannend, da bei Paulus zu lesen, wie sehr Christus und sein Kreuz "sein Ein und Alles" ist, dass er sein eigenes Tun nicht sooo wichtig nimmt, weil er einen anderen tragenden Grund hat. "Ich bin mit ihm gekreuzigt", schreibt er, und er meint damit: Wenn ich auch noch so viel leiden muss an meinen Feinden, an Gegnern und an eigenem Schicksal und eigener Schuld, mein Leben hat von woanders her seine Mitte: im Kreuz sind meine Leiden mit bewältigt, bei Ihm, dem Gekreuzigten, da ist die Mitte, und das wird dann am Ende des heutigen Textes ganz zugespitzt und leidenschaftlich herausgearbeitet: das die große zum Kreuz gegangene Liebe ihn trägt: Ich lebe, aber nicht ich selbst, Christus lebt in mir, so als hätte ich ein neues Herz in einer "Herztranspalantation anderer Art": dass das Herz dieses Gestorbenen, der das Leben hat, von außen mein Leben bestimmt und mein neues Herz und meine Mitte wird. Und am Ende ist das Ganze für den, der es richtig zu entziffern weiß, nicht ein oller Brief, sondern ein wunderbarer Brief, ein Liebesbrief sogar, ein Liebesbrief mit ganz viel Liebe drin, jedenfalls für den, der sich an Sütterlin nicht stört, für den ist es ein Liebesbrief pur, ein Liebesbrief, der heute dich und mich dazu einlädt, uns alle, Christus den Gekreuzigten neu zu suchen und zu finden als die Liebe unseres Lebens, als Liebe, die uns frei macht - vom Gesetz und Tun, frei zu gehorsamen Nachfolge des Gekreuzigtem. Er schenke uns dies neue Herz und die genannte "Herztransplantation", dass Christus in uns lebt und unser bestimmendes Kraftzentrum wird. Amen.

 

Lied nach der Predigt (wie oben: EG 351, jetzt die Schluss-Strophe 13):
13. Mein Herze geht in Sprüngen / und kann nicht traurig sein, / ist voller Freud und Singen, / sieht lauter Sonnenschein. / Die Sonne, die mir lachet, / ist mein Herr Jesus Christ; / das, was mich singen machet, / ist, was im Himmel ist.

Schlussgebet / Vaterunser / Segen / Orgelnachspiel

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