Gottesdienst am 8. So. nach Trinitatis, 5. August 2001, in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

Orgelvorspiel
Abkündigungen und Eingangslied
:
Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn, EG 432, 1-4

Wir halten diesen Gottesdienst im Namen des Vaters... / Unsere Hilfe...
Wir hören, passend zum gesungenen Lied, den Anfang von  Psalm 118:
Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.
Es sage nun Israel: Seine Güte währet ewiglich.
Es sage nun das Haus Aaron: Seine Güte währet ewiglich.
Es sagen nun, die den HERRN fürchten: Seine Güte währet ewiglich.
In der Angst rief ich den HERRN an; und der HERR erhörte mich und tröstete mich.
Der HERR ist mit mir, darum  fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?
Der HERR ist mit mir, mir zu helfen; und ich werde herabsehen auf meine Feinde.
Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen.
Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Fürsten. Kommt, lasset uns anbeten! EHR SEI DEM VATER...

Wir bekennen unsere Schuld vor Gott: Gott, unser Vater, Herr Jesus Christus, Du unser Herr! Danke, dass deine Güte ewig bleibt und uns jetzt gilt, auch heute morgen! Wir bekennen vor dir, dass wir oft vergessen haben, dir zu danken, dass wir oft die Zeichen deiner Liebe und die Spuren deiner Güte nicht wahrgenommen haben in unserm Leben. In unserer Blindheit, die nichts von dir sah und wahrnahm, sind wir eigenmächtig eigene Wege gegangen und meinten, ohne dich klarzukommen. Und die Menschen neben uns haben wir viel zu oft auch dann mit falschen Augen angesehen oder sind blind an ihrer Not vorbeigegangen. Herr, öffne uns die Augen über unsere Situation und vergib uns unsere Schuld, das bitten wir dich, Du Licht der Welt. Herr, erbarme dich unser!

KYRIE

Gnadenzuspruch: Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE / UND AUF ERDEN FRIED... ALLEIN GOTT IN DER HÖH... DER HERR SEI MIT EUCH...

Gebet: Herr, wir bitten dich für diesen Gottesdienst: Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie uns leiten. Schenk du Licht von deinem Licht für unsere Augen, dass wir zum Sehen kommen und etwas wahrnehmen von deinen Wundern und deiner Herrlichkeit, die du, Gott und Vater uns in Jesus Christus schenkst, der mit dir in der Einheit des Heiligen Geistes lebst und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. AMEN.

Wir hören das Evangelium des heutigen 8. Sonntags nach Trin., wie es aufgezeichnet ist beim Evangelisten Matthäus in der Bergpredigt im 5. Kapitel, wo Jesus den Seinen sagt in den Versen 13 bis 16:                                        
Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid  das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Halleluja, Herr, Dein Wort ist unseres Fußes leuchte und ein Licht auf unserem Wege, Halleluja!

Glaubensbekenntnis und Lied vor der Predigt (das viel vom heutigen Predigttext in sich schließt): EG 441
1. Du höchstes Licht, du ewger Schein, / du Gott und treuer Herre mein, / von dir der Gnaden Glanz ausgeht / und leuchtet schön so früh wie spät.
2. Das ist der Herre Jesus Christ, / der ja die göttlich Wahrheit ist, / mit seiner Lehr hell scheint und leucht', / bis er die Herzen zu sich zeucht.
3. Er ist das Licht der ganzen Welt, / das jedem klar vor Augen stellt / den hellen, schönen, lichten Tag, / an dem er selig werden mag.
4. Den Tag, Herr, deines lieben Sohns / lass stetig leuchten über uns, / damit, die wir geboren blind, / doch werden noch des Tages Kind'
5. und wandeln, wie's dem wohl ansteht, / in dessen Herzen hell aufgeht / der Tag des Heils, die Gnadenzeit, / da fern ist alle Dunkelheit.
6. Die Werk der Finsternis sind grob / und dienen nicht zu deinem Lob; / die Werk des Lichtes scheinen klar, / dein Ehr sie machen offenbar.

Predigt über Johannes 9, 1-7

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des hl. Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde! Morgen, am Deilinghofer Schützenfestmontag, wäre der unvergessene hiesige Pastor Ravenschlag – man las das ja auch in der Zeitung – 90 Jahre alt geworden, und ich habe Ihnen eine bemerkenswerte alte Ravenschlag-Predigt abgeschrieben und kopiert. Wohl alle von Ihnen haben sie erhalten und vor sich liegen: „Die Neue Welt Gottes“ – so ist diese Predigt überschrieben, eine kluge und dabei ganz einfache und hilfreiche Predigt über Gottes Neue Welt, an die Christen glauben. Mich hat diese Predigt fasziniert, und ich erzähl hier nur ganz knapp den Anfang: wie Ravenschlag begann – sehr anschaulich – mit Christopher Kolumbus, der 1492 meinte, in Indien angekommen zu sein und in Wirklichkeit war er in der Neuen Welt, in einer nie gekannten Neuen Welt, die kein Europäer gesehen hatte, und wo die Neunmalklugen sagten: Das gibt es doch gar nicht: Neue Welt, was soll das, was der Spinner da entdeckt haben will...

Und wenn man die Predigt dann weiterliest (Tun sie es doch bitte zu Hause, heute Nachmittag oder heute abend vor dem Einschlafen!), dann kommt man auf das Zentrale, worum es dem Alfred Ravenschlag ging: dass die Neue Welt von Jesus, die österliche Welt von Gottes Ewigkeit in unsere Welt hineinreicht, und dass Christen dann auch mit neuen Augen unsere alte Welt sehen können, wo sie wissen von der Neuen Welt, von Jesus, zu dem sie gehören.

Genau das ist im heutigen Predigttext nun auch das Thema, jedenfalls für den, der es mit den richtigen Augen sieht; der vorgeschriebene Predigttext, über den heute morgen in vielen Kirchen gepredigt und nachgedacht wird, entstammt dem Johannesevangelium, da heißt es in Kapitel 9 in den Versen 1-7:

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister,  wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern  es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir  müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist;  es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen  Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Ja, und eigentlich, liebe Gemeinde, geht der Text dann weiter, die Geschichte mit diesem Blindgeborenen durchzieht das gesamte 9. Kapitel des Johannesevangeliums – von vorn bis hinten, alle 41 Verse: Da werden die Pharisäer fuchsteufelswild und stoßen sich an dieser Heilung des blinden Bettlers da, sie verhören den Geheilten und bohren nach, weil sie sich dran stoßen, dass er zu Jesus sich hält – und müssen sich die schrille Kritik von Jesus gefallen lassen, dass sie am Ende viel blinder sind als der Blindgeborne da.

Und es ist da auch so, als sei die alte Welt mit der Neuen Welt in Konflikt gekommen, als könnte keiner der Jesusfeinde, der Theologen und Schriftgelehrten, begreifen: dass es wunderbar ist, in Jesus ein Stück von Gottes Neuer Welt zu erblicken, ein Stück der neuen Welt in IHM, dem Licht der Welt, das die Augen derer, die in den Prinzipien der alten Welt verfangen waren, nicht sehen und anerkennen wollten und konnten.

Aber nicht nur den entschiedenen Jesusfeinden geht es so, gerade den Jüngern geht’s nicht anders! Unser Textanfang zeigt es: Da kreuzt einer auf, der ist von Mutterleib an blind, und – wie sich’s später rausstellt – ein Bettler noch dazu,  und dieser Behinderte dort, dieser körperlich und sozial doppelt Geschlagene, der wird da für die Jünger zum Anlass, mit Jesus eine eigenartige theologische Diskussion anfangen zu wollen. „Herr, da ist doch die berühmte Warum-Frage zu stellen! Das hat doch bestimmt einen Grund, wenn einer sozial und körperlich so doppelt behindert ist. Da weißt du doch bestimmt eine Antwort drauf, Jesus! Da ist es doch bestimmt so, wie unsere Lehrer das in ihren Bibelauslegungen immer sagen: Von nichts kommt nichts – da gibt es bei jeder Krankheit Schuld, vielleicht Schuld aus der Generation der Eltern oder der Großeltern, die dazu geführt hat, dass dieser jetzt behindert auf die Welt gekommen ist, so wie es ja auch viele Schriftgelehrten im Judentum lehren: Jedes falsche Tun, jede Sünde setzt wieder Strafe frei, eben bis ins dritte und vierte Glied der Traditionskette. Sag Jesus, siehst du das auch so?“

Genau solche schreckliche fromme Vergeltungsdogmatik aber ist völlig unvereinbar mit dem Neuen, was Jesus da in die Welt gebracht hat. Und alle klug-grüblerisches Fragen über das Warum, so fromm sie sich geben, werden da von Jesus drastisch abgewürgt! Stochert nicht rum in der grüblerischen Brühe der Warum-Fragen – so zeigt er es da praktisch den Seinen, hört auf, den doppelt Geschlagenen noch zusätzlich mit der Frage nach seiner Schuld zu belasten – in eurer behindertenfeindlichen Vergeltungs- und Strafdogmatik. Seht stattdessen, dass da wo von Gottes Neuer Welt was aufscheint, ich, Jesus, euch eine neue Perspektive des Wahrnehmens zeige: Es geht nicht um das Warum, bei mir geht es um das Wozu: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern  es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

Und der von Mutterleib an Blinde dort, der hat es dann drastisch erfahren, was das heißt: Nicht mehr hängen zu bleiben an all den Warum-Fragen, die natürlich ihn auch gequält haben von Anfang an. Doch da, als er die Matsche spürt in seinen Augen, den Brei aus Lehm und Jesu Spucke, als er sich wäscht, nah bei im Teiche Siloah, dann zeigt sich ihm das Wozu: Wunderbar, ein völlig neuer Mensch zu werden, wunderbar, mit eigenen Augen, mit neuen Augen das Licht der Welt zu sehen, das Licht der Welt zum allerersten Mal, und ihn zu sehen – Jesus – den, der da sagte: Wirket, solange es Tag ist, es kommt die Nacht, da niemand wirken kann, ich bin das Licht der Welt!

„Er ging hin und wusch sich und kam sehend wieder“ – so heißt es lapidar und knapp im letzten Satz des Abschnitts, und manche der Jünger mögen da gesehen haben, wie ihre in der alten Welt befangenen Augen mit den Fragen nach Vergeltung, Strafe und Erbgut eine neue Perspektive kriegten: Jesus, als Licht der Welt, für den, der neue Augen hat, die von diesem Licht was sehen und wahrnehmen, während die Feinde Jesu – wie gesagt – sich noch ein ganzes Kapitel da in Johannes 9 sich abmühen, damit fertig zu werden, dass Jesus neue Augen schenkt, nicht verstehend, dass in Jesus ein Licht aus Gottes Neuer  Welt da in ihre alte Welt gestrahlt ist.

Liebe Gemeinde, als ich diese Woche oft über den Blindgeborenen nachdachte aus Johannes 9 in unserm Predigttext, da fiel mir immer wieder die Zeit Anfang der Siebziger Jahre in Marburg ein. Als Student war ich da sehr engagiert in der Studentenmission, der SMD, die da mit einer Gruppe in der großen Blindenstudienanstalt Marburg, in der Blista in Marburg, sich um Blinde kümmerte. Blinden das Licht von Jesus bringen, darum ging es da ganz entschieden, und ich weiß von vielen Blinden, die dort durch diese Arbeit zum Glauben gekommen sind. Aber genauso intensiv war für uns, die wir da arbeiteten: dass man von der Wahrnehmungsfähigkeit von Blinden, gerade auch von Geburtsblinden und von ihren Gefühlen jede Menge lernen konnte. Das hat mich immer brennend interessiert: Wie träumen eigentlich Blinde, die noch nie einen Lichtschein gesehen haben, wie empfinden sie auf ihre eigne Weise Musik und andere Sinneseindrücke, und wie kann es kommen, dass sie beim Spazierengehen sogar hören können, dass da in drei Meter Entfernung ein Ascheneimer steht? Ich meine auch da, etwas davon wissen zu können und hab oft mit Betroffenen drüber geredet, wie Blindgeborene da ihre Warum-Fragen stellen, und wie manche von denen auf einmal Jesus als das Licht der Welt wahrnahmen. Und eine damalige Studentin der Marburger Blista, der Blindenstudienanstalt, hat ja auch schon zweimal hier in Deilinghofen auf dieser Kanzel gepredigt; einige hier wissen das: eine von den Blindgeborenen, die vom Licht der Welt und von den Wundern Jesu mehr gesehen hat als viele andere, die keine Augen haben dafür.

Und eigentlich geht es in unserer Geschichte genau darum: Augen kriegen für Jesus, sich ein Licht aufgehen lassen über ihn, das wahre Licht der Welt, ja: da will diese Geschichte eine Heilungsgeschichte werden für uns! So gesehen, haben wir ganz zu Recht eben gesungen: „Den Tag, Herr, deines lieben Sohns / lass stetig leuchten über uns, / damit, die wir geboren blind, / doch werden noch des Tages Kind'“, denn die Blindgeborenen sind wir! Wir, die wir über unser eigenes Warum ja oft genauso gnadenlos dogmatisch nachdenken wie die Jünger damals in ihren Vergeltungsfragen und dabei Jesus und sein Wozu ganz aus dem Blick verloren haben, wir, die wir von ihm und seinem Licht oft gar nichts sehen, wir, die wir immer so tun, als wüssten wir, wie man lebt und was man tut, und leben damit ohne ihn an seinem Licht vorbei.

Mir kam gestern bei der Predigtvorbereitung intensiv der Gedanke: Wie viel einfacher ist es doch, so wie die Masse zu leben: Schützenfest und Dorfzeug, Spaßhaben, Tradition, Familie und was die Leute sagen, das zu nehmen als Licht des Lebens und dann in solcher Wahrheit am Sinn des Leben, an Jesus vorbeizuleben, wie es die meisten tun. Dann hofft man nicht mehr auf Wunder, dann glaubt man ja nicht an ihn als das Licht, und das geht doch auch, ist sogar oft viel bequemer. Man meint ja die Wahrheit zu haben – an Jesus vorbei! Man meint ja auch, als aufgeklärter Mensch mit eigenen Sinnen alles wahrzunehmen und sehr viel mehr zu wissen, als Christen, die da immer noch Gottesdienste und Beten und all so was „Unaufgeklärtes“ nötig haben.

Genau das ist „geboren blind“, wie es das Lied von eben und der heutige Predigttext meint. Es ist wie in jener berühmten Geschichte, in der vier von Geburt an blinde Menschen aus ihren Erfahrungen beschreiben sollten, wie und was ein Elefant wäre, ein Elefant, den unsere vier blinden Leute mit den Händen begreifen und dann beschreiben sollten. Der erste Blinde befühlt den Rüssel des Elefanten und schließt, ein Elefant müsse aussehen wie eine riesige Schlange. Der Zweite tastet sich an den Füßen hoch und meint, das Tier habe eine Gestalt wie ein uralter Baum. Der Dritte ertastet die Flanke des Tieres und beschreibt sie als eine Mauer. Und der Vierte dieser blinden Männer gerät an den Schwanz des Dickhäuters und behauptet: ein Elefant ist etwas Ähnliches wie ein Seil. Ja, sie hätten sich streiten können und sich fetzen bis zum Ende, oder sie hätten faulen Frieden schließen können und einfach sagen: „Jeder hat seine Wahrheit“: beides hätte sie der Wahrheit nicht näher gebracht. Jesu Wahrheit in unserm Text und im ganzen Kapitel ist anders: Wascht euch die Augen aus, da im Teich, werdet sehend und nehmt wahr mit neuen Augen, mit Augen der Liebe: Ich will euer Licht sein und bin das Licht der ganzen Welt. Und ihr seid die Meinen, auch wenn tausend andere denken, genug begriffen zu haben und alles zu verstehen ohne mein Licht.

Und die Frage hier am Ende ist: ob wir glauben, wie wunderbar Jesus neue Augen schenkt, sein Licht zu sehen und weiterzugeben, ob wir bei ihm sehen, wie die Neue Welt von Jesus schon in die alte Welt reingebrochen ist, ob wir ihm gehören und mit ihm der Neuen Welt der Ewigkeit, jener Neuen Welt, über die Schützenfestleute und andere manchmal so erhaben lächeln mögen wie damals die Leute bei Kolumbus, die die Neue Welt als Phantasieprodukt verspotteten. Gott schenke uns Augen, die aufgeklärt glauben, im Teich Siloah aufgeklärte und gewaschene Augen, die Jesus sehen, wie er ist und in seinem Licht die ganze Welt, die Jesus als das Licht nötig braucht und von seinen Wundern was erfahren soll wie wir, du und ich. Amen.   

Lied nach der Predigt: Licht, das in die Welt gekommen, EG 552, 1-4 und 6

Fürbittengebet, Segen und Orgelnachspiel


Zum 6. August 2001, dem Tag, an dem Pfarrer Alfred Ravenschlag 90 Jahre alt geworden wäre

 

Alfred Ravenschlags Leben im Kurzüberblick:
geb. am 6. August 1911 in Münster
stud. theol. In Münster; 1. theol. Examen 30. April 1936, danach Vikar in Witten
1937 und 1938 Besuch des Domkandidatenstifts in Berlin,
nach dem 2. theol. Examen Ordination in Münster am 13. November 1938
Hilfsprediger in Weitmar-Mark (Bochum)
4. Oktober 1938 Hochzeit mit Hedwig Grote in Münster
4. Februar 1940 in Weitmar auch zum Gemeindepfarrer gewählt
Soldat, u.a. in Russland (Frau Hedwig mit ältestem Sohn Traugott, der 1943 geboren wurde, nach Schlesien evakuiert)
1.November 1946 vom Landeskirchenamt nach der Erkrankung von Pastor Gobrecht zur Verwaltung der Pfarrstelle in der Ev. Kirchengemeinde Deilinghofen eingewiesen und mit Wirkung vom 1. Juli 1947 einstimmig zum Pfarrer der Deilinghofer Kirchengemeinde gewählt (dem 22. ev. Pfarrer nach der Einführung der Reformation im Jahr 1565)
11. April 1947: Gründung des
Ev. Kirchenchors Deilinghofen
Seit Anfang 1947 kam Pastor Grabsch als Aushilfspastor für den Diasporateil der Gemeinde im Balver Gebiet dazu.
2. Juni 1947 Geburt des zweiten Sohnes Winfried
Herbst 1947 Kirchenrenovierung durch den Lemgoer Kirchenmaler Pahmeier, die Kirchenglocken kehrten vom Hamburger Glockenfriedhof zurück.
27. Mai 1951 Schenkung des Vereinshauses der Inneren Mission an die Gemeinde (nach Renovierung und Umbau war das das alte Martin-Luther-Haus)
April 1951 Beginn der Arbeit am Kindergarten (zur Festschrift 50 Jahre Ev. Kindergarten Deilinghofen hier – mit weiteren Informationen zu Alfred Ravenschlag)
Seit Juni 1953 prägten die Kanadier, die hier im Camp stationiert waren, das Bild des Dorfes Deilinghofen
1953: Ein Teil Stephanopels kam von Deilinghofen zur Sundwiger Kirchengemeinde (bis 1953 Deilinghofer Missionsfeste in Stephanopel)
1955: Balve wurde selbständige Kirchengemeinde
Ewigkeitssonntag 1959: Einweihung der Friedhofskapelle
1957: Gründung des EC Deilinghofen
Advent  1963 Grundsteinlegung Kindergarten Pastoratstr.; Einweihung Mai 1965
1964-1966: Die große Renovierung der Stephanuskirche (Abriss der Emporen)
1966: Bau der jetzigen Deilinghofer Orgel
1.Januar 1969 Ravenschlag wurde durch den Tod seiner Frau Hedwig Witwer.
In zweiter Ehe heiratete er am 21. Oktober 1970 die Gemeindeschwester Martha Griese.
Als 63jähriger wurde er nach 27 Amtsjahren am 30. September 1974 in den Ruhestand verabschiedet.
1. Advent 1975: Einweihung des neuen - in den Anfängen unter Ravenschlag entstandenen - Martin-Luther-Hauses (Ravenschlags Einweihungsrede hier).
Alfred Ravenschlag starb am 10. Januar 1987 und wurde auf dem Deilinghofer Friedhof beigesetzt

 

Hier folgt eine Predigt von Pfarrer Alfred Ravenschlag, eine Predigt, die er einmal gegen Ende des Kirchenjahrs hielt (zuerst veröffentlicht in: Pastor Alfred Ravenschlag (1911 – 1987). Der Deilinghofer Nachkriegspfarrer und sein Dorf (Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte, Heft 1, Deilinghofen 1991, S. 42 bis 45)

Die Neue Welt Gottes

Predigttext Offenbarung 7, 9 bis 17: Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Liebe Gemeinde,

als Christoph Kolumbus am 12. Oktober 1492 nach langer Irrfahrt  auf einer Insel vor Mittelamerika seinen Fuß an Land setzte und die Fahne Spaniens hisste, ahnte er nicht, dass er eine ganz neue Welt entdeckt hatte. Er glaubte, er sei nur auf der anderen Seite von Indien gelandet. Aber bald wusste er doch, dass er etwas ganz Neues entdeckt hatte. Da waren andere Menschen, andere Pflanzen, andere Tiere, als man sie bisher kannte. Alles war anders. Darum musste es eine neue Welt sein.

Eine neue Welt, in der alles anders ist, die entdecken wir auch, sobald wir uns und unsere Welt unter dem Licht der Ewigkeit betrachten. Dann sehen wir in eine Welt hinein, in der Gott alles in allem ist. Wie sieht diese Welt aus? Was zeigt uns der Blick in die neue Welt der Ewigkeit? Er zeigt uns die Herrlichkeit der Gotteswelt, und er zeigt uns, dass erst von da aus auch unser Leben ein Ziel bekommt.

Der Blick nach oben und der Blick nach unten – beide zeigen uns eine ganz neue Welt m Angesicht der Ewigkeit. Es geht uns dabei ganz ähnlich wie dem Kolumbus: Als er abfuhr, eine neue Welt zu finden, da haben ihn viele Leute ausgelacht und ihm gesagt, er sei ein törichter Träumer; seine Phantasie sei mit ihm durchgegangen. Er bilde sich etwas ein, das gar nicht existiere, was gar nicht existieren könne. Erst als er drüben gewesen war, da musste jeder zugeben: Die Neue Welt besteht doch, und so und so sieht es in ihr aus. Ganz Ähnliches erfahren wir, wenn die Hoffnung des Christen sich nach der Neuen Welt des Jenseits ausstreckt. Auch da kommen die neunmalklugen Menschen und sagen uns: „Das ist doch nur eure Phantasie, die sich das ausmalt; es ist doch nur euer Wunsch, so möchtet ihr es wohl haben!“ Aber wer weiß da was Gewisses? Wer ist schon von den Toten zurückgekommen. Mit dem Tode ist alles aus???

Als der berühmte Kardinal Mazarin im Jahre 1661, nachdem er viele Millionen zusammengescharrt hatte, seinen Tod herannahen fühlte, da rief er aus: „O meine arme Seele, was wird aus dir? Wo gehst du hin?“ Ja, wo gehst du hin? Wer hat eine Antwort darauf?

Das Evangelium hat eine Antwort darauf. Wer Gemeinschaft mit dem auferstandenen und lebendigen Jesus hat, der hat eine Antwort: Du gehst zu Gottes Gericht. Du kommst vor Gottes Thron. Du gehst aus der Zeit in die Ewigkeit. Es gibt also eine Neue Welt: Die Welt Gottes und seines Christus, die werde ich vorfinden. Die kenne ich hier schon durch Jesus. Die gewaltigen Bilder der Offenbarung lassen uns einen Blick tun in diese Neue Welt Gottes. Gewiss: Wir können hier nur in Bildern davon reden. Und die Bilder sind nicht die Wirklichkeit selbst. Aber durch die Bilder scheint die ewige Wahrheit Gottes hell und leuchtend und unerhört hindurch. Nur so geschieht das Unfassbare: Es wird möglich, dass sich ein Mensch auf die Ewigkeit freuen kann. Dass ihn nicht nur Schauer des Todes durchrieseln mit der Aussicht: Jetzt wirst du an einer Mauer zerschellen, sondern dass die Mauer ein Tor hat, und dass einer dahinter steht, den wir kennen, der holt uns durch das Tor in das neue Land, das wir suchen. So kündet es die Offenbarung: Eine große Schar, anbetend im Zeichen der Überwindung und des Sieges. Das ist die erste große Gewissheit und der Grund zur tiefen Freude, wenn der Christ einen Blick tut in die andere Welt: Ich werde bei Gott und bei dem Herrn Christus sein. Was wir hier glauben, dort werden wir es schauen: Du bist auch da nicht allein. Du stehst unter Gottes Hut, jeder ist gezählt und keiner ist vergessen. Dort sammelt er seine Gemeinde, eine unzählbare Schar, die anbetet. Dort erst werden wir wahrhaft erkennen, wer zur Gemeinde Christi gehört. Menschen werden wir finden, die wir nicht vermutet hätten, und mancher wird fehlen, den wir sicher erwartet hätten.

In der Neuen Welt Gottes, da hören alle Unterschiede auf, die uns auf Erden so wichtig waren und uns viel zu schaffen machen. Denn Gottes Gnade ist frei. Sie ist für Mann und Frau und Kind, für alle Völker, Rassen und Stände da. Er erbarmt sich ihrer alle. Das kann uns die Mission manchmal beglückend zeigen, dass die Menschen aus einer ganz anderen Umwelt und Rasse genauso beten können wie wir und uns ganz nahe stehen, weil Christus ihr Herr geworden ist. Das wird auch das größte Erlebnis in der Ewigkeit sein: Wir sind eins in Christus. Bei ihm sein, das ist die Erwartung und große Hoffnung der Christen.

Hier in Offenbarung 7, 13-14 heißt es: In weißen Kleidern, das sind Menschen, deren Sünden abgewaschen sind durch des Lammes Blut. Die Gemeinde hat durch den Herrn Christus den Zugang in die Ewigkeit. Er hat sie aus allen Völkern und Rassen zu sich gerufen. Wenn wir dahin blicken, auf die Ewigkeit schauen, da schwindet unser Zagen, das so gerne fragt: Wo bleibt Christus in der Welt? Wir dürfen wissen: Jesus ist Sieger! Dort sammelt er seine Gemeinde. Und was vereint sie miteinander? Dass sie durch Jesus frei geworden sind. Dass sie in Christus Erlösung haben, indem sie ganz vertrauen, weil es der einzige Trost im Leben und im Sterben geworden ist: Du brauchst keine Angst zu haben, wie der alte dumme Mensch sagt, dass im Himmel eine große Langeweile sein werde. Gott kann uns schon brauchen! Seine Welt ist größer als unsere Welt. Er hat so viele Dienste für uns, dass uns diese Sorge nicht zu quälen braucht. Und jammern wir nicht immerzu hier auf Erden: „Ich habe so wenig Zeit!?“ Welch eine Kraft liegt in der Stille, wo wir sie haben können. Hier kommen wir so wenig dazu, darum steckt hinter unserem Beten so wenig Kraft. Dort haben wir endlich einmal genug Zeit dazu. Hier beten wir: Erlöse uns von dem Übel. Dort sind wir die Erlösten. Hier müssen wir durch viel Schmerz und Trauer hindurch, dort wird er abwischen alle Tränen von unseren Augen. Hier schiebt sich menschliche Schuld in alles ein und vergiftet unser Zusammenleben und unser eigenes Leben, oft mit den liebsten Menschen. Dort ist Vergebung, der Kampf und der Zwiespalt ist beendet, der Herr und seine Gemeinde sind vereint. Was wir hier so oft als Last und Not empfinden, vor dem erhöhten Herrn fällt es dahin, auch aller Streit der Christen untereinander. Dann wird es endlich erfüllt: Es wird ein Herde und ein Hirte sein!

Aber wer so einen Blick getan hat in die Neue Welt Gottes und seines Christus, der schaut auch diese Welt und sein eigenes Leben mit ganz neuen Augen an. Denn von oben gesehen gewinnt unser ganzes Leben einen ganz neuen Sinn. Wir beurteilen es von der Ewigkeit her. Hat das, was ich tue und lasse und sage und denke, Wert für die Ewigkeit? Werden meine Worte und mein Tun vor Gottes Urteil bestehen? Worauf kommt es in meinem Leben an? Was habe ich für ein Ziel? Die Gemeinschaft mit Jesus gibt uns die Antwort: Unser Leben ist zuerst und zuletzt Vorbereitung auf die Ewigkeit: Von da aus wird es beurteilt. Da wird viel sinnlos und nichtig, was uns vorher so wichtig erschien. Da wird uns wahrhaft „klein das Kleine“, und das echt Große erweist sich als wirklich wichtig, denn groß und wichtig ist nur das, was vor Gott besteht. Und der Blick in die Ewigkeit ruft uns zu für dieses Leben: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!“ Nur die Überwinder gewinnen das ewige Leben. Nur wer hier die Verbindung mit Jesus hat, der wird sie auch in der anderen Welt haben! Wer sind sie, die Überwinder, fragt unsere Epistel. Die aus großer Bedrängnis kommen, die durch das Opfer Jesu für Ihn und von Ihm gewonnen für die Ewigkeit! Sie müssen es nicht leichter haben als andere. Aber sie werden nicht ersticken und verzweifeln unter den Nöten und Rätseln dieses Lebens. Sie wissen: Ich bin geborgen im Herrn. Ich, mit allen meinen Nöten und Fragen, gehöre zu dem Auferstandenen. Da ist die Lösung. Da bin ich ganz ruhig, denn ich bin Sein, und Er ist mein! Uns kann kein Tod nicht scheiden! So gehören sie zusammen: Zeit und Ewigkeit, menschliche Unruhe und Ruhe in Gott. So verstehen wir den Sehnsuchtsruf des „Wandsbecker Boten“, Matthias Claudius:

„Hier ist Vorplatz nur, spät oder frühe geh’n wir alle weiter ein. Und es lohnt sich wahrlich nicht der Ruh, lange hier zu sein. O du Land des Wesens und der Wahrheit, unvergänglich für und für, mich verlangt nach dir und deiner Klarheit, mich verlangt nach dir!“ Amen.    

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