Gottesdienst am 2. Advent, 6.12.98

in der Stephanuskirche Deilinghofen;

Predigt Matth. 24, 1-14

Orgel/Abkündigungen/Lied von Jochen Klepper: Die Nacht ist vorgedrungen (eg 16, 1-5)

Im Namen.../Unsere Hilfe... Liturgie nach Burkhard Heim, "Beten im Gottesdienst", braune Mappe, S. 8 und 9 - dort auch das Fürbittengebet. Heim folgen wir bis "Lesung":

In der Evangelienlesung hören wir jetzt schon gleich den vorgeschriebenen Predigttext des heutigen 2. Advent, den Text, der gleich der Predigt zugrundeliegt. Wir hören Matth. 24, 1-14:

1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.

2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?

4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, daß euch nicht jemand verführe.

5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.

6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muß so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da.

7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.

8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von allen Völkern.

10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen.

11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.

12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.

13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.

14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Glaubensbekenntnis und Lied vor der Predigt (O Heiland, reiß die Himmel auf, eg Nr.7, 1-7)

 

 

Predigt zum 2. Advent: Matth. 24, 1-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde! Den für heute vorgeschlagenen Predigttext haben wir nun ja schon vom Pult aus gehört. Ich lese hier noch einmal die wichtigsten Verse aus Jesu Endzeitrede in Matth. 24:

Seht zu, daß euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muß so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von allen Völkern. ... Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Liebe Gemeinde! "Am 30.Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang!" Die Älteren oder "Mittelalterlichen" unter uns kennen sicherlich Text und Melodie dieses karnevalistischen Schlagers, in dem spöttisch-gruselig das Ende der Welt besungen wird. Und es soll ja Menschen geben, die am 31.5. jedesmal wieder heimlich aufatmen - "war wieder mal nix mit dem 30.5. und dem Weltuntergang!" Ja, "Am 30.Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang!" - das ist ein Spottlied und beileibe kein Adventslied, kein Lied für den heutigen 2. Advent.

"Aber", so fragen wir, "ist denn so ein Weltuntergangs-Bibeltext wie der eben gehörte aus Matth. 24 überhaupt ein sinnvoller Adventstext!?

Das ist kein schöner Text, das gebe ich zu! Zu Advent wollen die Leute was Andres hören - jetzt, in der Zeit der vielen warmen Lichter, der besinnlichen Feiern. Würde ich heute nachmittag beim Kirchenchor-Advent im Martin-Luther-Haus zum Kaffee und Kuchen was so Krasses vom Ende der Welt sagen, dann würden 90 % derer, die da sitzen, auf mich böse sein oder mich einen Spinner nennen und sagen: "Pastor, nicht so negativ, wir singen viel lieber beschaulich: 'Süßer die Glocken nie klingen!' Und bei uns der Nikolaus, der hat auch keinen Knecht Ruprecht mit Rute dabei - die Zeiten der Angstmacherei sind passé!"

Jedenfalls - eins ist klar: Unsere berechtigten und unberechtigten Vorweihnachtsgefühle werden da jäh unterbrochen - statt weichem Stutenkerl gibt es da zähes Brot, an dem man sich die Zähne auszubeißen droht, mag mancher denken. "Zähes Brot" gibt's da, so kann man es umschreiben, und die Rute gibt es da - so könnte man es auch sagen. Advent hier jedenfalls - ganz anders als gewohnt: da kommt kein kleines Kind, da kommt ER zum zweiten Mal, zu Seinem "Zweiten Advent" - "von dort wird ER kommen zu richten" - und da ist gar nix mit unseren Gefühlen und warmen Lichtern und beschaulich-leisen Tönen, da klingt das, was Jesus sagt, eher wie eine durchdringende Sirene, die man lieber überhört, weil sie sehr unangenehm durch Mark und Bein geht. Ja, liebe Gemeinde, dazu gehört, daß manche, die solch eine Endzeitrede hören, da heftige Anfragen dran haben: Wie kann man solche Worte als Mensch von heute überhaupt verdauen!? Singt da Jesus - nur mit seiner Melodie - auch genau so ein schaurig-gruseliges Weltuntergangslied mit dem Refrain: "Wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang"?! So werden auch hier sich welche fragen.

Liebe Gemeinde, viele von uns wissen: Es hat zu allen Zeiten immer wieder religiöse Sektierer, Spinner und Schwärmer gegeben, die mit Wollust (angeblich) christliche Weltuntergangsmelodien in die Welt hinausposaunt haben. Das war und ist ihre Taktik und ihr Geschäft, und um Seelen zu fangen und zu werben, betrieben und betreiben sie ihr Geschäft mit der Angst. Sie schrecken nicht davor zurück, sogar Zeit und Termin, Tag und Stunde des Weltuntergangs genau zu berechnen und anzugeben. Solche Berechnungen gab's zu allen Zeiten. Und fanatische Sekten, in denen so etwas berechnet wird, gewinnen grade in letzter Zeit enorm an Boden: das Geschäft mit der Angst boomt - in dieser Krisenzeit vor dem Jahrtausendwechsel.

Ich sah gestern mal im Internet nach, was da alles drin ist im Netz der Netze zum Stichwort "Weltuntergang": viele Hunderte von Seiten - Altes wird da auch dutzendfach neu aufgelegt, nicht nur von Zeugen Jehovahs und ihrem Fahrplan bis zum Weltende, sondern von anderen auch , die - nur um ein Beispiel zu nennen - die esoterischen Erkenntnisse eines Nostradamus aufnehmen, der in seiner Zeit gemeint hatte, 1999 sei Schluß mit der Welt. "Wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang!"

Und dicht daneben, liebe Gemeinde, viel viel seriösere Auseinandersetzungen mit dem Zustand unsrer Welt und ihrem möglichen Ende. Ich denke - um nur zwei Beispiele zu nennen - an das bemerkenswerte Sachbuch des bekannten Rundfunkjournalisten Hoimar von Ditfurth, seinen Bestseller mit dem Titel "So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen", in dem von Ditfurt zeigt, daß unser Globus quietscht und eiert und dazu aufweist, wie stark er an den von Menschen gemachten Problemen und globalen Sünden zugrunde zu gehen droht. Ich denke an den bekannten Roman "Die Rättin", von Günter Grass: da wird auf 505 Seiten der Untergang der menschlichen Rasse beschrieben. Da wird aus der Sicht des Erzählers geschildert, wie der Mensch sich durch seine Allmachtsphantasien zugrunde richtet, und wie der menschliche Turmbau zu Babel, dieser Wahnsinnsturmbau des früher sog. Fortschritts sein jähres Ende findet beim "Großen Knall", wo dann (wie Grass sehr plastisch beschreibt) die Ratten dann noch besser dran sind als die Menschen - und dann am Ende verlassen sie als letzte das sinkende Schiff...

Und wer das alles im Hinterkopf hat und von da auf unsern höchst merkwürdigen Adventstext aus Jesu Endzeitrede Matth. 24 mit Verstand zu hören bereit ist: der hat da natürlich Fragen! Ist Jesus so was wie der Nostradamus - ist er ein Fahrplandenker wie so ein Zeuge Jehovahs!? Ist das, was Jesus da voraussagt, nicht möglicherweise pure Angstmache und Panikgeschüre, wenn da die Rede ist von Kriegen und Kriegsgeschrei, Hungersnot und Bedrängnissen, in die auch Christen kommen werden, wenn dann die Liebe zuletzt bei vielen erkaltet. Sollen die Christen etwa nach Jesu Willen hypnotisiert - wie das Kaninchen vor der Schlange - aufs Ende stieren und sich da an dem Katalog der Schrecken vielleicht sogar noch weiden (in der stillen Freude: "Und die Bibel hat doch recht")!? Ja, ich kenne solche, die richtig die endzeitlichen Programmpunkte durchchecken und sozusagen schadenfroh-genüßlich ein Häkchen dranmachen: Kriegsgeschrei immer größer, haben wir, Hunger global, haben wir, Erdbeben und Naturkatastrophen haben wir in zunehmenden Maß, erkaltete Liebe auch abzuhaken; und dann kann es ja losgehen... Wer's so versteht, hat Jesus falsch verstanden, ganz gewiß! Das ist keine genüßlich oder gruselnd zu lesende Enthüllungsstory über die Endzeit am Abend der Welt! Wer's bloß so versteht, als gruselig-fromme Enthüllungsstory, der ist keinen Deut besser als jene jenseitssüchtigen fanatischen Sekten, die Angst verbreiten mit ihren berechnendenn Enthüllungen und sogenannten Offenbarungen, mit denen Seelen gefangen werden. Und, liebe Gemeinde, vor falschen Christussen und Seelenfängern und Sektieren wird ja ausdrücklich gewarnt, gerade mitten in unserem Text! Vor falsch verkündigten Christussen warnt Jesus da in Matth. 24 in großer Nüchternheit, in diesem Kapitel, in dem wohlgemerkt auch später die ganz und gar nüchterne Warnung Jesu steht, Zeit und Stunde sei nicht zu berechnen, den Termin des Weltendes wisse nicht einmal der Menschensohn; das sei Gott allein vorbehalten!

Nein, liebe Gemeinde, Jesus geht es um was Anderes, um was Nüchternes und Realitätsnahes: darum daß seine Leute wach sind und wach bleiben und "Zeitzeichen" als Christen verstehen: daß sie die Zeichen der Zeit wahrnehmen, ohne falschen Illusionen auf den Leim zu gehen. Und in dieser echten Glaubenshaltung in einer Welt, die nicht ewig ist, die durch Menschenschuld und Gottes Gericht tatsächlich unterzugehen droht, tätig zu bleiben und auf den zweiten Advent des Jesus Chriistus tätig hinzuhoffen und hinzuwirken - darum geht es Jesus! --- "Sehet zu, daß euch nicht jemand verführe!" So sagt es Jesus da - illusionslos und nüchtern - in Matth. 24. M.a.W.: "Leute, wenn Euch die Ohren dröhnen vor lauter Kriegsgeschrei, Erdbeben, Katastrophenmeldungen, Glaubenszweifeln und Haß gegen das Christentum, grade dann wundert euch nicht! genau dann bleibt bei der Fahne! Laßt euch in jener Prüfungszeit, in der die bodenlose Ungerechtigkeit erschreckend zunimmt und überhand zu nehmen droht, nicht zu, daß unter meinen Leuten die Liebe erkaltet, wie's dann Mode wird. Nein, beharrt bis ans Ende - bleibt bei der Stange, in unerkalteter Liebe! Wer so lebt und nicht kapituliert, der ist und bleibt selig - und allein der kann als Christ darauf hoffen, daß am Ende nicht der 'Große Knall' kommt, der alles sinnlos macht, nein, daß am Ende mein endgültiger Advent steht: mein Reich von dem Ihr im Vaterunser betet: Dein Reich komme!"

Niemals ist das, was Jesus meint, ein Aufruf zur Tatenlosigkeit, kein hypnotisiert-angstvolles Stieren auf die Schlange. Nein, was Jesus verkündet, ist ganz und gar gespeist aus der Adventsbitte des Vaterunsers, die heißt: "Dein Reich komme und dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf der Erde!" Das steht bekanntlich in der Bergpredigt Matth. 6, und hier in unserm Text - 18 Kapitel weiter, da geht's um die gleiche große Erwartung und Sehnsucht echten Glaubens: daß im Wissen um Gottes Reich, das kommt, hier schon in einer kaputten und gar nicht ewigen Welt Gottes Wille sich durchsetzen soll durch Menschen, die hoffen auf Christi Zweiten Advent und auf sein Reich.

Vorgestern noch erinnerte mich ein hier wohnender Lehrer dran, daß es schade ist, daß unsere Grundschule nicht mehr (wie früher) Bodelschwingh-Schule heißt und daß dort nur noch das Bild des alten Bodelschwingh hängt. An diesem Mann kann man sich nämlich viel von unserm Adventstext klarmachen: der lebte das, was hier gemeint ist! Ja, Friedrich von Bodelschwingh und seine Stadt der Barmherzigkeit, Bethel bei Bielefeld: das war zumindest im vorigen Jahrhundert solch ein hier gemeintes Erkennen der Zeichen der Zeit! Heute gibt’s da noch über 7000 Bewohner: Gesunde, Anfallkranke, körperlich und geistig Gehandicapte - alle nebeneinander, in Bielefelds Stadtteil der Barmherzigkeit. Und all das gäb es nicht, wenn da am Ende des vorigen Jahrhunderts nicht einige Christen aufgewacht wären aus ihrem normalen Kirchenschlaf, wenn sie nicht "erweckt" worden wären und neu mit dem wiederkommenden Christus gerechnet hätten, mit >Seinem Zweiten Advent, und wenn sie nicht aus dieser Haltung heraus gebetet hätten: "Dein Reich komme, und dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!" Und diese Erweckten da der Erweckungsbewegung um Bielefeld herum, die wußten felsenfest: UNSER HERR KOMMT, sein Advent ist nicht nur ein feierlicher Teil des Kirchenjahrs. Und weil er kommt und das Sagen hat, deshalb ist ihm Bahn zu machen in jener brutalen Welt und in jener lauen Kirche der erkalteten Liebe. Und so haben sie Heime gebaut für die schlimmste Randgruppe jener Zeit, für die Fallsüchtigen, und sie haben diesen Pfarrer Friedrich Bodelschwingh als ihren Pfarrer gewählt, ihn, der direkt davor in Dellwig bei Fröndenberg mehrere seiner eigenen Kinder verlor an Stickhusten, ihn der nun sagte: jetzt erst recht! Meine Liebe zu Jesus soll nicht erkalten, nein, meine Liebe soll zu den Verachteten, auch zu denen die wir heute Penner nennen, die er "Brüder der Landstraße" nannte. Meine Liebe soll die Außenstehenden erreichen, "sie sterben sonst darüber": das war Bodelschwinghs Triebkraft: Jesu Liebe muß in die Welt zu den Leuten: "Sie sterben sonst darüber!" Die Nacht ist vorgedrungen, es ist höchste Zeit, daß die Gute Botschaft vom Reich, die Adventsbotschaft von IHM, der im Kommen ist, unter die Leute muß. Was bei Bodelschwingh galt, wieviel mehr muß das heute gelten: daß da unter uns die Menschen - Junge wie Alte - in einer vergehenden und kaputten Welt nicht dem Verlorenwerden überlassen bleiben, sondern in die Gewißheit hineingezogen werden: in unserm Elend hat nicht der Große Knall das letzte Wort, sondern er, der adventlich kommen wird! Genau so schrieb es der Widerstandskämpfer und Christ Dietrich Bonhoeffer in der Adventszeit 1942, drei Jahre vor seinem Märtyrertod - und das, was er schreibt ist abschließend eine gute Interpretation unseres Endzeittextes heute:

"Es gibt Christen, die glauben an das Chaos und an die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation und frommer Weltflucht der Verantwortung. So soll es nicht bei uns sein. Mag sein, daß der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gerne die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht."

Und so sagt's uns Jesus im Text heute auch:

"Laßt euch nicht verführen. Wer in unerkalteter Liebe beharret bis ans Ende, der wird selig!" Sein Reich komme, sein Zweiter Advent! Amen

Lied nach der Predigt: Aus Macht hoch die Tür (eg 1) die Strophen 3 und 5


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