Predigt über Matth. 21, 28-32 am 11. So. nach Trin., 7.8.2005, in Hüsten und Holzen
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Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde hier in Hüsten/Holzen, im Jahr 1930 war es, da brachte der große deutsche Dichter Bertold Brecht ein Theaterstück heraus mit dem Titel: „Der Ja-Sager und der Nein-Sager“. In einer sehr dramatischen Geschichte, die auf eine uralte japanische Sage zurückgeht, werden da nacheinander zwei Reisen von zwei Jungen, zwei Schülern, erzählt: Die machten Expeditionsreisen durch die Berge des Ostens. Das waren so wissenschaftliche Forschungsreisen, denen sich die Jungen angeschlossen hatten, um medizinische Hilfe jenseits der Berge für ihre schwerkranke Mutter zu holen. Beide Jungen werden mitten auf der Expedition schwerkrank. Der erste, der JA-Sager, lässt es zu, dass nach jenem östlichen uralten Brauch, nach den angeblich geheiligten Traditionen, die Expedition ihn, den Schwerkranken, dort im Gebirge das Tal runterstürzt und ermordet. Der zweite, der NEIN-Sager in der gleichen Geschichte, lehnt sich an diesem Knotenpunkt seines Lebens rebellisch auf: Er will nicht sterben. Er will, dass sie ihn zurückbringen und er Hilfe bekommt. Er kündigt das Einverständnis in den althergebrachten Brauch, in die alte Tradition, auf und sagt NEIN. Der NEIN-Sager hinterfragt also die Tradition, und er sagt zu seinen Begleitern in diesem Brecht-Stück den ganz zentralen Satz: „Wisset, wer A sagt, der muss noch lange nicht B sagen, er kann auch erkennen, dass A falsch war“.

Ein typisches Lehrstück des Dichters Bertold Brecht, der ja selbst einer der größten Hinterfrager von Traditionen und vorgegebenen angeblichen Werten war. Und dieser Brecht war wirklich so ein NEIN-Sager par excellence, ein Provokateur, der die größten von Menschen gemachten Ideale aus Himmelssphären runterzog und radikal „auf die Schüppe“ nahm. Und was da in seinem JA-Sager und NEIN-Sager so zentral vorkommt, das war „Brecht pur“: „Wisset, wer A sagt, der muss noch lange nicht B sagen, er kann auch erkennen, dass A falsch war“.

Liebe Gemeinde, wenn ich heute morgen Bert Brecht in dieser Predigt Jesus an die Seite stelle, dann scheint das auf den ersten Blick an den Haaren herbeigezogen und ziemlich willkürlich zu sein. Trotzdem tue ich’s – mit Bedacht, denn – wissen Sie! – heute morgen wird in der Mehrzahl der deutschen Kirchen über den „Ja-Sager und den Neinsager“ gepredigt, über die Geschichte, wie sie nicht Brecht, sondern Jesus sie erzählte. Und es handelt sich bei diesem kleinen Jesus-Gleichnis um eine recht unbekannte Geschichte des Neuen Testamentes, die in Matth. 21, 28-32 steht; ich lese den für heute vorgeschriebenen Predigttext:                           

Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die  Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so dass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.

Liebe Gemeinde, manchmal tut man so, als sei „JESUS“ für uns eine bekannte Größe, die man im Griff hat: eben ein Name, der so eine Art „Dauer-Füllwort“ in frommen Reden darstellt, ein christlicher Traditionsbestand, der dazugehört und nicht weiter weh tut. Eben „Jesus“, ein sanftes Schmusewort, weich wie ein Wattebausch. Aber schon beim vorgeschriebenen Predigttext des vergangenen Sonntags (einige erinnern sich), bei der Geschichte von der Tempelreinigung, da wurde uns unübersehbar, wie wenig „schmusig“ dieser Jesus da wirklich ist, mehr noch: wie nah er uns tritt, und wie weh das tut, wenn er uns nah kommt und auf die Füße tritt. Und ganz sicherlich gilt: wenn er uns nicht mal ganz „nah gekommen“ ist, so nah, dass er uns sogar schon mal schmerzhaft und derbe auf die Füße getreten hat, dann haben wir von dem Jesus, den das Neue Testament beschreibt, der damals gelebt hat und der heute und in Ewigkeit in der Kraft des Geistes lebt und regiert, noch kaum was verstanden.

Die heutige Gleichnisgeschichte ist zusammen mit der Tempelreinigung vom vorigen Sonntag das provokatorisch-deutlichste Beispiel dafür – denn beidesmal ist Jesus gar nicht Schmusewolle, da ist er Anrede, Anspruch und Anmache, alles drei in einem.

Seine Hörer damals und uns nimmt er geschickt in seinen  rein: „Was meint ihr aber“, sagt er, was soviel bedeutet wie: „Kennt ihr doch – oder??!“ Ja, Jesus, das kennen wir, möchten wir sagen, oder wir können’s uns jedenfalls lebhaft vorstellen… Denn wer kennt das als Eltern nicht, dass es eine Sorte von Kindern gibt, die, um einen Gefallen gebeten, immer gerne JA sagen und sich nach vorne „lieb Kind machen“, und sich dann umdrehen und überhaupt nix tun. Wohingegen bei „Nein-Sage-Kindern“, die sich immer wieder sperren, oft viel mehr zu holen ist…

Wer kennt sie nicht, die Kinder in der Schule oder im kirchlichen Unterricht, die nach vorne immer so lieb tun und ganz ohne Probleme JA sagen ohne Ecken und Kanten: „Jawohl, Herr Lehrer, jawohl, Herr Pastor“, und wo man erst beim dritten Hinsehen merkt, dass das JA bloß leere Hülse ist mit gar nichts hinter außer Höflichkeit, während die Sperrigen, manchmal die größten Rabauken, die eckig und kantig sind, die bockigen Nein-Sager, in Wirklichkeit meistens die sind, wo sich im Hintergrund wirklich was Fruchtbares abspielt…

Das könnte man lange weiterführen – auf vielen Gebieten: Es kann geschehen in bestimmten Seelsorgesituationen, dass sich die größten Zweifler als die frommsten und gläubigsten herausstellen und die, die ewig JA gesagt haben, als die im Glauben hohlsten und als Heuchler.

„Was meint ihr aber?“ fragt Jesus: „Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zum ersten: Geh hin und arbeite in meinem Weinberg – Antwort: „Nein!“

Reaktion der Hörer damals und heute, auf den ersten Blick; „Schlimm, wenn einer den Vater so abfahren lässt, unerhört und ungezogen!“

Doch damit hat Jesus uns schon lange in die Geschichte verwickelt. Das ist ein Super-Predigtanfang in seiner Gleichnisgeschichte, denn er hat uns soz. eine „falsche Fährte“ gelegt. Und wir müssen dann hören, dass genau das, was wir unerhört und ungezogen finden, in seiner Geschichte nach Jesu Sicht eine völlig neue Pointe kriegt.

Denn genau da ist Jesus mit Brecht einer Meinung: Wer A sagt, muss noch lange nicht B sagen, er kann auch lernen, dass A falsch war – und genau darum geht’s: um die heilsame Inkonsequenz des Neinsage-Sohns, der so sperrig und eckig er sich gibt, auf eigenen Wegen sich deutlich zum Willen des Vaters bekehrt und an die Arbeit kommt, während der andere, der sich lieb Kind macht und „Ja, Vater“ sagt, in all seiner Bravheit ein Faulpelz und Lügner bleibt – mit gar nichts dahinter.

Und, liebe Gemeinde, wenn man Jesus und Brecht nun wirklich vergleicht, in ihren beiden Geschichten von Ja- und vom Nein-Sager, dann ist’s beidesmal ein provokatives, herausforderndes Riesenlob, das jedes Mal grade der Nein-Sager kriegt, der den Mut hatte, durch sein Nein hindurch den Weg zur richtigen Entscheidung selbst zu bahnen.

Doch bei Jesus freilich, da ist’s mehr – viel mehr sogar, da ist’s, wie ich sagte, Anrede, Anspruch und Anmache, alles drei in einem. Und wenn jemandem da das Wort Anmache nicht passt, weil es doch zu obszön und schweinisch klingt, dann mag der nur mal in unseren heutigen Predigttext reinsehen, wo da Jesus nach den Ohren von gutbürgerlichen kirchenfrommen und synagogenfrommen Menschen noch viel obszönere Worte sagt: „Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr!“ So steht’s da. Und Jesus erklärt uns, dass eben die Allerunreinsten, der letzte Dreck der damaligen Gesellschaft, bei Johannes dem Täufer sich bekehrte zum Teil und ein neues Leben begann, während all die Saubermänner und Ja-Sager der Gesellschaft in der Mehrheit zu Gott de facto NEIN sagten– jene Leute, die es damals nicht haben konnten, dass auch Jesus mit Zöllnern und Huren an einem Tisch saß und mit ihnen im Blick auf das Reich Gottes mehr anfangen konnte als mit all den Saubermännern, die sich ach so fromm und traditionsbewusst geben.

Nun freilich, liebe Gemeinde, hat dieses Gleichnis (wie alle Jesus-Gleichnisse) den Clou, dass es mich nicht die Welt in zwei Gruppen einteilen lässt, die „Lieben“ und die „Bösen“, wo ich dann immer zu den „Lieben“ gehören darf, sondern dass mich Jesus in dieser Geschichte selbst „anmacht“, mir selbst den Spiegel vorhält – und dann wird aus Anmache Anrede an mich, dann wird daraus Anspruch an mein Leben.

„Du bist gemeint!“ heißt das. Du mit deinen 1000 Neins, und durch deine Zweifel, Anfechtungen und Ungehorsamkeiten hindurch: Sohn (oder auch: Tochter), fang neu an, tu was, in meinem Geist, im Weinberg Gottes, dass da Frucht entsteht. Komm auf den Weg zum ganzen JA, dring durch zum klaren JA, und wenn’s schon Huren, Zöllnern und anderem Pack gilt mit ihrem Dreck, dann gilt’s auch – Gott sei Dank! – Dir für deinen eigenen Dreck!

Lass dich nicht abschrecken von denen, die bei Jesus-Sachen brav tun und Zweifel nicht zeigen, und offenbar als „Lieb-Kind-Mach-Typen“ einleichtes JA auf den Lippen haben.

„Du bist gemeint!“ heißt das, der Clou im heutigen Gleichnis, auch du JA-Sager bist gemeint – auch ich als Ja-Sager zum Glauben bin gemeint, wo ich manchmal als professioneller Christ andere bekehren möchte, aber selber oft den anderen im Weg stehe, dass sie durch mich gar keine Chance kriegen, Ja zu Jesus zu sagen.

So ist das Ende dieser Predigt gleich ein stilles Gebet - jeder und jede hier für sich. Dass wir da nachdenken vor Gott, wie es bei mir ist mit meinem JA zum Glauben und mit dessen Konsequenzen und Früchten in Gottes Weinberg.

Wer da zu uns im Gebet gleich Ja sagt wie der Nein-Sage-Sohn am Ende, dem wird’s zum großen Segen werden und dem wird’s dazu treiben, dass auch nach dem Gottesdienst außerhalb dieser Kirche von Gottes JA was weitergegeben wird. So dass hier um dieser Kirche in Hüsten/Holzen dann Gottes Weinberg wächst, blüht und gedeiht – und auch Nein-Sage-Leute in ihren Anfechtungen merken, dass die Gemeinde Jesu noch lange nicht am Ende ist – eben weil dieser provozierende Jesus an uns arbeitet und mit uns – Gott sei Dank! – noch nicht am Ende ist.

Wir beten in der Stille, jeder für sich [GEBET]. Und der Friede… Amen    

 

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