Predigt Lukas 17, 20-25 am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr,
dem 7. November 1999, in der Deilinghofer Stephanuskirche

Vor der Predigt haben wir „Gott liebt diese Welt“ gesungen, das Lied, von dem die vorletzte Strophe am Schluss der Predigt vorkommt. Es war insofern eine besondere Gottesdienstsituation, als im Sonntagvormittagsgottesdienst eine kirchliche Trauung stattfand: mein Ex-Konfirmand Stefan Riediger (heute 29) ließ sich nach der Predigt mit seiner Frau Cornelia Riediger trauen, und danach wurde ihr Sohn Henry getauft. Ein anderes Doppel-Ereignis kam dazu: die Zwillinge der Eheleute Köhling, die unter sehr dramatischen Bedingungen auf die Welt gekommen waren (siehe unten), wurden zur Taufe gebracht.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit Euch, den Tauffamilien, und mit Euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde, wir hören an diesem besonderen Tauftag dreier kleiner Kinder und dem Trautag von Stefan und Cornelia auf den Predigttext, der an diesem drittletzten Sonntag im Kirchenjahr als Evangeliums-Lesung vorgeschrieben ist; da heißt es in Lukas 17, 20 bis 25:
 
 
Als er, Jesus, aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Liebe Gemeinde! „Was kommt dann?“ Ungefähr das ist ja der Inhalt der Frage, die da – wie gelesen – die Pharisäer an Jesus richten. Und um dieser Frage: „Was kommt dann?“ auf die Spur zu kommen für uns hier, fange ich mit zwei Erlebnissen aus der zurückliegenden Woche an: mit zwei Erlebnissen am Frühstückstisch.

Erstens Mittwochmorgen – da sitzt an jenem Frühstückstisch, ihr Nutella-Brötchen kauend, unsere 5jährige Friederike, die ein eigentümliches Problem beschäftigt, als ihr Blick da auf den Kalender fällt, der an ihrem Platz hängt: „1999“ entziffert sie, das kann sie sozusagen schon lesen, doch dann ihre Frage: „Mama, was kommt da-hann? Da ist doch irgendwas anders, sagen alle Leute, wenn es nicht mehr 1999 heißt?“

Zwei Tage später am Freitag noch mal „das gleiche in grün“ am selben Tisch beim Frühstück: Martin mit seinen acht Jahren greift das Problem seiner keinen Schwester auf und sagt zu mir: „Weißt du, ich find’ das voll doof,  dass die Erwachsenen alle so ein Theater um das Jahr 2000 machen überall, auch im Fernsehen; merken die denn nicht, dass das nur eine Zahl ist, die sich verändert?“

Wir alle, liebe Gemeinde, sind sicher geneigt, diesem kleinen Jungen aus dem dritten Schuljahr, der jenes Theater „voll doof“ findet, „voll recht“ zu geben. Und doch habe ich da so meine leisen Zweifel – und gebe ehrlich zu, dass mich das mit dem zu Ende gehenden Jahrtausend (ohne alles falsche Theater) doch nicht so ganz kalt lässt... Denn viele Probleme, die ich sehe, die sehen meine acht- und fünfjährigen Kinder - Gott sei Dank! - noch nicht. In ihrer kindlichen Unbeschwertheit wissen sie ja auch nicht, was Große manchmal im November schwer auf dem Herzen haben, wenn bei den kürzer werdenden Tagen der Volkstrauertag und der Totensonntag an schwerwiegende Erfahrungen von Abschieden und von Abgründen von Schuld erinnert. Und so ist es auch mit dem zuende gehenden Jahrtausend: „drittletzter Sonntag im Kirchenjahr“ sagte ich eben, also noch zwei Sonntage in diesem Kirchenjahr, die zu „Neunzehnhundertund...“ gehören – und wer sollte da nicht fragen: „Was kommt dann?“

Wenn ich die Frage: „Was kommt dann?“ hier an einem Tauftag aufgreife, dann muss ich an drei Stunden eines intensiven Taufgesprächs mit meinem Exkonfirmanden Stefan Riediger und seiner Frau Cornelia denken am Donnerstagabend, als wir uns gefragt haben: „Was wird aus diesem kleinen Henry, der als Kind des 21. Jahrhunderts bestehen muss?“ Und genauso im nicht weniger intensiven zweidreiviertel Stunden langen Taufgespräch vorgestern Abend, als wir an die Zwillinge von Köhlings dachten, an die noch ganz kleinen Winzlinge Sophie und Jonas: „Wie kriegen die eine Grundlage, eine Unterlage für’s Leben mit, dass sie in den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen können?“

Und noch mal in einer neuen Variante, in die gleiche Richtung gehend, die Frage: „Was kommt dann?“: Im Oktoberheft der bekannten Zeitschrift ELTERN wurde eine Riesenumfrage unter 2087 Schülern veröffentlicht, denen die Frage gestellt wurde, was die Zukunft nach dem Jahr 2000 bringe, über 80 % von denen war der Meinung: größere Arbeitslosigkeit. Und da kam darüber hinaus dann beides vor, die typischen Hoffnungen und die ebenso typische  Befürchtungen: Große Hoffnungen setzen die Kinder in den technischen Fortschritt. Was den angeht, meinte eine Zwölfjährige: «Ich glaube in der Schule der Zukunft braucht man nicht mehr zu lernen. Für alles hat man einen Kleincomputer in der Tasche. Rechnen, übersetzen, Aufsatz schreiben, etwas nachschlagen - alles macht der Computer.» Und ein elf Jahre alter Grundschüler hofft: «Die Handys entwickeln sich so stark, dass man sogar mit dem lieben Gott telefonieren kann.» Doch die Sorgen der Kleinen überwiegen in der Umfrage: 62,8 Prozent erwarten einen Atomkrieg, 41,3 Prozent einen neuen Hitler und 26,5 Prozent höhere Drogengefahr. Nur ein Drittel der Schüler blickt mit Vertrauen in die Zukunft.

Ja: „Was kommt dann?“ Und wem hier, liebe Gemeinde, muss ich das sagen, dass gerade jetzt zum Jahrtausendwechsel viele religiös überdrehte Menschen das Ende der Welt erwarten. Viele, viele Hunderte von Seiten gibt es im Internet, wo Weltuntergangspropheten damit drohen, dass im neuen Millennium nach 2000 die alte Welt untergegangen ist, und manche sagen, danach kommt Gottes Reich mit Macht, und sie wollen’s berechnen, die Klugscheißer, und da gebe ich doch lieber dem Martin recht, der mit seinen acht Jahren vorgestern morgen einwarf: „2000, das ist doch nur eine Zahl...“ Doch genau in die gleiche Richtung geht unser Predigttext aus Lukas 17 – mit jener Pharisäerfrage: „Was kommt dann?“, die da in unserer Geschichte etwas anders ausgedrückt wird: dass er, Jesus, aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?

Da bleibt es offen, ob das eine drängende echte Frage ist, die sie ihm stellen, oder ob es eine verführerische Frage, eine Falle, ist, diese Frage nach seinen Zukunftsprognosen, die die Pharisäer dort an Jesus richten: Wollen sie ihn auf einen Termin festnageln, den er sagt, und damit mal wieder aufs Kreuz legen?

Jedenfalls die Antwort, die ist typisch Jesus, typisch Jesus, der sich nicht in die Liste der Zukunftsweissager einspannen lässt, er ist nicht so einer wie Nostradamus und die anderen selbsternannten Zukunftsberechner, wie sie jetzt Hochkonjunktur haben!
Zeit und Stunde weiß niemand, das hat er an andrer Stelle oft gesagt, auch nicht der Menschensohn, und hier in der Szene mit den Pharisäern in Lukas 17, da kommt das noch ganz zugespitzt raus – wenn Jesus da sagt, wie es von ihm aus ist, mit dem erbetenen Reich, das kommen soll, wie er’s im Vaterunser betete, und mit dem „Reich und der Kraft und der Herrlichkeit in Ewigkeit“, er sagt von diesem Reich: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Man geht nicht fehl, denke ich, wenn man das so versteht und nach heute übersetzt: Leute, macht euch nicht verrückt, macht euch keine Gedanken, wie im Einzelnen es kommt, das verheißene Reich Gottes; hört auf, es berechnen und beschreiben zu wollen mit euren schönen oder schrecklichen Prognosen, was die Zukunft bringt. Und seht stattdessen, wo es entscheidend drauf ankommt: Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Das heißt: Hier, hier fängt Gottes Reich an, hier, in mir ist im Verborgenen Gottes Reich mitten unter euch, wo in meinem Namen ihr euch neu auf Gott einlasst! Ja, merkt auf, dass hier und jetzt was anfangen kann: siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils (wie es der Wochenspruch dieser Woche sagt).

Und zugespitzt heißt das, mit dem Mottowort unserer viertägigen Evangelisation der vergangenen Woche gesagt: „E – C – D; Entschieden Christ sein in Deilinghofen“, also: sich bewusst neu auf Jesus einlassen, der mitten unter uns ist und uns zum Glauben bringen will: das ist ein Stück von Reich Gottes, hier mitten unter uns. Und mehr noch: diese drei Kinder hier heute in seinem Namen taufen, ihnen die Chance geben, dass sie mal Jesus als ihren Heiland finden und einen Glauben kriegen und (auch ohne Handy zu Gott ;-) ) vom lebendigen Beten was erfahren, so wie wir es in beiden Taufgesprächen zum Thema hatten: genau das ist ein Stück vom Reich Gottes hier mitten unter uns! Und wenn gleich mein Exkonfirmand bei der Trauung mit Cornelia am gleichen Altar wie damals bei der Konfirmation 1984 „Ja“ sagt, „Ja“ sagt auch zu einem Leben mit Jesus, dann kann das eine Weichenstellung sein für alle drei, wo etwas vom Reich Gottes mitten unter unsist, genau wie Jesus es in Lukas 17 sagt!

Und die Zwillinge Sophie und Jonas erst recht... Da habe ich in meinem ganzen Leben noch nie eine so dramatische und auch schöne Geschichte gehört, die Eltern vor der Geburt ganz intensiv erlebten: dass Christoph und Sandra da unbeschreiblich dafür kämpften, überhaupt Kinder zu kriegen, und dann zuletzt sah alles total hoffnungslos und zum Verzweifeln aus, mit diesen beiden Frühchen und der Mutter in Todesgefahr – bis dann Gott alles zum Guten wendete, und diese beiden Riesengeschenke den Eltern auf den Arm gab, was beide aus seiner Hand nehmen als größtes Wunder ihres Lebens. Sollte da die Taufe jetzt nicht erst recht heißen: Etwas von Jesus, etwas vom Reich Gottes hier mitten unter uns?

Gewiss, all die Gefahren, die auch im Zusammenhang mit dem Jahr 2000 eingangs anklangen, die sind ja real, und es gibt durchaus Weltuntergangsängste, die nicht aus der Luft gegriffen sind. Aber wer von Jesus was weiß, also vom Reich Gottes mitten unter uns, der ist gehalten!

„Auch wenn morgen die Welt unterginge, pflanzte ich heute mein Apfelbäumchen“, soll angeblich Luther gesagt haben. Und dem Sinn nach hat er so gelebt aus Glauben. Und genauso kann man heute leben: dass man weiß, Gottes Reich, das ist hier schon, wo man sich von diesem Jesus Christus, zu dem man beten kann, gehalten weiß. Und dann mag die Welt untergehen, dann weiß man für das Danach von Gottes Reich und von unsrer Eingangsfrage: „Was kommt dann?“ genau so viel, wie wir eben gesungen haben: Gott liebt diese Welt, er wird wiederkommen, wann es ihm gefällt, nicht nur für die Frommen, nein für alle Welt! Jesus sagt sinngemäß das Gleiche zum Reich Gottes am Ende unsres Textes! Lauft den Zukunftsberechnungsfanatikern und falschen Propheten mit ihren Fehlorientierungen nicht nach! Haltet euch an mich. Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein. Ja, er wird wiederkommen, wann es ihm gefällt, nicht nur für die Frommen. Amen.