Deilinghofer Sonntagsgottesdienst am 16. Sonntag nach Trinitatis, 8.10.2000
unmittelbar nach der Deilinghofer Nachkonfirmandenfreizeit in Brandenburg 2000

Orgelvorspiel/Begrüßung/Abkündigungen

Eingangslied 334 (Danke), 1-6

FG: Im Namen.../Unsere Hilfe...

Alex: HERR, du erforschest mich und kennest mich.
Markus: Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
Alex: Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
Markus: Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.
Alex: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Markus: Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.
Alex: Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Markus: Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Alex: Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Markus: Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
Alex: Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Kommt lasset uns anbeten! EHR SEI DEM VATER...

Sündenbekenntnis:
Es ist gut, Herr, dass du uns umgibst von allen Seiten und über uns Bescheid weißt. Du kennst den Kummer, der uns bedrückt, die Dinge über die ich, über die wir mit niemand reden können – nur mit dir.
Du weißt, was unser Herz froh und warm gemacht hat – wir möchten dir auch dafür danken. Aber, Herr, du weißt auch unsere Schuld. Das, was ich was wir vor Menschen verstecken wollten und konnten – vor dir ist es offenbar: unsere Gleichgültigkeit dir gegenüber, die Gedanken, mit denen wir Mitmenschen ungerecht verurteilten, unsere falschen Dinge, die wir taten, die Ausreden, die wir suchten, da wo unsere Hilfe gebraucht wurde.
Wir erkennen unsere Schuld, daß wir nicht in gleicher Weise Liebe schenkten, wie wir sie von dir empfingen. Herr, vergib uns unsere Schuld und erbarme dich unser!

KYRIE

Gnadenspruch:
Wen Gott frei spricht von Schuld, der ist recht frei. Denn so sagt Gottes Wort: Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei! Zur Freiheit hat euch Christus befreit, da steht nun fest und laßt euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen.
EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE / ALLEIN GOTT IN DER HÖH SEI EHR...

DER HERR SEI MIT EUCH / UND MIT DEINEM GEIST

Wir beten: Herr Jesus Christus, du hast Möglichkeiten, bis heute Menschen anzusprechen, ihnen bis ins Herz reinzusprechen, und du hast das auch bei der Freizeit der Jugendlichen getan, unterwegs. Danke, dass da sich etwas eingeprägt hat, auch von dem, was du als Freiheit schenkst. Danke für all dein Bewahren und Führen. Danke, daß deine Sache mit uns nicht am Ende ist, sondern wir mit dir einen neuen Anfang angeboten bekommen: teilzuhaben an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes! Lass diesen Gottesdienst in dem Sinne für uns alle unter deinem Segen stehen. Wir rechnen mit dir, Herr Jesus, der du mit dem Vater und dem heiligen Geist lebst und regierst in alle Ewigkeit! AMEN.

Neutestamentliche Lesung (Nadine Bußmann) aus Lukas 10,ab Vers 25:
Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte Jesus und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« Jesus aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.
Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!

Glaubensbekenntnis

Lied vor der Predigt:
Die Erde ist des Herrn, EG 677, 1-4

Predigt Lukas 10, 25 ff.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, die heutige Predigt ist bisschen anders als sonst. Denn sie ist unterwegs entstanden – in Berlin, in Mötzow bei Brandenburg, in Velten in der dortigen Gemeinde bei Berlin, wo wir unterwegs waren mit 26 Leuten zwischen 13 und 34, und das, was wir da erlebten und besprachen zusammen eine Woche lang, habe ich heute Nacht zu einer Predigt zusammengestellt, nachdem wir gestern ziemlich spät von unserer erlebnisreichen Freizeit nach Hause kamen.

Der Text, den hat Nadine eben gelesen – uns allen bekannt! Ich nehme nur zwei Sätze hier daraus: die Frage, die da an Jesus ziemlich versucherisch gestellt wird: Wer ist denn mein Nächster? Und dann später in Jesu Antwort, in dieser altvertrauten Geschichte vom Barmherzigen Samariter der Satz: Einer fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen.

Liebe Gemeinde, der Pharisäer, der da Jesus fragt, ich stell mir den vor wie einen, der immer alles auswendig weiß. Mustergültig hat er es gelernt aus seiner hebräischen Bibel des Alten Testaments: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst, und die dazugehörenden Verse kommen da wie aus der Pistole geschossen aus seinem Munde, ein kluges Kerlchen mit hellem Kopf, ein Auswendigwisser, so stell ich mir den vor, auch wie er dann weiternachfragt und diskutieren will offenbar, fast philosophisch fragt er da: Wer ist mein Nächster? Kluge Rückfragen, bei der Freizeit dachten wir, als wir drüber sprachen, dass das eine ähnlich kluge Rückfrage war wie bei Kain und Abel: wo der Täter dann – von Gott gestellt – nach Abels Ermordung fragt: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Diese Frage kam immer wieder vor in unserer Freizeit, auch besonders am Donnerstag nachmittags bei unserem Abendmahlsgottesdienst in Mötzow.

Soll ich meines Bruders Hüter sein? Wer ist denn mein Nächster? So wird da jedes Mal Gott und Jesus zurückgefragt, als wollte man sich hinter dieser Frage verstecken, das aber lässt Jesus nicht zu, und auswendiggelerntes nur-Verstehen-mit-dem-Kopf lässt er auch nicht zu, und genau deswegen ist sein Antwortgeschichte auf die Pharisäerfrage so plastisch und anschaulich und so konkret, so konkret, wie sie Nadine eben bei der Lesung vortrug:

Einer fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen.

Ich möchte es der Gemeinde – von diesem Satz ausgehend – erklären, und von der letzten Woche erzählen, was der Inhalt vieler Gespräche und Erlebnisse dort in Brandenburg, Berlin und Velten war. "Soll ich meines Bruders Hüter sein? Christen gegen Gewalt und Fremdenhass", so war dieses Jahr unsere Nachkonfirmandenfreizeit überschrieben.

Wir machten uns klar in diesen Tagen, dass genau die Szene, die Jesus erzählt, brandaktuell ist, dass Menschen wie unter die Räuber fallen, das sie geschlagen werden und halbtot liegen bleiben – nicht nur zwischen Jerusalem und Jericho, auch hier bei uns – genau zehn Jahre nach der Wiedervereinigung. Zunehmend werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe, deswegen, weil sie Fremde sind, von Meuten von Skins, von Neonazis verfolgt, angegriffen und halbtot, manchmal ganz tot geschlagen. Und inzwischen hat in dieser Woche der Bundeskanzler ja schon gesagt, es müsse ein Ende haben, dass man daran vorbeisieht.

Wir haben uns Videos angesehen auf der Freizeit von den Krawallen in Rostock, wo da die Asylanten auf brutalste Weise rausgejagt wurden aus dem Wohngebiet, wo da alles anfing, besonders in den neuen Bundesländern, wir haben anhand von Videos und Diskussionen gesehen, wie sich das alte Braune zur Zeit in unserm Land erneuert und vermehrt wie ein Krebsgeschwür. Und wir haben uns Gedanken drüber gemacht, dass da viel zu viele Menschen wegschauen. Die machen es dann so wie der Priester und der Levit, der Tempeldiener in Jesu Geschichte. Haargenau so: da haben wir anderes zu tun und Wichtigeres – weg vom Ort der tat, weg vom Bild des Elends...

Doch da gibt’s Gegenbeispiele, Gott sei Dank! Ich denke an unseren Besuch in Velten bei Berlin, ein Ort der früher zur DDR gehörte, wo da an der Kirche ganz groß ein Riesenplakat drüber hängt, so hoch, dass keine Skins drankommen: Schützt Fremde, und die dortige Pfarrerin, mein Bekannte Ute, hat da aufs lebendigste erzählt, wie unter widrigen Umständen Ostgemeinden leben und aus Glauben was tun, obwohl sie ganz in der Minderheit sind, und der Schwarzafrikaner Francois aus der Veltener Gemeinde hat da lebhaft geschildert, wie er, der Asylbewerber, am deutschen Rassismus zu leiden hat.

Und am Abend haben wir ein wunderbares Gospelkonzert gehört in dieser Veltener Kirche, und vier Schwarze aus Harlem in New York haben da gezeigt in der total überfüllten Kirche, dass Glaube und Jesus und Freiheitslieder nichts von gestern sind, sondern etwas sehr lebendiges für heute, und viele da in der Kirche, sogar, die als Atheisten drin waren, waren tief berührt von dem, was da rüberkam, rüberkam von Menschen, die sonst an allen Ecken Ostdeutschlands und Westdeutschlands diffamiert und verächtlich gemacht werden. Und als unsere Jugendlichen fast alle mit im Altarraum mit den vier Schwarzen im Altarraum waren, als sie zusammen "O happy day" sangen, da war auch da der Funke übergesprungen, und vielmals hab ich es den Abend gehört: So lebendig ist es noch nicht mal in Deilinghofen beim Gottesdienst...

Wollen wir es jetzt mitten in der Predigt "lebendig werden lassen" mit dem jüdischen Lied Hevenu schalom alechem, das wir vorgestern in der Gedächtniskirche und oftmals am abendlichen Lagerfeuer sangen: 433, 1 und 2 [singen]

Liebe Gemeinde, eine hebräisches Lied ist das – es ist die jüdische Bitte um Schalom, zu deutsch: Friede für alle. Mir wäre es wohler, wenn das nicht so gut passen würde, in dieser Woche, wo mindestens dreimal jüdischen Gotteshäuser Zielscheibe von menschenverachtendem Hass waren. Freitag, als einige von uns in Berlin Kreuzberg besuchten, waren da Steine geflogen gegen die Synagoge, und als man den Zehnjahrestag der Einheit beging, war alles überschattet von dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, und als ich nachträglich davon hörte, da kam‘s im Video bei uns in Mötzow auch nochmal, dass z.B. in Frankfurt Juden Angst haben in jüdischen Altersheimen, dass die stark beschützt werden müssen und dass auch jüdische Kindergärten seit langem ohne Polizeischutz gar nicht zu denken sind, und dass in unserem Land mit der fürchterlichen Schuldgeschichte, die auf uns lastet. Schalom, das brauchen wir, darum müssen wir den Gott bitten, zu dem das Volk des Alten Testaments so betet wie die, die zu Jesus gehören. Und Menschen mit Zivilcourage brauchen wir, die was dagegen sagen und was dagegen tun, die brauchen wir! Menschen wie jener verachtete Samaritaner in Jesu Geschichte, der den elenden nicht weiter halbtot da liegen läßt, der ihn auf sein Reittier nimmt und ihm die Wunden behandelt. Menschen brauchen wir, die nicht weggucken wie jene beiden Kirchenfunktionäre.

Der Widerstandskämpfer, Christ und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer hatte ja einprägsam gesagt: Nur wer für die Juden schreit darf auch gregorianisch singen, und er hatte gemeint: Wer hier in der Kirche fromme Lieder singt, "Danke" und "Lobe den Herrn", soll draußen die Stimme genauso erheben und Zeichen setzen, auch Zeichen, dass Fremde geschützt werden, wie es da in Velten nicht nur an der Kirche steht, sondern auch drinnen praktiziert wird.

Das gilt für Fremde für Juden, für mit Vorurteilen Angesehene, für Außenseiter unter Jugendlichen, das gilt aber auch für andere unter die Räuber Gefallene!

Das gilt sogar für den Pastor, dem diese Woche gesagt wurde von einer 16jährigen: "Ich habe gehört von deiner Riesen-Zerreissprobe, und es ist kein falsches Mitleid, wenn ich dir sage: ich bete jeden Abend für dich, dass du den Mut behältst." In Jesu Geschichte heißt so was: er oder sie ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm. Das wäre dann Gott lieben und den Nächsten, nicht nur auswendiggelernt, sondern in der Praxis. Und weil es um Praxis geht und nicht nur um graue Theorie, lassen wir uns doch am Ende einfach von Jesus ansprechen mit dem letzten Satz, den Nadine eben las: Gehe hin und tue desgleichen. Und damit meint Jesus: Lass deine auswendig gelernten Sprüche; es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wir singen noch einmal: Hevenu 433, 1 und 2 [singen]. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Fürbittengebet:
Herr Jesus Christus, wenn du uns frei machst, sind wir recht frei. Und wo dein Geist ist, da ist Freiheit. Du weißt, wie oft wir als Christen, als deine Kirche, als deine Gemeinde nicht lebendig und nicht glaubwürdig genug deine Zeugen sind, wie oft da Routine, Tradition und Langeweile das Feld bei uns beherrschen und bei uns nichts mehr ausstrahlt von dem, was du uns schenkst. Erneuere du da deine Kirche und fang bei uns damit an und bei mir.
Wir bitten dich für die Katechumenen und Konfirmanden, für den Mädchenkreis, die Jungenschaft und für alle Jugendarbeit, die hier im CVJM geschieht. Schenk uns, dass wir da phantasievoll auch in den Programmen Menschen mit dir in Kontakt bringen und glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen deiner Freiheit sind, schenk, dass dort Leute den Sinn des Lebens finden.
Wir denken an viel Hass, Gewalt und Unfreiheit, die es auf der Welt gibt, und wir bringen dir auch unsere Sorgen, dass viele bei uns Sekten und radikalen Gruppen, die in Unfreiheit führen, auf den Leim gehen. Wehre du allen Anfängen von Rassismus und Fremdenhass bei uns, steh du selbst den Opfern bei und lass uns da auf deiner Seite sein. Lass überall auch in sozialen und politischen Fragen Christen zu Friedensstiftern werden.

Und alles was wir sonst noch auf dem Herzen haben, fassen wir, Herr Jesus, in deinem Gebet zusammen: Vater unser...

Lied 607 (Herr, wir bitten komm und segne uns), 1-2

Segen

Lied 607, 3-4

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