Gottesdienst am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 10. November 2002,
in der Ev. Kirche zu Medebach und abends in Ramsbeck
(nach der Ramsbecker Seminarreihe zu Luthers Reformation: „Evangelisch aus gutem Grund“)

Orgelvorspiel
Wochenspruch: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.  (2. Kor 6,2) und Begrüßung, Abkündigungen

Eingangslied (EG RWL Nr. 572): 1. Brich herein, / süßer Schein / selger Ewigkeit! / Leucht in unser armes Leben, / unsern Füßen Kraft zu geben, / unsrer Seele Freud, / unsrer Seele Freud.
2. Hier ist Müh / morgens früh  / und des Abends spät; / Angst, davon die Augen sprechen; / Not, davon die Herzen brechen; / kalter Wind oft weht, / kalter Wind oft weht.
3. Jesus Christ, / du nur bist / unsrer Hoffnung Licht! / Stell uns vor und laß uns schauen / jene immer grünen Auen, / die dein Wort verspricht, / die dein Wort verspricht!
4. Ewigkeit, / in die Zeit / leuchte hell hinein, / dass uns werde klein das Kleine / und das Große groß erscheine, / selge Ewigkeit, / selge Ewigkeit.

Im Namen des Vaters / AMEN / Unsere Hilfe.../ DER HIMMEL UND ERDE...
Der Herr sei mit Euch / UND MIT DEINEM GEIST.

Gebet als Sündenbekenntnis:
Herr, großer Gott, du kennst uns, besser als wir uns selbst kennen! Du weißt über uns Bescheid. Du kennst den Kummer, der uns bedrückt, die Dinge über die ich, über die wir mit niemand reden können – nur mit dir.
Du weißt, was unser Herz froh und warm gemacht hat – wir möchten dir auch dafür danken. Aber, Herr, du weißt auch unsere Schuld. Das, was ich was wir vor Menschen verstecken wollten und konnten – vor dir ist es offenbar: unsere Gleichgültigkeit dir gegenüber, die Gedanken, mit denen wir Mitmenschen ungerecht verurteilten, unsere falschen Dinge, die wir taten, die Ausreden, die wir suchten, da wo unsere Hilfe gebraucht wurde. Herr, und du weißt Bescheid über all das Elend deiner Kirche und Gemeinde, wo wir dir nicht treu genug gedient haben, wo wir scheinheilig und unglaubwürdig waren, wo wir Worten keine Taten folgen ließen.
Wir erkennen unsere Schuld, dass wir nicht in gleicher Weise Liebe schenkten, wie wir sie von dir empfingen. Herr, vergib uns unsere Schuld und erbarme dich unser!
KYRIE
Herr, erbarme dich unser!
(Alle:) Der allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben. Amen.

Gnadenspruch: Gott, hat Jesus, den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir erhielten die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. So sagt Gottes Wort: Wen der Sohn frei macht, der ist recht frei! Zur Freiheit hat euch Christus befreit, da steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen.

Psalmlesung - Wir hören Worte des 46. Psalms, aus Luthers Lieblingspsalm „Ein feste Burg ist unser Gott“:
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie festbleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.  Kommt, lasset uns anbeten! EHR SEI DEM VATER...
Kyrie eleison /HERR, ERBARME DICH / Christe...
Ehre sei Gott in der Höhe / UND AUF ERDEN FRIED...
Gott in der Höh sei Preis und Ehr...

Lasset uns beten: Herr Jesus Christus, du hast Möglichkeiten, bis heute, Menschen anzusprechen, ihnen bis ins Herz reinzusprechen. Danke, dass du unser lebendiger Herr bist, im Leben und im Sterben! Danke, dass deine Sache mit uns nicht am Ende ist, sondern wir mit dir einen neuen Anfang angeboten bekommen: teilzuhaben an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes! Lass diesen Gottesdienst in dem Sinne für uns alle unter deinem Segen stehen. Wir rechnen mit dir, Herr Jesus, der du mit dem Vater und dem heiligen Geist lebst und regierst in alle Ewigkeit! AMEN.

Epistellesung Römer 14: Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben  oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Halleluja...

Wochenlied EG 152: 1. Wir warten dein, o Gottes Sohn, / und lieben dein Erscheinen. / Wir wissen dich auf deinem Thron / und nennen uns die Deinen. / Wer an dich glaubt, / erhebt sein Haupt / und siehet dir entgegen; / du kommst uns ja zum Segen.
2. Wir warten deiner mit Geduld / in unsern Leidenstagen; / wir trösten uns, dass du die Schuld / am Kreuz hast abgetragen; / so können wir / nun gern mit dir / uns auch zum Kreuz bequemen, / bis du es weg wirst nehmen.
3. Wir warten dein; du hast uns ja / das Herz schon hingenommen. / Du bist uns zwar im Geiste nah, / doch sollst du sichtbar kommen; / da willst uns du / bei dir auch Ruh, / bei dir auch Freude geben, / bei dir ein herrlich Leben.
4. Wir warten dein, du kommst gewiss, / die Zeit ist bald vergangen; / wir freuen uns schon überdies / mit kindlichem Verlangen. / Was wird geschehn, / wenn wir dich sehn, / wenn du uns heim wirst bringen, / wenn wir dir ewig singen!
Text: Philipp Friedrich Hiller 1767 / Musik: Was Gott tut, das ist wohlgetan (Nr. 372)

Evangeliumslesung: Luk. 17, 20-24
Als er, Jesus, aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach:  Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.
Ehr’ sei dir, o Herre / LOB SEI DIR, O CHRISTE.

Vor dem Lied: Die heutige Predigt, die gleich folgt hier in Medebach, liebe Gemeinde, ist eine verspätete Reformationstagspredigt, wenn man so will: eine Predigt, in der viel vom Reformator Martin Luther vorkommt, von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werke und von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Es ist nämlich die gleiche Predigt, die ich heute abend in Ramsbeck bei Bestwig halte. Und dort in Ramsbeck, wissen Sie, da haben sie seit dem Reformationstag bis heute (10 Tage danach) eine große Veranstaltung gemacht, an der ich auch beteiligt war: jeden zweiten Abend ein Referat und ein Gespräch, was uns Luther heute zu sagen hat und wo wir heute Reformation brauchen. Das hatte die Oberüberschrift: „Evangelisch aus gutem Grund“. Und dazu habe ich heute Abend die Abschlusspredigt zu halten. Und da ist es sicherlich auch in Medebach hier – 10 Tage nach dem Reformationsfest - angebracht, über Luther und den Sinn der Reformation nochmals nachzudenken... Wir singen als Lied zur Predigt hin ein Lutherlied, das seine Erfahrungen und sein Zentrum zusammenfasst:

Lied von Martin Luther  vor der Predigt (EG 341): 1. Nun freut euch, lieben Christen g'mein, / und lasst uns fröhlich springen, / dass wir getrost und all in ein / mit Lust und Liebe singen,  / was Gott an uns gewendet hat / und seine süße Wundertat;
gar teu'r hat er's erworben.
2. Dem Teufel ich gefangen lag, / im Tod war ich verloren, / mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, /  darin ich war geboren. / Ich fiel auch immer tiefer drein, / es war kein Guts am Leben mein, / die Sünd hatt' mich besessen.
3. Mein guten Werk, die galten nicht, / es war mit ihn' verdorben; / der frei Will haßte Gotts Gericht, / er war zum Gutn erstorben; / die Angst mich zu verzweifeln trieb, / dass nichts denn Sterben bei mir blieb, / zur Höllen musst ich sinken.
4. Da jammert Gott in Ewigkeit / mein Elend übermaßen; / er dacht an sein Barmherzigkeit, / er wollt mir helfen lassen;
er wandt zu mir das Vaterherz, / es war bei ihm fürwahr kein Scherz, / er ließ's sein Bestes kosten.
10. Was ich getan hab und gelehrt, / das sollst du tun und lehren, / damit das Reich Gotts werd gemehrt / zu Lob und seinen Ehren; / und hüt dich vor der Menschen Satz, / davon verdirbt der edle Schatz:  / das lass ich dir zur Letze.«

Predigt Römer 3, 21-28

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Das weiß wohl fast jeder hier, liebe Gemeinde, dass Martin Luthers Reformation, seine Botschaft der Freiheit vom Gesetz und von falschen Traditionen und Autoritäten, seine Botschaft der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werke ihm  durch Auslegung des Römerbriefes und des Galaterbriefes deutlich wurde: da hat es bei Luther „Klick“ gemacht, als er den Paulus las und auf einmal verstand. So hören wir hier einen Predigttext von Paulus, der dann auch für Martin Luther grundwichtig wurde, Römer 3, 21-28; da schreibt Paulus:

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.


Liebe Gemeinde, normalerweise habe ich es nicht so mit Philosophen und mit hochgeistig klingenden Beispielen aus der Geistesgeschichte in der Predigt. Aber heute lassen wir es mal eine Ausnahme sein. Ich beginne mit zwei hochprozentigen Zitaten von Philosophen.
Ein Philosoph der alten Griechen in der Antike sagte einmal: „Gib mir einen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ Und der spitzzüngige Philosoph Lichtenberg meinte in seiner Zeit: „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstößt, und es klingt hohl, dann muss nicht immer das Buch schuld dran sein...“ „Gib mir einen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“ / „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstößt, und es klingt hohl, dann muss nicht immer das Buch schuld dran sein.“

Wissen Sie, beide Sätze, die ich zitierte, haben für mich ganz viel mit Martin Luther zu tun, sie haben ganz viel  mit der Sache des Reformation zu tun und mit uns und mit „evangelisch aus gutem Grund“ angesichts des heutigen Textes aus Römer 3! Ich will’s versuchen, gar nicht hochgeistig, sondern sehr einfach zu erklären, indem ich es erzähle.

Da ist ein Mann mit einem Kopf und ein Buch, ein Mann mit Köpfchen und das Buch dort: beides kommt zusammen – und es klingt: nein, gar nicht hohl! Das wäre falsch! Bei uns ist es oft so, dass unser Kopf mit der Buch der Bibel zusammen kommt und es hohl klingt. Bei diesem Mann von dem ich erzähle, dem Mann mit Köpfchen, dem Bruder Martinus, war es anders: Sein Kopf stieß mit dem Buch zusammen, und es ergaben sich innere Wunden, sehr häufig, es klang oft dumpf, es tat weh, und es war oft, wie wenn da spitze Widerhaken drin wären, die sich in ihm festhakten, in unserem Bruder Martinus, dem Mönch und Meister der Auslegung des neuen und des Alten Testaments, was sein Job war und seine Aufgabe an der Uni: dass er von diesem Buch was rüberbringen musste den Wittenberger Studenten. Ein Bilderbuchchrist schien er zu sein, Mustermönch und kluges Köpfchen, in allen kirchlichen Sachen bewandert! Doch das, was da bohrte, das ließ ihn nicht in Ruhe, wenn sein Kopf und das Buch zusammenstießen, und in einer Frage kam das alles zusammen: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Wo habe ich den Punkt, auf dem ich fest stehen kann, nein, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, vielleicht, aber immerhin: wo ist der Punkt, auf dem ich stehen kann. Vor Gott steh’n, vor Gott bestehen, der doch da überall in diesem Buch der Bibel als der gerechte Gott, der Gerechtigkeit fordernde Gott gekennzeichnet wird. Der Gerechtigkeit fordernde Gott, für diesen Luther auf seiner Suche nach dem festen Punkt ein schwindelerregender Gedanke, ein Trauma sogar nahezu!

Bilderbuchchrist auf der andern Seite, sagte ich, und so hätte er es sich auch sagen können, der Bruder Martinus: ich tu' doch jede Menge, brauch keine Hölle und Gericht zu fürchten – wenn alle doch mal so viel täten wie ich: ihr Leben Gott opfern im Kloster, Bibel lesen ohne Ende, kirchlich korrekt sein, in dieser Kirche, in der es die vielen strengen Vorschriften gibt, aber auch jene erleichternden Scheinchen, die Ablassbriefe, wo man sich seinen Seelenfrieden erkaufen kann und ein gutes Werk noch tut für die Sache der Kirche.

Und ich kann meine Erzählung hier abbrechen: das kennen Sie doch alles, das kennen Sie aus dem "ff", dass dann genau unser Römerbrief es war, der eine Riesenwende herbeibrachte bei dem Mönch Martinus, genau unser Wort „Gerechtigkeit Gottes“, wie der Apostel Paulus es im Römerbrief schreibt, und bei dem Wort macht es auf einmal „Klick“ bei ihm. Tausendmal berührt, tausendmal nichts gespürt, plötzlich: da hat es ‚zoom’ gemacht! ‚Zoom’ macht es, als da ein Kopf mit einem Buch zusammenstößt und das Ergebnis sehr anders auf einmal zu Herzen geht! Da klingt nichts mehr hohl und nichts mehr dumpf und nichts mehr wehtuend, bei diesem Wort, da hat er den Punkt, der das alte System mit seinen faulen Kompromissen und Heucheleien aus den Angeln hob. Luther beschrieb seine Wende einmal fast wörtlich so:

„Gerechtigkeit Gottes - durch Brauch und Übung aller Doktoren war ich falsch ausgerichtet worden, als sei es philosophisch: als müsste ich Gerechtigkeit tun, um gerecht zu werden... Ich aber konnte den gerechten, die Sünde strafenden Gott der Bibel nicht lieben, ich musste ihn hassen, obwohl ich ein untadeliger Mönch war... --- Da erbarmte Gott und im Römerbrief las ich: aus Glauben schafft Gott Gerechtigkeit, der Gerechte wird aus Glauben leben! (Römer 1, 17) Durch den Glauben - nun fühlte ich mich ganz und gar neu geboren: die Tore hatten sich mir aufgetan; ich war in das Paradies selber eingegangen. Da zeigte sich mir sogleich die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht“.

Ja, liebe Gemeinde, und besonders unser Text von heute, der bekam für diesen Bruder Martinus ein ganz besonderes Gesicht, das war sein Schlüsseltext, sein Leib- und Magentext, wie wir unschwer erraten können. Haben Sie es noch im Ohr und im Gedächtnis?

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten, die Gerechtigkeit vor Gott, die kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.

Das wurde „Luthers Ding“, so wie es gemeint war – von  Paulus und wie es die Kirche unter dem Schutt ihrer ach so ehrwürdigen Tradition begraben hatte – und statt dessen 1000 Gesetze und Normen und gute Taten als Weg zu Gott bestimmt hatte und Ablass-Scheine und Papstesregeln dazu.

Da hatte jemand den Punkt gefunden, auf dem er stehen konnte, weil vorher ein Buch und ein Kopf zusammengekommen war und in ihm alles verrückt hatte, reformiert, d.h. verrückt und zurechtgerückt.

Ich erzähle das was im 16. Jahrhundert bei Luther geschah, nicht weiter hier, schon gar nicht als Geschichte des Luther-Ruhms, liebe Gemeinde, weil schon Paulus in unserm Text heute schreibt, wer von der Gerechtigkeit richtig redet, der kann sich nicht rühmen, der soll auch nicht in hehren Worten Luther rühmen, was für ne große Nummer er war. Zu einem Denkmal dieser Art hat man ihn oft werden lassen, dann trutzig den Protestantismus rühmend, sein: „Ein feste Burg“ gesungen und seinen Protest darüber vergessen: dass in unserer Kirche das Evangelium alles verrückt, zurechtrückt, reformiert - heute!

Deswegen setze ich die Predigt jetzt „verrückt“ fort. Sie zielt nämlich sofort nach Ramsbeck und nach Medebach, hier in die Gegenwart unserer Gemeinden hinein, ja, da leuchtet der Text aus Römer 3 in unsere Situation rein und zeigt auf einmal auf: Hier muss es zum Treffen kommen, nicht bei Histörchen des 16. Jahrhunderts. Hier muss sich zeigen, ob wir „evangelisch aus gutem Grund“ sind, und: ob wir „evangelisch auf gutem Grund“ sind.

„Verrückt! Verrückt ist gut!“, das sagte bei uns in Deilinghofen vor einiger Zeit in einer Evangelisation zum Reformationsfest der bekannte Pastor und Evangelist Jürgen Blunck aus Essen zu dem Thema: „Der feste Grund!“ Ich weiß es noch wie heute: Blunck machte es an einem Beispiel plastisch deutlich, dass man seinen Grund verrücken kann und es nach dem Verrücktsein gut wird! Da hatte seine Essener Kirchengemeinde den Bauplan für das neue Haus Gottes dort fertig mit allen Architektenzeichnungen und ein Grundstück war auch da. Aber in letzter Minute zeigte sich - Gott sei Dank! - dass der Baugrund in dieser Kohlegegend an der Stelle durch Bergschäden supergefährlich war - die Kirche würde dort zusammenbrechen, kollabieren, und einen Tick weiter auf dem gleichen Grund und Boden, da war Fels, auf diesen Grund konnte man bauen und baute man. Verrückt ist gut - das sieht man da! Verrückt ist gut, wenn man sich da den Grundplan noch verrücken lässt, wirklich den Punkt nimmt, auf dem man stehen kann, den Punkt, auf den ich mein eigenes Haus bauen kann, den Grund, auf dem unsere Gemeinde Gemeindeaufbau leisten kann, der Grund, auf dem die Kirche Kirche wird und Kirche bleibt.

Vielleicht nie zuvor hatte die Kirche Reformation nötiger als heute: heilsame Verrückung des Grundes - neu alles bauen auf den Grund, auf die Gerechtigkeit Gottes ohne des Gesetzes Werke, allein im Glauben an IHN, der am Kreuz von Golgatha Grund gelegt hat. Er, der Grundlegende, muss so oft eine jämmerliche Nebenrolle spielen! Und stattdessen haben wir die Ablass-Scheine von heute, die Geldscheine und die Taufscheine und den Kirchenbetrieb, mit denen wir meinen vor Gott richtig zu sein. Kein bisschen anders - im Letzten als damals im Mittelalter.

Kurzum: der Punkt, wo heute nach Reformation zu fragen ist, ist hier und nirgends anders, dass Gott uns hier zum Reformationsfest einlädt durch diesen zentralen Paulustext aus Römer 3 heute morgen (Ramsbeck: heute abend), dass er uns einlädt, nach dem eigenen Grund unseres Lebens zu fragen, nach dem Punkt, auf dem wir stehen können, dass es hier genauso ist: dass da ein Text aus einem Buch und ein Kopf zusammenstößt und es vielleicht hohl klingt, hohl und wer weiß wie sonst, dass es aber stattdessen „Klick“ machen kann, und wir merken: Luthers entscheidende Frage ist unsere, ist die Frage nach dem Sinn unseres Lebens: Wie wird ich auf gute Weise verrückt und kriege Grund unter die Füße, „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“

Liebe Gemeinde, manche schlau sich Fühlenden - auch unter den Theologen - sagen: in Luthers 16. Jahrhundert wäre es noch relativ harmlos gewesen, der Luther hätte noch die relativ fromme Frage nach dem gnädigen Gott gestellt, heute am Anfang des 21. Jahrhundert wäre es radikaler: da hieße die Frage: Gibt es Gott, wo ist Gott, wo ist der Sinn des Lebens?

Ich glaube das nicht: die Frage kann sich verkleiden, wie sie will, es ist im Kern immer die gleiche Frage, die sich radikal dem Luther stellte: Wo habe ich den Grund unter meinen Füßen, auf welchem Felsen kann ich stehen, wo bleibst du, gnädiger Gott? Und die Antwort ist auch keinen Deut schwerer geworden als damals und keinen Deut anders: Gottseidank, Christus lebt und hat das Leben, und Du darfst verrückt werden, verrückt in deinen Grundfesten, du Einzelner und Einzelne darfst neu auf diesen Christus bauen, du, Kirche darfst verrückt werden und neu auf diesen Christus bauen, er, der deine Gerechtigkeit ist, er, der am Kreuz für dich starb, und ewiges Leben, den Sinn des Lebens dir erwarb: setz auf diesen Grund, und dein Leben braucht sich nicht mehr zu verlassen auf Taufscheine und Konfirmationsscheine und die Geldscheine und die andern Ablass-Scheine, dein Christsein braucht sich dann nicht mehr zu verlassen auf all das heutige Scheinchristentum mit den Traditionen, die heute Mode sind - bis dahin dass man sich auf Versicherungsscheine und -Policen, auf Erspartes und auf Erworbenes und andere gute Werke und eigne Aktivitäten verlässt, als wäre das Nr. 1 im Leben.
Verlass dich auf den, an den man glauben kann, auf seine Gerechtigkeit. In diesem Sinn, da dürfen Protestanten, da dürfen Jesusleute dagegensetzen, was Paulus schreibt und Luther wie ein Verstärker laut machte, unüberhörbar laut: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Auch das nicht als Angeberwort, wie es manchmal sich anhört, als wären wir mit unserm bisschen Gemeindeleben die ach so tolle Kirche. Nein anders, so wie es Paulus schreibt im heutigen Text, wir sind: allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, weil er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, schenkt, indem er Sünde vergibt.

Und das ist die „Große Freiheit“: nicht die von St. Pauli, sondern die, die Paulus preis und nach ihm Luther, die herrliche Freiheit der Kinder Gottes: Wen Jesus freimacht, der ist im Glauben ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Wen Jesus freimacht, der ist in der Liebe ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan. Das ist der Sinn des Lebens und des Glaubens, wie ihn Luther in seiner Schrift von der „Freiheit eines Christenmenschen“ 1520 beschrieb, die wir Montagabend in Ramsbeck-Andreasberg durchnahmen: Ganz frei im Glauben, niemand untertan, und ganz gebunden in der daraus folgenden Liebe, die drauf zielt, ganz unten für andere da zu sein.

Diese Freiheit, die Liebe freisetzt, hat einen Grund: Hier in Christus (Ramsbeck: , auch im Abendmahl jetzt bei Brot und Wein,) ist „der Grund, auf dem man stehen kann“, da ER die alte Welt „aus den Angeln gehoben hat“ und alles „verrückt“ hat - in Richtung auf Sein Reich, das kommt. Amen.

Lied nach der Predigt:
  EG 607, 1-4

Fürbittengebet: Herr, reformiere du! Erneuere deine Kirche und fang bei mir damit an, dass ich Buße tue und mich entschieden zu dir bekenne, der du Worte des ewigen Lebens hast, Worte mit Ewigkeitswert. Herr, sende deinen Geist, dass wir dein Wort lieb gewinnen, es lesen als Liebesbrief von dir, dass wir es recht verstehen und Ohren kriegen und recht hören auf das, was du uns zu sagen hast. Herr, vertreibe die bösen Geister der Furcht, der Furcht auch vor dem Scheitern  in der Kirche, wo so vieles schlecht und schlimm ist und wo du neu der Herr im Hause werden musst, der zu sagen hat.
Wir bitten dich für Menschen, die in Glaubenskrisen sind und in Lebenskrisen, und gerade jetzt im November bitten wir dich: Erbarme dich über die vielen Menschen, die in den letzten Wochen auf dem Friedhof einen schlimmen Abschied erleben mussten oder die in diesem Monat den Friedhof besuchen, erweise und zeige d, dass du und dein Wort stärker bleiben als der Tod.
Erbarme dich über die, die neu nach Fundamenten des Lebens suchen, komm du mit deinem Wort und durch Christen in ihrer Nähe auf sie zu, dass Fragende Antwort finden. Lass da Christen Boten deines Wortes werden, eine Bibel, durch die man etwas verstehen kannst, was von dir kommt.
Erbarme dich über deine Welt, die Menschenschuld an den Rand des Abgrunds gebracht hat, mit Krieg und Terror, schenke da auch, wenn es dein Wille ist, dass Waffen schweigen und Schritte auf Frieden hin wieder gesehen werden können. Ja, bereite du uns vor auf dein Mahl, in dem du uns lädst an deinen Tisch und uns die Sünden vergibst. Vater unser...

Lied EG (RWL) Nr. 575 Segne und behüte
1. Segne und behüte / uns durch deine Güte, / Herr, erheb dein Angesicht / über uns und gib uns Licht.
2. Schenk uns deinen Frieden / alle Tag hienieden, / gib uns deinen guten Geist, / der uns stets zu Christus weist.
3. Amen. Amen. Amen! / Ehre sei dem Namen / Jesu Christi, unsers Herrn, / denn er segnet uns so gern.

Geht hin im Frieden des Herrn / Gott sei ewig Dank

Segen / Amen


Lied EG 576: Die Gnade...


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