Gottesdienst am 2. Advent, 10.12.2000
(Verabschiedung Küster Bielemeier und Einführung Küster Kohlmann)
Musikalische Mitwirkung bei diesem Gottesdienst: Ev. Kirchenchor Deilinghofen und CVJM-Bläserkreis Deilinghofen; Hintergrundsmusik hier: Macht hoch die Tür...

 

Neutestamentliche Lesung heute aus Matth. 11:

Als aber Johannes (der Täufer) im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steh: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«

 

Predigt Jesaja 35, 3-10

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Wir hören den für heute am 2. Advent in unseren Kirchen vorgeschriebenen Predigttext aus dem Alten Testament; da heißt es zur adventlichen Hoffnung in Jesaja 35, 3-8:

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird.

Liebe Gemeinde, erlauben Sie mir, um zum Text zu kommen, einen kleinen Umweg, und lassen Sie mich bei Robert Atzorn anfangen, dem Schauspieler, der in der damals ungemein beliebten Fernsehserie "O Gott, Herr Pfarrer" der Hauptdarsteller war. Die meisten hier erinnern sich wahrscheinlich: Atzorn spielte sehr überzeugend einen evangelischen Pastor in dieser bekannten und viel gesehenen Serie vor zehn oder zwölf Jahren, die ja seitdem einige Male im Fernsehen wiederholt wurde.

Der Reiz von "O Gott, Herr Pfarrer", das war: mal Mäuschen spielen und hinter die Kulissen gucken zu können, bisschen durchaus schon wie bei "Big Brother". Ganz oft haben mich damals Zuschauer der Serie neugierig drauf angesprochen: "Sagen Sie mal, Herr Pastor, wie ist das bei ihnen, ist das da auch so spannend, im Pfarrerberuf – da zwischen Pfarrhaus, Küster, Kirchenchor, Unterricht und Organistin? Läuft das so ähnlich ab – oder ist das sehr übertrieben?"

Robert Atzorn, dieser Fernsehpfarrer, das ist da ja ein Mann, der mitten im Leben steht, politisch wach ist, einer, der auch in Familie und Beruf richtige Probleme um die Ohren hat, der dabei kein bisschen weltfremd ist und hart zu kämpfen hat, wie kann so ein Mann dann sonntags sich da auf die Kanzel hinstellen und dort glaubwürdig das Wort Gottes verkündigen und bezeugen, vom Frieden und von andern schönen Dingen reden? Wie kriegt der das zusammen – in seiner Predigt und in seinem Herzen. Na klar, da möchte man Mäuschen spielen.

Und als mich damals viele fragten nach Parallelen zu Deilinghofen, da hatte diese Rückfrage auch manchmal einen schärferen und durchaus kritischen Unterton; gemeint war da ganz offensichtlich: "Pastor, empfindest du das nicht als eine Art Schauspielerei: in der Woche eine Menge von dem Mist dieser Welt mitkriegen - bis hin zu den Nachrichten, und dann sonntags dich schön brav im schwarzen Zeug hinstellen und salbungsvoll vom Frieden predigen?"

Liebe Gemeinde, am heutigen zweiten Advent, wo der eine Küster verabschiedet wird und der andere sein Amt beginnt, da könnte man das Ganze in der Phantasie sich noch weiter ausmalen! Denn nicht nur beim Pastor ist das ja so. Auch Küster Karl Bielemeier, der augenblicklich längstgediente Hauptamtliche hier, steht seit 27 Jahren Sonntag für Sonntag im dunklen Zeug meist ab 9 Uhr an der Kirchenmauer oben an der Treppe, wartet und guckt ob heute nicht so viele oder einige mehr kommen. Zwei Drittel dieser Amtszeit war ich mit ihm hier zusammen, und er hat manchmal mir erzählt, er könnte auch Bücher schreiben über 27 Jahre Deilinghofen von innen, wie das "bei Kirchens" hier abgeht, anno dazumal in Pastor Ravenschlags Zeiten bis heute. Und ganz sicherlich - stelle ich mir vor - würde man manche Serie von "O Gott, Herr Pfarrer" gut auch in Deilinghofen gedreht haben können, wo dann der Küster und Friedhofswärter Karl Bielemeier als ziemlich imposante und originelle Gestalt da auf der Mattscheibe erschienen wäre und mehr als eine Nebenrolle gehabt hätte, wo der jedenfalls von innen manchmal sicherlich viel mehr wusste von dem, was jetzt nur Schauspielerei war und was nur Routine, und was man innen drin mit brennendem Herzen rüberbringen wollte.

Ja, die Kernfrage, um die es hier geht, ist die diesbezügliche Gretchenfrage: Was tun wir hier (z.B. auch als Kirchenchor oder als Bläserkreis): Haben wir nur einen "Auftritt", z.B. heute am zweiten Advent, dass wir da singen und spielen vom "großen Gott, den wir loben" und "dessen Güte ach so weit reicht", ist das Ganze jetzt unsere Rolle, die wir ausfüllen nach "Art von Kirchens", oder geht uns das Ganze noch anders an die Nähte? Geht da was von Gott bis ins Herz?

Wir sind dabei eigentlich schon längst dem heutigen Predigttext sehr nahe! Denn das sich anzuhören ist nicht schwer, zu verstehen, was gemeint ist in diesem adventlichen Hoffnungstext mit den vielen bildhaften Vergleichen und den schönen Verheißungen, was da gemeint ist, zu verstehen, ist auch nicht schwer, aber sich das tiefer gehen zu lassen, es sich bis "an die Nähte" gehen zu lassen, das ist die eigentliche Frage und der Knackpunkt vom Ganzen!

Wie hieß es doch da in dem alten Text aus Jesaja 35, diesem Text, der zuerst hineingesprochen in den Unfrieden, als Israel von Gott verlassen schien und von Feinden bedroht und gebeutelt wurde, diesen Text, den dann im Nachhinein Christen zu Recht als adventlichen Verheißungstext hören und mit Jesus im Zusammenhang sehen:

"Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken."

Liebe Gemeinde, ich will so offen, als hätten Sie mich gefragt, zum heutigen Text meine Meinung sagen und so gut das geht, mein Innenleben offenbaren und beschreiben, was ich dazu im Kopf habe und denke, und wo ich in der vergangenen Woche dran dachte, als mir seit Montag diese Verse aus Jesaja 35 immer wieder durch den Sinn gingen.

Erstens: Ich habe an die schrecklichen nächtlichen Hilfeschreie jener Frau mit einem verzagten Herzen dort am Telefon gedacht, die allzu oft buchstäblich wacklige und wankende Knie hat und nicht mehr weiter weiß, die mich wieder und wieder anrief und um Hilfe anflehte, wie sie mit ihrem Alkohol- und Tablettenmissbrauchsproblem nicht mehr klarkam, die dann offenbarte, dass es im Kern nicht um die Sucht gehe, dass ihr der ganze Sinn ihres Lebens entschwunden sei und dass sie ein Jahr auf einen Therapieplatz warten müsste und flehentlich meinte: "Bis dahin ist alles kaputt für mich, wer hilft mir?" Wacklige, wankende Knie, wie oft rufen sie an, und wie wenig ist dann oft meine Möglichkeit zu helfen, außer durch Worte! Da habe ich schon manchmal Gott gedankt, der – wie hier in diesem Fall – Menschen mit diesen Fragen der wackligen Knie weiterhelfen konnte durch Esther Vogt und ihre Gruppe vom Blauen Kreuz, wo das, was der heutige Text sagt, nicht nur Worte blieb, sondern im reinsten Sinn des Wortes lebensrettende Hilfe wurde:

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!

Zweitens: Müde Hände, wankende Knie, kaputte Beine – so erlebt wortwörtlich gestern am Krankenbett eines 13jährigen Katechumenen: Ich stehe da gestern vormittag dort im Zimmer 208 der Paracelsusklinik, zusammen mit drei Konfirmandinnen, die den verunglückten Florian, unsern Nachbarjungen, auch besuchten. Er war urplötzlich auf der Europastraße am Combimarkt vorgestern abend von einem PKW erfasst und durch die Luft gewirbelt worden, 10 m war er geflogen, und dann "nur": wirklich Gott sei Dank!, "nur" ein Beinbruch, doppelt zwar, glatt durch... "Das war ein Warnschuss von oben", sagt der Vater mir später nach dem Riesenschreck, und die Jugendlichen, die beim Unglück direkt dabei waren, auch mein Sohn, haben ganz weiche Knie bekommen und z.T. geweint, als der Unfallwagen den Florian wegfuhr. "Macht fest die wankenden Knie – da ist unser Gott", an dies Wort des heutigen Sonntags muss ich da denken am Bett nach dem Unfall, als ich den Florian mit geschientem Bein, aber wohlbehalten und sogar lachend da sehe in Zimmer 208.

Müde Hände, wankende Knie, zum dritten, liebe Gemeinde, solche Erfahrung fängt in abgewandelter Form, ähnlich wie eben zweimal erzählt, ja schon bei mir selber an: Du gehst mit wankenden Knien zu einem Trauerbesuch, weißt um dein eigenes Elend und um deine Traurigkeiten, gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit, du weißt um die Nebelbänke, die die Sicht auf den Horizont behindern bei dir selbst, und sollst dann trösten. Und hast dann z.B. einen Menschen vor Augen, der unendlich gelitten hat, wie jene alte Frau, die sich fast drei Jahre nicht mehr bewegen konnte, bevor sie dann abgerufen wurde.

Mir hat es Gott manchmal geschenkt, dass gerade da, wo ich mit ganz leeren Händen hinging, und wo die Knie schlotterten, ganz fürchterlich, dass er dann am meisten, manchmal wie noch nie!, gezeigt hat, dass ER da auf seine Weise was zu sagte und zu sagen hatte, und es dann ganz anders rauskam, auch bei Trauer- und Taufgesprächen, wo man sehr müde und leer hinging, wo dann aber von IHM her was rauskam, was man nie erwartet hätte, was Hoffnungsvolles rauskam in der Richtung:

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!

Und um auf den Anfang zurückzukommen: Es ist nicht lange her, da hat es ein kurzes Gespräch zwischen Herrn Bielemeier und mir gegeben in der Kapelle drüben, dort im Pastoren-Nebenraum, dass ich ihm unmittelbar vor einer Trauerfeier sagte, ich hätte Angst und Bammel vor der Beerdigung gleich, und ich könnte das immer noch nicht, einfach ungerührt und cool, sachlich feste Worte der Hoffnung zu sagen, das routiniert zu tun, wär nicht bei mir... Und da meinte unser Küster und Friedhofswärter Bielemeier, das sehr gut verstehend: "Das geht mir genauso, ohne innere Angst und eine gewisse Unruhe und Sorge ging‘s nie bei mir – auf dem Friedhof nicht und in der Kirche nicht. Aber das ist gut, wenn man nicht zu viel Routine hat, dann lebt noch was!"

Ja, stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!"

Liebe Gemeinde, mir tritt zu unserm Text vor Augen, wie oft ich das lösende Wort von der Erlösung nicht sagen kann von mir aus! Wo das auch mit aller rhetorischen Kraft nicht geht, wo da meine Hoffnung keine Hoffnung freisetzen, wo alles ins Leere gepredigt gesagt und gebetet zu sein scheint. Wie oft geht es da einem so wie jenem Johannes, dem gefangengesetzten Täufer, der adventlich auf Jesus vorbereitet hatte, der den "heiligen Weg" von Jesaja 35 sozusagen selbst bereitet hatte, und der jetzt dort eingelocht sitzt und dem sein Glaube in Depression auszugehen droht. Wir hörten es: Der Täufer lässt zu Jesus schicken, und Jesus, der nimmt verblüffenderweise ganz genau unseren Predigttext aus Jesaja 35 als seine Antwort: "Lahme gehen, Blinde sehen, Aussätzige werden rein, und selig ist, wer nicht Ärgernis nimmt an mir." Und er sagt das Johannes und sagt damit uns: Leute, das von Jesaja 35 wird durch mich allein wahr, durch alle Zweifel hindurch, durch alle dunklen Zeiten und durchs Kreuz hindurch kommt das für meine Leute zum Ziel, dass ich recht behalten werde, und dass der, der sich nicht an mir ärgert, der, der mein Kreuz hier trägt und mir folgt, hier stückweise und dort einmal im Vollsinn sehen wird, dass das Böse und euer Leiden nicht das letzte Wort behält, weil mein Reich kommt und ich der Herr über alles sein werde. Sogar das kommt zum Ziel, dass im dürren Wüstenland für mich ein heiliger Weg entsteht und Wasser die Wüste fruchtbar machen! Wieviel mehr sollte das nicht ein bisschen hier schon in Deilinghofen so sein, dass all das Dürre in unserer Gemeindewüste mit all dem vertrocknenden Leben neu Wasser kriegt, wo Menschen anfangen, sich auf Jesus den Kommenden, einzulassen, sich nicht mehr an Jesus zu ärgern, sondern an ihn von Herzen glauben als den Herrn, der uns zum Heiland wird?!!

Nein, beim Trauern und Kaputtsein soll es nicht bleiben und beim Vertrocknen auch nicht, heil soll das Leben werden und fruchtbar, in Ewigkeit einmal und ein Stück eben hier schon, genau so wie es da in Jesaja 35 tröstlich heißt: Ich bin euer Gott! Seht, da ist euer Gott, der Gott, der Ströme in der Dürre fließen und da Brunnquellen entstehen lässt. Und dass dann Küster oder Pastoren nur eine routinemäßige Show machen, als wäre es ein Auftritt oder nur eine Rolle, das ist dann auch nicht mehr so, nie, und bei den Chören ist das dann auch nicht mehr so und bei Mitarbeitern auch nicht, denn wo man um die eigne Armut weiß und auf dies adventliche Heilwerden und die Frucht hofft, da geht’s dann bis "an die Nähte" und bis ins Herz, und kann man von Herzen so singen, wie wir eben vor der Predigt in der Linie unseres Textes tröstlich mit Paul Gerhardt sangen:

"Das schreib dir in dein Herze, du hochbetrübtes Heer, bei denen Gram und Schmerze sich häuft je mehr und mehr, seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet steht allhier!" Und der Friede Gottes... AMEN

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