Gottesdienst am 11. Sonntag nach Trin.,

11.8.2002 mit Abendmahl, gehalten in Oeventrop und Arnsberg, Erlöserkirche

Wochenspruch: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petr. 5, 5).

Gelesenes Evangelium dieses Sonntags: Lukas 18, 9-14                                      
Er, Jesus, sagte aber zu einigen, die  sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und  gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch:  Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Wochenlied von Martin Luther (vor und nach der Predigt gesungen):
1. Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig' Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne; denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?
2: Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, des muss dich fürchten jedermann und deiner Gnade leben.
3: Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen; auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen, die mir zusagt sein wertes Wort; das ist mein Trost und treuer Hort, des will ich allzeit harren.
4: Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen, doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen. So tu Israel rechter Art, der aus dem Geist erzeuget ward, und seines Gotts erharre.
5: Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade; sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade. Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird aus seinen Sünden allen.

 

Predigttext: 2. Sam 12, 1 ff.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.


Liebe Gemeinde hier in Oeventrop (in der Erlöserkirche in Arnsberg),
 

kennen Sie das auch, dass manchmal Predigtenhören und auch Bibellesen eine trostlos öde Angelegenheit zu werden droht? Ich jedenfalls kenn das auch, gerade in der letzten Zeit, wo ich öfter als früher in Gottesdiensten in verschiedenen Kirchen saß und Predigten hörte, dass da ab und zu komische Fragen aufkommen, wenn man da aufmerksam und hörbereit eine Predigt aufnehmen will. Da rutscht man dann auf seinem Platz hin und her und fragt sich schließlich: Ist die Bibel wirklich so ein langweiliges und weltfremdes und fernes Buch? Wo dann da oben einer steht und predigt, und es klingt ziemlich oft wie Blubberblubber. Und einiges hört sich heilig und weltfern an und ganz ganz viel wie unverbindliches Blabla, das mich kaum berührt und wo vor lauter Langeweile manchmal das Hören schwer fällt. Manches geht dabei bis in die Ohren, aber ins Herz – sehr selten... Vielleicht ist hier am Ort ja alles anders als in meinen Erfahrungen, aber manch einer oder eine könnte ab und zu solche ähnlichen Fragen haben, was man denn anfangen kann mit diesem – wie viele Leute denken – recht öden Buch der Bibel oder mit dem, was da sonntagmorgens aus ihr gepredigt wird.

 

Und hier, liebe Gemeinde, geht’s heute morgen jetzt um etwas Merkwürdiges: Es geht um eine Predigt, die sehr anders ist! Sie ist zwar gar nicht schön, dafür aber wahr, weil sie ungeheuer persönlich wurde. Und sehr pfiffig ist sie obendrein. Sie geht – gut ausgearbeitet mit einem wunderschönen Predigtbeispiel – wenn man’s flapsig ausdrückt, „einmal hintenrum durch die Brust in’s Auge“. Sie trifft mitten ins Schwarze, die heutige Predigt, und sie ist genau das Gegenteil von unverbindlicher Langeweile! Und das Vorurteil: typisch Bibel, langweilig, das wird da auch widerlegt – und wie! Hören Sie einfach mal zu bei dieser Predigt, die – ich muss es dazusagen – nicht  von mir stammt: Ich lese den Anfang der Predigt hier auf meinem Zettel, die Predigt, die beginnt mit diesen Worten:

 

„Zwei Männer waren in einer Stadt, der eine reich und der andere arm. Der Reiche hatte Schafe und Rinder in großer Menge. Der Arme hatte aber nichts als nur ein einziges kleines Lamm, das er gekauft hatte. Und er ernährte es, und es wurde groß bei ihm, zugleich mit seinen Kindern. Von seinem Bissen aß es, aus seinem Becher trank es, und in seinem Schoß schlief es. Es war ihm wie eine Tochter. Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann; dem aber tat es leid, ein Tier von seinen Schafen und von seinen Rindern zu nehmen, um es für den Wanderer zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Da nahm er das Lamm des armen Mannes und richtete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war.  ...“

 

Liebe Gemeinde, ich breche die vorgelesene Predigt genau an dieser Stelle ab – und wir  als Predigthörer kriegen an dieser Stelle sicherlich innerlich alle die Wut: So eine Sauerei! Der Arme wird beklaut vom Reichen, und man mag denken, wenn der, der predigt, da solche Beispielgeschichte hören lässt: Ja, ja so ist es, so sind die Menschen! Böse sind sie, die Reichen beklauen die Armen, zerstören deren idyllischen Frieden – schlecht  ist die Welt, schlimm ist die Moral, und es wird immer schlimmer...

 

Als der Mann Gottes, der damals diese Gleichnispredigt so begonnen hatte, seine Predigt bis dahin hören ließ, da hatte er einen Hörer, der empfand das genauso: als einen himmelschreienden Skandal, als eine Riesensauerei! Und jener Hörer unterbrach den, der seine Predigt sprach, und regte sich fürchterlich über solch frevelhaftes Unrecht auf, redete mitten in die Ansprache des Predigenden rein und sagte:

„So wahr der HERR lebt, der Mann, der das getan hat, ist ein Sohn des Todes.“

 

Sie haben’s erraten, sicherlich, liebe Gemeinde, oder es dämmert Ihnen inzwischen: die Predigt, die ich eben zitierend vorlas, steht nirgends anders als in der Bibel, im Alten Testament im Buch Samuel Kapitel 12. Es ist dort der Anfang des Bibelabschnitts, über den heute am 11. Sonntag nach Trinitatis überall in unseren Kirchen gepredigt wird. Der da predigt, ist Nathan, der Prophet, und sein Hörer, dem er da in der Predigt die Botschaft mitteilt, ist kein Geringerer als David, der gesalbte König von Gottes Volk. Ich lese mal den heute vorgeschriebenen Predigttext, diese Predigt, die wahrhaft keine schöne Predigt war, aber eine wahre, weil sie sehr persönlich wurde. Da heißt es in der Fortsetzung des heutigen Textes: 

 

„Da entbrannte der Zorn Davids sehr gegen den Mann, [der des Armen Lamm schlachtete], und David sagte zu Nathan: „So wahr der HERR lebt, der Mann, der das getan hat, ist ein Sohn des Todes.“ Das Lamm aber soll er vierfach erstatten, dafür dass er diese Sache getan hat, und weil es ihm um den Armen nicht leid getan hat. Da sagte Nathan zu David: Du bist der Mann!“

 

Das ist der knallharte Höhepunkt dieser Gleichnispredigt, die damals Nathan, der Prophet, dem David seinem König hielt, und der Höhepunkt dieser Predigt, die nicht schön war, sondern wahr, weil sie sehr persönlich wurde, bestand einfach nur aus diesen vier Wörtern, dem Machthaber ins Gesicht geschleudert: DU BIST DER MANN!

 

Liebe Gemeinde, für mich ist das eine der spannendsten und eindrücklichsten Stellen im ganzen Alten Testament, als da in dieser Szene, die so sanft und idyllisch mit einem lieblichen Schäfchengleichnis sozusagen lammfromm anfing, auf einmal die schöne Rede überkippt förmlich, sich alles total dreht, bis man schwindlig wird, der Hörer auf einmal in einem Spiegel schaut und da ein Gesicht entdeckt, das ihm überhaupt nicht gefällt: Ja, meine Worte sind ein Spiegel, ein Spiegel Gottes sogar, der hinter alle Königsmasken dahinterblickt, so zeigt’s der Nathan da – ein Spiegel, der blickt hinter alle pompöse Schauspielerei, der auch das aufdeckt, was man unter dem Teppich gekehrt und sorgsam versteckt hat; genau das passiert da: der, der sich doch so fromm und so ehrwürdig, so hehr und gottberufen betrachtete und nach außen feiern ließ, der hatte sich benommen wie das letzte Schwein und noch schlimmer – und  jetzt kriegt er da durch Nathans Predigt den Spiegel vorgehalten!

 

Die spannendste und mitreißendste Szene des gesamten Alten Testaments für mich, die da gipfelt im heutigen Predigttext in diesen vier Wörtchen, in denen sich alles entlädt. DU BIST DER MANN!

 

Und der Nathan, wenn ich die Geschichte mal aus der Bibel weiterlese, der begründet das ganz glasklar, was da Sache ist; er sagt zu David:

 

„So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König über Israel gesalbt, und ich habe dich aus der Hand Sauls errettet, und ich habe dir das Haus deines Herrn gegeben und die Frauen deines Herrn in deinen Schoß und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben. Und wenn es zu wenig war, so hätte ich dir noch dies und das hinzugefügt. Warum hast du das Wort des HERRN verachtet, indem du tatest, was böse ist in seinen Augen? Uria, den Hetiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen. Ihn selbst hast du ja umgebracht durch das Schwert der Söhne Ammon, und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, damit sie deine Frau sei.“

 

Und wir alle, liebe Gemeinde, erinnern uns dunkel oder auch inzwischen klarer an die ganze Geschichte, die da vorlag und die David aus verständlichen Gründen sich gar nicht gern ins Gesicht sagen ließ:

 

Er war zuerst mit den Augen fremdgegangen, als er da in seiner Residenz die schöne nackte Frau, die Badende vom Nachbargrundstück betrachtet hatte, als da Leidenschaft und Gier, Liebe und Habsucht, alles in einem, in ihm hochgestiegen war: Die oder keine, Bathseba, diese wunderschöne Frau, und das zweite Buch Samuel erzählt es in aller Ausführlichkeit, wie er die haben musste, die in ihrer Ehe gebunden war, wie da der teuflische Plan ausgeheckt wurde, der Ehemann Uria kam in der Schlacht an die vorderste Front, wo er fiel, und David meinte - brutal über Leichen gehend, dass er sich jetzt nach dessen Ableben ins Fäustchen lachend über seinen großen Coup freuen könnte und weiter den frommen großen Berufenen schauspielern könnte, - aber weit gefehlt: Da kommt dies läppisch klingende Schäfchengleichnis des predigenden Nathan dazwischen - ein Mensch wird gestellt, wird hinter seiner Maske gesichtet, er wird von Gott eingeholt, behaftete und am Kragen gepackt  in diesen vier Wörtchen nur: DU BIST DER MANN!

 

Ja, liebe Gemeinde, wenn wir hier fragen, was man mit der Botschaft der Bibel denn überhaupt anfangen kann, auch mit dieser Predigt hier in so einem Abendmahlsgottesdienst am Sonntagmorgen, dann wär’s das Billigste, wenn wir uns in schauriger Sensationslüsternheit à la BILD-Zeitung mokieren würden über die Mächtigen, wie’s die treiben nach Davids Art, über die anderen, dass sie „Miles-and-more-Betrug“ machen und Schlimmeres, dass sie Sodom und Gomorrah veranstalten, Recht beugen und in ihrer Eigensucht über Leichen gehen, wenn wir an Fromme denken, die Wasser predigen und Wein saufen, an Pharisäer, die Masken tragen für Gottesdienste und sich hinterher im Alltag auch nach Schweineart benehmen in ihrer Unglaubwürdigkeit.

 

All das mag zutreffen,  aber die Pointe glaub ich, die Pointe hier wird ganz woanders sitzen: dass vielleicht du der Mann bist, dass du die Frau bist, die eigentlich eine Maske trägt und nach außen schauspielert, wo’s innen ganz anders aussieht, mit einem Leben, das am Ziel vorbei geht, und am Ende bin ich’s sogar, der sich sehr persönlich sagen muss: Der Gott, den du da predigst, der guckt auch hinter deine Masken, Friedhelm, und kennt dich anders – wie du unverstellt bist.

 

Wenn jeder von uns das, was wir unter dem Teppich versteckt und verborgen haben, hier offen hinlegen und einfach freimütig ausbreiten würde, wir würden staunen! Wir würden aber noch mehr staunen, wenn das alles offen hier läg und wir würden ehrlich zu dem entscheidenden Schritt kommen, dass wir sagen: Ich bin’s! Ich brauche Gott, ich brauch diesen gekreuzigten Christus, um endlich wieder Christ zu werden, um endlich wieder mit mir und meiner Welt ins Reine zu kommen, mit meinem Schutt von Narben, Wunden, von Schuld und Ängsten, vielleicht – nein, ganz sicher, wär das ein Anfang, wo wir wieder was mit Gott anfangen könnten, wo wir wieder was mit Predigten anfangen könnten, und wo die Bibel, dieses schonungslos ehrliche Buch, echt zu sprechen anfing bei uns – nicht nur bis zu den Ohren, sondern mitten ins Herz hinein!

 

Die Bibel begänne zu sprechen zu uns, und zwar von der Nathangeschichte bis hinzu der ganz ganz ähnlichen Jesusgeschichte, wo Jesus die Ehebrecherin, welche jene eifernden Pharisäergestalten steinigen wollten, ihren großen Freispruch auf den Kopf zusagt, als er sie zu einem neuen Menschen macht, in dem er den Feinden sagt: Der ohne Sünde werfe den ersten Stein, und zu ihr: Fang neu an und sündige hinfort nicht mehr. Auch David bekanntlich durfte neu anfangen - wie jene, die sie steinigen wollten; Gottes Gnade wurde größer als die Riesenschuld.
 

Liebe Gemeinde, jener Martin Luther, dessen Lied wir eben sangen und gleich weiter singen werden, der hat mal gesagt, das ganze Glaubensbekenntnis habe einen ganz zentralen Satz und der stehe ziemlich am Ende: „Ich glaube Vergebung der Sünden“. Alles andere davor von Gott, Jesus und Pontius Pilatus, das sagt man so runter, meinte Luther, wie eine scheinbare Aufzählung von Tatsachen, aber dann – ziemlich am Ende, dann käme das eine, auf das es ankommt: Ich glaube Vergebung der Sünden. Und da wäre ich selbst gefragt und bis ins Herz getroffen: Glaube ich, dass ich Sünder bin und Vergebung nötig habe? Und das, genau das mit der Vergebung der Sünden, das wäre der Dreh- und Angelpunkt bei allem Glauben, und von da aus wäre das andere nicht nur eine Liste von Tatsachen, sondern das Heil, das mir gilt!

 

In gleicher Richtung sagt’s der Text heute: DU BIST DER MANN UND DU BIST DIE FRAU, die neu was erfahren soll von Vergebung der Sünden – auch hier im Abendmahl, von Gottes Gnade, die neu anfangen lässt und die dann bis morgen und übermorgen reicht und schließlich bis in Ewigkeit. AMEN.

 

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