Gottesdienst am 14. Sonntag nach Trinitatis, 13.9.98

in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

Die ABBA-Predigt vom Geist, wie Kinder ihn haben

Eingangslied heute: eg 570, 1-5 (Du gabst uns, Herr, dein festes Wort, gib uns allen deinen Geist)

Neutestamentliche Lesung vom Lesepult aus:

[Wenn wie heute in der Predigt ein Paulustext aus Römer 8 dran ist, ein Text in ganz hellen hoffnungsvollen Farben, dann muß man den dunkleren Hintergrund – Römer 7 – kennen, denn Römer 7 und Römer 8 – das Dunkle und das Helle – gehört bei Paulus eng zusammen; so hören wir hier als Lesung zentrale Verse aus dem Ende des Kapitels Römer 7, wo Paulus schreibt:]

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. So finde ich nun das Gesetz, daß mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.

Lied vor der Predigt – (eg 341, 1-5) von dem genannten Dunklen und Hellen wie bei Paulus in Römer 7 / 8 hat Martin Luther sein Lied geschrieben, in dem seine eigene Wende vom Dunklen zum Hellen auch das Thema ist: Nun freut euch, lieben Christen g‘mein...

Predigt zu Römer 8, 12 - 17

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn, Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, in meiner Studienzeit in Marburg, da hatte ich einen guten Bekannten, den Theologiestudenten Ulrich Weidner, der zwischenzeitlich ein prima Pfarrer geworden ist und als Theologe sehr interessante Sachen geschrieben hat, und dieser Ulrich damals in Marburg, der hatte immer einen Spruch auf Lager : "Wie bist Du heute drauf? Römer7 oder Römer 8?"

Was meinte der damit, Ulrich Weidner – mit diesem typischen Theologiestudentenspruch? Ich will’s mal kurz andeuten. Jeder Theologiestudent weiß, was auch normale Bibelleser wissen, sicherlich: wie zentral und grundwichtig im Neuen Testament der Römerbrief von Paulus ist – und daß da die Nahtstelle genau zwischen Römer 7 und Römer 8 liegt. Römer 7, wie wir es auch eben in der Lesung hörten: das Gute, das ich will, tue ich nicht, das Gesetz des Fleisches, das Gesetz der Sünde ist in meinen Gliedern. Luther hatte das Gleiche in seinem Lied so gesagt: Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren. Doch dann kommt die Wende, die Wende hin zu Römer 8, eine Wende, die sich ja auch in der Bekehrung des Paulus niederschlug und in der Umkehr Luthers weg vom Gesetz hin zu seiner neuen Entdeckung, die die Kirche umkrempelte: der Geist Gottes macht einen vorher im Gesetz Gefangenen frei und erneuert ihn und viele andere um ihn herum.

Genau das meinte damals mein Freund Ulrich mit seinem Theologenspruch, ob man mehr als "Römer-7-Mensch" drauf wäre oder als "Römer-8-Mensch". Und heute ist genau diese theologisch so wichtige Nahtstelle zwischen Römer 7 und Römer 8 in unseren Kirchen der vorgeschriebene Predigttext des 14. Sonntags nach Trinitatis. Wir hören diesen Paulustext, aus Römer 8 die Verse 12-17:

So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, daß wir nach dem Fleisch leben. Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben.

Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

 

Wir beten: Du gabst uns, Herr, dein festes Wort, gib uns allen deinen Geist. O komm, du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein, ja, erschließe du, heiliger Geist, dein Wort und mach jetzt in unseren Herzen gewiß, daß wir Gottes Kinder, Jesu Brüder und Schwestern sein dürfen. Amen.

Ja, liebe Gemeinde, ohne Geist versteht man unsern heutigen Text nicht, das ist gewiß! Nicht falsch verstehen, ich meine nicht den Geist der Theologiestudenten, die Vorlesungen über die Theologie des Paulus kennen und schlau ihre Gehirnmasse anstrengen und dann etwas aus dem Neuen Testament herauskriegen: etwas, was zentral ist für Paulus in seiner Theologie, da in Römer 7 und Römer 8. Ich las in einer Auslegung zu unserm heutigen Text, das wäre – theologisch gesehen – "Schwarzbrot", was Paulus da schreibt, da hätte man was dran zu kauen, was gut und nahrhaft wäre.

So will ich hier aber keine kluge theologische Vorlesung halten über die Theologie des Paulus und das, was Paulus mit den Begriffen Fleisch und mit Gesetz meint. Nein, ich will auf diesen heiligen Geist vertrauen, der uns das Wort lebendig macht und uns kapieren läßt, was es uns sagt. Statt theologisches Schwarzbrot alleine also: eine Scheibe mit ein bißchen Butter dabei und bißchen was zu trinken dazu, damit das, woran man kauen muß, nicht im Hals würgt.

So stelle ich hier den entscheidenden Vers unseres Textes in die Mitte, wo Paulus den Christen in Rom schreibt:

Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!

Das genau ist der Dreh- und Angelpunkt im heutigen Predigttext! Und das ist der Dreh- und Angelpunkt für Paulus im Römerbrief überhaupt! Wenn das stimmt, dann braucht man also keinen theologisch geschulten Geist, um dahinter zu kommen, dann braucht man den Geist, wie Kinder ihn haben. Ja, dann braucht man die Art, wie Kinder sie haben, wenn sie sprechen und beten, um das Grundwichtige hier zu kapieren. Lassen sie es mich an zwei Beispielen erklären:

Das erste Beispiel fand ich in einer alten Predigt genau vor 12 Jahren, als im Spätsommer 1986 auch am 14. Sonntag nach Trinitatis genau dieser Text hier dran war. Da hatte ich auf einer Urlaubsreise an der Weser ganz ganz viel Zeit endlich gehabt, mit meinem damals 19 Monate alten kleinen Sohn rumzulaufen. mit ihm zu spielen. Und mit am schönsten damals war es, wenn wir das Spiel spielten: "Wer kommt in meine Arme?", also wenn der 19monatige kleine Sebastian sich da in Bewegung setzte, schneller und schneller wurde, auf mich zu, bis er mich erreichte und mir in die Arme sprang – und wenn er dann noch "Pappa" rief, dann wußte ich nicht, ob der Kleine in seinem kindlichen Geist es schöner fand oder ich. Und dies Spiel, so sagte ich’s damals in der Predigt, das konnte er sogar auf der Treppe des Pfarrhauses, wo Sebastian, der sonst sehr vorsichtig war auf der Treppe, sich – wenn ich davorstand – aus vier Stufen Höhe mir sich voll in die Arme fallen ließ. Nix Besonderes, na klar, das gebe ich zu! Viele Erwachsene haben solche Spiele mit ihren Kleinen gemacht. Aber ziemlich das, was da gemeint ist, das hat Paulus im Sinn hier in Römer Kapitel 8, wenn er dort vom "kindlichen Geist" spricht an dieser zentralen Stelle: Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!

Zweites Beispiel: Reden wie Kinder, die beten, liebe Gemeinde – so etwas meint Paulus. Da haben wir im Konfirmandenunterricht seit Anfang September eine neue Unterrichtsreihe mit dem Thema: "Das Vaterunser – oder hat Beten einen Sinn?" Und da haben wir am vorletzten Donnerstag eine anonyme schriftliche Umfrage gemacht: "Wie hast du es als Kind mit dem Beten gemacht, und wie ist heute dein Beten?" Jeder und jede im Unterricht hat dazu die eigene Meinung aufgeschrieben: Wie es damals war, als kleines Kind, wenn man betete, zum Beispiel abends mit der Mutter (bei einigen oder den meisten), und wie es heute ist, wenn man betet. Wir haben da in unserer Vaterunser-Reihe auch davon geredet, daß einige heute bewußter beten als sie es früher als Kleine getan haben. Und einige haben dann über dies Thema Beten, über das man sonst nicht zu reden wagt, weil es ein Schämthema ist, auch geredet, während andere offen zugaben, daß sie mit Beten bisher eigentlich nicht sehr viel am Hut haben. Bis einer, der mich seit längerem duzt, mich da mitten im Unterricht fragte: "Betest du eigentlich abends auch, so richtig?" Und da mußte ich Farbe bekennen, und ich hab Ja gesagt: daß ich nicht nur bete als Pastor, weil ich den Beruf habe, daß ich abends, wenn ich im Bett liege, nicht ohne kann: daß ich dann froh bin, daß ich einen Vater habe, der mich hört, der mir den knechtischen Geist und all den Mist des Tages wegnimmt, der mir diesen kindlichen Geist schenkt, daß ich Abba sage. Lieber Vater, heißt das.

Genau genommen heißt das noch mehr, dies Fremdwort Abba. Es stammt aus Jesu Muttersprache, dem Aramäischen, das man rund um den See Genezareth sprach in Jesu Zeiten, und Abba, das ist Kindersprache und heißt "Pappi", das heißt "Väterchen" oder "Pappili", so wie ein ganz kleines Kind das zärtlich und sehr vertrauensvoll sagt. So sprach Jesus, der Einzigeine, mit dem Vater: Väterchen, Pappi! Ja, mehr noch, da steckte allein in diesem Wort ganz viel drin von dem eben genannten Spiel: Wer kommt in meine Arme! Das ist Beten nach Jesu Art, im Geiste Jesu. Und das meint Paulus an dieser Nahtstelle in Römer 8 mit dem "kindlichen Geist", der Abba, lieber Vater betet.

Gewiß, die Obercoolen unter den Vätern heute, auch unter den Müttern, die Obercoolen auch unter den 13jährigen, die zum Unterricht gehen, die können sich über ein solches Beten, wie es hier gemeint ist, meinetwegen kaputtlachen, die können meinen, das paßt doch nicht zu welchen, die schon groß sind und sich mündig vorkommen und dann immer noch zu Gott Du sagen wie zum Vater und die zu ihm Abba sagen.

Und doch ist genau das die Mitte heute morgen: nicht irgendein Gott wird hier gepredigt, so eine höhere Macht irgendwo, sondern der Gott, zu dem Jesus Pappilein und Abba sagte, den er duzte, der Gott, der so ist wie: "Wer kommt in meine Arme?"

Und sage keiner hier: so persönlich und naiv von Gott zu reden, das ist doch allzu kindisch. Es ist nicht kindisch, es ist in guter Weise kindlich, es ist genau die Art, die Jesus hatte und die Paulus meint: du mußt dich nicht von all dem, was in unserer Welt Furcht macht und einen runterzieht, kaputtmachen lassen. Du kannst wissen, da ist einer, der hält für dich die Arme auf, der kennt dich, und der ist bei dir, und Beten, so verstanden, wie ich es sagte, heißt: Ich darf wie ein Kind seine offenen Arme in Anspruch nehmen, meinen vergangenen Tag, meinen kommenden Tag in seine Hände legen und seinen Armen, die mich halten, vertrauen: daß nicht all die bösen Geister der Furcht und der Knechtschaft mich bestimmen, sondern sein guter Geist, der kindliche Geist, der Abba sagt, lieber Vater, Vater unser.

Wie heißt es von diesem Geist in unserm Text in Römer 8: Die der Geist treibt, die sind Gottes Kinder. Wer von diesem Geist die Führung und den Antrieb kriegt, der verändert seine Umgebung. An Paulus und an Luther kann man das schon sehen, wo da Menschen, die zuerst alles mit dem Gesetz und dem Zwang in den Griff kriegen wollten, es nicht durch ihr Gutsein und ihre Taten schafften und dann in einer Wende dazu kamen, Christus als ihren Herrn zu finden und in seinem Namen Abba sagen konnten zu Gott, daß dann die ganze Umgebung angesteckt wurde wie von einer heilsamen Gesundheit und sie das Evangelium als Frohe Botschaft mit Macht den andern als eine herrliche Befreiung verkünden und weitergeben konnten: Die der Geist treibt, die sind Gottes Kinder.

Ja, liebe Gemeinde, das ist das Schwarzbrot, um das es heute geht, ob mit oder ohne Butter drauf: nicht ob es da bei Paulus diese wichtige Nahtstelle von Römer 7 nach Römer 8 gibt, ist entscheidend, sondern ob es genau dies in unserm Leben gibt: daß wir den Ort des Betens haben, daß wir da werden wie ein Kind, daß wir da seine offenen Arme in Anspruch nehmen, und all unser Scheitern, all unsere Zweifel, all unser Kreuz ihm da hinlegen und ihm sagen: Nimm mich in deine Arme mit meinem Leben und mach du was aus mir, du, Abba, Vater. Laß mich dein Kind sein, wie es heute im Text steht, sage du mit deinem Geist zu meinem Geist, daß ich ein Sohn und eine Tochter dieses Vaters bin, ja, schenk mir, Herr, diesen kindlichen Geist, der dir vertraut, und laß mich mich darüber freuen und froh werden, daß ich als dein Sohn, deine Tochter auch Bruder oder Schwester von Jesus bin, dem Sohn, und damit, wie es am Ende des Predigttextes heißt, mit IHM auch Erbe bin: Gottes Erbe und Miterbe Christi, der mit ihm über diese Zeit hinaus ein Erbe hat, das kein Tod zerstören kann für die, die Gottes Kinder sind.

Ja, liebe Gemeinde, das wäre das Schönste und Wichtigste heute morgen, wenn hier jemand, der als "Römer-7-Mensch" in die Kirche kam etwas davon mitgekriegt hat, daß es Römer 8 gibt, Gott sei Dank, den Geist, der uns zu Kindern macht, zu Brüdern und Schwestern Jesu, zu Brüdern und Schwestern untereinander, den Geist, der Abba sagt und in Gott sein Du sieht und seinen, unsern Vater. Amen.

 

 

 

Lied nach der Predigt (eg 351): Ist Gott für mich, so trete, Str. 1, 7-9 und 13

1. Ist Gott für mich, so trete / gleich alles wider mich; / sooft ich ruf und bete, / weicht alles hinter sich. / Hab ich das Haupt zum Freunde / und bin geliebt bei Gott, / was kann mir tun der Feinde / und Widersacher Rott?

7. Sein Geist wohnt mir im Herzen, / regiert mir meinen Sinn,

vertreibet Sorg und Schmerzen, / nimmt allen Kummer hin; / gibt Segen und Gedeihen / dem, was er in mir schafft, / hilft mir das Abba schreien / aus aller meiner Kraft.

Röm 8,15

8. Und wenn an meinem Orte / sich Furcht und Schrecken find't, / so seufzt und spricht er Worte, / die unaussprechlich sind / mir zwar und meinem Munde, / Gott aber wohl bewußt, / der an des Herzens Grunde / er siehet seine Lust.

Röm 8,26

9. Sein Geist spricht meinem Geiste / manch süßes Trostwort zu: / wie Gott dem Hilfe leiste,

der bei ihm suchet Ruh, / und wie er hab erbauet / ein edle neue Stadt, / da Aug und Herze schauet, / was es geglaubet hat.

13. Mein Herze geht in Sprüngen / und kann nicht traurig sein, / ist voller Freud und Singen, / sieht lauter Sonnenschein. / Die Sonne, die mir lachet, / ist mein Herr Jesus Christ; / das, was mich singen machet, / ist, was im Himmel ist.

Text: Paul Gerhardt 1653