Ev. Gottesdienst in Holzen bei Arnsberg-Hüsten in der kath. Johanneskirche am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, 16. November 2003

Predigt der heutigen Sonntagsepistel aus Römer 8
 

 Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde hier in Holzen! Der für den heutigen Sonntag in unseren Kirchen vorgeschriebene Episteltext ist jetzt für uns der Bibeltext, der der Predigt zugrunde liegt. Paulus schreibt da an die Gemeinde in Rom, etwas von der Hoffnung, die weiter reicht als der Tod. In Römer 8, 18-24a und 26 lesen wir:


Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass  die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben,  seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft,
der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

Liebe Gemeinde, in Goethes Faust wird Gretchen gefragt: „Wie hältst du’s mit der Religion?“ Aber in letzter Zeit (so habe ich den Eindruck) ist die eigentliche Gretchenfrage die Frage nach der Hoffnung: „Wie hältst du’s mit dem Hoffen?“ Hoffen angesichts all der Leiden und des Seufzens ringsum. Mir jedenfalls ging und geht das so. Da hatte ich ganz vor kurzem den Friedhof meiner alten Kirchengemeinde Deilinghofen zu besuchen, und ich las da all die Namen auf den Grabsteinen: fast alle kannte ich sehr gut. 700 oder 800 von ihnen waren von mir in 19 Jahren dort beerdigt worden, und ich hatte sie zumeist vorher lange und oft recht intensiv begleitet. Und ich musste da an meinen sehr engen Bekannten denken, ein noch nicht alter Mann, der diese Woche im Krankenhaus - 5 km von diesem Friedhof weg - völlig unerwartet sein Todesurteil bekommen hatte: da sei nichts mehr zu machen – bei dem Stadium von Krebs, er habe noch ganz kurz zu leben...

Ja, was ist zu hoffen? Wenn ich das an Krankenbetten oder an Sterbebetten gefragt werde, dann geht’s ans Eingemachte – nicht nur bei dem, der mir da die Frage stellt, dem seufzenden Mitmenschen, der da liegt, sondern auch mir: worauf kann ich mich da verlassen? Wie halte ich, Groth, es mit meinem Hoffen? Und manchmal frag ich mich da, wie jetzt bei meinem Bekannten: Wie wäre es, wenn ich selbst so da läg, kurz nach meinem Todesurteil? Hält dich, Groth, da die Hoffnung, die der Glaube schenkt?

Szenenwechsel: Eine feiernde Gesellschaft, ältere Leute auf einem Geburtstag, ein Wohnzimmer, irgendwo hier in der Gegend. Und da in der Gesellschaft ein Pastor. Und prompt kam sie wieder auf in diesem Wohnzimmer: die Gretchenfrage nach der Hoffnung – „Wie hältst du’s mit dem Hoffen?“ Durchaus verbunden mit etwas Hinterlist und kleinen Nadelstichen gegen jenen Pastor wurde plötzlich in diesem Zimmer diskutiert über Hoffnung. Ungefähr so: „Wissen Sie, der eine hat sich verbrennen lassen, so dass die sterblichen Überreste jetzt in einer kleinen Urne drin sind – und der andere, der hat sogar Seebestattung verfügt, wo die Asche auf dem Ozean verstreut wird usw. usw. – wie soll Gott da einen Menschen wieder zusammen setzen, bitteschön, Herr Theologe, jetzt sind Sie dran; zeigen Sie doch mal, was Sie drauf haben. Wir prüfen Sie, wenn Sie von Ihrer Hoffnung jetzt Rechenschaft geben...“ Und gemeint war: „Bitteschön, hier haben Sie es schwerer als auf der Kanzel; hier könn’ wir Sie mal richtig testen...“ Was würd er tun, der Pastor – würde er mechanisch Bibelverse zitieren, würde er versuchen, Beweise zu bringen – für seine Hoffnung, die alles übersteigt?

„Ach was“, so nahm eine ältere Dame, die mal auf dem Lyzeum gewesen war, das Ergebnis schon vorweg: „Da gibt’s doch Texte in der Bibel und recht ähnliche in vielen Religionen – bis hin zu den Indianern mit ihren ewigen Jagdgründen und so. Aber das sind doch alles höchstens so ganz vage Bilder von der Hoffnung!“ – und im Klartext meinte diese Frau: Nichts Genaues weiß man nicht. Sie wollte damit sagen: Rupft euren Pastor doch nicht so, der arme Pastor muss doch auch nur so mit der Stange im Nebel rumstochern, was Zukunft und Hoffnung anbelangt. Ja, sie meinte eigentlich: Er hat doch auch nur seine armselige Bibel, die wir damals schon auswendig lernen mussten – so weit ist es also nicht her mit dem Hoffen, dass ein Theologe da Kompetenz hätte und was Sinnvolles sagen, das durchschlage.

Liebe Gemeinde, 100fach sind solche Geschichten, wie ich sie hier schilderte, passiert: dass – wenn schon mal über Glauben und Hoffnung irgend wo geredet wird – am  Ende nur das Besserwissen: „Ätsch und Bätsch, Christen wissen’s auch nicht“ übrig bleibt, oder das Gefühl: „Nicht Genaues weiß man nicht, man fuchtelt da wie mit der Stange im Nebel umher...“ 

Liebe Gemeinde, wenn wir von da in den heutigen Predigttext aus Römer 8 reinhorchen, in die Worte des Paulus, in der er Rechenschaft gibt von seiner Hoffnung, dann ist das für den, der Ohren dafür hat, eine Sorte Hoffnung, die sich kein bisschen für solche Besserwisser-Redeschlachten eignet; im Gegenteil!

In Römer 8, wird nämlich nicht mit kühlem Kopf diskutiert, da wird stattdessen mit brennendem Herzen uns was vor Augen gestellt: nämlich zuerst einmal das abgrundtiefe Leiden in dieser Welt. Das wird da wahrgenommen und ehrlich benannt, all die fast grenzenlose Anfechtung, dass die Welt um uns herum eben randvoll ist mit harten Gegenargumenten, die jedem Glauben und jedem Hoffen ins Gesicht schlagen. Paulus drückt das so aus: Da ist so viel Seufzen und Stöhnen in der Welt! Und er meint damit ziemlich das Gleiche, was jener große Philosoph des 19. Jahrhunderts in die treffenden Sätze zusammen fasste: „Jeder geschlagene und geschundene Kutschergaul muss einen eigentlich an der Liebe Gottes verzweifeln lassen“; jede geschundene Kreatur, ja, jede Kinderträne, die vergossen wird, ist in voller Härte ein Argument gegen den Glauben an Gottes Liebe!

Liebe Gemeinde, zu dieser Schöpfung, zu dieser Kreatur, die seufzt und stöhnt, gehört für Paulus nicht nur der geschlagene Kutschergaul und das im Schmerz weinende kleine Kind. Da gehört in seinem Sinne der krebskranke vom Tod Bedrohte, von dem ich am Anfang erzählte, der jetzt fragt: „Was bleibt mir zu hoffen?“ Da gehört der Jugendliche dazu, der in sich eine Frage spürt, die in ihm brennt wie Durst: „Was eigentlich ist der Sinn meines Lebens?“ Da gehört die fast depressionskranke Witwe, die trauert dazu - mit ihrer ureigenen Frage: „Was bleibt mir jetzt noch nach allem?“ Ja, da gehören zu diesem Stöhnen und Seufzen die angegriffenen Juden gestern bei den zwei Bombenattentaten an den Synagogen in Istanbul dazu, ganz gewiss: zur seufzenden Schöpfung im Sinne des Apostels Paulus nach Römer 8. Da gehört der Krieg gegen die Tiere dazu, all das Schlimme, was Walfischen und Käfighennen angetan wird, und erst recht der grausame Krieg der Menschen, wenn heute am Volkstrauertag an seine Abgründe von Seufzern, Schmerzen und Schuld erinnert wird.

Kurzum: „die Leiden dieser Zeit“, wie Paulus da ja sagt, die sind da bei Paulus nicht mit kühlem Kopf analysiert und aufgelistet, sondern in all den Tiefen der Leiden und Anfechtungen mit brennenden Herzen voll von Mitleid und Mit-Gefühl wahrgenommen. Nein, Paulus stellt sich da nicht hin als Besserwisser der Hoffnung. Er hat es nicht nötig, all die seinen Glauben zutiefst anfechtenden Dinge zu verdrängen und auszublenden. Und dafür gibt es einen Grund: All die Seufzergeschichten, all diese Leidens- und Schuldgeschichten, die vermag er eng mit dem seufzenden Schmerzensmann, mit dem Gekreuzigten auf Golgatha, seinem Herrn, zusammen zu sehen, mit IHM, der in seiner Passion all das selbst ertrug: all dieses Seufzen und Stöhnen bis zu dem Punkt dicht vor dem Abgrund, als er WARUM schrie in den Himmel. Und von diesem Herrn am Kreuz her, liebe Gemeinde, kommt es, dass da in Römer 8 nicht die Spur von falscher Frömmelei ist, als könnte eine Kind Gottes einfach so erhaben sein über alles Seufzen und Stöhnen in der Schöpfung...

Ganz im Gegenteil bringt’s Paulus glasklar zum Ausdruck, dass die Kinder Gottes nicht die anfechtungslosen Besserwisser der Hoffnung sind. Nein: jeder, der sich als Kind Gottes weiß, er, Paulus eingeschlossen, ist in diesem Zusammenhang von Seufzen und Stöhnen mitten drin und hat die gleichen Anfechtungen auszuhalten wie alle Welt. Die Kinder Gottes sind also nicht auf einer „Insel der Seligen“, wo die Hoffnung so eine nette rosa Wolke ist: So niemals - stattdessen reiben wir uns und stoßen uns, empfangen manchmal tiefe Lebenswunden, haben teil an all dem Kreuz, das über der Welt liegt.

Ja, liebe Gemeinde, von Römer 8 aus gesehen ist es der Normalfall, dass Christen in Wohnzimmern und anderswo - hämisch oder nicht hämisch -- die versucherische Frage vorgeknallt kriegen: Wie hältst du’s mit der Hoffnung, du Christ, der du doch von Trauer und Leid genauso viel zu tragen hast wie die andern (und manchmal noch mehr!), du Christin, du Christ, der Du doch die gleichen Fernsehprogramme siehst mit all dem Schrecklichen, der du doch aus jeder Nachrichtensendung 100 Argumente gegen Gott dir sammeln könntest - mit dem Ergebnis, dass nach gesundem Menschenverstand nichts mehr zu hoffen bleibt von dem da oben und alles Stochern mit der Stange im Nebel nichts hilft.

Ja, liebe Gemeinde, das ist der Normalfall, dass uns unter der Anfechtung Hören und Sehen vergehen und das wir all den bohrenden Besserwisserfragen aus eigener Kraft und mit dem eigenen Geist nichts und rein gar nichts entgegensetzen können.

Wenn da nicht bis zum heutigen Tage ein anderer Geist  wäre, der uns in unsrer Schwachheit aufhilft, auch wenn wir nicht mehr beten können, der uns ganz frei macht, ganz frei von dem, was „man“ sagt und was „die Leute“ sagen. Es ist der heilige Geist, der uns auf Jesus verweist, auf seine Passion, auf IHN, den Schmerzensmann, dessen Seufzer und schmerzen nicht das letzte Wort behielten, weil er der österliche Sieger wurde, der Herr über alles. Dieser Geist verweist uns auf den ganz soliden Grund aller Hoffnung, auf IHN, der an den Kranken- und Sterbebetten aus seufzenden Menschen Erlöste machen kann, an IHN, der in Wohnzimmern und anderswo aus skeptischen Besserwissern Christen machen kann, auch hier in der Johanneskirche, also frohe Leute, die auf einem Grund stehen, den sie sich nicht selbst geschaffen haben. Paulus nennt das in unserm Text die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Und er meint, dass, wo Gottes Geist wirkt an einem Menschen jetzt schon förmlich ein Stück Himmel auf die erde kommt, ein Stück vom vorweggenommenen Ziel der Hoffnung der Kinder Gottes.

Ja, wo der Geist einen Menschen frei macht, da ist der Geist wie eine Erstlingsgabe, sagt Paulus, das heißt wie so ein Angeld, wie so eine erste Rate von dem, was kommen wird. Nicht zum Selbstbehalten ist dies Angeld da, nein, in dieser Zeit schon wird abgegeben von dem Überschuss der Hoffnung, an die, die anderswo seufzen und stöhnen, und die - unausgesprochen - wie es da in Römer 8 steht sich dabei sehnen nach der herrlichen Freiheit, Gottes Kind sein zu dürfen, also nach dieser Hoffnung, die im Leben trägt und die kein Tod in Ewigkeit zerstören kann. Jeder von uns, liebe Gemeinde, ist auf solche Hoffnung hin angelegt, das sagt die Bibel und unterstreicht es besonders hier in Römer 8. Und meine Erfahrung jedenfalls bestätigt das: Ich kenne keinen Menschen, der sich nicht im Tiefsten danach sehnt nach Glauben: sich als Gottes Kind zu wissen, oft gerade dann, wenn er sich als Schlaumeier, als skeptischer Zweifelskünstler (oder als besserwisserischer Atheist sogar) "dicketut", dann bohrt innen oft umso heftiger die brennende Sehnsucht: Glauben zu können und Gottes Kind zu sein.

Und so ist zum Schluss die Gretchenfrage nach der Hoffnung bei jedem von uns: bei dir und bei mir, wie halte ich das mit dem Hoffen, und hast du teil an dieser riesengroßen Freiheit, die Gottes Geist schenkt? Und daran teilhaben heißt immer auch: den Seufzenden neben mir was davon abgeben, damit die ne Chance kriegen, Christ zu werden und auch zu lebendig zu hoffen als Gottes Kind.

So schließe ich mit Worten des bekannten Berliner Theologen Helmut Gollwitzer, der mir und vielen andern zu einem großen glaubwürdigen Zeugen der lebendigen Hoffnung wurde. Gollwitzer, den wir „Golli“ nannten, schreibt:

„Weil Gott die Tränen abwischen wird, hat es Sinn, hier schon Tränen abzutrocknen und zu verhindern.
Weil der Schmerz verschwinden soll, wird jetzt schon jede Schmerzstillung, jede Wohltat zum Hinweis auf die große Verheißung.
Weil Gottes Reich ein Reich der Freiheit sein will, ist jetzt schon für seine Kinder der Kampf gegen Unterdrückung eine Demonstration des Reiches Gottes.“

Und der Friede Gottes ... Amen.

Übrigens: eine ganz andere Predigt über den gleichen Text - gehalten 1998 in Deilinghofen - finden Sie hier: http://www.centernet.de/pastoerchen/pr151198.htm

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