Predigt am Sonntag Lätare 17. März 1996 beim Tauf- und Presbytereinführungsgottesdienst

in der Stephanuskirche Deilinghofen
(Brigitte Rohländers, Dietrich Fritzlars und Hilmar Dodts Verabschiedung aus dem Deilinghofer Presbyterium)

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen. AMEN.

 

Liebe Gemeinde! Ein neuer Anfang, auch im Glauben, das klang eben schon an, kann der heutige Festgottesdienst sein für unsere beiden Taufjungen und ihre Familien; ein neuer Anfang kann er sein für unser Presbyterium am heutigen Sonntag Lätare, an dem zu dieser Stunde in ganz Westfalen die neuen Presbyterinnen und Presbyter eingeführt werden. Der vorgeschriebene Predigttext aus dem Jesaja-Buch des Alten Testamentes, über den jetzt in den meisten evangelischen Kirchen in Deutschland gepredigt wird, ist auch und gerade ein Text, der eine Wende markiert und einen neuen Anfang setzt; er wurde damals im 6. Jahrhundert vor Christus vom Propheten hineingesprochen  in die Situation der Elenden und Traurigen in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft, die dort von einer neuen Hoffnung und einem neuen Bund des Friedens hören.

 

Ich lese Jesaja 54, die Verse 7 bis 10:

Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.  Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

 

Erlauben Sie mir einen Umweg, liebe Gemeinde, der uns dann mitten in unsern Text hinein führt, eine Rückblende, mit der ich beginne und erinnere an den 17. März 1985, heute vor 11 Jahren hier in der Kirche; es war genau der 70. Geburtstag meines Schwiegervaters, der vorigen Dienstag in Hagen beerdigt wurde, und es war jener Sonntag der Tauftag unseres Sebastian, aber noch viel eindrücklicher und unvergesslicher war mir und vielen andern die Predigt, die damals auf dieser Kanzel gehalten wurde, von einem ungewöhnlichen Prediger: dem durch seine Bücher und Vorträge weit über Deutschland hinaus bekanntgewordenen Herner Superintendenten Fritz Schwarz, der damals unsern Basti taufte und der mir glaubensmäßig die Augen geschärft hat wie kein anderer und mir beides war, Seelsorger und Freund. In der Frauenhilfe am Mittwoch kam viel von diesem äußerst streitbaren Ruhrgebietsoriginal Fritz Schwarz vor, z.B. aus diesem Buch, das vorne auch sein Bild zeigt - wenige Wochen nach der letzten Predigt hier auf dieser Kanzel ist er gestorben, und als er hier diesen Gottesdienst hielt, heute vor 11 Jahren, wußte er schon, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Besonders der Anfang der damaligen Predigt war unvergeßlich, er, der Fußballfan, mit dem ich an die 60 bis 70 Mal im Gelsenkirchener Stadion war, blickte sich lange in der Gemeinde um und fragte, ob wir die Angst des Tormannes beim Elfmeter kennen würden. Das wäre eine ernste Frage, meint der Sup. Schwarz, denn immerhin hätte Peter Handke darüber einen Roman geschrieben, und er könnte die Angst des Torwarts beim Elfmeter auch verstehen, und noch besser die Angst des Predigers vor dem Predigen. Und die würd er jetzt fühlen, besonders wenn er die Leute von der Kanzel aus lange anguckte. Nein, er wollte uns nicht auf eine falsche Fährte locken, er hätte keine Minderwertigkeitskomplexe, und Predigen könnte er: originell predigen, gut die Worte setzen und griffige Beispiele finden, rhetorisch wär er auch ziemlich fit; das wär nicht sein Problem.

 

Aber er würde sich immer die Frage stellen, und das wär die Angst des Predigers beim Predigen, ob er denn wirklich die Menschen liebte, die da säßen, ob er denen in Liebe was rüberbringen möchte, und ob er dabei in der Liebe wär. Denn ohne so’ne Liebe wär alles Quatsch, und die schönste Predigt, ohne in der Liebe zu sein, wär hässlich, auch wenn's noch so wohlklingende, gutgemeinte, hochintelligente, mit oder ohne Fremdworte und Beispiele gespickte fromme Überlegungen wären, es blieben doch nur Sprechblasen und breitgetretener Quark, wenn’s ohne Liebe wär. Ja, das wäre die seine Angst als Prediger, daß da etwas lieblos bei den Leuten ankommt, und daß sie kein Gespür und keine Erfahrung davon kriegen, dass Jesus Christus ein leidenschaftlich Liebender ist, einer, von dem man nur in der Sprache der Liebe sprechen kann, einer, der uns - eben weil’s echte Liebe ist - konkurrenzlos wichtig wird, konkurrenzlos wichtig wie der Liebende der Geliebten ist.

 

Ich hab die Worte an jenem Tauftag damals nie vergessen, und hab sie deshalb an diesem Tauftag von Leon und Dennis, an diesem Einführungstag von vier Presbyteriumsmitgliedern uns nochmal in Erinnerung gerufen. Denn natürlich kann man lieblos taufen und sich dabei bloß in schönen Worten allgemeiner Kirchlichkeit ergehen, natürlich kann man auch routinemäßig dem Presbyterium angehören, natürlich kann man selbst die schönen Worte vom „neuen Anfang“ hier leicht sagen, ohne es wirklich in Liebe zu glauben, dass der auch passiert.

 

Und jeder, der mit geschärften Augen unsre Kirchen, die katholische und auch die evangelische, betrachtet - das kam ja auch in dem Taufgespräch vor -, spürt, dass sehr oft die Kirche deshalb nicht mehr wichtig ist, weil da die Leidenschaft und Liebe fehlt und man stattdessen abgespeist wird mit frommen Richtigkeiten und schönen traditionellen Riten und allerhand gesetzlichen fragwürdigen Besserwissereien, und das war’s dann: das Herz bleibt leer.

Mit all dem, liebe Gemeinde sind wir längst schon mitten in unserm Text drin, denn was da - im Horizont des Exils von Babylon dem Volk Gottes vorgehalten wird, das ist: dass ein leidenschaftlich Liebender seiner Geliebten, die ihm untreu war, einen neuen Anfang ermöglicht; das ganze Kapitel Jesaja 54, auch ringsum, ist ein einziges werbendes und leidenschaftliches Liebesangebot von jemand, der uns wie verrückt liebt und seinem Volk das Angebot macht, all unserm Wackeln in unserer Beziehung, all unsern Schrammen zum Trotz den Bund der Liebe ganz bewusst neu anzufangen.  

 

In den Versen danach und schon in den Versen zuvor - man kann’s zuhause nachlesen - wird da in Jesaja von Gott sehr kühn die Sprache der Liebe gesprochen, und in dieser Linie setzt in unserm Text Gott ein wie eine leidenschaftlicher Liebhaber, dessen Treue stärker ist als die Verfehlung seiner Partnerin, die fremdgegangen ist: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.    

Erlauben Sie mir, liebe Gemeinde, diese Verse an einem Beispiel aus der Literatur zu erklären, das auch vor vielen Jahren hier einmal Herr Gert Wolff auf dieser Kanzel sehr anschaulich in einer Predigt uns vor Augen stellte, der eine Geschichte des bekannten Dichters Werner Bergengrün hier schilderte.

Es ging um jene Ehefrau in einem Fischerdorf eines südlichen Landes, die beim Ehebruch ertappt, den rauhen Sitten jener Gegend gemäß, die Todesstrafe zu erwarten hatte in einer Art Lynchjustiz: daß nämlich Frauen, die so was getan hatten dort auf dem Berg dort an der See auf die Klippe gestellt wurden und runtergestürzt wurden. Ihr Ehemann, als er von der Tat hörte, hatte sie verlassen und ward nicht mehr gesehen. An jenem Morgen, als die Dorfbevölkerung sich dranmachte, die Sünderin blutig zu strafen - so schildert’s Bergengrün in seiner Geschichte -, gab’s eine Riesenüberraschung; unterhalb der Klippe des Todesurteils, das war ein riesengroßes Netz aufgespannt, das die ganze Nacht über der vorher verschwundene Ehemann geknüpft hatte, um seine Frau vor dem Tod zu retten. Und es brauchte von da an nicht mehr viel, angesichts dieses Beweises von Liebe und Treue, daß alle überzeugt wurden, daß solche Liebe es nicht erlaubt, einen schuldig gewordenen Menschen weiter zu strafen. Die Ehefrau wurde begnadigt, und er, der sie einen Augenblick verlassen hatte, hat sie von da an durch dick und dünn weiter geliebt.

 

Sie haben’s verstanden, liebe Gemeinde, genau das ist in unserm Text mit Gott und mit dem Wörtchen Gnade gemeint, und nicht mehr und nicht weniger ist mit dem „neuen Anfang“ gemeint!

 

Ja, dieser Gott, von dem nichts mehr zu sehen war in den Abgründen von Traurigkeit und durchlebter Schuld dort im Exil, der meldet sich zurück - sehr anders, als man es logisch erwarten könnte; Gott ist nicht tot; er spannt inzwischen das Netz, um seine Treue zu beweisen und im Bund seines Friedens einen neuen Anfang zu setzen! Nicht Strafe, Gnade, das ist sein Wort, dem Taten folgen. Ja, viel mehr noch hören wir in unserm Text: so, wie der Noahbund für die Geretteten dann ein neuer Anfang war, so schwört er Treue - in Ewigkeit: Mein Netzknüpfen hört nicht auf, auch wenn 100x dies Netz mit einer Hängematte verwechselt wird... Und nirgends anders als am Kreuz von Golgatha, bei Jesus, dem einzigeinen Geliebten, der konkurenzlos wichtig hier werden will, da trat im Vollsinn raus, was in der Tiefe dieser Bund des Friedens bedeutet, dieses rettende Netz der Begnadigung.  

 

Im Bund dieses Friedens kann man Frieden verwirklichen, das Böse mit dem Guten überwinden, wie’s der Taufspruch von Dennis besagt - und wichtig ist das gerade in unsern Zeiten, wo alles wackelt und wankt. Gut ist’s, wenn man als Presbyteriumsmitglied, als Mitarbeiter, als Taufeltern und Paten, als Hörer dieser Predigt und als Prediger sich in diesen lieblosen und gnadenlosen Zeiten in Liebe von Jesus her was entgegenzusetzen hat und als Fundament sich das heute sagen läßt, was dem Leon bei der Taufe von Gott her gesagt wurde: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer. Und der Friede... Amen.

 

 

Fürbittengebet nach der Einführung (Gemeinde nach jeder Fürbitte: Wir bitten dich, Herr, erhöre uns!)

 

FG: Danke, Herr, dass es Vergebung gibt und neuen Anfang, danke, daß es deine Liebe, deine Agape, gibt, die mehr ist als nur ein Wort, danke, daß du angesichts unsrer Zerissenheit und Schuld das Netz deiner Gnade gespannt hast. Wir bitten dich für unsere gesamte Gemeindearbeit und sonderlich für unsere Presbyterinnen und Presbyter, die heute anfangen, daß sie mit dir anfangen. Wir bitten dich für die ausscheidenden Presbyteriumsmitglieder Brigitte Rohländer, Dietrich Fritzlar und Hilmar Dodt, daß sie als Versöhnte aus deiner Treue leben. Das bitten wir alle zusammen: Wir bitten dich, Herr, erhöre uns!

 

AS: Wir bitten dich Herr, für die Tauffamilien, für die beiden Kinder, die Eltern, Großeltern und Paten, daß ihnen die Taufe heute zum Segen werde. Laß Reden und Tun, Glauben und Liebe in Einklang kommen bei uns, und laß es auch in unseren Familien geschehen, daß das Bekenntnis, christlich zu erziehen, gute Wege in die Zukunft zeigt. Das bitten wir alle zusammen: Wir bitten dich, Herr, erhöre uns!

 

OQu: So bitten wir dich auch für die CVJM-Arbeit, die Katechumenen und Konfirmanden hier am Ort. Weil du dahinter bist als der, der uns liebt, als der, der das Netz spannt, kannst du es auch schaffen, daß das Bekenntnis bei der Konfirmation ein liebendes Ja wird zu dir. Das bitten wir alle zusammen: Wir bitten dich, Herr, erhöre uns!

 

FG: Herr, stehe den Erniedrigten und Beleidigten, den Leidenden  in unsrer Welt bei und setze dort durch Leute deines Wohlgefallens den Bund deines Friedens in Kraft. Und sei du bei den Leidenden, den Angefochtenen und den Sterbenden hier, die es nötig haben um dich zu wissen, das du dabei bist, selbst wenn Berge weichen und Hügel hinfallen. Das bitten wir alle zusammen: Wir bitten dich, Herr, erhöre uns! Und alles andere.....Vaterunser