Predigt am 21.11.99 (Ewigkeitssonntag) in Deilinghofen

 

GNADE SEI MIT EUCH UND FRIEDE VON DEM, DER DA IST  UND DER DA WAR UND DER DA KOMMT: JESUS CHRISTUS. AMEN.

 

Liebe Gemeinde am letzten Sonntag des alten Kirchenjahrs, was hier jetzt gesagt wird, in der Predigt, da spielt nicht nur die Bibel eine Rolle – da spielt auch viel anderes rein! Erlebnisse der vergangenen Woche, Erlebnisse aus dem vergangenen Jahr... Das ist eine Binsenweisheit eigentlich – jeden Sonntag. Aber am sogenannten Totensonntag, am Ewigkeitssonntag, da ist das besonders stark spürbar: wie unsere Erfahrungen entweder mit dem Wort der Bibel zusammenknallen und zusammenstoßen, dass wir sagen: Was soll ich damit, das gibt mir nichts. Oder aber wie unsere Erfahrungen, die wir machten, vielleicht sogar vom Wort der Bibel her in einen neuen hoffnungsvollen Horizont gestellt werden. Wie wird das heute sein, bei Ihnen?

 

Ich will Ihnen noch vor der heutigen Textlesung sagen, wie es bei mir ist. Eine Woche, die mir sehr an die Nähte gegangen ist, wohl eine der schlimmsten und schwersten Wochen in 17 Jahren Deilinghofen – vor einer Woche Volkstrauertag mit den beiden Reden in Deilinghofen und Brockhausen, und unmittelbar da anschließend zwei ganz ganz schwere Gänge zu Menschen, die ich sehr gut kenne, trauernde Angehörige in besonderen Situationen, und dann eben von Montag bis Dienstag diese drei ganz schlimmen Beerdigungen von Menschen, denen ich bis zuletzt ganz nah war und die ich sozusagen in- und auswendig kannte und auch lieb hatte, und zwei Tage drauf hatte Pastor Lohmann dann die vierte Beerdigung, bei einem Mann, den ich auch kürzlich besucht hatte und der früh von uns ging. Und ebenso kein bisschen Routine war das andere, gestern und vorgestern, als ich Helena aus der Slowakei nach all den Gesprächen mit ihr taufte und als ich sie und ihren Mann Jürgen dann traute. Das alles, so schön und schlimm es war, das war in Höhen und Tiefen wie eine Achterbahn, wie sollte es da anders sein, als dass sich all das Erschrecken, die Angst und auch die Zeichen von Hoffnung hier in der Predigt widerspiegeln?    

 

Ich wähle dazu einen Predigttext aus Johannes 14, der mir bei all dem nachging und den ich Dienstag am Schluss am Grab von Frau Wienecke in Auszügen sagte, den wir aber zuvor sehr oft im ablaufenden Kirchenjahr gehört haben – drüben dreihundert Meter von hier entfernt in der Kapelle des Friedhofs in sehr schweren Stunden. Ich lese diesen Text, der in unser Erschrecken hineinspricht, Joh. 14, 1-6, dann spielt die Orgel, und wir können ihn bedenken und auf uns wirken lassen, und dann lese ich ihn, damit er sich einprägt, noch einmal.

 

Jesus sagt da in Joh. 14 zu den Seinen:

 

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

 

[Die Orgel spielt: Christ ist erstanden] Hören wir noch einmal den Text zum heutigen Ewigkeitssonntag, wo Jesus in unsere Furcht und unser Erschrecken hineinspricht und sagt:

 

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

 

Liebe Gemeinde, gerade bei diesem Text, da kann ich wie angedeutet, die Erfahrungen der vergangenen Woche und der letzten Zeit nicht außen vor lassen!

 

Das Vaterhaus mit den Wohnungen.

Ich denke an die selbstbewusste jüngere Frau, die reifgeworden und mit beiden Beinen im Leben stehend, als vom Leben Zerzauste von ihren alten Eltern Abschied zu nehmen hatte und dann von innen heraus mir sagte: „Es ist mir, als ob mein Lebensfaden innen durchgeschnitten wurde, ich fühle mich wie verwaist, bin jetzt ein Mensch ohne Elternhaus“.

 

Das Vaterhaus mit den Wohnungen.

Ich denke an meinen Ex-Konfirmanden, der beim Abschied von seinem Vater so etwas ganz Ähnliches fühlte, und der – wie ich spürte, dort auf dem Deilinghofer Friedhof das Vaterunser so betete, wie er es in seinem ganzen Leben noch nie gebetet hat, wo ich ihm anmerkte, dass er mich jetzt auch ein klein bisschen als Vater und als sehr enge Vertrauensperson, der ihn kennt, nahm – wo da mit dem Gespräch und diesem abrupten Abschied dort an der Kapelle der Kontakt zu mir und darüber der Kontakt zu Jesus und dem Glauben eine völlig andere Qualität bekam als zuvor.

 

Das Vaterhaus mit den Wohnungen. Ich denke da an mehrere Frauen, die in ihren Häusern, in ihren Wohnungen da als Witwen sich einsam und sehr leer fühlten. Sie mussten alles erst einmal bewältigen, sogar das Fernsehen und das Ansehen von Spielfilmen, wenn dann schlimme Krankenhausszenen gezeigt wurden oder auch Spielfilmszenen auf einem Friedhof. Eine Frau sagte mir: „Das kann ich mir gar nicht ansehen, jetzt jedenfalls noch nicht, das wühlt so viel wieder auf...“

 

Und ich sag das Entsprechende mal aus meiner Sicht, dass es mir jedes Mal wie ein Stich durch und durch geht, wenn ich da im Fernsehen in einem Film einen Pfarrer sehe an einem Grab, der oftmals allzu pathetisch dann sagt: „Erde zur Erde, Asche zur Asche“ und Worte aus der Bibel zitiert, während da im Film dann die Kamera langsam auf die Leidtragenden geht und auf die Fernerstehenden. Und man merkt dann oft in den Filmen, als wäre das hohles Getöne, was der nachgemachte und Theater spielende Pfarrer da spricht, und zwar mit haargenau denselben Worten, die mir die liebsten und wichtigsten sind... Und ich denke dann, diese Klischeeszenen dann sehend: Wenn die wüssten, wie es ganz innen drin aussieht – in einem Pastor, der mit dem Herzen dadrin steckt und da auf einen Sarg runterblickt und diese Worte dann sagt...

 

Ja, liebe Gemeinde, das Vaterhaus mit den vielen Wohnungen... Für die einen nur ein Klischee, wie es gängig in der christlichen Tradition bei Abschieden gelesen und mit erhobener Stimme deklamiert wird. Aber für verwaiste, erschreckte und zerzauste Menschen – Gott sei Dank – sehr etwas anderes! Ein Hoffnungswort, ein Wort mit Ewigkeitswert, ein Wort, in dem Ostern drin ist: Christ ist erstanden, so wie es eben anklang von der Orgel. Ein Wort – jedenfalls größer als all die Worte, die sich ein Pastor Rose und ein Pastor Schreyer, ein Pastor Lohmann oder ein Pastor Groth ausdenken kann...

 

Und nirgends wird mir jedenfalls das deutlicher als auf dem Friedhof und zuvor bei Trauergesprächen, mit wie leeren Händen man dasteht, mit wie weichen und schlotternden Knien, und wie sehr gerade da Gott leere Hände füllen kann und aus einem kleinlauten und ratlosen Mund was rauskommen lassen kann, was wahrlich weiter reicht als sonst Worte und Klischees.

 

So verstanden, liebe Gemeinde, ist der heutige Text ein Grundtext des Glaubens, ein Hoffnungstext wie kein anderer. Denn Jesus selbst, der spricht da in unser Erschrecken rein und sagt nicht nur den Jüngern damals sein „Fürchte dich nicht“. Er sagt es mit den Worten:  Euer Herz erschrecke nicht, glaubet an Gott und glaubet an mich, in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.   

 

Als mein eigener Vater starb unmittelbar vor der Konfirmation von Alexandra, liebe Gemeinde, ein Ereignis, an das ich seit sieben Jahren wohl tausend Mal denken musste, da war das mein Trost: Gott sei Dank, der hat noch ein Zuhause, ein Haus und Zuhause über den Tod hinaus, der hat eine Wohnung bei seinem Vater im von Jesus genannten Vaterhaus, der ist daheim, bei seinem Vater, an den er schon zu Lebzeiten geglaubt hat – im Sinne des Liedes von eben: der wusste, dass das Ende seiner Wege nicht das Grab und die Verwesung ist, sondern die Vollendung auf das Ziel hin, „bis die Glocken schallen und daheim ich bin“. Und so wie bei dem habe ich das gesehen bei vielen vielen Menschen am Sterbebett, dass es bei allem schlimmen Sterben auch ein seliges Sterben gibt, wie da bei meiner Nachbarin, die mir auf ihrem Sterbebett ganz nah war und da in der Lage war, aus tiefsten Herzen zu beten und fest zu bekennen: „Ich bleibe bei meinem Gott, und danke ihm, trotz allem für alles“ – das war für mich mehr Ostern, mitten am Karfreitag eines Lebens, mehr Ostern als hundert Predigten mit klug sich gebenden Beweisen für die Auferstehung.

 

Wie sagt es Jesus in unserm Text zu den Seinen? Das Haus meines Vaters hat viele Wohnungen, wenn es nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: ich geh hin, euch die Stätte zu bereiten, und ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid wo ich bin. Und den Weg dahin, den wisset ihr.

 

Und dann der Einwurf, der da ganz dramatisch tief aus jenem Thomas herauskommt: „Herr wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen?“ Ja, liebe Gemeinde, immer dort in der Kapelle, wenn ich an dieser Stelle mit Lesen bin, dann spürt man’s förmlich: Da sitzen welche, die sind eigentlich Thomas, die fühlen’s ganz genauso wie er, der Grübler, der Skeptiker und notorische Zweifler, der auch nach Ostern noch Beweise wollte, auch für den Kopf: „Gib mir was in die Hand, Herr! Irgend was, was mir den Weg beweist, wie er dann weitergeht, der Weg im Leben, der Weg auf die andere Seite nach dem Sterben“. Aber Jesus, bezeichnenderweise, sagt davon gar nichts. Ganz anders als die Gurus, die das Leben nach dem Tod beweisen in klugen Bestsellern und Ratgeberbüchern, die man bei Buchecke Braun kaufen kann, wo alles fahrplanmäßig beschrieben wird: Beweise für das Leben nach dem Tod, wo viele heute drauf fliegen.

 

Nein, Jesus ist da ganz anders, er stapelt da ganz tief und bietet den „Thomassen“ nicht mal eine klitzekleine Vision ins Jenseits und keinen der heute gängigen spiritistischen Kontakte mit den Verstorbenen an. Typisch Jesus, vollkommen gegen den religiösen Trend, damals und heute, und da – mittendrin - erst recht ein Wort, was in die Ewigkeit reinreicht, das Sein Leben, dann sein Kreuz, Ostern und die Ewigkeit, auch unsre, umspannt: „Thomas, ich bin alles, Weg, Wahrheit und Leben, drei in  eins, Thomas, Zerzauster, Verwaister, der du nichts mehr vom Vater weißt und vom Vaterhaus: ich bin’s, der dich hier schon und auf ewig zum Leben führt.“

 

Und da – Gott sei Dank – sind alle eingeschlossen, sich diesem Jesus zuzuwenden, heute: die vaterlos sich Fühlenden, die Erschreckten, die, die skeptisch außen vor sich wissen, die Pastoren, die selber wissen, das ihre Worte angesichts der Erfahrungen von selbst nichts ausrichten, auch die, die sehr Schönes erlebten diese Woche wie Helena und Jürgen, die zum ersten Mal gleich gemeinsam zum Abendmahl gehen: Kommt zu ihm, er ist hier, er ist im Wort und in Brot und Wein uns nah: Er, der Weg, Er, die Wahrheit, er, das Leben, jetzt und in Ewigkeit. Amen.

 

Gebet:

Herr, der du leere Hände füllen kannst, erbarm dich unser! Herr, der du um unser Erschrecken weißt, um all das weißt, wofür diese Namen unserer verlesenen Liste stehen, erbarm dich unser. Herr, der du Trost hast, auch da, wo Menschenworte nicht hinreichen, erbarm dich derer, die hier vom Trost nichts sehen und dem Thomas gleich hier Wege suchen.

Jesus Christus, auferstandener Gekreuzigter, der du den Tod trugst, lass nicht zu, dass wir den Tod verdrängen und verschweigen und wir, in die Irre gehend, am Leben vorbeileben, am wahren Leben, zu dem du Weg und Ziel in einem bist.

Offenbare du hier etwas von deinem Kreuz, das unser Tiefstes trug, offenbare du etwas von deinem Ostersieg, den unsere klugen Worte nicht fassen können, der aber in unser Leben reinstrahlt, wo wir dich betend bei uns haben.

Ja, Herr, das bitten wir in diesem zuende gehenden Jahr, in diesem zuende gehenden Jahrhundert, wie es die EmmausJünger nach Ostern baten: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget: Bleibe bei uns angesichts der Nacht, die unsere Schuld über uns bringt, bleibe bei uns am Abend jede Tages, bleibe bei uns am Abend unseres Lebens, bleibe bei uns am Abend unserer Welt, und schenk uns und den Christen überall, dass wir, die wir an deinen Tisch kommen und Gemeinschaft haben mit dir, etwas von dir nach außen bringen für eine von so viel Vergänglichkeit, Schuld und Tod gezeichnete Welt als Zeugen deines Friedens, als Zeugen dafür, dass du der Welt alles bist, Weg, Wahrheit und Leben in einem. Wir rechnen mit deiner Gegenwart, auch jetzt bei Brot und Wein, und preisen deinen Namen. Amen.      

 

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