Two in one. Zwei Totensonntagspredigten hier auf dieser Seite, nämlich hier Predigt 1996 über Psalm 39, 5-9 und 13

Und hier die Predigt 1998 über Offenbarung 21, 1-7

 

Abendmahlsgottesdienst am Ewigkeitssonntag, 22.11.98,

in der Deilinghofer Stephanuskirche

Orgelvorspiel/Abkündigungen

Eingangslied: 398, 1-2 (In dir ist Freude)

Im Namen des Vaters/Unsere Hife...

Wir beugen uns vor Gott an diesem Ewigkeitssonntag mit den Worten des 90.Psalms:

Herr, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sproßt, das am Morgen blüht und sproßt und des Abends welkt und verdorrt. Das macht dein Zorn, daß wir so vergehen, und dein Grimm, daß wir so plötzlich dahin müssen. Denn unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht. Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn, wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Wer glaubt's aber, daß du so sehr zürnest, und wer fürchtet sich vor dir in deinem Grimm? Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.

Beichtvorhalt, Luthers Beichtgebet, allgemeine Beichte und Absolution/ "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kratur, das Alte ist vergangen..."

Gebetslied des Kirchenchores

Evangelienlesung: Jesus Christus spricht in Johannes 14, 1-6:

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wißt ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Halleluja! Herr, dein Wort ist meiens Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege! Halleluja!

Gesungenes dreifaches Halleluja.

Glaubensbekenntnis und Lied vor der Predigt: Befiehl du deine Wege, 1-4

 

Predigt über Offenbarung. 21, 1-7

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da IST und der da WAR und der da KOMMT, Jesus Christus. Amen.

Der heute vorgeschriebene Predigttext, liebe Gemeinde, stammt aus der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, Offenbarung 21, 1-7. Wir wollen uns auf diesen Text einstimmen durch den Liedvers, den wir am Anfang eingeübt haben:

Wir wollen (2x hintereinander) miteinander singen:

"Wir erwarten einen neuen Himmel, wir erwarten eine neue Erde, auf denen Gerechtigkeit wohnt, auf denen Gerechtigkeit wohnt".

Passend dazu lese ich den heutigen Predigttext, der einige Male im jetzt abgelaufenen Kirchenjahr in schwerer Stunde drüben in der Friedhofskapelle gelesen wurde. Der Seher von der Insel Patmos, Johannes in seiner Verbannung, sieht gegen Ende des ersten Jahrhunderts, das was er glaubt und hofft in jener Zeit der heranbrechenden Christenverfolgungen so und bezeugt damit, was das A und O des Glaubens der Christen und ihre Hoffnung ist:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.

Liebe Gemeinde, wenn ich mich nicht in einen anderen hineinversetze, dann verstehe ich nicht, was er eigentlich meint. Dann versteh ich seine Hoffnungen nicht und auch nicht seine Zweifel und Lebensfragen. Dann bleibt mir der andere ein Buch mit sieben Siegeln, wie man so sagt. Und manchmal kann ich die Zweifel und Lebensfragen des anderen nur deswegen begreifen, weil's mir schon mal ähnlich ging: da ist manchmal das Selbst-Erlebte wie eine Brücke zum andern hin, und da tut sich ein Stück dann eine Tür auf: ich begreife den anderen, und er wird mir nah. Er ist mir kein Buch mit sieben Siegeln mehr.

Ich rede natürlich nicht von irgendetwas ganz allgemein. Ich meine die Hauptsache, um die es hier geht in diesem Gottesdienst. Heute sind besonders viele Menschen hier in der Kirche, die ich einige Schritte auf ihrem Weg begleitet habe, mit denen ich Trauer- und Nachtrauergespräche führte und deren Angehörige, von denen wir in den letzten zwölf Monaten Abschied nehmen mußten, ich teilweise auch sehr gut kannte und ein Stück begleitet hab.

Ich denke an den Mann, der mir seine Lebensgeschichte erzählte und all das, was seine Frau für ihn war, und der mir sagte: So habe ich das noch niemanden erzählt, und das würde auch keiner begreifen. Das war da wie ein Wunder - mitten im Trauergespräch: daß der wußte, ich werde verstanden, ich muß in meiner Trauer nicht mehr sein wie ein verschlossenes Buch, wie ein Buch mit sieben Siegeln. Und von da, von diesem Punkt aus, kriegte dieser Mann etwas davon in den Blick, was für Christen dieser Jesus Christus ist. Als so ein verschlossenes Buch hätte er da niemals was verstehen und annehmen können in seinem Schmerz.

Liebe Gemeinde, so ist das mit Menschen. Aber nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Büchern und Texten und sogar mit Bildern. Ein Buch, ein Text, ein Bild kann uns ganz fremd sein. Wir verstehen's dann vielleicht nur mit dem Kopf, aber innen spielt sich da nichts bei ab, in uns. Wenn einer z.B., der von Liebe nichts weiß, einen intimen Liebesbrief liest, der für wen anderen bestimmt ist, dann kennt er jedes Wort, aber keines sagt ihm etwas. Und wenn der Geliebte dann der Geliebten schreibt: Du bist das A und O für mich, dann kennt der von außen ohne Liebe das Lesende die Buchstaben A und O und weiß trotzdem nicht, was für die beiden, die sich da schreiben, das Ganze soll. Und wenn sie in Bildern ihre Liebe beschreiben, dann bleibt dem nüchternen Außenstehenden das Ganze auch wie ein Buch mit sieben Siegeln: und wenn er, der Liebende, ihr schreibt, du bist "mein Traum" und "mein Zuhause" und "mein Alles", dann findet der, der es mit nüchternen Kopf liest, ohne Liebe, vielleicht sehr versponnen und ziemlich kitschig.

Merken Sie, wohin ich raus will? Natürlich, auf Offenbarung 21, 1-7, auf unsern eben gehörten Text. Er stammt aus einem "Spinnerbuch", sagen manche. Ein Buch mit überbordenden Bildern, Vergleichen und Visionen. "Die Offenbarung ist mir ein Buch mit sieben Siegeln", sagen manche - und wissen gar nicht, vielleicht, daß der Begriff "Buch mit sieben Siegeln" in der Offenbarung vorkommt.

Wie sagte ich? Manchmal komme ich einem Menschen näher und versteh ihn dann, daß dann die Brücke da ist und ich kapiere, was seine Hoffnungen sind und was seine Ängste. Und manchmal ist's bei Büchern, Bildern und Texten eben gleich. Denn das Spinnerbuch mit den sieben Siegeln bleibt die Offenbarung nicht, wenn man's so liest, wie's gemeint ist, wenn man's so liest, wie man von einem Menschen seine Trauersituation hört oder wie man einen Liebesbrief liest und dabei zugleich selber von Liebe und von Tod was erfahren hat.

Genau darum geht's nämlich dort: um Tod und fürchterliche Ängste und um Liebe, und um Glauben an das A und O - mitten in unserm manchen so fremd anmutenden Text.

Da ist der Verbannte auf der Insel Patmos vor Milet in Kleinasien, Johannes mit Namen - gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Seine Situation und die Situation der Christen damals sich vor Augen zu führen, heißt schon: einen Schlüssel zu haben für die angeblich siebenmal versiegelte Buch. Die Zeit, in der dieser Verbannte schreibt, spricht klar gegen all das, was Christen glauben und hoffen, denn es ist um das Jahr 90 bis 95 nach Christus, und überall wüten die Verfolgungen gegen Christusgläubige dort in Kleinasien, damals am Ende der Regierungszeit des römischen Kaisers Domitian. Ja, damals ist das, was er schreibt und sieht, das, was dort Inhalt der Visionen dieses Sehers ist, z.T. auch in Geheimschrift mit Decknamen verfaßt. Und wenn da in einem der Bilder des Sehers in der Offenbarung von der "Hure Babylon" die Rede ist, dann meinte Johannes, der Seher damit Rom unter Nero und dann unter Domitian. Tausend Tode werden da gestorben, Tausende von Warumfragen werden da gestellt, und überall, wo da die Christen den wilden Tieren vorgeworfen werden und in den Arenen grausam zerrissen werden, da fragt man sich: Ist's nicht genug? Ist's nicht genug, Gott, mit diesem Meer von Tränen bei uns? Und da fragt sich einer, der Christ ist: Soll ich mich nicht von diesem Jesus Christus weg mich wenden und mit den Wölfen heulen, auf der Seite des Römischen Kaisers, der sich als Gottmensch aufspielt und Anbetung verlangt?

Liebe Gemeinde, genau da hinein spricht für den, der's mit dem Herzen liest, in unserm Text Christus selbst, der Erhöhte, durch diesen Seher von Patmos. Wo alle nur das Ende fürchten, wo alle nur das Ende sehen, wo manche gar nichts mehr sehen, was Hoffnung schenkt vor lauter Tränen, da dringt da in die verfolgten Gemeinden in Kleinasien die Botschaft des verbannten Sehers von Patmos ein: Leute, es ist noch mehr zu sehen als das Ende! Da, wo ihr nur Ende seht und euer Kreuz, da kann man Jesus den Gekreuzigten sehen, an dem es Ostern wurde und der der Herr über alle Mächte wurde und auch der Herr über Domitian. Leute, es ist mehr noch zu sehen, hört mir zu: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Nein, wahrlich kein Spinnerbuch und kein Phantasieroman ist das. Eher schon ist es für den, der's richtig liest, ein Liebesbrief, ein Liebesbrief Jesu, des Gekreuzigten, der alles überwand, an seine Brüder und Schwestern unter Kreuz und Leid. Ein Liebesbrief also mit was dahinter, ein Liebesbrief, randvoll mit Trost. Mit Trost von der Art wie bei Trauergesprächen, wo der, der hört, auch weiß vom Mitleiden und auch was weiß davon, was Ängste des Todes bedeuten. Und in diesem Liebesbrief steht: was da noch kommt, ist das Schönste. Was da noch kommt, das ist wie eine geschmückte Braut für ihren Mann - eine Heimat, ein neues Jerusalem, ein neuer Himmel, eine neue Erde, auf denen Gerechtigkeit wohnt. Auf denen unsere Tränen nicht mehr geweint werden, sondern abgewischt. Ein richtiges zu Hause: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!

Und so, als wollte er sein A und O, den Inhalt seiner großen trostreichen Liebe beschreiben in diesem Liebesbrief an die Gemeinden in Kleinasien, schildert der Seher seine Vision weiter, die ja randvoll ist auch mit prophetischen Verheißungen aus dem alten Testament:

Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn, mein Kind sein.

Liebe Gemeinde! Genau da verlasse ich Patmos und die Situation damals - und komme von da in die Hemeraner Lungenklinik, wo da am Krankenbett bei einer Sterbenden gesungen wird: "Fürchte dich nicht, denn du bist mein, ich habe dich erlöst" - Und in einer der nächsten Strophe dieses einfachen Liedes von meiner Oma, genau nach unserm Text: "Wer überwindet, freue sich, er soll mein Erbe sein". Und die Sterbende da, Frau Emmi Flamme, nimmt das auf und ruft voll Freude mitten im schlimmsten Leid aus - mit einem strahlenden Gesicht: "Danke, Herr Pastor, danke vor allem, Herr Jesus, danke für alles!"

Auf nichts anderes zielt unser Text heute: auf diese Freude mitten im schlimmsten Leid, daß da der EINE, der alles neu macht, seine Hand noch dabei hat, daß der da noch eine Heimat hat für die Seinen unter dem Kreuz, und daß der noch mit den Seinen das Abendmahl feiern wird in seinem Reich über allen Tod hinaus. An vielen Sterbenden auch im vergangenen Jahr habe ich davon etwas lernen können, nicht nur hier bei Frau Flamme. Lernen können von dem, was Hoffen auf Jesus heißt, und verstehen von dem, was wirklich Trost heißt. Und begreifen können, was wirklich Abendmahl heißt.

Wenn's diese Erfahrungen des Glaubens bei Menschen heute nicht gäb, dann wäre der Liebesbrief Jesu an den Seher von Patmos und die Christen damals weit weg von uns, und wir hätten kaum einen Schlüssel für das siebenfach versiegelte Buch. Ja, Gott schenke uns solche Hoffnungsleute mit eigenen tiefen Erfahrungen des Glaubens zur Seite, daß wir bis ins Herz rein begreifen, wie seine Hoffnung tragen kann und sein Trost trösten: als große Freude mitten im tiefsten Leid.

Solch ein Hoffnungsmensch war für mich besonders in meiner Studentenzeit der verstorbene bekannte Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer, einer, der ganz und gar mitten im Leben stand und durch seine begeisternde Persönlichkeit etwas davon ausstrahlte, daß christliche Hoffnung nicht mit dem Tag des Todes in Sarg und Grab versinkt. So stehe am Ende hier ein Wort von Helmut Gollwitzer, das den heutigen Predigttext aufgreift und ein Bekenntnis ist dafür, daß bei Gott unser Jenseits ist und daß das Diesseits davon verändert wird, denn Gollwitzer sagt sein Lebensbekenntnis so:

Weil Gott die Tränen abwischen wird,

hat es hier schon Sinn,

Tränen zu trocknen und zu verhindern.

Weil der Schmerz verschwinden soll,

wird jetzt schon jede Schmerzstillung, jede Wohltat

zum Hinweis auf die große Verheißung.

Weil Gottes Reich ein Reich der Freiheit ist,

ist jetzt schon der Kampf gegen Unterdrückung

eine Demonstration für das Reich Gottes. Amen. 

 

Wir singen nochmals: Wir erwarten einen neuen Himmel...

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

 

Lied des Kirchenchors: Wachet auf, ruft uns die Stimme!

Lesung der Liste mit den 50 Verstorbenen aus unserer Gemeinde

 

Anschließend: Gebet

Wir denken, Herr, vor dir an viele, die Tränen geweint haben und weinen. Wir denken vor dir, an das Kreuz und die Anfechtung, die auf so vielen Menschen liegt. Wir denken an all das, was so schwer zu verkraften ist - heute am Ende, am letzten Sonntag dieses Kirchenjahrs.

Du aber, Herr bist in unsere Tiefen gekommen, du selber trugst das Kreuz. Und du starbst unsern Tod für unsere Sünden. Laß dein Kreuz unser Trostgrund werden, der Ort, von dem aus wir mit neuen Augen sehen können - wie Johannes sah: auf den neuen Himmel und die neue Erde, auf deine neue Welt und deinen Himmel, von dem etwas zu uns runter kommt, wo du uns dein Wort und deinen Geist schenkst und wo du uns unendlich nahekommen willst auch in deinem Mahl bei Brot und Wein. Laß uns in der rechten Haltung hier das von dir nehmen, das du gibst und uns schenkst. Ja, wisch du ab die Tränen hier schon und mach uns zu Menschen, die andern Tränen ersparen und abwischen.

Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not stärk unsre Füß und Hände und laß bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu' empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiß zum Himmel ein. Amen.

Lied 361,12: (die gleiche Strophe Paul Gerhardts, wie eben gebetet)

Abendmahl

Schlußlied (171, 1-4):

1. Bewahre uns, Gott, / behüte uns Gott, / sei mit uns auf unsern Wegen. / Sei Quelle und Brot / in Wüstennot, / sei um uns mit deinem Segen. / Sei Quelle und Brot / in Wüstennot, / sei um uns mit deinem Segen.

2. Bewahre uns, Gott, / behüte uns, Gott, / sei mit uns in allem Leiden. / Voll Wärme und Licht / im Angesicht, / sei nahe in schweren Zeiten, / voll Wärme und Licht / im Angesicht, / sei nahe in schweren Zeiten.

3. Bewahre uns, Gott, / behüte uns, Gott, / sei mit uns vor allem Bösen. / Sei Hilfe, sei Kraft, / die Frieden schafft, / sei in uns, uns zu erlösen, / sei Hilfe, sei Kraft, / die Frieden schafft, / sei in uns, uns zu erlösen.

4. Bewahre uns, Gott, / behüte uns, Gott, / sei mit uns durch deinen Segen. / Dein Heiliger Geist, / der Leben verheißt, / sei um uns auf unsern Wegen, / dein Heiliger Geist, / der Leben verheißt, / sei um uns auf unsern Wegen.

Segen und Orgelnachspiel

Predigt im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag,

24.11.96 (Deilinghofer Stephanuskirche)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn, Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde am heutigen Ewigkeitssonntag!

Unserer biblischen Betrachtung in der heutigen Predigt an diesem besonderen Sonntag liegt ein Klagelied, ein Klagegebet, zugrunde, nämlich Psalm 39, die Verse 5-10 und 13. Das ist ein Abschnitt, der einige Male im abgelaufenen Kirchenjahr 300 m von hier drüben in der Friedhofskapelle bei Beerdigungsgottesdiensten als Psalmlesung vorkam. Wollen wir hier über diesen Abschnitt heute morgen nachdenken, Psalm 39, 5-10 und 13:

5 »HERR, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß. 6 Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. WIE GAR NICHTS SIND ALLE MENSCHEN, DIE DOCH SO SICHER LEBEN! 7 Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.« 8 Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich. 9 Errette mich aus aller meiner Sünde. 10 Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast es getan. WIE GAR NICHTS SIND DOCH ALLE MENSCHEN. 13 Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter. Amen

Liebe Gemeinde, in schönen alten Filmen, das kennen Sie, da ist das letzte Wort im Nachspann immer "ENDE". Und meistens, wenn wir diese vier Buchstaben auf der Leinwand sahen, dies Wörtchen ENDE, dann war das ein schönes Wort - wenn der Film am Ende war, dann hatten sich die Verwicklungen gelöst, die Bösen hatten ihre Strafe weg, die Guten hatten die Oberhand behalten - so wollen wir’s - am Ende haben sie sich gekriegt, das Paar, dem wir’s so gewünscht haben da im Film, "Ende gut - alles gut", so ging das in den meisten Filmen, bis dann alles sich abgerundet hatte und dann im Nachspann groß und hell auf dunklem Untergrund diese vier Ende zum Schluß auf der Leinwand aufleuchteten, ENDE, happy end..

Leider im Leben ist es anders als im Film! Wem sag ich das? Im Leben ist Ende ein grausames Wort. Und heute sind wir am Ende - am Ende dieses düsteren Monats November, am Ende dieses Kirchenjahres. Nie im ganzen Jahr werden wir so stark und so ernst ans Ende gemahnt - Volkstrauertag, Buß- und Bettag, dann Ewigkeitssonntag und Totensonntag heute. Ich kann es sehr wohl der mir sehr gut bekannten Frau nachfühlen, die mir Freitag sagte, an das denkend, was sie sehr persönlich an Not und Trauererfahrungen auf dem Herzen hat: "Wenn ich den Tag erst mal rumhabe..."

Und genügend unserer Gemeindeglieder hab ich vor Augen, die mir im letzten halben Jahr ähnlich aus eigner schwerer Erfahrung signalisierten: "Ich bin am Ende". Ende, in der Tat - ein sehr hartes und grausames Wort, sehr anders als in jenen Filmen, die ich nannte.

Unser Psalm, den ich las, dieses Klagegebet aus der Tiefe, ist formuliert von jemand, der sich dem Ende selber auch stellen mußte und stellen wollte, so schwer es ihm ist, denn so beginnt dies Klagegebet: "Herr, lehre mich doch, daß es eine Ende mit mir haben muß, daß mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß; siehe, meine Tage sind wie eine Handbreit bei dir, mein Leben ist wie nichts vor dir."

Die Ausleger des Alten Testaments sagen und mutmaßen, daß dieser 39. Psalm das Selbstbekenntnis eines Mannes ist, waidwund und todkrank war, für den es menschlich gesprochen, kaum irgendeine Hoffnung gab. Da in der Tiefe auf einmal eine eigenartige Sichtweise des Lebens, eine Sichtweise, wie Gesunde, Unbekümmerte und glücklich durchs Leben Gehende sie niemals haben, wie so etwas damals und heute notorisch verdrängt wird, eben weil niemand gern an seine Vergänglichkeit, Endlichkeit und sein Ende denkt, und so betet der Leidgeprüfte in unserm Psalm aus genau dieser Perspektive zu Gott: "Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. WIE GAR NICHTS SIND ALLE MENSCHEN, DIE DOCH SO SICHER LEBEN! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird."

Liebe Gemeinde, mit "Herr, lehre mich doch" beginnt unser Psalmgebet, und die Lektion, die hier zu lernen ist, die Lektion vom Ende und der Vergänglichkeit, ist die schwerste überhaupt, denn bei Gott in der Schule zu sein, von Gott in eine schwere Schule genommen zu werden, das ist das Härteste überhaupt - und aus der genannten Sichtweise das Wort Ende zu buchstabieren, ist genauso schwer, wie bei einer Frau dieser Gemeinde, die in einem Gespräch zum simpel anmutenden Wort "Witwe" sagte: "Ich muß das erst buchstabieren, was Witwe heißt; ich dachte immer, ich wüßte es, aber was man da an diesen fünf Buchstaben zu buchstabieren hat, spür ich erst jetzt".

"Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß", so heißt es mit unserm Psalm, und in jenem andern noch häufiger von mir in der Kapelle gelesenen Psalm 90 heißt es: Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden". Daß man also in dieser Schule die Chance hat, klug zu werden, sein eignes Leben neu zu sehen, mehr noch: in alledem Gott zu sehen, der uns in seinen Händen trägt und hält, da wo unsere irdischen Augen nur Ende und Verzweiflung sehen, das ist die Botschaft von Gott an uns für diesen Ewigkeitsgottesdienst, und unser Psalm 39, dies Gebet aus der Tiefe faßt das in die Worte: "Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten, ich hoffe auf dich" - um dann, all das Schlimme aussprechend, tiefer gehend noch zu: "Herr, errette mich aus aller meiner Sünde, denn du hast es getan - ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun."

Liebe Gemeinde, vom Leben, das nur eine Handbreit ist bei Gott, das irdisch endlich ist, schärft uns unser Psalm etwas ein, was eine harte Lektion ist. Als im Frühjahr - kurz vor dem Karfreitag, mein Schwiegervater in Hagen auf seinem Sterbebett lag und ich an jenem Donnerstag mit der Familie zweimal nach Hagen fuhr, dort im Krankenhauszimmer Abschied nahmen und ich an diesem Bett betete, meinte meine Frau - in ihren eigenen Trauergedanken das recht verstehend, wie schwer es doch sein muß, im Dienst und im Amt das öfter zu tun. Und wie Gott auch Pastoren in die Schule nimmt, davon könnte ich sicherlich auch etwas dazu sagen, wie mir manches Ende unsagbar schwergefallen ist - besonders im abgelaufenen Jahr, aber auch davon, daß gerade an den tiefsten Punkten, wo das Ende einschneidend zu bedenken war, wo die Lektion am schwersten war, auch Gott am meisten geholfen hat, etwas von seinem Trost zu spenden, von der Kraft was zu erfahren, den echter Glaube an Christus auch hier bei uns bedeutet.

Ich möchte stattdessen im Horizont unseres Psalms es wagen, Ihnen zur Verdeutlichung des Gesagten eine uralte Deilinghofer Geschichte vorlesen, wie sehr damals im Jahr 1791 Pastor Dümpelmann (das war der Erbauer des alten Pastorats) ähnliche Fragen hatte wie wir heute - wie er sich durch Todesherausforderungen von Gott in die Schule genommen fühlte.

Ich lese aus diesem sehr alten Büchlein von Emil Frommel einen kleineren Abschnitt, wie unser Dümpelmann und sein Pastorenfreund aus der Iserlohner Bauernkirche, das war Pastor Strauß, sich drüben treffen im Alten Pastorat, und wie sie da in jenem Jahr über Todesfälle in ihren Gemeinden miteinander ins Gespräch kommen:

"Dort am westfälischen Herde im Alten Pastorat saßen die beiden, rauchten ihre Pfeifen, schauten am Kamin in die Glut und redeten miteinander. Es war an einem Montag des Jahres 1791. Sie sprachen von Getauften und Gestorbenen im vergangenen Jahre in ihrer Gemeinde.

‘Du glaubst nicht, Strauß,’ sagte Dümpelmann, ‘wie mir jedesmal zu Mut ist, wenn ich von solch einem Kranken weggehe und ihm zum letztenmal die Hand gebe. Ich gehe dann rückwärts zur Thüre hinaus, um ihn so lange wie möglich im Auge zu behalten. Zuweilen geht mir unterwegs die Pfeife aus und ich freue mich, daß ich wieder zurückkehren und ihn noch einmal sehen darf. Aber als ich letzthin von dem alten M. Abschied nahm, ging mir’s doch durchs Herz; denn dem hab’ ich’s zu danken, daß ich den Herrn gefunden habe.’

Strauß sagte drauf: ‘Ja, lieber Dümpelmann, wenn ich die Sterbenden anschaue, kommen sie mir mit ihrem gebrochenen Auge stets vor wie Leute, die lange in die Sonne geschaut haben und geblendet die Blicke niederschlagen; die alten Leute sind Propheten einer großen Vergangenheit und einer nahen Zukunft. Was werd’ ich mir alles erzählen lassen im Himmel. Von den Hirten zu Bethlehem, den Noah - und dann die Passionsgeschichte. Ich glaube, mir wird im Himmel die Zeit noch viel zu kurz.’

So redeten die beiden und wurden so fröhlich, daß sie am Herdfeuer mitsammen sangen: ‘Ach, nimm dies arme Lob auf Erden, Herr Gott in allen Gnaden hin. Im Himmel soll es besser werden, wenn ich bei deinen Engeln bin...’

Die Sonne war längst drunten, das Herdfeuer beleuchtete hell den Spruch, der dort im Alten Pastorat auf einem Stein stand [und übrigens noch heute zu lesen ist]: ‘Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!’

‘Sieh, Strauß’, sagte Dümpelmann, ‘ich hab’ schon oft gedacht, es sei so die rechte Weise, wie diese Worte auf den angeglühten Steinen stehen, so müsse jedes Wort in steinernen Buchstaben mit Flammenzügen in unserm Herzen drin stehen’."

Ja, liebe Gemeinde, so weit dieser Textausschnitt der Geschichte, die sich "anno dazumal" zutrug hier in unserm Deilinghofen - und mag diese sehr alte Sprache und Ausdrucksart noch so anders sein wie unsere heute - vom Inhalt und der Substanz her ist das Entscheidende sehr, sehr gleich: das Ende zu bedenken, diese Lektion in Gottes Schule erfüllt mit großer Wehmut, und eben auch ein Pastor, der mit dem Herzen dabei ist, fühlt das bei Besuchen und Gesprächen, wie’s erst recht die Angehörigen spüren. Aber in all dem ist mehr zu wissen und mehr zu hoffen, daß es nicht nur ein irdisches Ende gibt, sondern auch ein himmlisches Ziel und eine Bestimmung für uns in Ewigkeit: so wie es da im Psalm gesagt ist: "Lehre uns bedenken, daß es ein Ende mit uns hat uns unser Leben ein Ziel hat." Wer von Christus weiß, wie es in jener Geschichte ein Dümpelmann und ein Strauß wußte, für den bleibt nicht nur Ende, Wehmut und trauriger Novembernebel. Nein, da kommt sogar Vorfreude auf - die riesengroße Hoffnung, daß Gottes Himmel unsere Fragen beantworten wird über all den Tod und all das Kreuz, das uns zu schaffen macht, hinaus! Es ist die Hoffnug auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, wo Gott abwischen wird alle Tränen von den Augen derer, die zu Christus sich hielten, es ist die Hoffnung, in aller Verzweiflung auf den Einen schauen zu können, der den Tod für uns trug am Kreuz der der Welt Sünde trug und Sieger über den Tod blieb. Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt! Dies Lamm, von dem wir singen gleich beim Abendmahl und an dessen Brot und Wein, Fleisch und Blut wir hier schon Anteil haben am Altar, ein trostreiches kleines Stück des Sieges über den Tod als erste Rate hier schon - hier in Kreuz und Leid.

Nicht einfach als happy end wie da im Film, sondern als Möglichkeit von Gott her, nicht am Ende sein zu müssen, bei allem Schweren. So endet diese Predigt mit den Worten, mit denen auch unser Psalmabschnitt aufhört: Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter. Doch die die wie Gäste und Fremdlinge sich fühlen, sagt das Neue Testament, dürfen Gottes Hausgenossen und Jesu Tischgenossen sein - jetzt und ewig. Amen.

 

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