Abschiedsgottesdienst und Abschiedspredigt Friedhelm Groth
am Sonntag Trinitatis, 26. Mai 2002,
in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

Orgelvorspiel
Begrüßung und Abkündigungen (Pfr. Dr. Lohmann)
Eingangslied: Herz und Herz vereint zusammen, 1-2 und 6-7
Eingangsliturgie samt Evangeliumslesung: Pfr. Dr. Lohmann

Evangelienlesung zum Sonntag Trinitatis Johannes 3, 1-15: Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann dies geschehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.

Glaubensbekenntnis
Lied vor der Predigt ist das Wochenlied:
Gelobet sei mein Gott

Predigt 2. Kor. 13, 11 und 13
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde in Deilinghofen, das, was ich eben sagte als Kanzelgruß (wie das heißt), als Grußformel zu Beginn der Predigt, das habe ich an dieser Stelle schon 100-mal oder mehr gesagt. Genau heute in zwei Monaten ist es 19 Jahre her, dass ich in dieses Dorf Deilinghofen gezogen bin und der Möbelwagen da vor dem Pfarrhaus stand – damals am 26. August 1983. Und seitdem habe ich zusammen sicherlich 2000 Predigten hier sonntags und bei Trauungen in dieser Stephanuskirche gehalten bzw. bei Beerdigungen drüben in der Friedhofskapelle. Heute ist es die vorerst letzte in einer langen Reihe.

Meine persönlichen Gefühle jetzt hier oben auf der Kanzel drücke ich mit besonderen Worten aus, die mir aus der Seele gesprochen sind: „Mit schwerem Herzen stehe ich hier. Der Gang auf die Kanzel ist mir zwar immer kein leichter Gang gewesen, wie er das wohl keinem Pastor ist, der weiß, dass er Gottes Bote ist, aber der heutige Gang ist mir sonderlich schwer, denn es ist ... die Abschiedspredigt, die ich halte. Und dass mein Herz dabei recht bewegt ist, brauche ich euch nicht erst versichern, ihr werdet es zum Teil wenigstens selbst fühlen.
Zwar weiß ich ja wohl, dass manche – oder darf ich wohl sagen einzelne – hier sind, die mich recht gern scheiden sehen, ... aber ich weiß auch, dass doch auch manche sind, ... die mich gerne hier gehalten hätten“.

Diese Sätze sind nicht auf „meinem eigenen Mist gewachsen“, sie sind vor über 120 Jahren so wortwörtlich hier auf genau dieser Kanzel gehalten worden, im August 1879, als Pastor Paul Kunsemüller nach nur 7 Jahren ganz gesegneter Arbeit als Erwecker dieser Gemeinde Deilinghofen zu verlassen hatte. Ja, vier Abschiedspredigten früherer Deilinghofer Pastoren habe ich hier mitgebracht auf die Kanzel, gehalten im 20. und im 19. Jahrhundert, und ich habe gedacht bei diesen packenden und sehr bewegenden Predigten: „Als wär’s ein Stück von dir - die fühlen und erleben am Ende ihrer Deilinghofer Jahre ganz genau dasselbe wie du auch!“

Jener Pastor Kunsemüller, den ich nannte, hat damals vor 120 Jahren auf dieser Kanzel merkwürdigerweise in seiner Abschiedspredigt haargenau den selben Predigttext gehabt, wie er heute am Sonntag Trinitatis in den Kirchen zu predigen vorgeschrieben ist, im zweiten Korintherbrief ganz am Ende, wo Paulus sich mit sehr harmonisch klingenden Worten von seiner Korinthergemeinde verabschiedet. Da heißt es im heutigen Predigttext, über den in Hunderten von Kirchen jetzt gepredigt wird, in 2. Kor. 13, 11 und 13, den eingangs gehörten Kanzelgruß aufnehmend:

Zuletzt, liebe Brüder, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Gebet: Herr, segne jetzt Reden und Hören, und lass mich nicht andern predigen und selbst verwerflich werden. Amen

Zuletzt, liebe Brüder, so fängt es da an, zuletzt, liebe Schwestern, darf ich Abschied nehmend hier auch sagen, zuletzt jedenfalls möchte ich hier ganz nah am Text bleiben, gar nicht falsch da was von mir persönlich eintragen, sondern den Text so nehmen, wie er da ist. Da sagte mir in diesen Tagen ein Deilinghofer Jugendlicher, ich müsste zum Schluss noch einmal einen „richtiger Klopper“ bringen, nicht was Sanftes und Zartes, sondern was richtig Derbes, was auch etwaige Widersacher entlarvt, aber ich halte es da mit Paulus, wie der es da am Ende macht: Zuletzt freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden!

Das ist kein Text für so eine derbe Klopper-Predigt, ja, das kann in manchen Ohren vielleicht etwas blass oder allzu sanft klingen wie „Friede, Freude, Eierkuchen“, geb’ ich zu. Das klingt für manche vielleicht wie unaufrichtige Formelsprache, wie der übliche Wind, wie er denjenigen Pastoren, die Luschen sind, als warme Luft immer ganz leicht und leichtfertig aus dem Mund kommt: Worte, die sich pastoral und harmonisch-schön anhören, die aber gar nichts sagen oder bewirken. Und das nächste Satzpaar dort ganz am Ende des zweiten Korintherbriefs klingt dann auch erst recht wie Formelsprache nach dem Motto „Ende gut alles gut“ und „Friede, Freude, Eierkuchen“, wenn wir da lesen: So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Doch täuschen wir uns nicht! Liebe Gemeinde, es hat ganz viel mit dem heutigen Predigttext zu tun und mit der Situation hier und jetzt, wenn ich Ihnen genau dazu ein anderes Thema vor Augen stelle. Da ist ein junger Mann, der liebt ein junges Mädchen. Und er schreibt ihr einen Liebesbrief. Es ist ein Brief mit ganz viel Gefühl - mit ganz viel Kämpfen und Werben darin, mit Erlebnisbeschreibungen und Träumen und auch mit Eifersucht ein bisschen. Kurzum: Es ist ein wunderschöner Liebesbrief, in der der Mann genau das beschreibt, wie ihm ums Herz ist. Dieser Brief, den er geschrieben hat, das ist ein langer Brief geworden, da steckt so viel Leben drin, so viel Feuer, wie es Worte nur eben sagen können. Über 10 Seiten lang ist er geworden, unser Liebesbrief. Der junge Mann ist am Schluss, und er setzt am Briefende die Worte darunter: „Du, mein Schatz, ich liebe dich, dein Geliebter!“

So macht man das wohl, liebe Gemeinde, wenn man Liebesbriefe schreibt. Und die letzte Zeile dieses Briefes, wenn man die nur für sich nimmt und von außen betrachtet – ist eine Phrase, mehr nicht, eine hölzerne und todlangweilige Formel. Na und, sagt der Außenstehende, was soll das schon: „Du, mein Schatz, ich liebe dich!“ Dafür müssen doch fünf Mark ins Phrasenschwein! Das klingt doch wie der letzte Kitsch! So hört das der Außenstehende! Doch das junge Mädchen, das diesen Brief bekommen hat, sieht das sehr anders. Von wegen Phrase, von wegen Formel! Für sie ist’s der Höhepunkt vom Ganzen, was da am Ende steht: ja, in diesen für andere kitschig klingenden Worten fasst sich für sie alles, alles zusammen. Denn das schrieb der Geliebte, und wie fasste er seine Leidenschaft und sein Feuer und alles, was er zu schildern hatte, zusammen: „Du mein Schatz, ich liebe dich!“

Warum ich dieses Liebesbrief-Beispiel erzähle? Eben deshalb, weil beide Korintherbriefe des Apostels Paulus ganz viel von Liebesbriefen an sich haben. Es sind auch aus dem gesamten Neuen Testament die Briefe, die ich am meisten liebe. Das habe ich damals in meinem zweiten Semester in Bochum im Studium gemerkt, damals in Bochum bei Prof. Grässer, in der Zeit, als ich 1000 Fragen und Zweifel im Kopf hatte, da hörte ich bei Grässer eine wunderschöne Vorlesung über den 1. und 2. Korintherbrief. Diese Briefe kannte ich zwar schon vom Lesen her, aber so richtig unter die Haut war mir das noch nicht gegangen bis dahin. Und ich merkte damals seit diesen Vorlesungen, die mir wichtiger waren als 100 Predigten: der zweite Korintherbrief besonders, das ist einer der spannendsten, leidenschaftlichsten und dramatischsten Briefe im gesamten Neuen Testament, für mich ein richtiger Liebesbrief, aus dem aufleuchtet, was der gekreuzigte Jesus gerade für Schwache, Angefochtene und im Glauben bedrohte Christen bedeutet.

Ich will’s ein bisschen erklären: In Korinth, in der großen griechischen Hafenstadt, da hatte es bei der jungen christlichen Gemeinde entsetzlichen Ärger gegeben, Führungszank und Kompetenzgerangel sozusagen. Da war nämlich eine Clique von angeblich Superfrommen aufgetreten, Halleluja-Christen, die was Besonderes zu sein vorgaben und sich damit an die Macht drängten: „Paulus, diese krumme Type, muss weg, der bringt es nicht mehr!“, meinten die; ja, Paulus, der Gemeindegründer und geistliche Vater damals in der ersten Zeit, der ist doch nicht mehr zu halten, mit seinem ewigen Gejammer vom Kreuz und vom Gekreuzigten. Nein, wir wollen eine neue Konzeption, ein neues Leitbild, bitte sehr: bisschen was Fröhlicheres mit viel Visionen und viel Halleluja und viel viel weniger Kreuz. Und überhaupt: Paulus, der ist doch selber ein so oft Angefochtener, von Krankheit und innerer Schwäche angefressener kantiger Mensch, darin doch überhaupt kein Vorbildtyp: „Ob man den depressiven Jammerlappen überhaupt Apostel nennen darf?“.

Wie ein Kampf gegen die Windmühlen bei jenem Don Quichotte, so mutet im ersten und zweiten Korintherbrief der Kampf des Paulus gegen die großtönenden Gegner an. Gerade das, was ihr nicht abkönnt ist mir das Wichtigste im Namen Jesu, so Paulus, im Zeichen des Kreuzes bei Jesus zu bleiben, und da zu wissen: seine Kraft ist nur in Schwachen mächtig, und sein Schatz ist immer in irdenen Gefäßen, und er schreibt auf krummen Zeilen gerade mit seiner eigenen Handschrift.

Und jenen Himmelsstürmern in Korinth mit ihrem schwärmerischen Halleluja-Christentum und ihrem Machtstreben in der Gemeinde hält er entgegen, dass er eine riesengroße Liebe in seinem Leben hat, von der er nicht ab kann: dass sein ganzes Leben am Kreuz hängt und er dem Gekreuzigten und keinem andern gehört, und dass nur vom Kreuz aus Leben Tiefgang und einen Anker hat, ja, dass das Kreuz und Christus allein die Liebe Gottes mit dieser Erde verankert. Und so ist das dann ein glühender Liebesbrief geworden, der zweite Korintherbrief, ein leidenschaftlicher mit ganz großem Feuer: Christen in Korinth, behaltet eure Basis, behaltet den, der euch rettete, sein Kreuz ist euer Heil, euer Schatz, im Leben wie im Sterben und danach, und lasst euch durch nichts von diesem Fundament abziehen, lasst euch von keinem verrückt machen, der euch am Kreuz vorbei als Himmelsstürmer in irgendwelche höheren Sphären abziehen will und der euch Jesus den Gekreuzigten und seinen Weg nach unten zu den Schwachen madig machen will.

Und genau auf diesem Hintergrund und auf dieser Vorgeschichte, liebe Gemeinde, kriegt das, was dort in zwei Sätzen steht ganz am Ende des zweiten Korintherbriefs, also der heutige Predigttext, seine Füllung und seinen Inhalt: das sind nicht Formeln bloß und nicht Phrasen von „Friede, Freude, Eierkuchen“, das ist nicht harmonisch warme Luft, die da pastorenhaft-hochtrabend aus seinem Mund kommt, nein, da wirbt einer, der eine große Liebe hat, dass andere diese Liebe auch in ihr Leben kriegen.

Wie hörten wir da? Zuletzt freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! Da geht es um Jesus, den Gekreuzigten, um die große Liebe, die man zum Weitergeben erlebt wie eine Flamme und die ist wie eine Brücke zueinander, so wie es der große Nikolaus Graf Zinzendorf ja hat singen lassen: Zünde an die Liebesflamme, / dass ein jeder sehen kann: / wir, als die von einem Stamme, / stehen auch für einen Mann.
Lass uns so vereinigt werden, / wie du mit dem Vater bist / bis schon hier auf dieser Erden / kein getrenntes Glied mehr ist, / und allein von deinem Brennen / nehme unser Licht den Schein; / also wird die Welt erkennen, / dass wir deine Jünger sein.

Wie sagte ich? Vier andere packende und ergreifende Abschiedspredigten habe ich gelesen, die Pastoren auf dieser Kanzel hielten: hier sind sie die vier Predigten [zeigen!]. Und alle vier sind wie ganz ungewöhnliche leidenschaftliche Liebesbriefe von Leuten, die hier in dieser Gemeinde lange gewirkt haben und die – so gut kenne ich die Geschichte meiner Vorgänger! – dafür „ihr letztes Hemd gaben“, weil sie ganz und gar Jesus als ihren Herrn hatten.

Der Pastor Axthelm in seiner letzten Predigt z.B. [hier ist sie...] schreibt im Jahr 1929, als er wegmusste, er wäre am Anfang 1917 in ein idyllisches Dorf gekommen, das wie ein Paradies wirkte – ganz ohne Giftschlangen, doch dann hätte ihn die Wirklichkeit eingeholt, aber er könnte am Ende nicht anders als segnen, und jener Kunsemüller, der schreibt das genauso: Er schreibt es mit den Worten unseres heutigen Predigttextes, die dann am Schluss viel mehr sind als nur „Ende gut – alles gut“ und ganz was anderes als „Friede, Freude, Eierkuchen“, viel mehr als eine Formel und eine leere Floskel – genauso wie in jenem Liebesbrief am Ende bei Paulus: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen! Wie war es bei jenem Liebesbrief des genannten jungen Mannes? Von außen klang es wie Kitsch, wie eine langweilige Floskel oder hohle Formel, von innen gesagt und in Liebe verstanden, da sagt das alles, alles aus, wenn’s da heißt in seinem Brief: „Du, mein Schatz, ich liebe dich, dein Geliebter!“

Wohl denen von uns, die es in Liebe so hören können, wie es gemeint ist – bei Paulus, bei Kunsemüller, bei Axthelm und hier, diese Schlussworte der großen Liebe hier, die euch allen gelten – und wie! – und die lauten:

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen, der Segen des dreieinigen Gottes! Amen.

Lied nach der Predigt: Mein schönste Zier, 1-3, Verabschiedung durch Sup. Henz, Iserlohn, Schlussgebet und Vaterunser,

Segenslied: Bewahre uns, Gott, Segen und Orgel

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