Sich ein Bild machen von Deilinghofen in der Mitte des 19. Jahrhunderts
Was Pfarrer August Limborg in dreieinhalb Jahrzehnten (1835 bis 1870) im Dorf an Spuren hinterließ…
(Von Friedhelm Groth)
Deilinghofer Käseblättchen
September 2016; zum zweiten Mal veröffentlicht Oktober 2020
(Originalartikel - zum Thema Limborg war noch nie gedruckt oder im Internet etwas veröffentlicht...)
Aus Sümmern hier die neue Schleichwerbung für das "Deilinghofer Käseblättchen" - http://www.kaeseblaettchen.de
Als Bild von diesem Pfarrer haben wir leider nur das oben gezeigte, das qualitativ nicht so überzeugt, aber aus vielem aus seinem Leben, das wir von ihm wissen, kann man sich sehr gut ein Bild machen - von ihm und vom Dorf damals. Ja, wie es rings um unsere Stephanuskirche aussah in jener Limborg-Zeit, zeigt dieses bemerkenswerte historische Bild aus dem Jahr 1862 (das im Käseblättchen schon einmal vorkam). 1862 war Dettmar August Limborg (1810 bis 1870) schon mehr als ein Vierteljahrhundert Deilinghofer Pfarrer, der 14. evangelische übrigens nach der Reformation.
Ein wirklich bemerkenswertes Bild (links), aufgenommen aus der Perspektive der Nachbarn Ebberg neben der Kirche. Da sieht man die alte Deilinghofer Schule genau an der Stelle, an der heute das Ehrenmal steht. Diese Schule befand sich dort bis 1805, und das Gebäude wurde "nach Apricke deportiert". Es ist dort heute "eingebaut" in ein Haus in der Straße "Im Beil". Der "Vorbau", durch den man heute in die Kirche hineingeht, diente damals als "Spritzenhaus" für die Feuerwehr (wie man auch im Käseblättchen im Artikel zu Pfarrer Johann Daniel Müller lesen konnte). Und ganz auffällig ist die Friedhofsmauer, die hier die Stephanuskirche vom Grundstück Ebberg trennt.
Diese Friedhofsmauer allein schon hat im doppelten Sinn mit jenem Pfarrer Limborg zu tun, um den es hier geht. Denn Limborg war es, der 1840/41 diese Mauer bauen ließ.
Und genau im Schatten dieser Mauer fand Pfarrer Limborg seine letzte Ruhestätte: Neben dem Grabstein seines Vorgängers Pfr. Basse ist heute noch an der Friedhofsmauer der Grabstein von Limborg zu sehen. Pfarrer-Grabsteine dort sogar im Doppelpack, das straft den oft zu hörenden spöttischen Spruch Lügen, in Deilinghofen sei "noch nie ein Pfarrer beerdigt" worden!
Aber noch ein anderes Grab wird auf Limborgs Grabstein (Bild rechts) erwähnt:
"Hier ruhet in Frieden neben dem Grab seiner Mutter Pfarrer Aug. Dettmar Limborg, geb. 4. Juli 1810, gest. 27. Januar 1870, Pfarrer zu Deilinghofen bis an sein Ende. Das Gedächtnis des Gerechten bleibt in Segen (Spr. 10, 7)."
Auch daraus deutet sich an, dass Limborg Junggeselle geblieben war, und dass vermutlich seine Mutter im Alten Pastorat als Haushälterin für ihn gewirkt hatte.
Das bringt uns zum Lebenslauf dieses Mannes. Dettmar August Limborg wurde am 4. Juli 1810 in Dortmund geboren als Sohn des Regierungsregistrators Johann Cornelius Limborg und dessen Ehefrau Elisabeth Limborg, geb. Schneider. Sein Abitur machte er Ostern 1829 am Gymnasium in Arnsberg. Danach studierte er Theologie; seine Studienorte waren Halle/Saale, Berlin und Bonn. Seine beiden Examina schaffte er Herbst 1832 und Herbst 1833 in Münster. Limborg wirkte dann in Deilinghofen zunächst als Pfarrverweser seit dem 26. April 1835, wobei sich seine Einstellung als Pfarrer verzögerte, da er - genau wie sein Deilinghofer Vorgänger Carl Ludwig Josephson (über den das Käseblättchen berichtete) - wegen Teilnahme an der Burschenschaft nicht genommen werden sollte. Aber im Gegensatz zu Josephson blieb Limborg eine Haftstrafe erspart: Er wurde am 2. Juli 1935 begnadigt, und der Weg war frei, als Deilinghofer Pfarrer Basses Nachfolger zu werden. Am 2. September 1835 wurde Limborg ordiniert und als Pfarrer eingeführt.
Die Spuren, die Limborg dann in Deilinghofen in 35 Amtsjahren im Dorf am Felsenmeer hinterließ, waren beträchtlich. Neben intensiver Predigt- und Seelsorgetätigkeit sorgte er in vielerlei Hinsicht für Ordnung in seiner Gemeinde. Dazu gehörten neben der schon erwähnte Friedhofsmauer diverse organisatorische Neuerungen in der Kirchengemeinde: So wurden Hypothekenbücher angelegt und das Lagerbuch von 1843 wurde eingeführt (ein Buch, in dem systematisch zu archivierende Kirchenunterlagen zusammengefasst und gebunden wurden).
Und etwas anderes begann im gleichen Jahr 1843, das der Ordnung in der Gemeinde diente: Es ist in den Kirchenbüchern "aktenkundig", dass Deilinghofer Gemeindeglieder im Ruf standen, an zwei Punkten überdurchschnittlich aktiv zu sein: beim Branntweintrinken und beim Prozessieren, die "Branntweinsucht" und die "Prozessiersucht" seien zwei überdurchschnittlich entwickelte Süchte im Dorf.
Was das Trinken anbelangt, sorgte Pfr. Limborg schon als junger Mann - so gut er konnte - für Abhilfe, indem er den Deilinghofer Enthaltsamkeitsverein gründete, der von 1843 bis 1876 bestand und sich segensreich auswirkte. (Zu diesem Verein gehörte - am Rande erwähnt - u.a. auch der Apricker Fritz Haarmann, den Pfr. Limborg als Kind getauft hatte, der Vater des späteren Massenmörders in Hannover, der den gleichen Namen bekam: Fritz Haarmann.)
Schon um 1840 hatte ein Gutachten Limborgs dafür gesorgt, dass die Kunststraße von Iserlohn ins Hönnetal über Deilinghofen angelegt wurde (und nicht etwa über Stephanopel nachMenden/Balve, wie auch angedacht worden war). Da bot das Urteil des jungen Pfarrers "verkehrpolitisch" eine ganz wichtige Weichenstellung; die Straße - durch Stephanopel geführt - hätte Deilinghofen in seiner Bedeutung massiv eingeschränkt und in der Region eine ganz andere Gewichtung erzielt. 1847 war dieses Straßenbauprojekt vollbracht. Zum Begriff der "Kunststraße" sei erwähnt, dass der preußische König Friedrich Wilhelm II. (1786-1797) angeordnet hatte, dass "Kunststraßen" mit gewölbtem Profil gebaut werden sollten, besonders im "Suderlandischen Theile" der Grafschaft Mark, und zwar wegen der Felsen mit einer Breite von wenigstens 12 bis 16 Fuß.
Ein zweites Großprojekt ist der Initiative von Pfarrer Limborg zu verdanken: In den Jahren 1858 und 1859 bekam die Kirche im Wesentlichen das Gesicht, das wir heute kennen.
Das Stichwort hieß "Umstuhlung der Kirche", man könnte es aber auch einen "Renovierungsmarathon" nennen: Die Kirche bekam erstmals einen Steinfußboden (statt des blanken Lehms unter den Füßen zuvor), das rechte Presbytergestühl wurde 1859 neu erworben - erstellt als Abbild des alten linken Presbytergestühls von 1588, der alte aus dem Mittelalter stammende Altar bekam die heutige Form durch einen Kölner Meister, und das gesamte Kirchengestühl wurde erneuert, wobei das System des Besitzes von Kirchensitzen für die führenden Deilinghofer Familien erhalten bleiben sollte.
Uns ist eine gedruckte 16 Seiten umfassende (und ermüdend lange!) Predigt Limborgs erhalten, gedruckt in Arnsberg, "für die Umstuhlung der Kirche in Deilinghofen am 11. Juli 1858", in der der Prediger nicht nur Gottes Wort auslegt, sondern auch den ehrgeizigen Plan beschreibt, bei dem die Gemeinde bei seinem Projekt am gleichen Strang ziehen sollte.
Eine zweite ausgeführte Predigt unseres Limborg liegt uns in der Nachschrift vor, im Jahr 1840 gehalten anlässlich des Todes von König Friedrich Wilhelm III. - eine ebenfalls ellenlange Predigt, die demonstriert, wie königstreu, patriotisch und "dörflich-sittlich" die Zustände im Dorf waren, durchaus im Kontrast zu Iserlohn, wo ja wenig später die Revolution von 1848 gravierend Spuren hinterließ.
Was die geistliche Orientierung von August Limborg anbelangt, heißt es in den Kirchenakten einmal über ihn: "Limborg war Rationalist", also ein Vertreter der Aufklärung. Die Art der beiden genannten Limborg-Predigten passt gut zu diesem Urteil: Sie wirken auf uns sehr rationalistisch.
Nach längerer Krankheitszeit starb Limborg im nicht hohen Alter von nur 60 Jahren - am 27. Januar 1870. Er verfasste 14 Tage vor seinem Tod ein Gedicht, das im Kontrast zu jenen Predigten kein bisschen rationalistisch sich darstellt, in dem sich in guter Form der Christ August Limborg ausspricht und das was ihn hält. Wir enden unser kleines Lebensbild mit diesem bemerkenswerten Limborg-Gedicht:
Ich wanke den Grabe entgegen,
Der Tod ist mir nicht mehr fern.
Ich will zur Ruhe mich legen.
Ich sterbe freudig und gern.
Ich weiß, dass mir Jesus erworben
Vergebung der Sünden und Schuld,
Da er ist am Kreuze gestorben
In unendlicher Liebe und Huld.
Drum will ich nicht kleinmütig zagen,
Wenn der Vater von hinnen mich führt.
Mein Glaube soll dorthin mich tragen,
Wo ewiger Friede regiert.
Dort werd' ich die Seligen sehen,
Die vor uns den Lauf hier vollbracht,
Mit ihnen auf ewig erhöhen,
Den, der alles wohl hat gemacht.
Drei Zugaben zu Limborg aus dessen Jugendzeit, die nicht im Käseblättchen stehen:
Als Student war er nicht nur Burschenschaftler (dazu auch ein Text unten) und hatte damit später Schwierigkeiten; er war, als er 19 war, auch das Opfer eines Kriminalfalls, bei der ein anderer mit seinem Namen krumme Sachen machte... (dazu zwei amtliche Bekanntmachungen aus dem Internet).
Ferner zu Limborg als Burschenschaftler:
Obiges aus:
Helge
Dvorak, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft,
Bd. I:
Politiker, Teilbd. 8/Supplement: L-Z, Heidelberg 2014, S. 29.
Schließlich eine durchaus interessante
Zeitungsanzeige anno 1870 im Monat nach Limborgs Tod
(gefunden und zur Verfügung gestellt vom Renate Gilsbach,
Hemer - danke!):