FG: Drei  Predigten aus dem Jahr 1998 in der Epiphaniaszeit über wichtige Texte des Römerbriefes:
Römer 12, 1-8 oben (in dem Fall: gesamter Gottesdienst),
dann
Römer 8, 9-16
und - drittens -
Römer 1, 14-17.

Gottesdienst am 1. Sonntag nach Epiphanias 11.1.1998, Deilinghofen Stephanuskirche
 

Wochenspruch: Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (Röm 8,14)

Orgelvorspiel und Abkündigungen - Eingangslied: Jesus ist kommen eg 66, 1-3 und 5
IM NAMEN...UNSERE HILFE...
Der Wochenpsalm 89 preist Gott mit den Worten: Ich will singen von der Gnade des HERRN ewiglich / und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für; denn ich sage: Für ewig steht die Gnade fest; / du gibst deiner Treue sicheren Grund im Himmel. »Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Auserwählten, / ich habe David, meinem Knechte, geschworen:  Ich will deinem Geschlecht festen Grund geben auf ewig / und deinen Thron bauen für und für.« Und die Himmel werden, HERR, deine Wunder preisen / und deine Treue in der Gemeinde der Heiligen. Damals hast du geredet durch ein Gesicht / zu deinem Heiligen und gesagt: Ich habe einen Helden erweckt, der helfen soll, / ich habe erhöht einen Auserwählten aus dem Volk. Ich habe gefunden meinen Knecht David, / ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Öl. Meine Hand soll ihn erhalten, / und mein Arm soll ihn stärken. Die Feinde sollen ihn nicht überwältigen / und die Ungerechten ihn nicht demütigen. Er wird mich nennen: Du bist mein Vater, / mein Gott und Hort, der mir hilft. Und ich will ihn zum erstgeborenen Sohn machen, / zum Höchsten unter den Königen auf Erden. Ich will ihm ewiglich bewahren meine Gnade, / und mein Bund soll ihm fest bleiben. Ich will ihm ewiglich Nachkommen geben / und seinen Thron erhalten, solange der Himmel währt. Kommet, lassez uns anbeten: EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE...

Sündenbekenntnis: Herr Jesus Christus, Dein Licht leuchtet seit Weihnachten und strahlt in unsere Welt bis zum heutigen Tag; Du bist der Stern, auf den wir schauen, der Fels, auf den wir trauen können. Aber Du weißt, wie oft wir dennoch im Finstern wandeln und uns Dein Licht fehlt. Du weißt um die Dunkelheit von Schuld in unserm Leben, Du weißt um all die Finsternis, die in uns herrscht: in uns als Einzelnen und in uns als Deiner Gemeinde. Du weißt um die Lauheit und Trägheit unserer Herzen: daß so oft Zweifel uns runterziehen und wir nichts ausstrahlen von der Leuchtkraft echten Glaubens, daß so oft Worte, die wir aus deinem Wort vernehmen können als Worte an uns, folgenlos bleiben in der Woche im Alltag und der Gottesdienst bloß auf den Sonntag beschränkt bleibt.
Wir bitten Dich um Vergebung: Gib Du uns die Kraft im Neuen Jahr, Deinen Willen in unserm Leben zu erkennen und zu tun! Herr, erbarme dich unser!

KYRIE.../GNADENZUSPRUCH Joh. 3,16 "So sehr..." / EHRE SEI.../Der Herr sei... 

Gebet: Herr, unser Gott, sammle Du jetzt unsere Gedanken, daß wir unter Deinem Wort offen werden für Dich. Wir sehnen uns nach Klarheit und Eindeutigkeit in unserem Leben. Wir bitten dich: Laß uns heute morgen erkennen, was du mit uns als Einzelnen und mit uns als Gemeinde vor hast, und deinen Willen bejahen. Gib uns auch die Kraft zu erfüllen, was uns aufgetragen ist. Wir preisen dich und rechen mit dir, der du mit Jesus, dem Sohn und dem Hl. Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Evangelium aus Mt. 3: Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.  Halleluja. Lehre mich nach deinem Wohlgefallen, denn du bist mein Gott; dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn. Halleluja!

Glaubensbekenntnis

Herz und Herz vereint zusammen: eg 251, 1-3 und 7

 

Predigt Römer 12, 1-8 am 18.1.1998 in der Stephanuskirche zu Deilinghofen
 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn, Jesus Christus. Amen.
 

Liebe Gemeinde, wir hören den Predigttext, der für den heutigen ersten Sonntag nach Epiphanias in unsern Kirchen zu predigen vorgeschrieben ist, Römer 12, 1-8; da schreibt Paulus an die Christen in Rom:

Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.  Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, daß niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern daß er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgestellt hat. Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Gebet: Herr, schenk uns Ohren für dein Wort und die rechten Herzen, es als Wort an uns anzunehmen. Laß Folgen aus dem Gehörten entstehen, und laß mich nicht andern predigen und selbst verwerflich werden. Amen.

Ja, liebe Gemeinde, das ist ein wirklich guter Predigttextvorschlag am Anfang des neuen Jahres, finde ich. Es geht also um den Körper, den Leib, die Körperteile - und unsern Gottesdienst. "Wie beansprucht Gottesdienst eigentlich Körperteile?" - das ist hier die Frage! Im ersten Gottesdienst, den ich 1998 in der Stephanuskirche zu halten habe, werden wir da von Paulus in Römer 12 an das Grundsätzliche erinnert, an das, was ganz am Anfang zu stehen hat und sozusagen das Vorzeichen vor der Klammer ist in Jesu Gemeinde. Und dieser Predigttextvorschlag heute hat noch insofern was Besonderes, als es nach der Text-Ordnung nächsten Sonntag weitergeht: "Fortsetzung folgt", da habe ich nämlich hier über Römer 12, 9-14 zu predigen, und schließlich heute in 14 Tagen, wenn wir den Mitarbeiter-Neujahrsempfang haben, gibt's nach der Predigtordung "Römer zu Dritten": ein ebenso grundsätzlicher Text aus Römer Kapitel 1.  Wer es will, kann es als zusammenhängende Predigtreihe verstehen, wo alle drei Predigten eng miteinander verbunden sind und uns als Gemeinde zeigen, was eigentlich für uns Gottesdienst und Gemeindeleben sein kann. Oder mit dem heutigen Text gesagt: Wie das ist mit dem Leib und den Körperteilen und dem vernünftigen Gottesdienst...

Ja, liebe Gemeinde, würde ich nun Konfirmanden hier unter uns fragen, wie Gottesdienst denn Körperteile beansprucht, dann kämen die garantiert zuerst auf den Hintern! Sicherlich manche würden sagen: Gottesdienst, sonntags um 10 in der Kirche, den sitze ich doch schließlich mit dem Hintern ab, und andere, die nicht ganz so flapsig und etwas artiger sind, würden vielleicht sagen: Gottesdienst, das ist auch was für die Ohren: daß man da hinhören kann und in seine Gehörgänge was mitbekommt! Würden wir aber Paulus die gleiche Frage stellen, dann müßte er uns korrigieren: "Leute, da liegt ihr ganz schief mit dem, was Ihr unter Gottesdienst versteht. Gottesdienst - von Christus her gesehen - ist was ganz Anderes, es hat nicht zuerst was mit dem Hintern und auch nicht nur was mit den Ohren zu tun, er hat mit mir mit Haut und Haaren zu tun, mit meinem ganzen Körper, dem ganzen Leib!" Denn so definiert es auf seine Weise Paulus in Römer 12: "daß ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst!" Gottesdienst ist also für ihn Hingabe, eine Hingabe, die mich total mit Haut und Haaren und mit meinem ganzen Körper, meinem Leib,  beansprucht, so total wie Liebe. Und so als wollte er uns weiter erklären, was er mit Gottesdienst meint, mit dieser Hingabe, die er Gottesdienst nennt, beschreibt er's in Vers 2 von Römer 12: Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, daß ihr prüft und erkennt, was der Wille Gottes ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

Ja liebe Gemeinde, darum geht's hier im Römerbrief im Kapitel 12, das heute dran ist, darum geht's in der Fortsetzung am kommenden Sonntag und darum geht's im dritten Text aus dem Römerbrief heute in 14 Tagen vor dem Neujahrs-Empfang: sich von Paulus neu sagen zu lassen, was überhaupt Gottesdienst ist. Er würde sagen, Gottesdienst ist die Schaltstelle in meinem Leben, durch die ich mich nicht mit der Welt gleichschalten lasse, ist die Stelle in meinem Leben, wo ich die riesengroße Freiheit kriege, nicht alles das zu tun, was "man" tut und nicht so zu leben wie "man" lebt, weil ich da eine andere Orientierungszentrale in meinem Leben habe: Wer nach Gottes Willen fragt, der ist frei davon, sich zentral bestimmen zu lassen von dem, was die Masse glaubt und denkt und wie sie handelt, der ist frei, immer wieder nach Gottes Willen zu fragen und so umzukehren auf den Weg, den Gott zu gehen ermöglicht. --- Ja, umzukehren auf den Weg, den Gott zu gehen ermöglicht. Wir wissen von dem, der uns hier erklärt, was Gottesdienst ist, von Paulus, daß für den "Umkehren" nicht nur so ein dahingesagtes Laberwort ist. "Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes", steht da in Römer 12, da wußte Paulus sehr wohl mit ganz viel Erfahrungshintergrund, was es mit so was auf sich hat!  Denn als er, Paulus selbst, in diesen Gottesdienst gerufen wurde, da hat's ihm bekanntlich Hören und Sehen verschlagen: als er sich da wiederfindet im Staub der Straße vor Damaskus und als ihn die Stimme traf: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Innerhalb von wenigen Stunden und einigen Tagen dann hat sich bei ihm alles um 180 Grad gedreht, alle seine vorherigen Prinzipien und Ziele waren durchkreuzt, durchkreuzt von diesem auferstandenen Gekreuzigten, der da auf dem Weg vor Damaskus ihm übergroß und wichtig wurde, der ihn beim Schlawittchen packte und ihn umkrempelte: aus Saulus durfte ein Paulus werden, aus dem Christenhasser und Mörder einer, der im Namen Jesu nach dem Willen Gottes fragte, der seinen Sinn veränderte und sich nicht gleichschalten ließ mit dem was, "man" über Jesus dachte und über Religion und Frommsein! Nein, jetzt fing das Projekt Gottesdienst gerade erst an: diese Riesenbotschaft von der Freiheit, die Christus und kein anderer gewährt, die mußte unter die Leute! Liebe Gemeinde, wenn wir jetzt drei Sonntage hintereinander in den Predigten über Texte aus dem Römerbrief nachdenken, dann ist das, was da steht, nur auf den ersten Blick sehr theoretisch und langatmig und anscheinend langweilig: Was dahinter steckt, ist hoch-explosiv wie Dynamit, und immer wieder ist das in der Geschichte der Christenheit gerade am Römerbrief passiert, daß Menschen sich vom Römerbrief packen ließen und merkten: in Jesu Namen nach Gottes Willen und nach dem eigentlichen Sinn von Gottesdienst fragen, das verändert Einzelne und das verändert heilsam die ganze Kirche. Lassen sie mich das an drei Beispielen hier erzählen: wie der Römerbrief zu Dynamit in einem Leben wurde und wie da Gottesdienst und Gottes Wille am Römerbrief völlig neu verstanden wurde:

1. Da ist ein hochbegabter junger Mann, wissenschaftlich gebildet, der sehr gut reden kann. Früh hat er's zum Professor der Rhetorik gebracht, und an der Uni bildet er junge Leute aus. Er liebt das Leben in vollen Zügen, nicht nur als Wissenschaftler und Philosoph ist er bekannt, auch als Liebhaber von Wein, Weib und Gesang. Eben einer, der nichts ausläßt. Zum Leidwesen seiner frommen Mutter, die bewußt Christin ist und jeden Abend für ihn betet, gerät unser junger Playboy ganz auf die schiefe Bahn, und nicht einmal der dunkelste Punkt seines Lebens ist es, daß er einen unehelichen Sohn hat. Doch in all diesem Rausch von Wissen und Genießen hat sich dem jungen Mann die tiefste Frage seines Lebens nicht beantwortet: Was überhaupt ist der Sinn meines Lebens? Man schreibt das Jahr 386 nach Christus, es ist September in Mailand, wo dieser junge Playboy, der 32jährige Augustin jetzt lebt. Er hat alles durch, er kennt die Wissenschaften, er hat die Sekten seiner Zeit durch, durch seiner tiefsten Frage ist er keinen Schritt näher. Was ist der Sinn des Lebens? So fragt er jetzt - fast depressiv geworden. In dieser Stimmung geht er in seinem Mailänder Haus  in den Garten, wirft sich unter einen Feigenbaum und weint wie ein Kind. Da plötzlich - von nebenan aus dem Nachbarhaus - was ist das? Eine Stimme. Ein Kind singt ein ganz kindliches Lied mit dem lateinischen Text: "Tolle, lege!" - das heißt auf deutsch: "Nimm und lies, nimm und lies!" Augenblicklich weiß Augustin: In diesem läppischen Kinderlied spricht Gott mich an - und er sieht sich genötigt, die Bibel aufzuschlagen, und was er da liest - aus dem Römerbrief - lautet sinngemäß: Laßt das alte Leben fahren, zieht den Herrn Jesus Christus an, das wird dem Playboy Augustin zu seiner Damaskusstunde, denn da - in dieser Situation - krempelt Chrisus ihn um. "Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, daß ihr nach Gottes Willen fragt", das was da in unserm Text Römer 12, Ver 2, steht, das passiert da nach jenem Gartenerlebnis im Mailänder Haus von Augustin im September 386. Und manche hier mögen's wissen, daß genau dieser Augustinus vor Luther einer der größten und wichtigsten Kirchenväter war: einer der der Kirche erneuernd den Weg gewiesen hat, Gottes Willen zu verstehen und zu begreifen, was vernünftiger Gottesdienst ist.

Das 2. Beispiel schließt sich da nahtlos an. "Tolle, lege" auch hier: "Nimm und lies", und wieder ist's der Römerbrief. Und wir sehen ihn vor uns im 16. Jahrhundert, den Mönch Bruder Martinus: er, der immer wieder den Römerbrief las und nicht verstand, der an dem Wort "Gerechtigkeit Gottes" fast verzweifelte in seiner religiösen Angst. Bis es ihm da in seiner Klosterzelle, den Römerbrief lesend, wie Schuppen von den Augen fällt: Gerechtigkeit heißt nicht: du mußt besser werden, um Gott gerecht zu werden, Gerechtigkeit heißt: Christus macht mich gerecht. Und diese Römerbrief-Entdeckung Martin Luthers war wie Dynamit, eine Revolution ohne gleichen: "Kirche, nicht aufs Gutes-Tun und Werke leisten kommt's zentral an, sondern auf Christus, der die riesengroße Freiheit schenkt, umzukehren und seine Wege zu gehen!" Und wieder war's Paulus und der Römerbrief, die einem Menschen und seiner ganzen Epoche den Weg gezeigt hatten, wie man Gottesdienst und den Willen Gottes versteht.

Und 3., liebe Gemeinde, war's in unserm 20. Jahrhundert gar nicht anders. Bei dem Theologen Karl Barth, den man Kirchenvater des 20. Jahrhunderts nennt, und der die Kirche mutig zur Sache rief, nicht mehr weiterzuschlafen, nicht mehr die Waffen zu segnen, und der in der Hitlerzeit die Bekennende Kirche stark prägte im Kampf gegen Hitlers braune Verführung, bei diesem Karl Barth war es von Anfang an der Römerbrief, der ihn nicht mehr losließ, - ein "tolle, lege", ein "nimm und lies", mit dem Christus in der schlafenden Christenheit sich immer neu zu Wort meldete: wo neu erfahren wurde, was eigentlich Gottesdienst nach dem Willen Gottes heißt: ein Kampf mit erneuerten Herzen und riesengroßer Freiheit für Christi Sache. Gottesdienst - so mit Paulus, Augustin, Luther und Barth verstanden eben nicht nur eine Sache für den Hintern und die Ohren, eine Sache, die leibhaftig zu Herzen geht und mich mit Haut und Haaren packt. Und Paulus, liebe Gemeinde, ist diese Leibhaftigkeit von Gottesdienst so wichtig, daß er die Christen alle zusammen in der Gemeinde einen Leib nennt, ja er nimmt sie in unserm Text alle zusammen als einen Körper, wo jedes Körperteil, auch das scheinbar geringste, eine wichtige Aufgabe hat: wir viele sind ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und wir haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Gebe Gott, daß hier alle die, die Christen sein möchten in Deilinghofen, sich im neuen Jahr so erneuern lassen wollen: daß wir Gottesdienst begreifen als Sache nicht nur für den Hintern, sondern als heilsam befreiende Lebenseinstellung, die uns mit Haut und Haaren ergreift und die nicht bei uns alles beim Alten läßt -  so daß durch erneuerte Menschen hier es Leute um uns herum leichthaben, selber zum Glauben zu kommen. Daß sie es unsd abnehmen und an uns ablesen: Gottesdienst, das ist Hingabe, ein Glaube, der sich in der Woche verleiblicht und alle Körperteile beansprucht, auch so, daß wir alle uns begreifen als ein Leib, wo er das Haupt ist, wir seine Glieder, er das Licht und wir der Schein, also wird die Welt erkennen, daß wir seine Jünger sein. Das schenke hier der Gott, dessen Friede höher ist als alle Vernunft; er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 66,8-9 [Gebet: Lied 416] Lied 170,1-2 VU 170,3-4

 

 

Predigt am 2. So. nach Epiph., 18.1.1998 in der Stephanuskirche Deilinghofen
 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Letzten Sonntag, liebe Gemeinde, sprach ich von einer Predigtreihe, einer Predigtreihe über Römerbrieftexte. Der in unsern Kirchen vorgeschriebene Predigttext für den heutigen 2. Sonntag nach Epiphanias schließt genau an den Predigttext an, über den ich am vergangenen Sonntag zu predigen hatte: heute ist Römer 12, 9-16 dran. Da stehen in eigenartiger Weise gleich 15 Mahnungen zur Liebe hintereinander, wenn Paulus dort schreibt:

Die Liebe sei ohne Falsch. Haßt das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.

Lassen Sie mich bei dieser Predigt über all diese Aufforderungen zum Liebeüben von Christen in der Gemeinde, etwas ungewöhnlich beginnen. Mit einem Drudel (oben) will ich beginnen, denn manchmal haben Predigttexte etwas von Rätseln: daß man erst mal dahinter kommen muß und es dann kapiert. Das ist besonders bei Drudel-Rätseln so, und deshalb hab ich Ihnen eins mitgebracht, daß ich hier für alle sichtbar aufhänge an der Kanzel: mit der Frage an Sie alle, was das hier ist, was wir da sehen. Ein Drudel also, das ist so ein Bilderrätsel, wo man aus dem Bildausschnitt raten soll, was da denn abgebildet ist. Was könnte das sein? Und wenn ich Ihnen und Euch mal helfe beim Raten: Es könnte sein ein Leopardenfell auf einer Wäscheleine von oben. Es könnte sich um eine inselreiche Stelle im Amazonas handeln, aber beides ist falsch - in Wirklichkeit ist das eine Giraffe, die an einem Fenster vorbeigeht...

Und ich hab mir gedacht: sehr ähnlich wie bei Drudelrätseln geht es manch einem, der so Ausschnitte aus der Bibel hört. Aus dem Zusammenhang gerissen, kann man sich da manchmal alles oder nichts vorstellen. Und der Vergleich mit dem Drudelrätsel ist gar kein billiger Gag: genauso ist es nämlich für viele  mit der Bibel allgemein, und für manche sicherlich mit dem heutigen Predigttext Römer 12, 9-16.

Da könnte schon einer dabeisitzen und eben bei der Lesung gestöhnt haben: Auweia, was für ein Hammertext!!! Da wird ja geradezu Liebe eingehämmert, in 15 Aufforderungen, hintereinandergereiht, 15 moralische Appelle, Schlag auf Schlag!!! 15mal so Allerweltsweisheiten in frommer Sprache, wenn's da in dem Stil anfängt: "Die Liebe sei ohne Falsch. Haßt das Böse und hängt dem Guten an. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt."

Und manche hier, die sich das anhören, diese Sätze des Paulus aus Römer 12, 9-16, die sagen sich:  Ich bin auch gegen das Böse und für das Gute, und träge bin ich schon gar nicht, also was soll mir das Ganze schon!?  Was haben alle diese Allerweltswahrheiten und -ermahnungen schon mit mir zu tun und mit uns!?

Liebe Gemeinde, gerade deshalb hab ich vom Drudel geredet. Denn manchmal nimmt man einen Ausschnitt und sieht alles falsch, und man versteht gar nicht den "Pfiff", der mit dem "ganzen Bild" gemeint ist, wenn man's im Zusammenhang sieht.

Ja, liebe Gemeinde, wer den Gehalt dieser Worte begreifen will, muß zuerst Augen für das Ganze haben, muß zuerst Augen dafür haben, daß der Römerbrief ein Liebesbrief ist: ein ganz leidenschaftlich geschriebener Liebesbrief, in dem ein Christ beschreibt, was sein "Ein und Alles" ist, was ihn und die, die seine Liebe teilen, im Leben und im Sterben hält. So verstanden ist der Römerbrief der faszinierendste Liebesbrief der Weltliteratur - ich schilderte es am vorigen Sonntag, wie dieser Römerbrief im 4. Jahrhundert nach Christus aus de, Playboy und Lebemann Augustin einen Christen gemacht hat: "nimm und lies, tolle lege!", wie da ein Mensch anhand der Inhalts dieses Briefs all seine Kaputtheit und Schuld hinter sich lassen konnte - ein wirkungsmächtiger Liebesbrief in der Lebensgeschichte des späteren Kirchenvaters Augustinus, wo's dann zwölfhundert Jahre später im 16. Jahrhundert gar nicht anders war bei Luther, dessen große Wende mit dem Römerbrief kam, so wie's bei Karl Barth in unserm Jahrhundert dann noch einmal war - eine ganz wesentliche Wende für die ganze Kirche, wo dieser Römerbrief verstanden wurde wie ein Liebesbrief Gottes, in der eine kaputte Kirche in einer verrückten Zeit ihr Ein und Alles finden kann.

Ja, liebe Gemeinde, wer's nicht mit der Leidenschaft liest, mit der's geschrieben wurde, versteht nur Bahnhof. Wissen Sie: wenn ich mit kaltem Herzen einen fremden Liebesbrief lese und da steht: "Ich liebe dich" oder "Alles Gute, mein Schatz", dann sagt's dem Außenstehenden gar nichts, ja für ihn ist vielleicht alles nichts als Kitsch!.

So ist's auch hier. Und gerade bei unserm Abschnitt heute, da muß man den Ausschnitt vergrößern. Man muß unbedingt hinzunehmen, was letzten Sonntag hier gelesen und gepredigt wurde: da ging's dem Paulus ja im Text unmittelbar zuvor um "vernünftigen Gottesdienst". Ganz leidenschaftlich hatte Paulus dafür plädiert, daß Gottesdienst nicht das ist, daß ich mit meinem Hinterteil auf harten Kirchenbänken sitze, mehr oder weniger die Ohren auftue, nein: daß vernünftigen Gottesdienst, mit Paulus gesprochen, leibhaftige Hingabe ist, die ganzheitlich in den Alltag reinwirkt - leibhafte Hingabe, das ist das richtige Opfer, sagt Paulus am Anfang von Römer 12 - und dies Leibhafte ist ihm so wichtig , daß er in dem Zusammenhang die Gemeinde Jesu als einen Leib, als einen Lebenszusammenhang begreift, wo viele Körperteile zu diesem Leib gehören, und wo jeder, der sich diesem Lebenszusammenhang zugehörig weiß, nichts anderes ist als ein Glied an diesem Leib, diesem Leib, der innerlich wachsen und nach außen heilsam wirken soll.

Ich denke da an letzten Sonntag, wo mitten im Kindergottesdienst ein Dreizehnjähriger während der biblischen Geschichte protestierte, als ich sagte, man könne Gott finden, so wie man Liebe finden kann, und er meinte: "Nee, ich glaub nicht an den, und Beten, das mach ich auch nur nach außen, daß es gut aussieht in der Kirche, daß ich nicht rausfliege." Was dieser kritische Dreizehnjährige wohl noch in den 16 Monaten bis zu seiner Konfirmation hier findet!? Der mag mich sehr, das weiß ich, aber ob er noch mehr findet: daß hier in Deilinghofen Christen sind, die was "dahinter" haben, die Liebe dahinter haben und gepackt sind von einer leidenschaftlichen Liebe, das Christen, auch im CVJM, hier zusammengehören wie ein Lebenszusammenhang, wie ein Leib!? Oder wird's so bleiben, daß für diesen Jungen, der denkt, was viele denken, Kirche bloß eine tote Zwangs-Einverleibung ist durch Taufe und Konfirmation!? Oder wird er im CVJM noch die Chance finden, seine Fragen durch Jüngere aufgenommen zu finden?! Ich wünsch diesem Jungen - stellvertretend auch für die, die im Mai hier am Altar konfirmiert werden - daß die, die von selbst nicht drauf kommen, den Römerbrief zu lesen, hier an Menschen merken: die Sache mit Gott und mit Jesus, das ist nichts anderes als es Liebesbriefe meinen, ja, das ist ein Lebenszusammenhang, der stärker ist als alle Todverfallenheit on einer brutalen und verrückten Welt! "Haßt das Böse, jagt dem Guten nach!", das ist von daher keine blasse Allerweltsmahnung mehr. Das ist ein glühender Aufruf, daß in der Gemeinde Glaube leibhaftig und deutlich wird, so leibhaftig, daß das selbst Heranwachsende hier in der Gemeinde es verstehen, denn hier getauft sein, hier konfirmiert werden, das hat's mit Römer 12 zu tun: Wir hier ein Leib, ein Leib, in dem diese leidenschaftliche Liebe zum Zug kommt! Jede Taufe, jede Konfirmation hier und auch unser Mitarbeiter-Neujahrsempfang am kommenden Sonntag stellt uns die Frage: Kirche, wer bist Du, wo stehst du, und wie hältst Du's mit dieser Agape, mit dieser Liebe, die den Leib durchpulst und bis in die Finger und Zehen und bis in die Haarspitzen gehen soll. Und Einzelchrist, wo stehst Du und wie ist's bei dir mit der Liebe, die dich zusammenbringt mit andern Christen, die hier wie ein Körper, wie ein lebendiger Organismus zusammenstehen sollen, so daß man nach innen was merkt von diesem besonderen Zusammenhang und nach außen was zu spüren ist von solcher glühenden Liebe und Leidenschaft, einer Liebe, die dem Bösen mutig Widerstand leistet und die dem Besten dient in großer lebendiger Hoffnung: "brennend im Geist", wie's da steht. Und wirklich: mit den Augen der Liebe gesehen, kriegt jede dieser 15 Mahnungen unseres Textes ein ganz anderes Gesicht - jedesmal geht es da nämlich um vernünftigen Gottesdienst, der nach außen dringt und leibhaft wird.

Konkret gesagt mit Paulus: Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden - da ist in jedem Satz das echte "Mit"-Gefühl gemeint, das Christus schenkt. Wenn ich das mit Liebe höre, ist das keine Allerweltsweisheit; es stellt mir z.B. die Frage: Müßte ich nicht längst mal wieder zu der jungen Sängerin des Chores gegangen sein, die '97 auf einem Auge plötzlich erblindete und die besonders auf den Besuch von Christen wartet? Dieses und vieles andere meint hier ganz konkret so ein Satz. Zum Beispiel kann das auch heißen: daß ich die Taufen und die Trauerfälle, die am Anfang eines Gottesdienstes abgekündigt werden, zu Hause zum Anlaß nehme, vor Gott im Gebet dran zu denken, daß "Freud und Leid" dann wirklich vor Gott gebracht werden, und der Betreffende dann vielleicht sogar etwas davon spürt, daß alle Christen zusammen hier einen lebendigen Leib bilden... 

Und manchmal, da ist so ein Satz wie Römer 12,12: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet, ein Wort, das mir ganz viel bedeutet, weil's mein Trauspruch ist, wie ein Rettungsanker. So jedenfalls war es bei mir in einer schweren Krise, daß wie durch ein Wunder dieses Wort mir zum festen Anker wurde, wie eine liebende Hand, die sich mir in meiner Kaputtheit entgegenstreckte.

Ja, so könnte man unsern Text durchgehen, Satz für Satz. Seid gastfrei, steht da. Da könnte man erzählen, was in den letzten sieben oder acht Jahren hier Leute durch afrikanische Gäste, durch russische Gäste, durch für Besucher offene Häuser erlebt haben, ja, wie sich da auch Glaube verleiblicht hat. Wer's wagt, jemand bei sich wohnen zu lassen, der merkt's: das kriegt man an Erfahrungen hundert Mal zurück, und gerade hier in Deilinghofen bleibt's eine Daueraufgabe, daß auch die im Asylanten-Camp wohnenden ausländischen Christen zum "Leib der Christen" gehören, was auch immer die Leute im Dorf über solche Gäste sagen. Ein Leib und viele Glieder, die in der Agapeliebe, die Jesus schenkt, in einem vernünftigen Gottesdienst verbunden sind, das ist eine weitreichende Sache um Christi willen, der Grenzen abgeschafft und das wahre "Mit"-Gefühl des Glaubens schenkt. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an; seid eines Sinnes untereinander - jedesmal sind's Dutzende von konkreten Situationen und alles andere als Allerweltssachen, wo Leute hier durch uns davon was erfahren können.

Und so gesehen am Schluß, da ist das ganze kein kniffliges Drudelrätsel, da sind's auch nicht nur strenge Mahnungen mit erhobenen Zeigefinger - nein, da sind's 15 bunte Anregungen, die Phantasie des Glaubens zu gebrauchen, Phantasie des Glaubengehorsams freizusetzen: sich hier neu zu sehen als Gemeinschaft, als Leib Jesus: daß wir uns untereinander mit neuen Augen betrachten - in tätigem Mitgefühl, und der Welt was davon zeigen, was hier am Ort durch vernünftigen Gottesdienst Menschen zum Segen wird und zu ihrem Wohl dient. Amen.

 

Predigt am 3. So. nach Epiph., 25.1.1998 in der Stephanuskirche Deilinghofen
 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit Euch allen Amen.

Liebe Gemeinde! „Römer zum ersten, Römer zum zweiten und heute – manche hier wissen das – Römer zum dritten!“ Zum dritten Mal wird heute wie in einer kleinen Predigtreihe über zentrale Texte aus dem Römerbrief gepredigt. Hatte ich vorigen und vorvorigen Sonntag an dieser Stelle über zwei Texte aus Römer 12 gepredigt, so geht’s heute nach der vorgeschriebenen Ordnung der Predigttexte um Römer 1,14-17. Da bekennt Paulus: Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«  

Wir beten: Herr, laß Dein Wort bei uns ankommen, nicht nur in den Ohren, sondern in den Herzen, und laß mich nicht anderen predigen und selbst verwerflich werden. Amen.

Liebe Gemeinde! „Über Schulden spricht man nicht!“ Zu den unausgesprochenen Regeln des bürgerlichen Zusammenlebens scheint zu gehören, daß so ein Thema merkwürdigerweise total tabu ist. Würde ich mich hier hinstellen und sagen: so und so viel verdiene ich und trotzdem habe ich zur Zeit durchaus Miese auf dem Konto der Hemeraner Stadtsparkasse, dann würden hier welche naserümpfend denken: „Pfui, ein anständiger Mensch hat doch keine Schulden! Ein ehrbarer Bürger hat das Konto immer glatt! Und wenn nicht, dann ist man ruhig: Rote Zahlen gehen keinen was an!“ Da nun aber zur Zeit wirklich das Girokonto bei uns rote Zahlen aufweist, oder wenigstens rosa Zahlen, die am ersten Februar wohl wieder – gottseidank! - schwarz werden, leiste ich’s mir und bin so frei und so unverschämt, das hier offen zu sagen, und mich „outend“ preiszugeben: „Jawohl, ich habe Schulden!“

Und Paulus in unserem heutigen Text fordert ja geradezu auf, die vornehme Zurückhaltung aufzugeben, unverschämt zu sein und zu bekennen – sich zu „outen“, auf Neudeutsch gesagt. Das werden wir gleich noch weiter hören in dieser Predigt zu Römer 1. Und so beginnt er seinen Römerbrief schon mit dem outenden und ganz unverschämten Satz, aus dem Nähkästchen geplaudert, daß er Schulden hat und ein Schuldner ist. Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Heiden, der Weisen und der Nichtweisen. So wortwörtlich beginnt ja der heutige Predigttext. Paulus hat seine Schulden also nicht auf dem Girokonto der Stadtsparkasse. Nein, er hat in anderer Weise „sein Konto nicht glatt“, und was es da mit seinen "Schulden" auf sich hat, das kann man sich gar nicht dramatisch genug vorstellen! Einen Eindruck davon kriegt man, wenn man die Bibel aufschlägt, nein: ich meine jetzt nicht den Römerbrief, sondern hier hinten in der Bibel den Anhangsteil [zeigen]. Da stehen ja die sog. "Missionsreisen des Apostels Paulus" - "erste Reise", "zweite Reise", "dritte Reise" und viertens zum Schluß "die Reise nach Rom"! Er also hat, so sagt Paulus hier am Anfang des Römerbriefes Schulden bei den Juden, aber auch Schulden international bei den griechisch sprechenden Menschen im ganzen römischen Reich: und die da hinten abgebildete Landkarte in der Bibel signalisiert's: es war ein unglaublich strapaziöser Weg kreuz und quer durch die ganze damals bekannte Welt, dieser Weg, auf dem Paulus die frohe Botschaft unter die Menschen brachte, buchstäblich alle verfügbaren Hilfsmittel, heute würden wir sagen alle Medien hat er eingesetzt, um die wunderbare Rettungsbotschaft unter den Leuten Kreise ziehen zu lassen. Und hier in unserm Text sagt er's, was das tiefste Motiv und den Ansporn ist zu diesem Großprojekt: Ich bin ein Schuldner, sagt er! Ich schulde den Menschen, daß die Frohe Botschaft sie erreicht. Ich habe den Buckel voll Schulden, denn daß er aus mir, dem Verfolger und Christenmörder sein Kind gemacht hat, seinen Boten, aus mir dem Sünder einen begnadigten Sünder, damals vor Damaskus, das kann ich einfach nicht für mich allein behalten: das muß unter die Heiden, das muß in die Welt der Kulte, der Götter und der Geheimreligionen, das muß in die Welt der philosophisch Gebildeten und der armen Hafenarbeiter der Stadt  Korinth, ja, das muß schließlich bis hin nach Rom: Christus ist der Retter, Jesus lebt, und er allein und nicht der Kaiser von Rom ist der Kyrios, der Herr der Welt.

Ja, liebe Gemeinde, vielleicht hätten Psychiater gesagt, der hat'n Tick, der hat'n Schuldkomplex oder 'n „Schuldenkomplex“ - aber dieser Paulus da, der steht zu seinen Schulden: die Welt hat nix nötiger als diesen Christus als Kyrios anzubeten - koste es, was es wolle, und koste es mir das Leben!

Was ich hier Ihnen kurz zu schildern versuchte, dieser "Schuldenkomplex" des Paulus, der findet sich in unserm heutigen Text so ausgedrückt: Ja, ich möchte das Evangelium bis nach Rom bringen, bis zu Euch, Ihr Christen in Rom, am Ende, ich bin ein Schuldner der Griechen und der Heiden, der Weisen und der Nichtweisen. Darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.

Liebe Gemeinde, in einer theologischen Zeitschrift las ich neulich den Satz, sinngemäß, daß es widersinnig und hirnverbrannt ist in unserer Kirche, daß alles und jedes da erlaubt ist: du kannst mit allem kommen, nur nicht mit so einem missionarischen Eifer! Dann wirst Du geächtet und fertig gemacht. Manche in der Kirche nehmen das Wort Mission ja schon gar nicht mehr in den Mund, als kriegte man davon Aussatz auf die Zunge. Und missionarische Gruppen, die andere Menschen für Christus gewinnen wollen, werden am stärksten in der Kirche angegriffen: Atheist kannst du sein in der Kirche, aber wehe, du bist entschieden! Ja, die Volkskirche hat so einen großen Magen, daß da alles und jedes drin verdaut werden kann, nur eins wird weithin nicht ertragen - bei aller Toleranz sonst: wenn Menschen deutlich werden und sagen: Es geht darum, Menschen zu gewinnen für Christus, es geht darum, daß aus Kirchenmitgliedern Christen werden, es geht darum, daß Leute, die wie Heiden leben, ein neues Leben anfangen und sich bekehren: vom "Mitläufer" zum Nachfolger Christi werden!  Oder anders gesagt: vom Taufschein-Christen zum Bekenner, der selbst den Drang hat, andere zu gewinnen.

Was dort in jener theologischen Zeitschrift steht, das kann man sich am heutigen Text leicht klarmachen. Unsere Kirche ist so am Boden, daß sie sogar schon wagt über Schulden zu reden: ich les‘ das fast jeden Tag in der Zeitung, und es kommt mir schon oben raus: Finanzkrise, diese arme, arme Kirche, mit den Kirchensteuermindereinnahmen und den Heerscharen von weglaufenden Leuten. Schulden über Schulden, davon sind die Zeitungen voll und auch die Kopfe von vielen Kirchenleuten und Presbyterien: Aber viel viel weniger Leute in der Kirche wagen es - Gott sei es geklagt - die wirkliche Schuldenkrise der Kirche, die wirkliche Schuldenkrise unserer Gemeinde beim Namen zu nennen. Es ist haargenau die Schuldenkrise, über die man sonst fast nie redet, und über die der Paulus hier ganz unverschämt deutlich redet: Wir schulden den Leuten ringsum Jesus Christus, wenn der Menschen nicht erreicht, sind die verloren und wir können den Laden sowieso zumachen: Wir sind Schuldner, wie Paulus schreibt, Schuldner, daß dumme und klügere, junge und alte was glaubwürdig und unüberhörbar deutlich von Jesus mitkriegen. Z.B. der Junge im Kindergottesdienst, 13Jahre, der letztes Mal in der Predigt vorkam: der ganz offen meinte, mitten in der biblischen Geschichte, er würde nur so tun, als wenn er betete, er könnte an keinen Gott glauben, er bete nur zum Schein in der Kirche, um nicht anzuecken: dem Jungen bin ich das Evangelium schuldig: daß er in der verbleibenden Unterrichtszeit von 1 1/4 Jahren noch mitkriegt - daß das Ganze, worum's hier geht in der Kirche, eine große Liebesgeschichte ist, und daß das Ganze, worum's da bei Paulus im Römerbrief geht, nichts anderes als ein Liebesbrief ist: ein einladender und leidenschaftlich geschriebener Liebesbrief: Mensch, komm zu dir, und komm zu Gott, finde in Jesus dein Ein und Alles, den Sinn deines Lebens. Der Römerbrief, so sagten wir letzten Sonntag, ist der gewaltigste und leidenschaftlichste und wirkungsmächtigste Liebesbrief der Weltgeschichte, und er lädt ein, daß du zur Liebe deines Lebens kommst: und wer ihn so gelesen hat (wir sprachen von Augustin, von Luther, von Karl Barth), der hat die Leute in der Kirche damit geweckt und zu den Wurzeln zurückgeführt und motiviert: daß in Kraft und Dynamik was unter die Leute kam von der Wucht der Liebe, die hier Evangelium, Frohe Botschaft, heißt. Auch da erinnere ich an die beiden Predigten der vergangenen Sonntage, wo für Paulus - Römer 12 - „Gottesdienst“ hieß: das sitzt man nicht auf einer Backe ab, das ist nicht Sache die Ohren und für den Hintern, das ist eine Sache, um aufzustehen, es in leidenschaftlicher Liebe mit Sprengkraft und mit Mut unter die Leute zu bringen.

Hier am Anfang des Römerbriefs im heutigen Text, da macht’s der Paulus uns schon ganz klar: das, was uns fehlt und was die Kirchenkrise und die Schuldenkrise behebt. Er drückt’s da aus mit dem Satz, den manch einer als Konfirmationsspruch hat: Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Auf gut deutsch gesagt heißt das: Christsein ist eine ganz unverschämte Sache, eine Sache, wo man die sonst übliche vielzitierte „vornehme Zurückhaltung“ aufgibt und Farbe bekennt, sehr eindeutig Flagge zeigt. Wer unverschämt, ohne roten Kopf zu kriegen, zu dieser Sache steht, zur Sache mit Jesus, wer da hintersteht, wird unweigerlich dann rausgehen und selber zum Missionar werden und danach streben, daß die neben ihm auch Lust kriegen zu beten, zu glauben und Jesu Liebe weiter zu geben. Vater Bodelschwingh sagte vor 150 Jahren: „Sie brauchen Jesus, sie sterben sonst drüber!“ Wir sind’s ihnen schuldig! So wie es zum Beispiel ein Christ es hier tat, der ziemlich oft sonntags in den Gottesdienst kam und es sich zur guten Gewohnheit machte, direkt im Anschluß an den Gottesdienst jedesmal einen beinamputierten Rollstuhlfahrer bis zu dessen Tod zu besuchen, der von sich aus kaum was mit dem Glauben am Hut hatte. Genau so etwas ist hier gemeint mit Mission, und das meint Paulus mit dem Evangelium als Kraft Gottes: unverschämt zum Evangelium stehen, weil’s eine Kraft Gottes ist. Da steht statt Kraft „dynamis“ im Griechischen, das ist mit Dynamo verwandt, mit Dynamik und mit Dynamit. Erst wer diese Liebesgeschichte so begreift, daß er selber zum Boten wird, steht unter dieser Verheißung, daß hier was Dynamisches geschieht, etwas was wie eine große Liebe mitreißt und Kreise zieht, daß man in der Kirche, in der Gemeinde Jesu die vornehme Zurückhaltung verläßt und den Hintern hochkriegt.

Ich möchte’s an einem unverschämten, aber sehr genau passenden weltlichen Beispiel illustrieren, was Paulus meint mit Dynamis und mit Nicht-Schämen.  Das war im letzten Frühjahr in einem großen Fußballstadion im Ruhrgebiet. Die Fans standen wie ein Mann hinter ihrer Mannschaft, gerade bei den wichtigen Europacupspielen, und das gab der Mannschaft Flügel. Alle standen dahinter, und alle alle standen - wie ein Mann! Nur auf der Haupttribüne, wo die besseren Plätze waren, da gab man sich vornehmer, in vornehmer Zurückhaltung - und ein Lied, das seitdem sehr bekannt und fast sprichwörtlich geworden ist, ließ auch die auf der Tribüne hochkommen, und sie kommen bis heute - immer wenn gesungen wird: „Steh auf, wenn du ein Schalker bist!“

Was Christen in Deilinghofen davon lernen können im Sinne von Paulus Römer 1 heißt ohne alle Fußballschleichwerbung: Leute, wir müssen lauter singen: „Steh auf, wenn du für Jesus bist!“ Wir sind’s den Leuten schuldig, und wir sind’s dem schuldig, der uns her in seinen Dienst ruft! Mitarbeiter-Neujahrsempfang ist heute, gleich im Martin-Luther-Haus, und Abendmahl ist gleich hier. Und da ist die Boschaft: Wollen wir froh sein, zu sehen, wo wir Riesenschulden haben, wo wir Leuten hier was von dieser brennenden Jesusliebe von dieser Dynamis-Kraft schuldig sind. Wollen wir froh sein, daß Jesus lebt und auch heute noch ruft, daß er Sünder zu Gerechten macht - auch hier bei Brot und Wein, so wie’s da in Römer 1 Paulus am Schluß unsres Textes sagt: In der Guten Nachricht macht Gott seine Gerechtigkeit offenbar, der Gerechte wird aus Glauben leben. Genau das war übrigens für Luther das Römerbriefwort, das ihn umkrempelte und ihn den ganzen Glauben mit neuen Augen sehen ließ! Es wurde das wichtigste aller Römerbriefworte für ihn und die große reformatorische Wende: Aus Glauben leben - als gerechtfertigte Sünder - in Dynamis und unverschämt mit Jesus leben, so daß mit Kraft und Dynamik was unter die Leute kommt von der großen Liebe, die uns treibt. Ob man uns das anmerkt, daß wir  in Jesus unsere große Liebe, unser Ein und Alles haben? Amen.