Gottesdienst am 13. Sonntag nach Trinitatis, 17. September 2000

in der Stephanuskirche zu Deilinghofen

 

Orgelvorspiel und Abkündigungen

Eingangslied (EG 334):

1. Danke für diesen guten Morgen, / danke für jeden neuen Tag. / Danke, dass ich all meine Sorgen / auf dich werfen mag.

2. Danke für alle guten Freunde, / danke, o Herr, für jedermann. / Danke, wenn auch dem größten Feinde / ich verzeihen kann.

3. Danke für meine Arbeitsstelle, / danke für jedes kleine Glück. / Danke für alles Frohe, Helle / und für die Musik.

4. Danke für manche Traurigkeiten, / danke für jedes gute Wort. / Danke, dass deine Hand mich leiten / will an jedem Ort.

5. Danke, dass ich dein Wort verstehe, / danke, daß deinen Geist du gibst. / Danke, dass in der Fern und Nähe / du die Menschen liebst.

6. Danke, dein Heil kennt keine Schranken, / danke, ich halt mich fest daran. / Danke, ach Herr, ich will dir danken, / dass ich danken kann.

Im Namen des Vaters... Unsere Hilfe ... DER HIMMEL UND ERDE GEMACHT HAT. Im Psalm 1, den wir diese Woche beim Frauenausflug lasen, heißt es: Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg Sünder noch sitzt, da die Spötter sitzen, sondern hat Lust zum Gesetz des HERRN und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht; und was er macht, das gerät wohl. Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten; aber der Gottlosen Weg vergeht.

Kommt, lasset uns anbeten. EHR SEI DEM VATER UND DEM SOHN...

Sündenbekenntnis: Herr, so oft leben wir wie die Gottlosen, die wie Spreu sind, die der Wind verstreut. So selten, Herr, gleichen wir dem Baum an den Wasserbächen mit den tiefreichenden Wurzeln, der den Stürmen trotzt. Das macht unsere Schuld aus und unsere Sünde: dass wir unsere Quelle woanders suchen als bei dir, dass wir ohne dich das Ziel verfehlen und auch den Nächsten aus dem Sinn verlieren. Du weißt, Herr, wie oft das so ist bei uns. Und du allein kannst unser Leben zurechtbringen und deshalb bitten wir dich: schenk uns die Bereitschaft, dich neu Herr sein zu lassen, vergib uns in deiner Gnade unsere Schuld! Herr, erbarme dich unser!

KYRIE

Gnadenzuspruch:

So spricht der Herr zu seiner Gemeinde, zu seinem Volk in Jesaja 57: Sie gingen treulos die Wege ihres Herzens. Ihre Wege habe ich gesehen, aber ich will sie heilen und leiten und ihnen wieder Trost geben. Ich will sie heilen, spricht der Herr. EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE ... /ALLEIN GOTT IN DER HÖH...DER HERR SEI...

Gebet: Herr Jesus Christus, du hast gesagt und versprochen, dass dein Wort ewig bleibt, und wir haben die Verheißung, dass es eine Kraft ist, die Felsen zerschmettert. Schenk uns doch jetzt durch deinen Geist, dass es bei uns ankommt, nicht nur im Kopf, dass es uns beschäftigt, in unser Innerstes dringt und uns verändert und neu ausrichtet auf dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Bruder, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. AMEN.

Die alttestamentliche Lesung des heutigen 13. Sonntag nach Trinitatis ist zugleich der vorgeschriebene Predigttext für heute, über den wir nachher in der Predigt nachdenken; da heißt es in 1. Mose 4, 1-16:

Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Glaubensbekenntnis

Lied vor der Predigt EG 343 (Wochenlied dieser Woche):

1. Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, / ich bitt, erhör mein Klagen; / verleih mir Gnad zu dieser Frist, / lass mich doch nicht verzagen. / Den rechten Glauben, Herr, ich mein, / den wollest du mir geben, / dir zu leben, / meim Nächsten nütz zu sein, / dein Wort zu halten eben.

2. Ich bitt noch mehr, o Herre Gott / - du kannst es mir wohl geben -, / dass ich nicht wieder werd zu Spott; / die Hoffnung gib daneben; / voraus, wenn ich muß hier davon, / dass ich dir mög vertrauen / und nicht bauen / auf all mein eigen Tun, / sonst wird's mich ewig reuen.

3. Verleih, daß ich aus Herzensgrund / den Feinden mög vergeben; / verzeih mir auch zu dieser Stund, / schaff mir ein neues Leben; / dein Wort mein Speis laß allweg sein, / damit mein Seel zu nähren, / mich zu wehren, / wenn Unglück schlägt herein, / das mich bald möcht verkehren.

4. Laß mich kein Lust noch Furcht von dir / in dieser Welt abwenden; / beständig sein ans End gib mir, / du hast's allein in Händen; / und wem du's gibst, der hat's umsonst, / es mag niemand erwerben / noch ererben / durch Werke deine Gunst, / die uns errett' vom Sterben.

5. Ich lieg im Streit und widerstreb, / hilf, o Herr Christ, dem Schwachen; / an deiner Gnad allein ich kleb, / du kannst mich stärker machen. / Kommt nun Anfechtung her, so wehr, / dass sie mich nicht umstoße; / du kannst machen, / dass mir's nicht bringt Gefähr. / Ich weiß, du wirst's nicht lassen.

Text: Johann Agricola (?) um 1526/27

Musik: Hagenau um 1526/27, Wittenberg 1529

Predigt "Kain und Abel"

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Kernverse der heutigen Geschichte aus 1. Mose 4, über die jetzt nach unserer Predigtordnung zu predigen ist, lese ich hier noch einmal. Wir erinnern uns, wie Gott da sagt zum späteren Brudermörder Kain:

Und warum senkst du deinen Blick? Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.

Kennen Sie die Sorte Menschen auch, liebe Gemeinde, die sich sobald sie einen Christen oder einen von der Kirche vor der Flinte haben, dann zu schießen anfangen, und eine ganze Salve dann abknallen mit dummen Witzen und was für eine Lachnummer die Bibel mit ihren Geschichten wäre? Ich kenn‘ die Sorte Mäuse viel zu gut und habe – durch meinen Beruf bedingt – nur den Nachteil, dass ich mir dann zum "zigten" Mal diese Witze und Lachnummern mit der Bibel anhören muss.

"Eva, die Frau aus einer Rippe, hahahaha..." – so geht das dann, wo es ausgemacht scheint, dass der Pastor am Sonntag dummes, jedenfalls nicht ganz ernstzunehmendes Zeug aus diesem komischen Buch der Bibel verlesen muss.

Da kommt von dieser Sorte Mensch ein Studienrat Soundso in ein Klassenzimmer in einer benachbarten Stadt, und der gackert auch immer so wie eine Henne, wenn sie ein Ei gelegt hat, wenn er mal wieder seiner Klasse, in der auch viele Konfirmierte und noch zu Konfirmierende sitzen, beweisen und bildreich schildern kann, wie absurd, unzuverlässig und ungenau die Bibel ist: "ein schlecht geschriebenes Buch", wie er sagt. Seine Lieblingsgeschichte ist da neben "Adam und Eva" "Kain und Abel". "Da kann ich es denen mal zeigen!!!" Und er legt los, unser Studienrat Soundso, und erklärt den Jugendlichen, was sie in Umrissen wissen, dass nach der Urgeschichte des alten Testaments Kain, der älteste Sohn des ersten Elternpaars, ja den Abel ermordet hat, dass dann der Kain flüchten muss und "jenseits von Eden" im Osten danach in ein anderes Land, ins Land Nod, geht und da eine Frau nimmt und eine Familie gründet. Und da ist es wieder, dieses "hahahaha..." in jenem Klassenzimmer, als der Pädagoge Soundso die Schüler fragt: "Wie kamen denn da Menschen hin, nach Nod??? Es gab doch noch gar keine, keine außer Adam und Eva..." Hämisch-ätzender Spott über dieses "dumme" Buch der Bibel wird da ausgegossen in jenem Klassenzimmer – gleich vier oder fünf der Jugendlichen haben mir es erzählt danach. Und unserer Herr Soundso fühlt sich als Rebell und als Held vor seinen Heranwachsenden, dass er das, was die Pastoren sonntags aus der Bibel vorlesen, als Lüge entlarvt hat und als Märchenstunde... Die Bibel, die Geschichten erzählt, die nicht wahr sind, die für nachdenkliche Leute ein Witz sind oder eine Lachnummer...

Liebe Gemeinde, ich selbst habe mir solche Fragen wie mit Eva und der Rippe und mit Evas Sohn Kain, der im andern Land eine Frau nimmt, zum ersten Mal gestellt, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Und den Deilinghofer Konfirmanden, die zum Teil durch solche Anfragen im Klassenzimmer verwirrt waren, denen konnte ich schon auf die Sprünge helfen, dass solche Geschichten aus den ersten Kapiteln des Alten Testaments alles andere sind als windige Märchen für kleine Kinder, jedenfalls für den, der nicht auf der naiven Stufe des Kleinkinder-Glaubens stehen geblieben ist, der da gereift ist und weiter nachgedacht hat, was eigentlich diese Geschichten für den Glaubenden bedeuten.

Und wir alle, denke ich, denken bei der eben verlesenen Geschichte an Kinderzeiten zurück, wie man da das von Kain und Abel hörte, wie man dann in Kinderzeiten seine Bilderbibel aufschlug, wo die Maler das ja immer so gemalt hatten, dass da zwei Opferaltäre nebeneinander standen, und bei Kain und seinem Altar mit den Feldfrüchten drauf, da war es so viel schwarzer Rauch, der gar nicht bis nach oben stieg. Und bei Abel, da war das beim Lamm- oder Hammel-Opfern so, dass der schöne weiße Rauch kerzengerade nach oben in den Himmel stieg - als Zeichen des gott-wohlgefälligen Opfers.

Ich weiß noch gut, wie ich mir über die beiden Rauchsorten viele Gedanken gemacht habe als kleines Kind – beim Betrachten der Kain- und Abel-Szene in meiner Bilderbibel. Und auch wenn das Wort "Rauch" gar nicht vorkommt im Text, dann könnte man ohne Bild und ohne Kinderbibel heute immer noch so fragen: Warum, Gott, warum nimmst du den einen an und lässt es zu und provozierst es indirekt, dass der andere da im Wahn von Neid und Eifersucht zuerst auf eigenartige Weise den Blick senkt und dann austickt und im Affekt den Bruder tötet und dass dort die Erde getränkt wird vom Blut des jüngeren Bruders?

Ja, auch da könnten wir scheinbar kluge Fragen dran stellen, nach dem Muster der Fragen im Klassenzimmer dort, die der Studienrat stellte: Der biblische Gott ist Schuld dran, dass der Mord passiert, letzten Endes, genauso könnte man es drehen, nach der Weise Adams, der seinerzeit nach dem Essen der Frucht das typische Schuldverschiebungsspiel begann und der Frau die Schuld gab und die Frau der Schlange, und die Schlange hätte Gott die Schuld geben können.

Doch wenn wir auf dieser Schiene bleiben, liebe Gemeinde, bleiben wir immer außen vor! Denn das, was da im Alten Testament die ersten Kapitel der Bibel beschreiben, das ist nicht für den Kopf und für die Logik, nur so, das geht tiefer. Wer das mit dem Abel und dem Kain als wahre Geschichte wahrnimmt, der muss fernab vom Kleinkinderglauben und vorwitzigen Fragen erst mal die Ehrlichkeit mitbringen, sich selbst zu prüfen, denn diese Geschichte, so wahr sie ist, die ist nicht fern. Sie ist uns sehr sehr nah und steckt in uns drin, in uns, die wir immer davon ausgehen, dass wir im Kern gut sind und anständig, dass der Mensch ganz innen drin sowas wie einen heilen Wesenskern hat, so dass mit positiven Denken jedes Problem gelöst ist, wie die Leute sagen, dass man da an die eigenen Selbstheilungskräfte, an das eigene gute Innere appelliert, und dann ist alles OK, "Ich bin OK, du bist OK". --- Die Bibel nun freilich ist da viel kritischer und meint, dass das mit dem OK so nicht stimmt! Und gerade die Urgeschichte in der Kette Adam – Kain – Noah – Turmbau zu Babel, gerade die Urgeschichte der Bibel entschlüsselt uns das. Sie redet davon, dass der von Gott gut gemachte Mensch die heillose Sucht in sich hat, von Gottes Ursprüngen sich zu lösen und dass der Mensch wie ein Drogensüchtiger fasziniert von der Macht der Sünde die Freiheit sucht und dabei ins Unheil taumelt. Man kann das ein bisschen vergleichen mit der Biologie, dass da ja jetzt bekanntlich es sehr gefeiert wird, dass die Wissenschaft die Erbinformationen des menschlichen Erbgutes entschlüsselt hat, dass die Erbinformationen jetzt zugänglich sind. Etwas sehr Ähnliches meinen auf ihre Weise die ersten Kapitel der Bibel für Glaubende. Mensch, wisse, was aus Gottes Perspektive in deinem Erbgut steckt: der totale Hang zur Sünde steckt drin, von Adam steckt was drin und von Kain, viel mehr als du glaubst, das alles sind nicht Geschichten von gestern, denn "jenseits von Eden" ist hier.

Ja, hast du das schon mal erlebt, dass Gott auf dich zukommt, dass er dich nach der Tat stellt, dass er in deinem Gewissen übermächtig wird? Dann fragt er ganz genauso wie damals nach den Folgen deines Ungehorsams, und du hast wie auch ich die gleiche Ausrede: "Konnt‘ ich doch nichts zu, ich kann doch nicht meines Bruders Hüter sein..." Ich weiß da, das sage ich frei, sehr wohl, wovon ich rede... Und auch wenn es bei uns vielleicht kein Mord ist, sondern was anderes, was uns an die Wäsche geht, was in unserem Leben eine innere Tragödie angerichtet hat, dann merkt jeder, der sich solchen Fragen Gottes und seines Gewissens stellt, dass das eine Lüge ist, was alle um uns herum nachbeten: das mit dem guten Wesenskern, der "einfach so" OK ist.

Und da gibt die Psychologie sogar der Bibel recht: dass wir Menschen Wesen sind, die wie Eisberge nur zu einem Siebtel aus dem Wasser gucken und dass all die Triebe und dunklen Gebundenheiten in den restlichen sechs Siebteln unten drunten schlummern, sehr gut maskiert und versteckt, wo da eben jeder den Kain in sich hat und wie!

Ich habe hier ein Buch mitgebracht, das "Milgram-Experiment", ein atemberaubendes Buch, das einem viel zu Kain und Abel erklären kann und das einem die Augen öffnen kann über das wahre Wesen des Menschen und den Mörder, der in mir steckt und in dir. Und kurz gesagt, ging’s da vor einigen Jahren dem heute 69jährigen US-Forscher Stanley Milgram um ein psychologisches Riesenexperiment, wie weit Menschen verführbar und manipulierbar sind - ein Psycho-Test mit völlig niederschmetternden Ergebnissen.

Da kamen in Hülle und Fülle die Testpersonen zu Milgram, und kriegten in seinem psychologischen Labor "streng wissenschaftlich" die ihnen in Wirklichkeit vorgegaukelte Anweisung, sie hätten im Nebenzimmer sitzende schlimme Übeltäter und Menschen, die von der Norm abweichen, zu strafen, sozusagen "wissenschaftlich exakt" zu strafen, und zwar mit elektrischen Stromstößen, die sie auslösen müßten - je nach dem, was da vorläge. Und auf gradezu teuflisch-raffinierte Weise wurden die Probanden da in die Strafstimmung versetzt: sie saßen am Schalter und hörten nebenan das Resultat: (in Wahrheit vom Tonband) die Schreie der Opfer, und das Ergebnis lautet in niederschmetternder Nüchternheit so: Drei Viertel der Durchschnittsbevölkerung können durch eine pseudo-wissenschafliche Autorität dazu gebracht werden, in bedingungslosem Gehorsam einen ihm völlig unbekannten Menschen zu quälen, zu foltern und zu liquidieren.

Der Mensch, das Wesen, das eigentlich OK ist, innen drin: ich glaub nicht dran! 1. Mose 4 dagegen: das seh‘ ich allenthalben und auch bei mir zuerst, dass das stimmt: Kain, mit dem Hang, Abel zu erschlagen, Kain, von der Sucht zerfressen, sich selbst zum Maßstab zu machen – auf des Bruders Kosten, dessen Hüter er nicht sein will, und davon ist das Herz des Menschen voll. Und nur die krassesten Geschichten kommen dann in die Zeitung: und auch jene aktuelle fürchterliche Welle von Fremdenfeindlichkeit und Bombenattentaten im Horizont rechtsradikaler Gewalt, das ist – für den, der es richtig liest und deutet – eine erschreckende Veranschaulichung, dass die Bibel wahre Geschichten schonungslos offen erzählt über den Menschen: dass Menschen ohne Gott und ohne Geschwister, die ihre Hüter sind, dann in einer Kettenreaktion selbst pervertieren zum Kain, der Abel schrecklich den Garaus macht.

Ob mein Studienrat Soundso vom Anfang unsern Text aus 1. Mose 4 so dicht an sich ran ließ, dass er seine Wahrheit wahrnahm, glaub ich nicht. Hätte er es getan und wär ihm das mit Kain nicht nur durch den Vorwitz des Kopfes, sondern bis ins Herz gegangen, dann hätte er die wahre Geschichte von Kain, die dort in 1. Mose 4 ja auf den ersten Blick kein "happy end" hat, als seine eigene Geschichte wiedererkannt: dass uns, die wir den Eisbergen gleichen, uns mit unserer Sünde, unserer Verzweiflung und unseren inneren versteckt gehaltenen Abgründen Gott nahkommt, der Gott, der die Sünde hasst, aber den Sünder nicht fallen lässt, der da schon was von Gnade aufblitzen lässt von allem Anfang – im Kainsmal auf der Stirn des Brudermörders. So gnadenvoll inkonsequent ist Gott! Gott sei Dank ist dieser Gott so inkonsequent, wie dann im Vollsinn bei Jesus schließlich, wo dann der Vater den verlorenen Sohn mit weit aufgehaltenen Armen nach allem in Empfang nimmt und ihn sein Kind sein lässt.

Und das ist aller Häme der Bibelspötter zum Trotz kein Märchen für sonntagmorgens, das ist eine wahre Geschichte für dich und für mich, dass im Namen Gottes die Sünde - so schlimm sie ist mit allen ihren Folgen – nicht das letzte Wort hat, sondern dass der, der unsere Sünde nach Golgatha trug und für uns starb, der uns Sünder mit Gott versöhnte, uns nicht als schuldige Kains mehr sehen will, sondern als Begnadigte, die mit Gott ins Reine gekommen, für andere des Bruders Hüter werden. Amen.

Lied nach der Predigt 171, 1-5: Bewahre uns, Gott

 

Gebet, Vaterunser, Segen, Orgelnachspiel

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