"Bleibe bei uns, Herr!"

Taufgottesdienst zum "Schiff das sich Gemeinde nennt"

am Sonntag Okuli, 15.3.98 in der Stephanuskirche Deilinghofen

Das Lied vom "Schiff, das sich Gemeinde nennt" wurde heute nach den ersten beiden Taufen gesungen - mit dem Refrain: "Bleibe bei uns Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer..." (nach der Predigt folgten die beiden anderen Taufen.

 

Predigt über Markus 4, 35-41

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

Liebe Tauffamilien! Liebe Gemeinde hier in der Stephanuskirche!

Das Bild, das Sie auf dem heutigen Liedblatt finden, das habe ich hier noch einmal in Farbe mitgebracht, und ich hänge es hier an der Kanzel für alle sichtbar noch einmal auf, denn dieses uralte Bild, aus dem Mittelalter stammend, illustriert – finde ich – ziemlich gut den heutigen Predigttext an diesem Tauftag, und wir werden später noch näher drauf eingehen. Lassen Sie mich dazu den Predigttext lesen aus Markus 4, 35-41, und zwar, wie es da auf dem Liedblatt steht nach der moderneren Übersetzung der "Guten Nachricht":

Am Abend jenes Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Kommt, wir fahren zum anderen Ufer hinüber!« Die Jünger verabschiedeten die Leute; dann stiegen sie ins Boot, in dem Jesus noch saß, und fuhren los. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein schwerer Sturm auf, so daß die Wellen ins Boot schlugen. Das Boot füllte sich schon mit Wasser, Jesus aber lag hinten im Boot auf dem Sitzkissen und schlief. Die Jünger weckten ihn und riefen: »Meister, kümmert es dich nicht, daß wir untergehen?« Jesus stand auf, sprach ein Machtwort zu dem Sturm und befahl dem tobenden See: »Schweig! Sei still!« Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. »Warum habt ihr solche Angst?« fragte Jesus. »Habt ihr denn immer noch kein Vertrauen?« Da befiel sie große Furcht, und sie fragten sich: »Wer ist das nur, daß ihm sogar Wind und Wellen gehorchen!«

Ja, liebe Tauffamilien, liebe Gemeinde! An diese Geschichte, die mir etwas bedeutet, wurde ich in der vergangenen Woche sehr lebhaft erinnert, und zwar mehrfach gleich. Ich werd’s nie vergessen, wie vor fünf Jahren ich den Kindern des vierten Schuljahrs genau diese Geschichte zum Schulabschluß der Grundschule erzählte, den katholischen und evangelischen zusammen oben, im katholischen Gemeindezentrum, und wie da am gleichen Tag meine Frau ihre Fehlgeburt hatte im Krankenhaus, als ich da nicht anders konnte, als den Kindern die Geschichte in sehr ungewohnt erwachsener Weise zu berichten:

Ich erzählte einfach, wie es mir ums Herz war, daß wir uns sehr auf das Kind gefreut hatten und uns sogar einen Namen ausgedacht hatten, Katharina, und daß es dann an dem Tag da gar nicht so war, daß man über der Geschichte drüber steht, sondern mitten drin im Boot, daß es da wackelt wer weiß wie auf dem Schiff, daß das Schiff leckzuschlagen scheint, und Jesus, wenn er im Boot denn ist, dann scheint er auf dem Schiff zu liegen und zu schlafen. Und die Predigt damals im Gemeindezentrum, die endete mit den Worten, wie wir sie eben auch gesungen haben: Bleibe bei uns Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer.

Und es war in dieser Woche, daß ein Mann zu mir kam ins Büro ihn und seine Frau hatte ich vor einiger Zeit getraut, und daß die sich auf ihr Kind sehr freuten, wußte ich auch. Nun hatte er das selbe Schreckliche erlebt, daß da die Wellen über ihn gingen, über ihn und seine Frau, denen es sehr, sehr schwer war, mit ihrer Fehlgeburt fertigzuwerden und ihr Kind herzugeben. Und im Gespräch, da war es wieder die gleiche Geschichte, liebe Gemeinde: die von heute; ich las sie ihm am Schluß und wir beteten zusammen, und ich bin ganz gewiß: Ein Stück von der Kraft dieser Geschichte, von dem Kraft dieses Jesus war da zu spüren, wie mit Händen zu greifen, als da auch gebetet wurde: "Bleibe bei uns, Herr."

Vielleicht können Taufeltern, das, was ich eben schilderte, am besten nachempfinden. Jedenfalls in unsern Taufgesprächen der letzten Woche, da kam vieles davon vor, wie man durch Kinder Antennen kriegt für Sachen, die man vorher gar nicht gespürt hat, wie man durch Kinder eine Sensibilität bekommt, wie sie sonst von selbst gar nicht da ist. Und manchmal sind’s Sachen, die mit Kindern passieren, Krankheiten oder solche Verluste, die einen in den Grundfesten erschüttern. Und da mag’s auch sonst manche hier geben, die erlebten’s ähnlich: Jesus sitzt mit im Boot, und was tut er sonderbarerweise: Er schläft, er schläft da auf seinem Kissen, so wie hier auf dem Bild, und wir fragen: Meister, was schläfst du? Kümmert es dich gar nicht, daß wir untergehen? Oder sogar: Bist du gar nicht mehr da, Meister, ist deine Sache schon lange leckgeschlagen, und sind die Wogen und Wellen, die wir kennenlernen mußten, stärker geblieben als deine Macht?

Liebe Gemeinde, der Künstler da auf unserem mittelalterlichen Bild hat das treffend zum Ausdruck gebracht. Schauen Sie sich das einmal an! Zerfetzte Segel, das ganze Schiff in heilloser Bewegung, und vorne am Schiff sowas wie ein Drachenkopf, der senkrecht nach unten zeigt: in die Tiefe, in den Abgrund! Das Ganze ist ein Bild aus dem elften Jahrhundert in einem Evangeliar, in einer Evangelienbibel, die damals der Äbtin von Meschede gehörte, heute befindet sich das Buch mit diesem Bild in Darmstadt. Was mich da am meisten fasziniert, ist, daß das Ganze – so todtraurig es ist - ja fast wie ein Comic dargestellt ist: riesengroße Heiligenscheine haben alle 12 Jünger da auf dem Bild, und vor den Heiligenscheinen angstverzerrte und in Furcht erstarrte Gesichter: die sieben hinteren Jünger sogar kauern sich so sehr zusammen, daß sie unter insgesamt drei Heiligenscheinen Platz haben – und Jesus – vorne im Bild, hat da sein Kissen, auf dem er den "Schlaf der Gerechten" schläft, ein Gegensatz, wie er nicht provozierender sein könnte.

Liebe Tauffamilien, mir kam gerade zu diesem Bild mit dem Schiff noch einige andere Erinnerungen an früher in dieser Woche. Bei den Taufgesprächen habe ich viel an frühere Konfirmationen gedacht, denn Taufmutter Cordula und Taufvater Stefan gehörten zu meinen Konfirmanden bei meiner allerersten Konfirmation in Deilinghofen vor 14 Jahren, Marco, der Taufvater, war etwas später hier Konfirmand und Christiane, die heutige Taufpatin ihres Neffen, war auch hier Konfirmandin. Da ist es ein eigenartig-schönes Gefühl, Leute. die man ziemlich gut noch als Kinder vor Augen hat, jetzt als Eltern zu sehen, als Eltern, die sich ganz verantwortungsbewußt Fragen stellen in einer Weise, wie man sich das damals gar nicht hätte vorstellen können. Was unser Bild hier angeht, denke ich da daran, daß kurz vor der Konfimation 1984, meiner allerersten mit Cordula und Stefan, wir hier das erste große Gemeindefest in Deilinghofen hatten unter der Überschrift: "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt", und damals war genau dies alte Bild hier auf dem Liedblatt des damaligen Gemeindefestes, das Bild mit den Jüngern, die zusammengekauert ganz unheilig und angstvoll gucken unter ihren überdimensionalen Heiligenscheinen.

Und ich dachte mir: Was werden z.B. Cordula und Stefan, die damals 13 waren, in den ersten 13 Jahren und später ihren eigenen Kindern davon mitgeben, daß da noch einer mit ist im Boot? Einer zwar, der manchmal in provozierender Weise zu schlafen scheint, einer, der vor lauter lebensgefährlichem Wackeln des Schiffes manchmal als gar nicht mehr wichtig empfunden wird, der aber – Gott sei Dank! – dennoch da ist. Und da – in unserer Geschichte im heutigen Predigttext – da meldet er sich auf einmal zu Wort! Wo bleibt Euer Vertrauen? – so fragt er. Und als er da außerdem fragt: "Warum habt ihr solche Angst?" – da klingt’s den Jüngern vielleicht zunächst, als wär das provozierend erst recht reiner Hohn. Doch dann, dann spricht er sein Wort. Wunderbar, ganz wunderbar spricht er da Sein Wort – und sie müssen nicht untergehen, allen Lecks und allen Wasserlachen im Boot zum Trotz: sie gehen nicht unter! Der, der sagt: "Schweig, sei stille" zur tobenden See, der ist bei ihnen, es legt sich der Wind, und es ist ganz still.

Ich kenne kein besseres Bild, kein besseres Symbol zu einer Taufe, als dies Bild hier, und es ist viel mehr als ein Bild, viel mehr als ein Symbol, denn das gibt’s bis heute: daß Menschen in ihren schwersten Stürmen Jesus finden, diesen wunderbaren Jesus, der das letzte Wort spricht! Und die’s dann mit Jesus erleben, daß die tobende See ganz stille wird. Und genauso Kirche, liebe Gemeinde, wär bloß ein leckgeschlagenes Schiff, wäre ein Vergnügungsdampfer, der wie damals die Titanic, der den Eisbergen nicht standhalten kann, wenn da bei uns nicht der mit im Boot säße, der nicht untergegangen ist, der, der den Sturm stillen kann. Übrigens, "Stillen steht da: die "Sturmstillung" heißt es bei Luther - ein merkwürdiges schönes Wort, denn Stillen, das tun sonst ja Mutter mit Babies, und die werden ruhig dann, ganz ruhig, wie dort in unserm Text die See...

Alle vier Taufsprüche heute sprechen davon, wie Kinder wirklich "gestillt" werden, von Jesus her: daß da mitten in Wellen und Wogen es ganz still wird, wo Jesus zu Wort kommt! Möge das Aileen und Nils begleiten, die wir eben tauften und Hendrik und Lars-Niklas, die wir jetzt zur Taufe bringen, daß da für Große und Kleine der Eine ist, der das letzte Wort hat, mögen die in der Gemeinde andere finden, die mit ihnen beten, worauf es ankommt: Die Bitte nämlich, die wir eben sangen: Bleibe bei uns, Herr, bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer, o bleibe bei uns, Herr! Amen.

Hier geht es nach allem wieder nach Hause auf die Startseite der Stephanus-Homepage: http://members.xoom.com/Dhofen/Dhofen.htm