Carl Franz Friedrich Basse (Auszug ohne Bilder und Anmerkungen aus BDKG Heft 3), geschrieben vom 1997 in Hemer zu früh verstorbenen Deilinghofer Heimatforscher Harald Korsch-Gerdes [historisch Interessierte sollten mal mit der Suchfunktion nachprüfen, wo überall der berühmte preussische Bischof und Minister Eylert (Basses Busenfreund) vorkommt: diese Verbindung Basse/Eylert; Mark /preußischer Hof hat im Wesentlichen Harald entdeckt...]

(Mit einem Anhang und dem Stephanopel-Aufsatz von H. K--G.)

III. Carl Franz Friedrich Basse (1767-1833; 12. Pfarrer in Deilinghofen nach der Reformation, Amtszeit von 1797 bis 1833) - ein Pastor aus einer bedeutenden Familie, aber: "Glück blüht nicht jeglichem ..."

1. Der Sproß einer einflußreichen Kaufmanns- und Beamtenfamilie: Herkunft und Lebenslauf Basses in der Zeit vor Deilinghofen

"1767 den 14. Sept. bin ich Carl Franz Friedrich Basse in Altena geboren". Mit diesen Worten beginnt ein im Kirchenarchiv Deilinghofen sich befindlicher und jüngst von Harald Korsch-Gerdes aufgefundener eigenhändiger Lebenslauf, der zuvor niemals beachtet wurde, geschrieben von Pastor Basse am 27.März 1833, also nur gut 11 Wochen vor dem Tod des Mannes, der von 1797 an für 36 Jahre Pfarrer der hiesigen Gemeinde war.

Zu Basse, dem 12. Deilinghofer Pastor nach der Reformation, liegt ein durchaus lesenswerter Aufsatz vor, den Günther Schulte 1970 im "Schlüssel" veröffentlichte und der sich im wesentlichen auf die Eintragungen Basses im Deilinghofer Kirchenbuch stützt.

Weit profunder und fundierter aber ist eine zweite, nicht veröffentlichte Arbeit eines Basse-Nachfahren, nämlich des Holzwickeder Lehrers Horst Bendrat, der uns für das Basse-Kapitel sein familiengeschichtliches 15-seitigesTyposkript, das er nach langen Vorarbeiten 1991 vollendete und uns nebst vielen anderen Materialien über Basse uneigennützig zur Verfügung stellte.

Wir sind jetzt in der glücklichen Lage, im folgenden (ohne es im Einzelnen zu kennzeichnen) im Blick auf familiengeschichtliche und biographische Aspekte ganz und gar der sorgfältigen Arbeit Ben-drats zu folgen, sie aber nachhaltig zu ergänzen, einmal durch jenen genannten Lebenslauf und eine weitere (ebenfalls bisher unbeachtete) biographische Skizze, die Basses Frau verfaßte, zum anderen durch weitere Funde im Deilinghofer Kirchenarchiv, aufgrund derer das theologische und kirchenpolitische Profil Basses klarer sichtbar wird, als es bei Bendrat nach dessen Fragestellung geschieht.

Carl Franz Friedrich Basses Eltern, der Königlich Preußische Rent-meister Gerhard Caspar Basse (1738-1812) und Johanna Wilhelmine, geb. Pollmann (1739-1778), stammten beide aus Iserlohn, der Vater aus der alten Kaufmanns-, Unternehmer- und Ratsherren-Sippe Basse. Eigentlich hießen die Vorfahren Everts. Deren frühester greifbarer Namensträger war Henrich Everts, genannt Basse (ca.1600-1669), Kaufmann und Ratsherr in Iserlohn. Das Wappen der Familie Basse zierte ein mächtiger Keiler. Vermutlich stammt das Wort ‘Everts’ von Eber, und auch Basse bedeutet laut Duden: niederdeutsche Jägersprache für älterer, starker Keiler.

Älteste direkt erkennbare Vorfahren Basses waren Balthasar Than (Zahn), 1569/70 Bürgermeister in Iserlohn, und der um 1600 in Köln lebende Hugenotte Pierre Le Gran.

Carls Eltern heirateten 1761 mitten im Siebenjährigen Krieg; danach trat der Vater unter Landrat von Holtzbrink sein Amt als Rentmeister in Altena an. Die Basses dürften nicht unvermögend gewesen sein, denn im Jahr nach Carls Geburt, 1768, konnten sie das Gut Berentrop bei Neuenrade (bis ins 17.Jahrhundert Prämonstratenserkloster) in Erbpacht erwerben. Sie errichteten 1771 das noch heute vorhandene Herrenhaus und betrieben dort auch eine Garnbleiche. Wegen seines offenbar recht großzügigen Lebensstils wurde Carls Vater auch scherzhaft ‘Ritter Basse’ genannt.

In Berentrop erlebte der spätere Pfarrer eine vermutlich wohlbehütete Kindheit im Kreise seiner Geschwister. Er war der fünfte Sohn, doch außer dem ein Jahr älteren Ferdinand verstarben die anderen bereits vor seiner Geburt. Es folgten ihm aber noch einige jüngere Schwestern und Brüder.

Hier - zwischen Feldern, Wiesen und Fischteichen - könnte er vielleicht Sinn und Neigung zur Landwirtschaft gefunden haben, für die er später in Deilinghofen noch gerügt werden sollte. Als Carl zehn Jahre alt war, überschattete der Tod einige Male das Familienleben. Erst starben die zwei jüngsten Schwestern als Säuglinge und darüber die Mutter Johanna Wilhelmine. Mit 39 Jahren und nach elf Geburten beerdigte man sie am 10.Februar 1778 in Neuenrade. Danach starben noch 1783 die Großmutter und 1784/85 zwei Brüder. Vielleicht waren diese Schicksalsschläge mit ein Grund für den jungen Carl Franz Friedrich Basse, den Beruf des Pfarrers zu wählen, der in seiner Kaufmanns- und Beamtenfamilie keine Tradition hatte. Es könnte aber auch sein, daß Carl Basse von seinem Hauslehrer auf Berentrop, dem reformierten(!) Friedrich Wilhelm Wedag (1758-1799), einem recht ungewöhnlichen Mann, der in Halle Theologie studiert hatte und am dortigen Waisenhaus in der Hochburg des Pietismus tätig gewesen war, im Blick auf die Prägung seines Glaubens etwas mitbekommen hatte. Einfluß auf diesen Entschluß, Theologie zu studieren, hatte eventuell auch noch ein Onkel. Des Vaters Schwester Gertrud war nämlich mit dem Pfarrer Johann Arnold Mönnich (1736-1814) aus Schwefe bei Soest verheiratet, der übrigens - wie Horst Bendrat in seinen familiengeschichtlichen Forschungen herausfand - mit der Pastorensippe Mollerus weitläufig verwandt war, von der drei Mitglieder ja so lange in Deilinghofen gewirkt hatten.

Als der Vater Basse 1786 das Gut Berentrop an Johann Hermann Löbbecke verkaufte, um als Kaufmann nach Hamburg zu ziehen, war Carl schon aus dem Haus. Welche Schule er vor seinem Studium besuchte, ist uns aus einer biographischen Skizze bekannt, die ‘Frau Pastorin Basse’ zum Werdegang ihres Mannes verfaßte: "zuerst ... die höhere Schulen in Iserlohn, späterhin das Gynasium zu Soest, wo er bei einer Schwester des Vaters, die Fr. Bürgermeisterin Rocholl, vier bis fünf Jahre im Hause war. Seine Lehrer kann ich nicht nennen, weil mir ihre Namen entfallen sind"

Bendrat, dem dieser Text nicht bekannt war, vermutete in seiner Arbeit im Blick auf den Besuch des altehrwürdigen Archigymnasiums genau das Richtige: daß Carl bei Tante Rocholl unterkam, und er begründete diese Vermutung damit, daß selbst nach Carl Basses Tod seine Familie noch gute verwandtschaftliche Beziehungen in Soest pflegte.

Über Basses Studienzeit kann man ihn wieder selber sprechen lassen: "In den Jahren 1787 bis 1790 habe ich in Halle und Leipzig Theologie studiert". Im Standardwerk von Bauks findet sich dazu die Bemerkung, daß sein Immatrikulationsdatum in Halle der 17.Oktober 1787 war und daß er zweieinhalb Jahre dort studierte vor dem Wechsel nach Leipzig. In Leipzig kann er nur kurz im Jahr 1790 studiert haben. Ob die Wahl des Studienortes Leipzig mit seinem ehemaligen Hauslehrer Friedrich Wilhelm Wedag zusammenhing, wäre zu erwägen. Inzwischen war nämlich dieser (der übrigens seit 1786 mit der Familie von Basses Mutter verwandt war) vom Jahr 1788 an Prediger in der reformierten Gemeinde in Leipzig.

Danach finden wir unseren Basse erstaunlicherweise als Hauslehrer in der Familie des Erb- und Gerichtsherrn Friedrich Ladiges auf dem Gut Barnekow in Mecklenburg. Ob ihm sein Vater aus Hamburg die Stelle vermittelt hatte, läßt sich wieder nur vermuten. Zu den Ladiges unterhielt Basse aber auch in seiner Deilinghofer Zeit gute Kontakte.

Es wäre denkbar, daß Carl Franz Friedrich Basse noch wankelmütig war, welchem Beruf die Zukunft gehören sollte: Lehrer, Kaufmann, Landwirt oder halt Pfarrer. Wie sich später herausstellte, hatte er in allen vier Sparten seine Qualitäten. Einen eindeutigen Beschluß muß er dann für sich 1793 getroffen haben. Er kehrte in seine alte Heimat zurück, legte am 1793 das theologische Examen ab und erwarb damit die Wahlfähigkeit für das Predigeramt, die ihm auf der Hagener Synode vom 8. und 9.Juli 1794 zugesprochen wurde. Seine Ehefrau bemerkte dazu in der eben genannten biographischen Skizze: Der Kandidat Basse "wurde endlich von dem seligen Inspektor von Steinen zu Frömern examiniert".

Schon 1794 wählte ihn eine Kirchengemeinde zum Pfarrer. Dazu bemerkte Basse:

"Den 3. Advent [21.12.1794] wurde ich von dem verstorbenen Generalinspektor und Consistorialrath v. Stein[en] zu Frömern als Prediger zu Königssteel[e; heute Essen] ordiniert".

Diese Kirchengemeinde war nicht sehr finanzstark. An der nächsten Synode (12./13.Juli 1796 in Hagen) nahm er nämlich nicht teil. Das Protokoll vermerkt lapidar: "H. P. Basse zu Steele als Novitius zum ersten Male, ist auf Collecte". Details über diese Kollektenreise wissen wir heute nicht. Seine Reisen müssen ihn jedenfalls auch
nach Hamburg geführt haben, wo er vermutlich bei seinem Vater vorsprach, was ein Wendepunkt in seinem Leben werden sollte, denn dort lernte er ‘seine Lotte’ kennen: Agathe Elisabeth Charlotte Rohrschneider, geboren am 8. April 1777 in Hamburg als Tochter des Königlich Preußischen Elbschiffahrtsinspektors Michael Rohrschneider und seiner Frau Sophie, geb. Brüning, die beide aus Berlin stammten. Ob die Väter etwas arrangiert hatten oder ob es die ganz große Liebe war - vielleicht beides: Schon zwei Monate später, einen Tag nach seinem 29.Geburtstag, wurden beide am 15.Sep-tember 1796 vom Pfarrer Johann Albert Kindler auf dem Gut Barnekow in Mecklenburg getraut. Basse hatte auf jeden Fall eine äußerst bemerkenswerte Frau geheiratet, was man in Deilinghofen zur Genüge merken sollte.

2. Umzug nach Deilinghofen - Die neue Heimat der Basses im Alten Pastorat und die Entwicklung der Großfamilie

Mit Datum vom 25.Mai 1797 erhielt Carl Franz Friedrich Basse einen Brief vom Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde Deilinghofen Es war die Vokation zum hiesigen Pfarrer. Man teilte ihm ausführlich mit, daß sich der Vorgänger Müller im März des Jahres vom Amt losgesagt hatte, woraufhin Pastor Varnhagen und Inspektor von Steinen einen Wahltermin festgelegt hatten, nämlich den 18.Mai 1797, den Tag, an dem die Gemeinde Basse zu ihrem Pastor gewählt hatte. Übrigens ist neben diesem Schreiben auch ein Wahlprotokoll erhalten geblieben, aus dem hervorgeht, daß vier Kandidaten (wenigstens drei waren vorgeschrieben) zur Wahl standen und daß unser Basse bis auf eine Gegenstimme alle Stimmen auf sich vereinigte. Dieses gute Ergebnis dürfte damit in Zusammenhang stehen, daß Basse schon vor seinem Amtsantritt irgendwie für die Gemeinde tätig und vermutlich in ihr bekannt war; jedenfalls schrieb die Witwe Basse am 24.Januar 1835 (im Zusammenhang eines Brie-fes, in dem es um ‘Pastoratshafer’ im Jahre 1797 ging): "... da überdem mein Mann lange vorher in dieser Gemeinde die Dienste versah, ehe er eingesetzt wurde ..."

Das eben genannte Vokationsschreiben, in dem genau festgelegt war, nach welchen lutherischen Grundsätzen er sein Amt zu führen hatte, sollte in späteren Auseinandersetzungen bei der Einführung der neuen Agende drei Jahrzehnte danach eine erhebliche Rolle spielen. Da der preußische König schon seit langer Zeit das ‘Kollationsrecht’, also das Stellenbesetzungsrecht speziell in Deilinghofen besaß, bekam auch die königliche Regierung eine Abschrift der Vokation, und zur Besiegelung der Amtseinführung erhielt Basse mit Datum vom 4.Juli 1797 ein prachtvolles "Confir-mations Patent", das im Deilinghofer Kirchenarchiv die Zeiten überdauerte. Wie aus einem Vermerk auf der Urkunde zu ersehen ist, wurde es ihm am 14.Juli 1797 durch den Beamten Lecke ausgehändigt. Als offizielles Antrittsdatum gilt jedoch (wie auch auf seinem in Deilinghofen erhaltenen Grabstein angegeben) der 27.Juli 1797. Das ist auch der Tag, an dem die Familie ins Deilinghofer Alte Pastorat umzog. Ein erhaltenes "Inventarium" gibt Auskunft darüber, was die Basses vorfanden: mehrere Öfen, zwei Leitern, in der Küche einen Schrank, ein Bücherregal, eine Brunnenrolle usw., alles verfault, beschädigt oder zerbrochen. Wie aus weiteren Akten zu entnehmen ist, war der übrige Zustand des Pastoratshauses auch nicht viel besser, obwohl das Haus erst gerade dreißig Jahre stand. Basse selbst beschrieb den Zustand des Alten Pastorats so:

"Als ich im Jahr 1797 im July hierselbst mein Amt antrat, fand ich das Haus in einem solchen verwüsteten Zustande, daß mir bange wurde, dasselbe zu bewohnen; ich hielt jedoch einige Zeit mit meiner Familie darin aus, zumal dieselbe
damals noch eingeschränkt und das übrige Personale noch klein war. Die ei-gentliche Wohnstube des vorigen Predigers Müller war in einem solchen Zustande, daß man beständig befürchten mußte, die Decke würde herunter fallen, welches auch ... zum Theil geschah" In dieser Weise geht in der zitierten Akte die Mängelbeschreibung noch drei Seiten weiter.

Dort einzuziehen war für das junge Ehepaar wahrlich nicht einfach, vor allem, weil sie einen 24 Tage alten Säugling nach Deilinghofen mitbrachten, ihr erstes Kind Eduard Wilhelm Basse. In seinem von uns gefundenen eigenhändigen Lebenslauf bemerkt Pastor Basse zwar, dieser wäre in Deilinghofen geboren worden. Es ist erstaunlich, daß sich das Ehepaar hier geirrt hat, denn Eduard wurde in Wirklichkeit - wie auch Basse ausführlich zur Taufe Eduards ins Deilinghofer Kirchenbuch eingetragen hatte - am 3.Juli 1797 in Iserlohn geboren, wo die Familie Basse im Pfarrhaus des Pastors Johann Friedrich Gottschalk untergekommen war. Dieser taufte das Baby auch am 6.Juli in der Obersten Stadtkirche.

Über Basses große Familie, die sich im Alten Pastorat kontinuierlich erweiterte, gibt der schöne Schlüssel-Aufsatz von Günther Schulte Auskunft, in dem die (zum Teil auffällig üppig gehaltenen) familiären Kirchenbucheintragungen Basses dargestellt und analysiert werden.

Wir halten uns zur Darstellung des Familienlebens an Basses Lebenslauf, in dem er aus der Sicht des Jahres 1833 folgendes schreibt:

"1. Eduard Wilhelm Basse wurde den 3.Juli 1797 in Deilinghofen [richtig: Iserlohn s.o.] geboren. Er hatte sich der Theologie gewidmet, war zudem auch zwei Jahre in Soest auf dem Gymnasium und zwar in der obersten Klasse. Der Krieg brach aus 1815. Der Aufruf an die Vaterländische Jugend ergriff ihn und beseelte seine Wahl und Kräfte. In einem Alter von beinahe 18 Jahren nahm er Abschied von Eltern und Geschwistern und ging als freiwilliger Jäger in die Schlacht. Bei Ligny endete er sein Leben. Kein Todesschein kam zu uns. Stattdessen wurde in unsserer Kirche eine eiserne Tafel mit goldenen Buchstaben aufgehangen [heute rechts neben der Eingangstür, früher hinter dem Altar; vgl unten Abbildung S.168], welche so lautet:

Aus diesem Kirchenspiel starb für König und Vaterland 1815 der freiwillige Jäger Eduard Basse.

2. Friedrich Basse wurde 1799 den 10.Mai geboren. Er widmete sich der Handlung, diente freiwillig als Füselier. Etablierte sich später in Lüdenscheid und hat bis hierhin sein Brot.

3. Carl Wilhelm Basse wurde 9.April 1802 geboren, erlernte ebenfalls die Kaufmannschaft, diente auch als Musketier freiwillig. Errichtete vor einigen Jahren eine Töpferei und eine Pfannenbäckerei [im Turm, ehemals zur Megede, Adjutantengut] und kämpft mit den Beschwerden, welche solche Anlagen ohne eigenes Vermögen unumgänglich zur Folge haben.

4. Stephan Heinrich Wilhelm Basse wurde den 9.Oktober 1804 geboren. Er widmete sich dem Studium der Theologie. Er erfreute sich der Gnade des Königs durch eine Unterstützung von 300 Rtl. während seiner zwei Universitätsjahre und wurde 1831 d. 27.Feb. als Pfarrer in Erndtebrück in Wittgenstein erwählt. Verheiratete sich mit der Tochter des Herrn Pfarrer Quentel in El-soff[] und muß sich einschränken.

5. Meine Tochter Helena Basse wurde 1807 am 14.Juni geboren. Sie heiratete meinen ehemaligen Knecht, eines zurückgekommenen Bauernsohnes, übrigens fleißig und brav. Er hat drei Jahre dem König gedient und muß sich mit seiner Familie von seiner Hände Arbeit ernähren.

6. Ludwig Basse wurde 1812 d. 8.Januar geboren. Er erlernte die Lohgerberei, hat nach geendigten Lehrjahren drei Jahre dem König gedient und will jetzt sein Handwerk fortsetzen.

7. Eduard Basse wurde 1820 d. 14.Juni geboren. Wächst freudig heran und verspricht bei sorgfältigem Unterricht, viel Fassungskraft und gutem Willen, dieselbe auszubilden".

Dem Ehepaar Basse wurden noch zwei weitere Kinder geboren, eine Tochter 1810 (Todgeburt) und eine weitere, Luisa Wilhelmina Friderica Mathilde, am 11.Januar 1815, die aber auch bereits laut Kirchenbuch am 7.September 1817 als kleines Kind zur großen Trauer der Eltern wieder verstarb.

Zu den sieben Sprößlingen Basses, die im Alten Pastorat herangewachsen waren, seien hier noch einige interessante Anmerkungen hinzugefügt. Der wohl bedeutendste Sohn war die oben genannte Nummer 3, Carl Wilhelm Basse. Er (dessen Taufpaten übrigens der Faktor Caspari und Lürmann waren, Namen die wir aus unserem Stephanopel-Kapitel auch im Zusammenhang mit der Brüdergemeine kennen) heiratete nach Basses Tod am 30.August 1833 Theodora Josephson, die Schwester des unten in diesem Heft zu behandelnden Deilinghofer Amtsnachfolgers von Basses, Carl Ludwig Josephson. Carl Wilhelm Basse muß schon in Deilinghofen ziemlich geschäftstüchtig gewesen sein, und er dürfte in kürzester Zeit nicht mehr so unvermögend, wie es oben Vater Basse in seinem Lebenslauf schrieb. Auch könnte Theodora Josephson einiges an Geld mitgebracht haben. Auf jeden Fall besaß das Ehepaar Ende 1833 in Deilinghofen neben dem genannten Megede-Gut zwei weitere Höfe; außer dem Wiesemann-Hof besaß er das Cordes-Gut. Das ist das alte Bruchsteinhaus hinter dem heutigen Lebensmittelgeschäft von Martha Ebe. Daß dieser Carl Wilhelm Basse später (wie sein Bruder Friedrich) nach Lüdenscheid zog und dort noch mehr Geld verdiente, hatte seine Ursache in den im ‘Kapitel Josephson I’ noch zu behandelnden Unruhen in Basse-Nachfolge, bei denen Carl Wilhelm sich auf die Seite seines Schwagers Carl Ludwig Josephson schlagen sollte, der seinerseits dann doch nicht ‘richtig’ Deilinghofer Pfarrer werden durfte. Carl Wilhelm Basse wurde in Lüdenscheid Mitbegründer "des weltbekannten Unternehmens Basse & Selve". Er starb 1873. Sein Sohn Carl August Basse war "Mitbegründer der Firma Basse & Uerpmann zu Iserlohn 1872", die jeder als B & U kennt. Unser Deilinghofer Pastor Basse war also über diesen bedeutenden Sohn und den genauso wichtigen Enkel gewissermaßen der ‘Opa von B & U’! Und mit B & U ‘verwandt’, wenn man so will, war also auch Basses Amtsnachfolger Josephson, wie aus dem Voranstehenden hervorgeht.

Auch zur oben genannten Nummer 4 ist noch einiges anzumerken. Warum dieser Stephan Heinrich Wilhelm Basse als Pfarrer nach Erndtebrück ging und warum er nicht bei uns Amtsnachfolger seines alten und kranken Vaters wurde, wissen wir nicht genau. Es befinden sich aber Akten über diese Erndtebrücker Pfarrerwahl und auch über die o.g. königliche Unterstützung im Deilinghofer Kirchenarchiv. Diese Dokumente belegen, daß der alte Basse sogar in dieser Sache mit dem Fürsten zu Wittgenstein in Berleburg korrespondierte. Für Deilinghofen war es vielleicht gut, daß Stephan Heinrich Wilhelm hier nicht Pfarrer wurde, denn am 8.August 1846 legte er sein Amt nieder und wanderte mit seiner Familie und der ‘halben Gemeinde’ nach Texas (USA) aus und wurde zuerst Pfarrer in Friedrichsburg, wo er danach als Kaufmann tätig war. Seit zwei Jahren wartet übrigens in eben diesem Ort Fredericksburg in Texas (so heißt die Stadt heute) ein Basse-Nachfahre auf dieses Heft der Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte, nämlich der Zahnarzt Dr. Adolph Basse, der Deilinghofen aus familiengeschichtlichen Gründen mehrfach besuchte und diese Publikation im voraus bezahlte. Wir grüßen auf diesem Wege die Familie Basse in Texas herzlich. Übrigens gingen auch noch zwei weitere Söhne (oben Nummer 6 und 7) als Auswanderer nach Amerika.

Last not least ist auf Helena Basse (Nummer 5) einzugehen. Sie war die einzige Tochter, die erwachsen wurde, und auch die einzige unter den Kindern, die im Ort Deilinghofen blieb. Der oben im Lebenslauf genannte fleißige und brave ehemalige Knecht Basses, den Helena heiratete, war Caspar Diedrich Borgmann. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Friederike, Eduard und Carl, die nach dem Tod der Mutter (1840) von ihrer Oma, der Pastorenwitwe Basse, bis zu deren Tod (1857) erzogen und versorgt wurden. Dem Enkel Eduard Borgmann (1834-1900), der übrigens ‘Im Turm’ in dem bis heute erhaltenen alten Haus (jetzige Bewohner: Familie Neumann sen.) dort wohnte, wo sein Onkel Carl Basse die Töpferei betrieben hatte, verdanken wir einige interessante Schriftstücke aus der Familie Basse, die uns der Basse-Nachfahre Horst Bendrat zur Verfügung stellte. Horst Bendrat (Holzwickede) und sein Bruder Hermann Bendrat (Sundwig, Felsenmeerstraße) sind Urenkel von diesem Eduard Borgmann.

3. Überblick über Basses theologisches und kirchenpolitisches Wirken von 1797 bis zum Ende des Agendenstreites in Deilinghofen im Jahr 1829

Mit den zuvor zusammengestellten Bemerkungen zu Basses Familiengeschichte, in denen ja durchaus eine ganz Menge von seinen privaten Wesenszügen und Lebensumständen zur Sprache kam, haben wir von der Zeit her erheblich vorgegriffen. Wir kommen nun in diesem Abschnitt zur ‘pfarramtlichen’ Seite des Pastors Carl Franz Friedrich Basse in seiner Zeit zurück. Die beträchtliche Zeitspanne von über dreieinhalb Jahrzehnten, die er in Deilinghofen wirkte, begann mit seiner feierlichen Amtseinführung am 20.August 1797. In den Hagener Synodalprotokollen der Märkischen Synode lesen wir:

"d. 20 Aug wurde der bisher zu Königssteel gestandene Prediger, Herr Carl Franz Friedrich Basse als Prediger zu Deilinghofen, wo H. Prediger Müller sein Amt niedergelegt hatte, eingewiesen".

Vermutlich wird Basse von dem Hochgefühl seiner Einführungsfeierlichkeiten in Deilinghofen schnell auf den nüchternen Boden der Tatsachen heruntergekommen sein. Ihm oblag nämlich die Erledigung von jahrzehntealtem ‘Papierkram’ seiner beiden Amtsvorgänger Dümpelmann und Müller. Es ging um jene vom Landgericht Altena reklamierten Kirchenrechnungen, auf die wir oben schon eingingen- eine Mammutarbeit, die der Kaufmannssohn (hier wohl versierter als seine Vorgänger) in relativ kurzer Zeit (bis ca. 1800/1801) erledigt hatte. Hinzu kam natürlich in diesen ersten Amtsjahren das Problem, in der Gemeinde an der kurkölnischen Grenze Fuß zu fassen und sich auch im Blick auf die seelsorgerliche Tätigkeit dort einzugewöhnen. Wie zum Beispiel Basse zu den Frommen mit Herrnhuter Prägung in Sundwig (auf Heppings Kotten) und in Deilinghofen theologisch stand, wissen wir nicht. Fest steht, daß ganz zu Beginn der Herrnhuter Diaspora-Arbeiter Feiler Basse noch einmal besuchte. Das war bald nach Basses Amtsantritt im September 1797; ob es später noch Kontakte in dieser Richtung gab, bleibt uns unklar.

Ein großes Problem, das den Pfarrer Basse während seiner gesamten Deilinghofer Amtszeit beschäftigte, war der schlechte Zustand der kirchlichen Bauwerke. Wie schlimm damals das Alte Pastorat heruntergekommen war, das dann um 1805/1806 instandgesetzt (und nach Aktenlage des Deilinghofer Archivs von Basse praktisch fertiggestellt!) wurde, ist ja schon angeklungen. Um die Kirche stand es nicht besser. In der notorisch armen Gemeinde hatte man höchstens Geld für kleinere Reparaturen, und ‘weltliche’ Stellen mußten sich da einschalten, um der mittellosen Gemeinde unter die Arme zu greifen.

Der Deilinghofer Schullehrer Johann Melchior Marcks hatte in seinem Anhang an das Dümpelmann-Gedicht (vgl. Anlage in diesem Heft) zur Basse-Ära in Deilinghofen folgende Zeilen hinzugesetzt:

"Herr Müller macht in kurzer Zeit

Herr Bassen hier den Platz bereit,

der bleibe lang zu Gottes Ehr

zum Heil der Menschen Prediger.

...

Achtzehnhundert an der Statt

die jetzige Schul errichtet ward.

Das ist’s, was ich zu guterletzt

in meinem Alter zugesetzt".

Diese Schule wurde wegen der Finanzknappheit der Kirchengemeinde aus Kommunalmitteln zu Beginn der Basseschen Amtszeit im Jahr 1800 erbaut, nachdem die alten Schule von 1687, die auf dem Kirchhof stand, den Erfordernissen nicht mehr genügte. Das Fachwerkhaus der neuen Schule von 1800 hatte, wie ein uns erhaltenes Bild aus dem Jahre 1862 zeigt, seinen Platz dort, wo sich heute das Ehrenmal befindet. Daß dieser Fachwerkbau nach 1874 in Apricke wiederaufgebaut wurde und heute ein Teil des Wohnhauses

Im Beil 21 (Bewohner: Familie Tuschhoff) darstellt, hat Gerd Herchenröder auch in seiner schönen Schul-Chronik geschildert.

Im Blick auf diese Zeit haben wir auch auf Basses Projekt der Kirchenrenovierung einzugehen; dieses begann Anfang des Jahrhunderts und setzte sich die ganze Amtszeit über bis zu seinem Tod fort. Wie schlecht der bauliche Zustand unserer Stephanuskirche zu Beginn der Amtszeit war, beschrieb Basse selbst wie folgt:

"Unser verfallenes Gotteshaus zeigt bey Fremden, die uns besuchen an, als wenn wir gleichgültig gegen Gottesverehrung und Gottesdienst wären". Besonders das Kirchen- und das Turmdach waren sehr undicht, so daß der Regen ins Kircheninnere und ins Gemäuer gelangen konnte und vielfältige Schäden nach sich zog. In der Kirche sah es verheerend aus: schadhaftes Gestühl auf Lehmfußboden, Unrat in vielen Bereichen der Kirche, und auch von außen muß die Gesamtanlage der Kirche einen jämmerlichen Eindruck gemacht haben. Basse berichtete etwa, daß die Friedhofsmauer, die er 1802 errichten ließ, nach kurzer Zeit wieder verfallen war, so daß sogar das Vieh auf dem Kirchhof weidete.

Im gleichen Jahr 1802 kam es bei einer Reparatur des Kirchendaches zu einem tragischen Unfall, der eine Vorgeschichte hatte, die bis ins Jahr 1800 zurückreichte. Wir zitieren aus den Akten:

"1800 d. 9t Novbr. riß der außerordentliche Sturm uns das Kreutz mit samt einem Stück des Mastbaums von hiesigem Kirchturm. Wir zeigten dieses sofort beym Wohllöblichen Landgericht auch selbst bey der Königl. Regierung an, baten um nötige Vorkehrung, die zerstörte Kirchturms Spitze wieder herstellen zu können".

Im folgenden wird in diesem Dokument beschrieben, wie mühsam sich man sich das Geld zur Reparatur vom Turm (und von der Kirchtumsmauer) durch den Verkauf von Kirchenbesitzen und altem unbrauchbaren Blei zu beschaffen hatte, eine Prozedur, die sich bis 1802 hinzog. Am 7.Dezember 1801 beauftragte man den Schieferdecker Peter Trippel aus Iserlohn mit der Reparatur des Turmes. Als diese im April 1802 erfolgte, kam es zu dem schrecklichen Unfall, über den man in unserem Kirchenbuch folgendes lesen kann:

"den dreißigsten Aprill starb allhier der Schieferdecker Matthias Trippel gebürtig aus Bonn. Er fiel bey Gelegenheit der Reparatur des Thurms von der Spitze des Thurms gleich todt zur Erde. Es wurde dem Landgericht davon Anzeige gethan, welches aber nach genau angezeigten Umständen nicht hierher kam. Er ist 54 Jahr alt geworden. Verehelicht 1777".

Dies war der amtliche Eintrag. Detaillierter schildert es der Entwurf in der "Kirchenbuchkladde":

"d. 30. April starb Matthias Tripler Leyendecker aus Bonn gebürtig, wohnte zu Iserlohn. Er fiel hier von der Thurms Spitze alwo er sich auf die Stellase [sc. Stellage, Gerüst] gesetzet hatte, um zu ruhen, aber engeschlafen war, und gleich wie auf die Erde kam, war sein Körper entseelt, 1777 hat er Barbara ... getrauet u. 2 Kinder gezeugt, von welches der Sohn 3 Tage nach den Begräbniß die Spitze wieder bestieg[,] die Stange, Knopf u. Creuz aufsetzte. Sein Alter 54 Jahr-"

In der Anfangsphase der Basseschen Tätigkeit fiel auch der Lehrerwechsel in Deilinghofen: der Vater Johann Melchior Marcks, der Mit-Verfasser des Dümpelmann-Gedichtes, gab das Amt um 1804, wie Gerd Herchenröder beschreibt, an seinen Sohn Caspar Diedrich Marcks weiter, der übrigens seit 1797 seinem Vater "adiungirt" war.

Die Kirchenbuchkladde unseres Deilinghofer Archivs enthält eine Chronik der Lebensdaten von Marcks Vater und Sohn und deren Familie.

Diese Lehrer Marcks hatten in Deilinghofen eine überaus wichtige Stellung. Wir zeigen das an einem Beispiel, das trefflich in Gerd Herchenröders Schul-Chronik gepaßt hätte: Im Jahr 1803 wurde sogar auf der Märkischen Synode in Hagen öffentlich das Thema Marcks behandelt. Wir erfahren aus den Protokollen, daß vom Deilinghofer Lehrer Marcks geradezu revolutionäre Neuerungsvorschläge gemacht wurden:

" Der Herr Inspektor Baedecker ... erzählte, wie der Schullehrer Marcks in Deilinghofen bey der Regierung darauf vorgetragen hat,

(a) daß den Schullehrern erlaubt werden möge, öffentliche Examina in den Kirchen anzustellen, und bey Gelegenheit die Eltern zu ermahnen, die Kinder fleißig zur Schule zu schicken.

(b) Daß die Schullehrer auch düften eine Synode gemeinschaftlich halten und die Kosten dazu aus dem Kirchen-Vermögen erhalten.

(c) Daß eine Witwen-Casse für die Schullehrer möge errichtet werden.

(d) Daß Rendanten angeordnet werden mögen, die das Schul-Geld für die Schullehrer erheben und ihnen auszahlen.

(e) Daß die Schullehrer dispensirt werden möchten, die Anzeige, was gesungen werden soll, bey den Predigern selbst abzuholen, und daß die Prediger angehalten werden möchten, den Schullehrern diese Anzeige schriftlich zuzuschicken. Der Herr Inspector hat darüber berichten müssen, und darauf ist dem Marcks ‘die Forderung sub Nr. (a), (b) und (e) völlig abgeschlagen worden; wegen (c ) und (d) soll zu seiner Zeit näher resolviret werden"

Der Deilinghofer Pastor Basse war auf jener Synode in Hagen zugegen (es war seine dritte Synode), bei der dieses brisante von Marcks angestoßene Thema, das ja auch ihn selbst tangierte, diskutiert wurde. Basse konnte also darauf bestehen, daß der Lehrer die Angaben über die sonntags zu singenden Lieder schön brav weiter im Alten Pastorat abzuholen hatte, und daß der Lehrer auch die anderen angestrebten Kompetenzen nicht erlaubt bekam.

Im Zusammenhang mit der Deilinghofer Kirchengeschichte durchaus erwähnenswert ist, daß in den Hagener Synodalakten der Name Marcks (später umgewandelt in: Marx) noch des öfteren zu lesen ist. Der oben genannte Deilinghofer Lehrer Johann Melchior Marcks hatte nämlich noch einen jüngeren Sohn (der zehn Jahre jünger war als sein Bruder, der Schullehrer Caspar Diedrich Marcks) namens Johann Melchior Diedrich Marcks (geb. 14.April 1784 in Deilinghofen, noch von Dümpelmann getauft), der dann zum gestandenen Pfarrer in Herzkamp (von 1809 bis 1856; gestorben 1858) heranreifte und als Mitglied der Synode dort oft mit dem Synodalen Basse zusammentraf .

Kurz vor der Franzosenzeit in dieser Gegend wurde am Bauernhof Stenner-Borghoff 1805 eine Hausinschrift angebracht, die man dort noch heute lesen kann (vgl. die Abbildung oben, S.143):

"GOTT . LEBET . NOCH . WAS . SORG . ICH ./

DENN . SOLANG . ICH . GOTT . DENN . VATER ./

KENN . SETZ . ICH . DIE . SORGE . AN . DIE . SEIT . UND ./

SINGE . FRÖLICH . ALLEZEIT . GOTT . LEBET . NOCH /

ANNO . 1805 . DEN . 29 . MAY".

Solches Gottvertrauen hatten Basse und seine Gemeinde gerade in der ‘Franzosenzeit’ (1806 bis 1815) bitter nötig. Aus diesem Zeitraum sind praktisch keine Akten im Deilinghofer Kirchenarchiv vorhanden. Wir zitieren hier alles, was zu Basse in dieser Zeit wichtig erscheint, nach der Darstellung seiner Nachfahren, des Holzwickeder Lehrers Horst Bendrat, der in seiner Arbeit das Wesentliche und Charakteristische trefflich einfängt:

"Die folgenden Jahre, ... die ‘Franzosenzeit’ von 1806 bis 1815, wurden auch von den Deilinghofern und ihrem Pastor als in vieler Hinsicht schwer und bedrückend erlebt. Deilinghofen gehörte seit November 1808 (Napoleons Dekret zur Neuordnung des Großherzogtums Berg) zur Mairie Hemer im Kanton Iserlohn, Arrondissement Hagen im Departement Ruhr (Praefektur in Dortmund). Der ‘Maire’, mit dem Pastor Basse dienstlich viel zu tun hatte, war Joh. Friedrich von der Becke (1750-1836), unverheirateter Fingerhutsmühlenbesitzer (heute Sundwiger Messingwerk) in Sundwig, dem Hauptort der Mairie, später preußischer Bürgermeister. Die Sorge ums tägliche Brot, d.h. um ausreichende Ernten, die P. Basse mit den Deilinghofer Bauern unmittelbar teilte, waren selten grundlos, wie er selbst in einer Kirchenbuch-Eintragung zu 1805 überdeutlich bezeugt:

‘Bemerkung: In diesem verflossenen Jahre hatten wir sehr theure Zeiten. Die Erndte verspätete sich wegen der kalten Witterung so sehr, daß um Bartholomai (24. Aug.) noch niemand mähen konnte. Erst mit dem 6 oder 7ten September fingen die Leute hier an, Roggen zu mähen, welcher aber gewiß noch beynahe einen ganzen Monat naß in der Bahre war und ehe man ihn in die Mühle schicken konnte, in dem Ofen gedörrt werden mußte.’

Wenn G.Schulte ihn ‘König im Kirchspiel’ oder ‘Landesvater im Kirchspiel’ nennt, dann gilt das allenfalls im preußisch kargen Sinne des Dienens. Reich konnte man als Deilinghofer Pfarrer gewiß nicht werden, wie es eine Notiz des Sundwiger Maire von der Becke von 1809 ausweist, der es gut fände, ‘wenn der Herr Prediger Basse zu Deilinghofen sich weniger mit dem Ackerbau beschäftigte, wozu ihn, wie er sagt, seine schlecht besoldete Pfarrei zwingt, um seine zahlreiche Familie zu unterhalten’ (damals waren bereits fünf Kinder geboren, später kamen noch drei hinzu). Nach einer Anmerkung in Eduard Borgmanns Familienchronik brachte ‘die Pastorath zu Deilinghofen zufolge des Hebezettels 420 Thaler ein’, jährlich versteht sich. Hatte Deilinghofen unter dem allgemeinen Niedergang der Gewerbe infolge der Kontinentalsperre von 1806 wohl weniger zu leiden - in Iserlohn brach beispielsweise die gesamte Textil-Branche zusammen und kam nie wieder auf - so wurden die von Frankreich erhobenen Grundsteuern als besonders drückend, ja für manche Höfe ruinös empfunden. Hinzu kamen indirekte wie Salz- und Tabaksteuern. So ist es begreiflich, daß in den Berichten des Maire an die Präfektur immer wieder von Diebstählen die Rede ist. In Sundwig wurde damals ein Gefängnis, Wachhaus genannt, errichtet, das als ‘Spritzenhaus’ noch Anfang des 20.Jahrhunderts vorhanden war. Auch Nachtpatrouillen mußten eingerichtet werden. In Deilinghofen war besonders zu klagen über ‘Feld- und Obsträuberei sowie Bestehlung der Ackergeräte’, 1810 sei dem ‘Municipalrath Mollerus ein großer kupferner Braukessel gestohlen worden’ und im Juli desselben Jahres seien ‘dem Prediger Basse in Deilinghofen boshafterweise des nachts seine sämtlichen Kappeskraut mit der Sense abgemäht worden’. Verdächtigt, oft auch gefaßt und vom Richter Kleinschmidt auf Haus Hemer abgeurteilt, wurden meist auswärtige Landstreicher und Bettler. In Niederhemer gar war in die Vituskirche eingebrochen worden, der Inhalt des Armenkastens und eine neue Altardecke geraubt worden. Im Kirchspiel Deilinghofen kamen auch Holzdiebstähle im Balver Wald vor, nächtens sogar mit Pferdegespannen.

Andererseits brachte die ‘Franzosenzeit’ die Bauernbefreiung. Abgaben, die in Hypothekenbücher einzutragen waren, konnten durch einmalige Geldzahlung abgelöst werden. Darüber kam es 1813 in Deilinghofen sogar zu einem Prozeß. Der Colon E. aus Brockhausen und ebenso der Colon K. aus Apricke hatten sich schon zwei Jahre geweigert, die aus Hafer, Mettwurst und Eiern bestehende ‘Pastorath und Küster Revenue’ zu entrichten, mit der seltsamen Begründung, diese sei früher die Bezahlung einer Frühmesse mit Predigt gewesen, die es ja nun nicht mehr gebe. Schon hofften auch andere Bauern des Kirchspiels, auf ähnliche Weise um die Ablösesumme herumzukommen. Das ‘Consistorium’ (=Presbyterium) wandte sich daraufhin an den Praefekten von Romberg in Dortmund. Diesem mußte P. Basse sogar das alte Kirchenbuch vorlegen, um zu beweisen, daß die seit mehr als hundert Jahren geleisteten Abgaben rechtens seien. Daraufhin mußte gezahlt werden ‘zum Vortheil der Lutherischen Schule und Küsterei zufolge eines unbedenklichen Besitzes’"

Hören wir weiter aus Horst Bendrats schöner Darstellung des Lebens seiner Vorfahren Carl Franz Friedrich Basse zwei weitere Episoden aus der Franzosenzeit in Deilinghofen und dann, wie diese Zeit zu Ende ging:

"Mit welchen weiteren ‘weltlichen’ Aufgaben Pfarrer damals befaßt werden konnten, zeigt ein Erlaß des Innenministers des Großherzogtums Berg in Düsseldorf vom 9.8.1809 zur Bekämpfung der Blattern durch Schutzimpfung. Der dafür zuständige Arzt, der Kantons-Medicus Dr. Gottfried de Weys in Iserlohn (mit Carl Basse freundschaftlich verbunden), konnte diese Impfung natürlich nicht allein durchführen, sondern mußte in Hebammen, Lehrern und eben auch Pfarrern ehrenamtliche Helfer/innen finden. Wie eifrig sich P. Basse der Aufgabe widmete, seine Pfarrkinder zu impfen, zeigt ein Schreiben des Maire nach Hagen, ‘es sei zu wünschen, daß der Herr Prediger Basse zu Deilinghofen und der Schullehrer Woeste (Joh. Ludolf Woeste, Niederhemer, Vater des bekannten Germanisten Friedr. Leopold W.), welche das mehrste Impfen in der hiesigen Municipalität bewirken, von Herrn Arrondissement Physikus mit Lymphe versehen würden’, außerdem schlägt er für diese Tätigkeit ein gewisses Entgelt vor. Übrigens hatte sich P. Basse zuvor einer entsprechenden Ausbildung mit Prüfung unterziehen müssen, um die ‘Autorisation’ zum Impfen zu bekommen. Kein Lehrherr durfte nach dem Erlaß Lehrlinge ohne Impfzeugnis annehmen.

Ein anderes, fast makabres Erlebnis berichtete P. Basse selbst im Kirchenbuch:

‘1815, Den 19. Nov. starb plötzlich an der Colique zu Sundwig Joh. Diedrich S. [irringhaus]. ... Alt 38 Jahr 4 Monath. Sein plötzlicher Todesfall veranlaßte verschiedene Gerüchte. Man sprach von Scheintodt. Er wurde daher am 2ten Decbr. Nachmittags drey Uhr in Beyseyn des Herrn ... v.d. Becke, des Predigers Basse hieselbst, des Secretaers Wienecke, Herrn D. de Weys und vieler Zeugen wieder aufgegraben, wo man sich dann von seinem wirklichen Tode oder vielmehr, daß er nicht scheintodt gewesen war, überzeugte.’

Für dasselbe denkwürdige Jahr 1815 konnte Carl Basse ins Kirchenbuch eintragen: ‘Wieder Einführung des Preußischen Gesetzbuches.’ - gewiß nicht ohne tiefe Bewegung: der Befreiungskrieg, der die ‘Franzosenzeit’ beendete, hatte ihm und Lotte den erstgeborenen Sohn entrissen. Eduard Basse war kurz vor seinem 18. Geburtstag als Freiwilliger Märkischer Jäger in der für Preußen verhängnisvollen Schlacht von Ligny (Belgien), zwei Tage vor dem Sieg von Waterloo, gefallen. Der Vater mußte ins Kirchenbuch schreiben:

‘1815. Den Sechszehnten Juny blieb in der Schlacht bey Ligny mein innigst geliebter Sohn Eduard Wilhelm Basse als freywilliger märkischer Jäger. Er war der einzige, der von unsern theuren Kindern, die ihr Leben für König und Vaterland aufopfern wollten, vermißt wurde. Er war den 3ten July 1797 in Iserlohn geboren. Muthig und froh ging er in den Kampf, nach dem Zeugnis seines Obern. Er hatte sich in seiner kurzen Dienstzeit die Liebe und Achtung derselben erworben. Er wird mir ewig theuer und werth bleiben. Zum unvergeßlichen Andenken an ihn schrieb das sein um ihn trauernder und innigst betrübter Vater C. Basse. Vor Gottes Thron werd ich einst dich wieder finden, innigst geliebter Sohn!, da wo keine Trennung, kein Scheiden mehr sein wird; dort werd ich deiner mich freuen. So lange ich hier als Pilger noch walle, vergeß ich deiner nicht!".

Eine Geschichte mit typisch Hemeraner Lokalkolorit vom Ende der Franzosenzeit, die auch von Patriotismus handelt, wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten; sie entstammt einem plattdeutschen Text von Woeste:

"Im Gasthaus Benzler in Niederhemer saßen am Abend des 22. Oktober 1813 zahlreiche Gäste zusammen. Das Gerücht einer großen Niederlage Napoleons bewegte aufs stärkste die Gemüter - sehr zum Leidwesen des vorsichtigen Wirtes. Ein Faß Bier wurde von einem der patriotischen Gäste gestiftet. Dem Wirt wurde bedeutet, wenn das Gerücht sich bewahrheite, könne er das geplante Schild ‘Gasthof zum Kaiser Napoleon’ am Schweinestall anbringen. Ein aus Iserlohn eintreffender Reisender bestätigte die Siegesnachricht. Hochs auf Blücher, Scharnhorsts und Gneisenau wurden ausgebracht. Aus dem allgemeinen Jubel sprang der Ruf auf, von der Mairie (Bürgermeisteramt) den ‘Kuckuck’, d.h. den französischen Adler herunterzuholen. Etwa 20 Mann machten sich auf den Weg und kamen bald mit der Trophäe zurück. In einer Gerichtssitzung wurde das französiche Hoheitszeichen zum Feuertode verurteilt, vorher sollte es Kopf und Krallen verlieren. Der erste Teil des Urteils wurde mit der Axt vollstreckt, anschließend kam der Vogel in die Küche unter den Stilmustopf"

In einer Hemeraner Chronik liest man zum Ende der französischen Fremdherrschaft:

"1815, 2. Juni wird nach dem Sturz Napoleons I. die preußische Provinz Westfalen gegründet. Die mairie Hemer wird Bürgermeisterei im Kreis Iserlohn, Regierungsbezirk Arnsberg. Die Bürgermeisterei Hemer hat 3 ‘Steuergemein-den’: Hemer mit Becke, Landhausen, Nieder- und Oberhemer, Westig und Sundwig, Deilinghofen mit Apricke, Brockhausen, Deilinghofen und Riemke, Evingsen mit Evingsen, Frönsberg, Ihmert und Kesbern"

Kurz nach der Franzosenzeit, nämlich 1816, wurde übrigens auf ‘Heppings Kotten’ in Sundwig, dem oft genannten Deilinghofer Kirchenbesitz, den seit 1800 Gottfried Rentzing bewirtschaftete, die Mühle und eine Bäckerei eingerichtet, nachdem die vorher da bestehende Nagelschmiede aufgegeben worden war. Dieser Gottfried Rentzing hatte in bewundernswerter Initiative zuvor 1810 in kürzester Zeit (und ungeachtet des von 1780 bis 1820 schwelenden Prozesses mit den von der Beckes) das zuvor 1809 abgebrannte Wohnhaus neu gebaut, eben jenes Haus, das die Familie des Müllers Peter Alberts bis heute bewohnt.

Von einer Reihe von Neuordnungen nach der Napoleonzeit im heimischen Raum ist im folgenden in Kürze zu berichten.

Ein Datum von kirchengeschichtlicher Bedeutung war in der altpreußischen Kirche der 27.September 1817: der Zusammenschluß der Lutheraner und Reformierten in der Union. Das theologische Standardwerk ‘Die Religion in Geschichte und Gegenwart’ bemerkt dazu:

"Die EKU [sc. Evangelische Kirche der Union] verdankt ihre Entstehung der Kabinettsorder des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. vom 27.9.1817, durch die eine ‘Vereinigung’ der luth. und ref. Kirche zu einer ‘neu belebten ev. christlichen Kirche im Geiste ihres Stifters angeregt wurde’".

Es war damals im Jubiläums-Lutherjahr, als man die 300 Jahre seit Luthers Thesen von 1517 feierte; vor kurzem im Jahr 1992 wurde ja die EKU schon 175 Jahre alt.

Die Synodalakten der ersten Hagener Gesamtsynode (von Lutheranern und Reformierten) belegen, daß im denkwürdigen Jahr 1817 unser Pastor Basse aus Deilinghofen nicht dabei war. Aber ein anderer (Ex-)Deilinghofer war anwesend: der Sohn von Lehrer Marcks, der Herzkamper Pfarrer und Synodale Johann Melchior Diedrich Marcks. Und als auf dieser Synode (die vom 16. bis zum 18.Sep-tember tagte) eine Reihe der Pfarrer ‘Hausaufgaben’ aufbekamen: sie sollten zum Reformationsjubiläum biblische, kirchengeschichtliche und dogmatische Themen schriftlich behandeln, da erhielt der Deilinghofer Lehrersohn die Aufgabe, es wären: "Einige Bemerkungen über die Geschichte der Reformation ...von Marcks, Prediger in Herzkamp" theologisch zu bearbeiten.

1993 wurde dann auch der Kirchenkreis Iserlohn 175 Jahre alt. In einem interessanten Vortrag vor der Kreissynode gedachte aus diesem Anlaß Pfarrer Wilhelm Gröne (Hemer) der Anfänge dieses Kirchenkreises, und er kam auch auf die Gründungsversammlung in der "Sakristey der Stadtkirche" Iserlohn zu sprechen, die am am 5.No-vember 1818 einige Pfarrer aus dem hiesigen Raum zusammenführte, unter ihnen auch "Basse Prediger zu Deilinghofen" und "Strauß Iserlöhnischer Landprediger", die beide schwungvoll ihre Unterschrift unter das Sitzungsprotokoll gaben.

Weitere ‘weltliche’ Neuordnungen aus jener Zeit, die auch den Raum Hemer/Deilinghofen betrafen, sind hier kurz anzuzeigen. Im Band 1 der Hemeraner Heimatkundereihe ‘Die Fibel’ hat Erich Lülff durch die Veröffentlichung eines Teil der Autobiographie des

lohner Landrats Peter Eberhard Müllensiefen (1786-1846; Land-ratszeit von 1818 bis 1836) auf die große Bedeutung dieses Mannes für die hiesige Region hingewiesen. Der rührige Müllensiefen, von dem auch sehr viel in Akten unseres Kirchenarchivs zu finden ist, war es zum Beispiel, der den Grundstein legte zum ‘Eisernen Kreuz’ in der Grüne, jenem auffälligen alten Kriegerdenkmal, das unter geistlicher Mitwirkung von Pfarrer Johann Abraham Strauß am 18.Oktober 1816, dem dritten Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig, feierlich eingeweiht wurde. In seiner Landratszeit im (seit 1817) neuentstandenen Landkreis Iserlohn, zu dem zunächst auch Balve (bis 1832) gehörte, war Müllensiefen federführend etwa bei dem Bau diverser ‘Kunststraßen’ im hiesigen Raum. So war 1818 bei Müllensiefens Amtsantritt die heutige B7 gerade schon chausseemäßig ausgebaut, und um den Bau vieler weiterer Straßen im gesamten Kreis hatte sich Müllensiefen jahrelang engagiert zu kümmern, wobei lediglich sein ‘Lieblingsprojekt’, die Rotehausstraße als Verbindungsstraße zwischen Iserlohn und Schwerte, nicht erfolgreich verwirklicht werden konnte. Daneben lag ein Schwerpunkt der amtlichen Tätigkeit des Landrats Müllensiefen in dem Bau bzw. der Renovierung von Kirchen dieser Gegend, wobei er sogar als ‘Retter’ der Iserlohner Bauernkirche, die er vor dem Abriß bewahrte, bezeichnet werden kann.

Was uns an diesem Mann aber theologisch und historisch interessiert, ist bei Lülff in der Müllensiefenschen Lebensbeschreibung lei-der nur in Spurenelementen zu finden: daß nämlich dieser Peter Eberhard Müllensiefen - wie oben schon angedeutet - eine Person von kirchengeschichtlicher Bedeutung war und im vorigen Jahrhundert einer der bedeutendsten Jünger des berühmten schwedischen Geistersehers Emanuel Swedenborgs (1688-1772) genannt werden kann, wobei dem Vater sein in Iserlohn geborener Sohn Theodor Müllensiefen (1802-1879), später einflußreicher Glasfabrikant in Witten und preußischer Politiker, an Rang als hochkarätiger Förderer der ‘Neuen Kirche’ der Swedenborgianer ebenbürtig war. Von Deilinghofen her interessiert uns der Vater Müllensiefen besonders, denn in der uns zugänglich gewordenen Urfassung der Müllensiefenschen Autobiographie (die wir bei den Müllensiefen-Nachkom-men Familie Schemann, Plettenberg, einsehen konnten) finden sich mehrere Hinweise darauf, daß der Pastor der Bauernkirche, Johann Abraham Strauß, das ‘Ziehkind’ und der frühere Busenfreund von Pastor Dümpelmann aus Deilinghofen, insgeheim auch zum Swedenborgianer sich entwickelt hatte, ein Verdacht, der sich später durch weitere Arbeit an diiesem Thema unwiderleglich bestätigte. Als Swedenborg-Jünger - so zeigt es der fertiggestellte oben genannte Deilinghofer Aufsatz, der 1995 erscheinen wird - waren Müllensiefen und Strauß jahrzehntelang in enger und besonderer Bruderschaft verbunden.

Wir kehren zurück zu kirchlichen Angelegenheiten im Raum Hemer. Vom Jahr 1818 an war die Stephanuskirche, in der Basse Gottesdienste hielt, die älteste evangelische Kirche der näheren Umgebung, denn die alte Vituskirche in Niederhemer wurde 1818 abgerissen, und die Kirche auf dem Ebberg wurde dann gebaut. Bekanntlich hatte die Ebbergkirche ursprünglich nach den Plänen des großen Baumeisters Schinkel anders aussehen sollen, doch wegen Geldmangels mußten sich die Hemeraner bescheiden. Daß ein Sympathisant der Herrnhuter Brüdergemeine, nämlich der bekannte Mühlenbauer Johann Hermann Stindt, der maßgebliche Baumeister der Ebbergkirche war, ist oben in dieser Arbeit bereits angeklungen. Bei der Grundsteinlegung der Ebbergkirche am 14.April 1819 war der eben genannte Landrat Müllensiefen (wie er selbst schreibt, zum ersten Mal in seiner "überreichen Galauniform") maßgeblich mit von der Partie, und im Jahr 1820 konnte die neue Kirche eingeweiht werden. Woeste schreibt in seiner Chronik zur neuen Kirche:

"Der Abbruch des alten Gebäudes begann im Jahre 1818, und am 26. April dieses Jahres ward zum letzten Male in demselben gepredigt. Während des Neubaus wurde den Evangelischen die Mitbenutzung der katholischen Kirche vergönnt. ... Am 14. April 1819 ward der Grundstein zu der neuen Kirche gelegt, und am 13. August 1820 konnte dieselbe eingeweiht werden"

Zu der Zeit übrigens muß auch die katholische Kirchengemeinde Hemer als selbständige Kirchengemeinde (und nicht mehr als private ‘Eigenkirche’ des Hauses Brabeck/Haus Hemer) entstanden sein. Dies ist ein typisches Beispiel für die Eigenständigkeit der ‘Reli-gionsparteien’ wie sie in jener Reformzeit vom preußischen König gewährt war. Gut für die katholische Kirche in Hemer war ein Akt, der unter Anwesenheit des oben genannten Landrats am 30.August 1825 in der Kirche St. Peter und Paul in Niederhemer stattfand, als sich der größte Teil der damals ca. 100 Deilinghofer Katholiken sich auf eigenen Antrag in Hemer einpfarren ließen. Die ‘All-Zu-ständigkeit’ der Deilinghofer und Hemeraner evangelischen Pastoren für beide Konfessionen hatte damit ein Ende.

Bei diesem Blick hinüber in die evangelische und die katholische Nachbargemeinde Hemer darf der in unserer Region bis heute bekannte Namen der damaligen Pfarrer Wulfert Vater und Sohn (Wulfert-Schule und Wulfertstraße in Hemer) nicht fehlen. Der verdienstvolle Hemeraner Pastor Johann Friedrich Wilhelm Wulfert (1760-1847; in Hemer seit 1803) war gleichsam der Bauherr der Ebbergkirche. Ihm wurde, während der Ebberg-Kirchen-Bau im vollen Gange war, im Juli 1819 sein Sohn Carl Friedrich Franz Wulfert (1791-1871) als Adjunkt (Hilfsprediger) beigegeben. Niemand konnte damals, wie Gudelius in seinem Wulfert-Aufsatz schreibt, "ahnen und voraussehen, daß diese Adjunktenzeit 28 Jahre dauern und der Sohn ein Gut Teil seines Lebens im Schatten des Vaters würde stehen müssen". Jedenfalls wurde Wulfert Vater, der sich auch für den Bau hiesiger Schulen maßgeblich einsetzte (1805 Westig, 1828 erweitert, 1822 Frönsberg, 1846 Ohlschule Niederhemer) und zur Gründung der evangelischen Kirchengemeinde Menden (1835) beitrug, ab 1821 zum Superintendenten der Kreissynode Iserlohn und 1824 zum Substituten des kränklichen Generalsuperintendenten und Synodalpräses Bädecker gewählt. Daß zwischen Basse in Deilinghofen und den Hemeraner Nachbarpfarrern Wulfert die ‘Chemie’ nicht besonders gut war, wird im folgenden etwa bei Deilinghofer Agendenstreit anklingen, wie es ja übrigens zum ‘Streit um Stephanopel’ oben auch schon erwähnt wurde.

Die verwaltungsmäßigen Änderungen und Reformen der nach-napoleonischen Zeit spiegeln sich auch deutlich im Deilinghofer Kirchenarchiv wider. Wir fügen hier drei instruktive Beispiele aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts an, die (1) die Schule, (2) das Presbyterium und (3) die Vermögensverwaltung der Kirchengemeinde betreffen.

Ad (1): In seiner verdienstvollen Schulchronik hat Gerd Herchenröder leider eine ganz wichtige umfangreiche Akte nicht berücksichtigt. Sie behandelt Schulsachen von 1822 bis 1921, darunter ist aus der Basse-Zeit die "Acta Wegen der Schule zu Deilinghofen, 1822" Die wichtigste Neuerung findet sich dort am Anfang, nämlich eine vom Schulinspektor Florschütz am 15.Mai 1822 ausgefertigte Schulordnung für die heimische Dorfschule. Man liest dort:

"§.1.

Die Schule zu Deilinghofen umfaßt die sämtliche Schuljugend der Evang. Gemeinde daselbst, so daß die Parochie zugleich auch der Schulbezirk ist.

§.2.

Alle Kinder in diesem Schulbezirke vom zurückgelegten 6 bis zum zurückgelegten 14 Jahre sind schulpflichtig, und muß von denselben das Schulgeld entrichtet werden, sie mögen die Schule besuchen oder nicht.

§.3.

Die Aufsicht über die Schule führt zunächst der Schulvorstand. Er besteht aus dem Prediger als Präses, aus dem zeitlichen Kirchmeister und aus zwey Vorstehern, die auf zwey Jahre gewählt werden."

Die Paragraphen 4 und 5 regelten dann, wie der Schulvorstand zu arbeiten und zu kontrollieren hatte; der abschließende § 6 aber ist sehr interessant, auch für heutige Schulkinder:

"Die festgesetzten öffentlichen Schulstunden sind vormittags von 9 bis 12 und nachmittags von 1 bis 4, ausgenommen mittwochs und sonnabends, wo nur vormittags Schule ist.

Als eigentliche Schulferien werden bestimmt und festgesetzt 8 Tage in der Roggen und 8 Tage in der Kartoffel Ernte."

Direkt dahinter angehängt finden sich zwei umfangreiche Listen aus den Jahren 1824 und 1825 über den Schulbesuch der 166 bzw. 158 schulpflichtigen Deilinghofer Kinder. Sie enthalten u.a. den Namen, das Alter, das Betragen und die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs. Mit letzterem war es bei vielen nicht weit her: einige kamen gar nicht, die meisten wenig und nur sehr wenige regelmäßig. Daß erklärt auch, weshalb die große Kinderschar in einer Schule unterkommen konnte, die nur 90 Plätze hatte.

Um diese Schulbesuchs-Listen gab es 1829 noch einen interessanten Streit, der in der gleichen Akte dokumentiert ist: Während Lehrer Marcks nur die fehlenden Kinder der ärmeren Deilinghofer vermerken und melden wollte, setzte sich Basse beim Bürgermeister Wiesemann dafür ein, daß alle Kinder gemeldet werden sollten. Basse konnte Marcks’ Vorgehensweise - wie er betonte - nämlich nicht mit seinem Gewissen vereinbaren.

Auch einen langen tagebuchartiger Bericht des ‘Schulpraktikanten’ und Pfarrerssohnes cand.theol. Stephan Heinrich Wilhelm Basse, enthält diese Akte. In diesem Bericht wird auch eine Schulvisitation in Deilinghofen protokolliert. Die Arbeit des Pfarrersohns gibt aufs detaillierteste Auskunft über Schulpraxis und Schulalltag vor 170 Jahren.

Ad (2): Während über die früheren Sitzungen des Consistoriums in Deilinghofen keine geordneten Protokolle vorlagen, brachte unser Pfarrer Basse im Jahr 1817 Ordnung in die Sache, und es wurde ein Protokollbuch für das Presbyterium angeschafft; schon 1824 wurde der Band 2 des Protokollbuchs begonnen. Übrigens finden wir seit der Union von 1817 (siehe oben) in diesen Presbyteriumsprotokollen nach und nach die heute kirchlich gebräuchlichen Begriffe wie Presbyterium, Kreissynode und Superintendent.

Die ersten Seiten des Buches von 1824 wurden durch viele neue Ordnungen gefüllt, die Basse in seiner fast unleserlichen Schrift niederzulegen hatte, so z.B. mit einem Entwurf zu einer Presbyterial-Ordnung, einer Kirchenvisitations-Ordnung und dem Plan zu einer Witwenversorgungsanstalt. Weiter folgen auf ca. 200 engbeschriebenen Seiten aufschlußreiche Sitzungsprotokolle sowie kirchliche Vorschriften und Abschriften von Synodalprotokollen. Könnte man Basses Schrift besser lesen, würde uns ein gutes Bild der presbyterialen Kleinarbeit bis zum Jahr 1836 vor Augen geführt. Wir belassen es dabei, aus diesem Buch zu zitieren, daß das Presbyterium "in Kirche, Pfarrhaus oder Schulstube zu tagen hatte, aber nie in einem Wirtshause".

Ad (3): Im Jahr 1829 wurde die evangelische Gemeinde Deilinghofen vom Landrat Peter Eberhard Müllensiefen aufgefordert, endlich ein Lagerbuch nach den inzwischen gültigen Normen anzufertigen. Dabei handelt es sich um ein genaues Verzeichnis des Kirchenvermögens und der kirchlichen Einkünfte. Man kam dem umgehend nach, fertigte einen Entwurf an und sandte ihn zur Genehmigung an den Landrat. Müllensiefen schickte eine Mängelliste zurück, die insofern interessant ist, als die dritte und vierte Seite für den Beginn einer Deilinghofer Chronik benutzt wurde

Das Fragment enthält eine phantastische, sagenhafte Herleitung des Ortsnamens Deilinghofen (von ‘drei Höfen’ her), eine relativ zutreffende Ausführung über mittelalterlichen Bergbau und Gewerbefleiß hier am Orte und eine Deutung der damaligen drei Bezeichnungen für das Felsenmeer (Helle, Graun und 3. - vermutlich Felsenmeer). Es ist bedauerlich, daß von dieser Chronik nur zwei Seiten zufällig erhalten blieben.

Im Zusammenhang mit dem Lagerbuch von 1829 stand eine generelle Sortierung aller kirchlichen Unterlagen und Archivalien, die im gleichen Jahr zur Einrichtung des Kirchenarchivs in der heute noch bestehenden Form führte. Dazu ist aus dem Protokollbuch des Presbyteriums unter dem 16.Juni 1829 zu lesen, daß die "schriftlichen Nachrichten und Dokumente der Gemeine ... in bester Ordnung im Archiv der Kirche niedergelegt" waren und daß dafür "ein eigener Schrank in 24 Abtheilungen ... in diesem Jahre angeschafft" wurde.)

Die theologisch wesentliche Neuerung in der Nach-Franzosenzeit ist hier am Schluß des Basse-Kapitels zu nennen: die Neueinführung der königlichen Agende und der daran sich entzündende Agendenstreit in Deilinghofen. Eine ‘Agende’, das wissen kirchlich Eingeweihte, ist das Buch, das in evangelischen Kirchen die Gottesdienstordnung, die Liturgie des Gottesdienstes, enthält mit Eingangs-psalm, Gebeten, vorgeschriebenen Lesungen usw. für jeden Sonn- und Feiertag im Kirchenjahr. Wie nun in der Zeit vor Pastor Basse der evangelische Gottesdienst in Deilinghofen gestaltet worden war, wissen wir leider nicht. Eher schlicht und einfach dürfte er gewesen sein, so, wie der jeweilige Pfarrer es mochte oder konnte. Basse führte dazu aus:

"Ich habe beym Antritt meines Amtes keine Agende vorgefunden. Nach den Jahren 1804 habe ich mit unter die Schleswig=Holsteinische Kirchen=Agende vom Jahre 1797 gebraucht, jedoch nicht immer".

Aber genau dieser Ist-Zustand war nicht im Sinne des damaligen preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Sein Ziel war es, kirchliche Dinge einheitlich zu ordnen, man könnte fast sagen als eine Art ‘preußischer Papst’, der - wie in der katholischen Kirche üblich - alles zentralisiert und ‘von oben her’ dirigiert. Ein erster Schritt in dieser Richtung war die oben angeführte Union von Lutheranern und Reformierten seit 1817. Sein anderer ‘Lieblingsplan’ war die von ihm erlassene und selbstgestaltete Agende für einen einheitlichen besonders feierlichen Gottesdienst in ganz Preußen. Aber gerade diese Agende wurde im gesamten Land auf's heftigste befehdet, und das Stichwort ‘Agendenstreit’ gehört seitdem zum Standardwissen eines jeden Studenten, der sich mit preußischer Kirchengeschichte befaßt hat.

In dem renommierten Fachlexikon ‘Die Religion in Geschichte und Gegenwart’ liest man unter ‘Agendenstreit’ folgendes:

"Der A[gende]. hängt eng zusammen mit der Einführung der kirchlichen ... Union in Preußen, die nach dem Willen Friedrich Wilhelms III., angesichts der seit der Aufklärung verwilderten Verhältnisse, von einer Reform der Liturgie begleitet sein sollte. Sein auf straffe gottesdienstliche Ordnung gerichteter Sinn ertrug es nicht, daß ‘jeder unverständige Priester seine ungewaschenen Einfälle zu Markte bringt, modeln und ändern will, was die unsterblichen Reformatoren Luther und Melanchthon gemacht und angeordnet haben’. Was im Heer die Parade, das war ihm im Gottesdienst die Liturgie, deren Ordnung nach seiner Auffassung vom Kirchenregiment zu den Rechten des ev. Landsherrn gehöre. Aber schon die 1816 und 1817 aufgestellten Entwürfe erfuhren den lebhaftesten Widerspruch ... Der Widerstand verstärkte sich, als der König durch Kabinettsordre vom 19.2.1822 die Verteilung der Weihnachten 1821 veröffentlichte 'Kirchenagende für die Königl. Preuß. Armee' an alle Geistlichen der Landeskirche anordnete. Der Einspruch richtete sich u.a. gegen die Spendeformeln, sodann gegen den katholisierenden Gesamtcharakter der Agende, die Predigt und Gemeindegesang in den Hintergrund dränge. ... Der ausbrechende Streit wurde in einer großen Zahl von Flug- und Denkschriften ausgetragen. Der von so viel Widerspruch überraschte König griff selbst mit anonymen Flugschriften in den Kampf ein".

Während man im größeren östlichen Teil von Preußen die neue Agende weitgehend akzeptierte, lehnte man sie in unserer Gegend ab. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, daß zur Annahme der Agende nur die Synoden und die einzelnen Pfarrer zuständig waren, nicht aber die Gemeinde.

Die Deilinghofer ‘Spezialität’ im Agendenstreit war nun, daß hier Pfarrer Basse ein ‘Ja mit Einschränkungen’, ein ‘Jein’ zur königlichen Agende sagte. Die erste Umfrage wegen der Agende fand 1822 statt. Basse schrieb später dazu:

"Schon bey der ersten Aufforderung durch den damaligen Kreis=Superinten-denten Herrn Pastor Wulfert, hatte ich mich für die Annahme der berliner Agende erklärt, mit dem Zusatz: so weit die Ausführung derselben in hiesiger Gemeine thunlich sey".

Wulfert, der Hemeraner Kollege, verwarf Basses Vorstellung und erklärte, daß es nur ein Ja oder Nein geben könnte, wofür Basse aber kein Verständnis zeigte.

Basse hatte - das war der Hintergrund seiner Position - überaus enge Beziehungen nach Potsdam. Der außer dem König wichtigste Mann in preußischen Agendenangelegenheiten, nämlich der Bischof Dr. Rulemann Friedrich Eylert (1770-1852), ein immerhin eines Lexikonartikels in ‘Religion in Geschichte und Gegenwart’ gewürdigter Theologe und Kirchenpolitiker, war mit Basse persönlich befreundet. Der aus Hamm stammende Bischof Eylert besuchte Basse auch des öfteren in Deilinghofen, wobei meist der Anlaß war, daß Eylerts Ehefrau einen Besuch in ihrem Iserlohner Elternhaus machte. Bemerkenswert ist dabei durchaus, daß die Frau von Bischof Eylert, Friederike Löbbecke (1751-1854) Tochter jenes Johann Hermann Löbbecke war, der das von den Basses gepachtete Gut Berentrop 1786 übernommen hatte.

Dieser mit unserem Basse befreundete Rulemann Friedrich Eylert war also mit einiger Sicherheit der bisher prominenteste Besucher des Alten Pastorats, dieses besonderen Hauses, das der Dümpelmann-Freund Johann Abraham Strauß Jahre zuvor zu seinem Segen besucht hatte, also der Vater des Oberhofpredigers Strauß, der mit Eylert in Potsdam eng verbunden war.

Auf Eylert als Gewährsmann berief sich Basse gegenüber Wulfert, als Basse diesem entgegnete, "daß meine Erklärung wäre hinreichend gewesen". Die Sache ruhte nun bis zum Jahre 1826, als sich das königliche Ministerium dann nicht mit Basses Modifikationen anfreunden konnte. Der damalige Superintendent Rauschenbusch aus Altena erhielt vom königlichen Consistorium in Münster die Aufforderung, einen Bericht über Basses Modifikation, sein o.g. ‘Jein’, zu erstellen. Eylert höchstselbst schrieb aus Potsdam fast zeitgleich an Basse und informierte den Freund über den Bericht des Consistoriums in Münster an die Regierung. Eylert widersprach in diesem Brief vom 11.April 1826 den Auffassungen Basses:

"Dabei muß nothwendig ein Mißverständniß obwalten, denn dergleichen schriftliche Verhandlungen haben zwischen uns nie statt gefunden; und wenn ich mich gleich erinnere, bei meiner letzten Anwesenheit im Vaterlande [gemeint ist: die Grafschaft Mark!], in Deiner Gegenwart gesagt zu haben: es komme bei der Einführung der neuen Kirchenagende, vorzüglich auf die Lehrweisheit des jedesmaligen Pfarrers an, so kann ich doch nimmermehr gesagt haben - es sei ihm gestattet die Agende unter willkürlichen Modificationen anzunehmen und einzuführen, weil dies dem ausdrücklichen Befehl S. Majestät des Königs zuwider, und nach meiner eigenen Überzeugung unstatthaft ist. - Ich muß Dich daher, mein lieber Freund, bitten, über die in Rede stehende seltsame Äußerung, der Hochehrwürdigen Conistorii zu Münster mit umgehender Post mir Auskunft zu geben, und zwar so, daß ich von Deinem Schreiben einen offiziellen Gebrauch machen kann. Im Voraus bin ich überzeugt, daß Du keine Unwahrheit hast sagen können, und bleibe ich mit herzlichen Empfehlungen an Dich und Deine liebe Frau

Dein

aufrichtiger Freund

Dr. Eylert".

In diesem äußerst denkwürdigen Brief, einem der hochkarätigsten Dokumente in unserem Archiv, ging es also offensichtlich um einen seltsamen Eiertanz um die Wahrheit, wobei sich dem Betrachter von außen der Eindruck nahelegt, daß Basses prominenter Freund in Potsdam ein wenig die Wahrheit zu seinen Gunsten hinbiegen wollte und - aus Staatsräson-Gründen - das in Abrede stellt, was zuvor vermutlich wirklich zwischen den Freunden besprochen worden war. Man könnte nach der Aktenlage unseres Archivs und besonders nach diesem Eylert-Brief auch begründet annehmen, daß der mit der Durchsetzung der Agende maßgebliche befaßte Bischof aus Potsdam mit dem ‘kleinen Landpfarrer’ Basse schon lange vor dem Bekanntwerden der Agende in unserem Alten Pastorat über höchst sensible Religionsplanungen des Königs diskutiert hatte. Dieser Brief ist in dem Sinne ein ganz faszinierendes Beispiel dafür, wie im
Verhältnis von Basse und Eylert Informell-Persönliches ganz dicht mit höchst Politischem verbunden war. Eylerts in der Deilinghofer Angelegenheit sich zeigende Art, ‘sein Fell zu retten’, erinnert uns sehr an den einschlägigen Lexikonartikel über ihn, in dem sein Wesen so charakterisiert wird:

"Seine geschmeidige und anpassungsfähige Natur, die eigene Konturen nicht aufwies und die Entscheidungen lieber im Kompromiß suchte, machte ihn zum Hofprälaten geeignet" Woanders heißt es von Basses Freund, daß "der schmiegsame und eitle Friedr. Eylert ... weder Tiefe der Bildung noch Festigkeit des Charakters genug besaß, den König recht zu beraten".

Vermutlich wäre im Blick auf Schmiegsamkeit und Geschmeidigkeit Basse aber nicht viel anders zu beschreiben. Das zeigte damals im April 1826 sein umgehendes Antwortschreiben an den Superintendenten Rauschenbusch. Er gab an, sich keine willkürlichen Modifikationen erlauben zu wollen und redete sich weiter damit heraus, seine Gemeinde hätte lediglich Schwierigkeiten bei der vorgeschriebenen Einrichtung eines vierstimmigen Chores. Mehr hätte er nie ändern wollen, und mehr hätte er mit Eylert zuvor auch nicht besprochen.

Am 21.Juni 1826 erklärte Basse:

"Sobald ich im Besitz der neuesten Agende bin, werde ich sie sofort einführen und bey Amtsverrichtungen gebrauchen".

Mit Post vom 9.September erhielt er aus Münster das gewünschte Agendenexemplar, und am 8.Oktober wurde in Deilinghofen die neue Agende eingeführt.

Doch zuvor noch zeigte Dr. Eylert aus Potsdam dem Freund Basse seine Dankbarkeit (wobei wir es so deuten möchten, daß er dankbar war für Basses kleine Mogelei, daß dieser Eylerts ursprüngliche Stützung der Basseschen Modifikationen schließlich ‘herunter-gespielt’ hatte). Basse, der übrigens schon seit 1820 eine jährliche außerordentliche Gehaltszulage von 50 Talern erhalten hatte, bekam in einem Brief Eylerts vom 3.August 1826 in Anlage das königlich-preußische Bewilligungsschreiben über eine Unterstützung von 100 Talern. Aus dem amtlichen Schreiben geht nicht hervor, wofür das Geld gedacht war. Eylert aber in dem dazugehörigen persönlichen Brief an Basse nannte die ‘Unterstützung’ sinnigerweise "Gratification" (!), und er selbst setzte in Klammern eine ‘amtliche’ plausible Begründung hinzu: "Zur Fortsetzung der Studien Deines Sohnes". In diesem Brief kündigte er an, den Freund Basse sehr bald besuchen zu wollen, und er schloß den Brief mit den warmen Worten: "Von Herzen Dein alter treuer Freund Eylert", und er setzte unter das Datum an das Ende des Briefes ein kerniges "vivat Rex!"

Durch diesen Erfolg ermuntert (und vielleicht auch durch Dr. Eylerts dann - vermutlich - folgenden Besuch im Alten Pastorat bestärkt), versuchte Basse nach der Agendeneinführung am 8.Oktober 1826 vollends die Gunst der Stunde zu nutzen und sein Wohlverhalten in ‘klingende Münze’ umzusetzen. Basse entwarf bereits am 22.Oktober jenes Jahres ein vier Seiten umfassendes Gesuch, das er aber erst am 12. Februar 1827 an den preußischen König richtete. Es ging um die dringlich nötige Reparatur der Stephanuskirche, von der die Kosten auf 3000 Taler veranschlagt wurden. Basse bezeichnete die Stephanuskirche in dem Schreiben an den König als eine der ältesten Kirchen der Umgebung, noch aus dem 11.Jahrhundert stammend. Basses Bitte lautete dann:

"Der hiesigen Gemeinde, die zum größten Theil arm ist, eine Kirchen= und Haus Collekte zu bewilligen, wenn auch nicht in der ganzen Monarchie, doch wenigstens in den Provinzen diesseits der Weser".

Basse berichtete dem König noch, wie die Agende eingeführt wurde und wie wertvoll und zweckmäßig sie wäre, wobei er die Begeisterung der Deilinghofer über die Agende in buntesten Farben schilderte, eine Darstellung, die, wie zu zeigen ist, mit den Tatsachen nicht sehr viel zu tun hatte.

Während wir im Vorigen sozusagen ‘Pastor Carl Basses Agendenstreit’ nachgezeichnet haben, seinen Weg von ‘Jein’ zum ‘Ja’ im Blick auf die Agende, ist nun auf den eigentlichen Deilinghofer Agendenstreit einzugehen.

Am 20.Mai 1827 beschwerten sich 35 Deilinghofer ‘Eingesessene’ (am 6.Juni folgten noch sieben weitere) beim Superintendenten und forderten die sofortige Einstellung des Gebrauches:

Sie "verlangten daß nach rein Lutherischen Lehrsätzen und Gebrauch so wie es von alten Zeiten her geschehen ist, gelehret und gepredigt werde so wie es dem Prediger in seiner Vocation vorgeschrieben ist und die Kinder auf das reine Lutherische Glaubensbekenntniß verpflichtet [werden], die Agende wollen wir nicht eher in unserer Kirche haben, bis daß ein Königs Befehl da ist, daß alle Gemeinen im Preußischen Lande sie annehmen müssen". Praktisch alle Honoratioren und Alteingesessenen Deilinghofens unterschrieben diese Forderung.

Ganz sicherlich sprach aus diesem Protest nicht bloß das Glaubensargument, bitteschön beim Althergebrachten zu bleiben, sondern auch sozusagen ‘die Kirche von unten’, die sich vom Alleingang ihres Pastors, der mit dem Potsdamer Hof so ‘gut konnte’, übergangen fühlte.

Basses Verteidigung folgte am 7.Juni 1827, wobei er sich geradezu in Rage schrieb und vor dem ‘Waschen schmutziger Wäsche’ nicht zurückschreckte. U.a. warf er darin dem Küster und Schullehrer Marcks vor, dieser würde die Kirche nicht richtig sauberhalten, was sogar der Landrat Müllensiefen schon bemängelt hätte, und er pochte darauf, "daß ich Pfarrherr bin; daß ich das unveräußerliche Recht habe, nicht bloß die Erwachsenen, sondern auch die Jugend in der Kirche zu unterrichten". Daß damals die ‘Chemie’ zwischen Lehrer und Pfarrer nicht gut war, sieht man daraus, daß der Schullehrer Marcks seinen am 8.Juli 1811 geborenen Sohn Gottfried Adolph Marcks 1827 aus dem genannten Unterricht nahm, was Basse zu einem bitterbösen Beschwerdebrief an den Lehrer veranlaßte. Das Fazit von Basses Entgegnung war, daß er im Blick auf die Agende bei seinem Standpunkt bleiben wollte, und zwar so lange, "bis mich unser geliebter König und Landesvater davon dispensirt".

Am 24.Juni 1827 versuchte Carl Franz Friedrich Basse noch einmal, die Wogen zu glätten und sich zu rechtfertigen, nämlich in seiner großen öffentlichen Rede, die wir im Anhangsteil dieses Heftes als Beilage 3 zugegeben haben und deshalb hier nicht weiter charakterisieren müssen. Doch sie half nichts mehr. Drei Tage später, am 27.Juni 1827, fand eine Versammlung statt, an der der synodale Vorstand des Kirchenkreises, ferner Vertreter der streitbaren Agendengegner und eben Pfarrer Basse in Iserlohn über den Gebrauch der Agende in Deilinghofen verhandelten mit dem Ergebnis:

"Der über die Einführung der Agende erhobene Streit, wurde nach langer und vielseitiger Beredung der Sache dahin befriedigt, daß der Herr Pfarrer Basse erklärte von künftigem Sonntag ab die Berl. Agende nicht weiter zu gebrauchen und den alten Kirchenritus wieder einzuführen".

Damit saß Basse zwischen allen Stühlen: von oben bekam er Druck vom König (und sicherlich auch von seinem Freund, dessen ‘Lieblingskind’ genauso die Agende war), und von unten sah er der sich mit der ‘Gemeinde-Basis’ konfrontiert, die gegen ihren Pastor den Sieg davongetragen hatte.

Irgendwann aber muß sich Basse dann doch wieder durchgerungen haben, seinem König zu folgen und die Agende zu gebrauchen, was zu einer riesengroßen Verbitterung in der Gemeinde führte, wie die Kirchenakten ausführlich belegen. Daß nicht nur Lehrer Marcks und seine Frau, sondern auch zwölf andere Elternpaare ihre Kinder aus diesem Grund 1828 sogar woanders konfirmieren lassen wollten, gehörte in diesem Gemeindeskandal hinein. Während ‘von unten’ die Gemeinde mit Streik und Gewaltaktionen reagierte, war Basse natürlich auf der Seite der Stärkeren, die ihm ‘von oben her’ außergewöhnliche finanzielle Unterstützungen zusagten und 1829 auch gewährten. Wie überall in Preußen setzte sich auch hier am Ort die neue Agende des Königs durch, und vermutlich beruhigten sich die Gemüter allmählich - oder besser, wie wir zum Nachfolger Josephson sehen werden: vorübergehend etwas ...

Doch in Deilinghofen wurde es für Basse niemals mehr, wie es vorher war. Der Amtsnachfolger August Limborg vermerkte in einer Ergänzung der Deilinghofer ‘Woeste-Chronik’ im Lagerbuch von 1841 zu Basses Situation aufgrund des Agendenstreits an diesem Ort Folgendes:

"Die Einführung der neuen Agende beim Gottesdienst in der guten Absicht, der dürftigen Gemeinde zur Reparatur ihrer verfallenen Institutengebäude eine Unterstützung aus Staatsmitteln zuzuwenden, verwickelte ihn in Streitigkeiten mit der Gemeinde, die von benachbarter Seite genährt einen so gehässigen Charakter annahmen, daß ihm Nachts die Gartenfrüchte zerstört wurden. Die sogenannten ‘Kappsmäher’ mußten ihr Verbrechen mit Geld und Zuchthausstrafen büßen", wobei in einer späteren Auflage dieser Chronik in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts Lehrer Schauff den Text dahingehend interpretierte, daß die Streitigkeiten von der benachbarten Gemeinde in Hemer, von Pfarrer Wulfert, genährt wurden.

4. "Glück blüht nicht jeglichem ...". Zu Pastor Basses letzten Jahren, seinem Tod und seinem Grabstein

Unser Deilinghofer Kirchenarchiv gibt für die letzten vier Jahre der Basse-Zeit nicht allzu viel her. Das dürfte bedingt sein durch die genannten Streitigkeiten Basses mit Lehrer Marcks, der auch als Privatschreiber für Basse fungiert hatte und seine Tätigkeit nicht mehr so wahrnahm wie früher.

Wir wissen aber, daß es in diesen Jahren zu einigen größeren Reparaturen am Kirchengebäude kam. Wir zitieren dazu aus den Akten von Lehrer Friedrich Schauff, die wir von Wilhelmine Eßbaum erhielten, einen Text aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, in dem es nach einer damaligen Turmrenovierung um 1923 heißt:

Bei der kürzlichen Abnahme des Wetterhahnes "fand man in dem sogenannten Turmknauf der Kugel eine Bleiplatte mit Inschriften aus dem Jahr 1833. Diese Inschriften beziehen sich auf die damals erfolgte durchgreifende Reparatur der Deilinghofer Kirche durch den Zimmermeister Johann Dietrich Ebberg daselbst. Aus der Zeit um 1833 ist noch Folgendes bekannt: ... [Es folgt ein langer Abschnitt über den Agendenstreit, der eine vorzeitige Reparatur ständig herausgeschoben hatte.] So verzögerte sich die Sache weiter bis zu dem Jahre 1831/32. Als nun nochmals eine neue Lokalrevision die ganze Kirche als der Auflösung nahe bezeichnete, drang die Aufsichtsbehörde auf eine durchgehende Reparatur. Die Arbeiten wurden in den Jahren 1832 und 1833 in Angriff genommen und vollendet. Die Instandsetzung, Abbruch des alten Kirchendaches und Herstellung eines neuen, ferner Abbruch des alten und Bau eines neuen Turmdaches und Reparatur am Mauerwerk des Turmes wurde zu 1145 Talern veranschlagt. Durch kommunale Umlage waren vorhanden 245 Taler. Der Rest von 900 Talern wurde von der damaligen Provinzialhilfskasse in Münster angeliehen, gegen eine Tilgung in 16 Jahren. Die Arbeiten wurden dem Zimmermeister Johann Dietrich Ebberg zu Deilinghofen übertragen, der sie für 1380 Taler insgesamt ausführt hat. Das Defizit von 235 Talern wurde durch kommunale Umlage aufgebracht. Diese Instandsetzung, durch die das Gebäude die heute Form erhalten hat [sic!!!], hat sich bis zur Gegenwart erhalten.

Der Turm mußte, da das obere Mauerwerk durch das Eindringen des Regenwassers fast gänzlich zerstört war, damals - um einige Meter verkürzt werden".

Es handelt sich bei dem in diesem Zitat Beschriebenen um die größte für jedermann sichtbare ‘kirchliche Veränderung’ in Basses Zeit. Es muß dem alten und kranken Pastor Basse schwergefallen sein, diese Veränderung mitanzusehen und wahrscheinlich gar nicht mehr viel Einfluß darauf gehabt zu haben. Die Reparatur war nichts anderes als ein Notprogramm, das von Basses einstigen Renovie-rungsträumen weit entfernt war.

Noch heute fallen dem aufmerksamen Betrachter die unausgewogenen Proportionen des Kirchengebäudes auf. Vergleiche mit Höhenangaben vom Turm und vom Kirchendach aus der ältesten Kirchenbeschreibung im Lagerbuch von 1829, ergeben, daß heute die Kirchturmspitze sage und schreibe zehn Meter niedriger ist als damals und daß das eigentliche Kirchendach heute etwa fünf Meter niedriger ist. Es ist auch fraglich, ob damals schon, wie das heute der Fall ist, das Dach über dem Kirchenschiff genauso hoch war wie das Dach über dem Chor. Wir nehmen an, daß das Chordach damals die heutige Höhe bereits hatte und der Rest der Kirche eben jene fünf Meter höher war. Der bemerkenswerte eben zitierte Text aus den Schauff-Akten wirft für uns freilich eine Frage der historischen Datierung auf: Laut dem damaligen Protokollbuch des Presbyteriums lassen sich Reparaturarbeiten nur für 1830 belegen und auch Limborg ergänzt Woestes Deilinghofer Kirchenchronik zu diesem Punkt mit dem gleichen Jahr 1830.

Über tatsächliche Reparaturarbeiten haben wir erst für das Jahr 1832 einen Aktenbeleg gefunden. Basse führt aus, daß Anfang Juli 1832 mit dem Abbruch des Kirchendaches begonnen wurde. Danach erneuerte man den Dachstuhl, und der Schieferdecker "Joh. Rau schlug [am 22.September] den ersten Nagel: das Werk ging rasch von Statte".

Daß dann 1833, jenes Jahr, das im Turmknauf des Wetterhahns auf der Bleiplatte eingraviert sein soll (man müßte mal nachgucken, ob 1833 noch darinsteht ...), den absolut letzten Reparaturabschluß mit Draufsetzen des neu vergoldeten Hahnes, markiert, ist anzunehmen. Das gesamte Renovierungsprogramm, die Kirche so ‘tieferzulegen’, zog sich über drei Jahre von 1830 bis 1833 hin; aus dem Jahre 1833 jedenfalls haben wir ein Zeugnis,

"daß sie [die Deilinghofer Gemeinde] jetzt mit dem Neubau des Thurmes daselbst belästiget ist".

Wie aus den Akten des Deilinghofer Kirchenarchivs zu ersehen ist, muß unser Pastor Basse schon seit Ende der 20er Jahre unter einem sich ständig verschlechternden Gesundheitszustand gelitten haben. Am 4.Mai 1833 schreibt dazu der Superintendent Hülsemann, daß

"nach dem beiliegenden Zeugnisse ... seine Engbrüstigkeit seit zwei Jahren zunahm und er in diesem Jahre nicht mehr im Stande war, alle seine Amtsgeschäfte zu versehen" und fährt fort: "allein mehrere Besuche, die ich dem kranken Bruder machte, überzeugten mich, daß seine Krankheit zugenommen" habe und daß er "aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende dieses Jahres nicht erleben wird".

Interessant ist, daß diese Krankheit sich just - wie Hülsemann hier schrieb - 1831 bereits verschlechtert hatte, in dem Jahr, als Basse (wie bereits erwähnt) seinen Sohn als Pfarrer nach Erntebrück ziehen lassen mußte, den er vielleicht im Stillen als einen Nachfolger erhofft hatte.

Aus einem Schreiben vom 9.Mai 1832 geht hervor, daß Basse bereits bettlägerig war. Eine schon damals angestrebte Pensionierung auf Gemeindekosten scheiterte an der Armut der Gemeinde, weswegen ein langwieriges Verfahren betrieben wurde, daß der König die Kosten zahlen möchte. In dieser Zeit schon wurde in jenem Schreiben die Nachfolgefrage gestellt (was freilich Basses Pensionierung zur Voraussetzung hatte), und auch der Name des Kandidaten Josephson tauchte hier das erste Mal auf: daß damals bereits "der Candidat Josephson ... den Pfarrer Basse in Deilinghofen unterstützt" hat! Es handelte sich um jenen Carl Ludwig Josephson (1711-1788), der später als 13.Pfarrer nach der Reformation in Deilinghofen gewählt wurde und dann aber nicht bestätigt, wie im letzten Kapitel dieses Heftes auszuführen sein wird.

In seinem kurz vor dem Tode geschriebenen Lebenslauf liest man sogar, daß der sehr gebrechliche Gemeindepfarrer Basse in den letzten Jahren vom Alten Pastorat in die Stephanuskirche gefahren werden mußte, wo er bis zum letzten auch noch versuchte, Gottesdienst zu halten und für seine Gemeinde dazusein. So schrieb er in seinem Pensionierungsantrag vom 8.April 1833 wenige Tage vor seinem Tod folgendes:

"Die äußeren Umstände, in welchen ich mich befinde, ... haben sich nicht mehr geändert - aber die Last des Alters ist mir schwer geworden, seitdem ... zunehmende Engbrüstigkeit mich an das Haus - wohl an das Bett gefesselt und mir schon seit einigen Wochen die Kanzel verboten wird. Ich muß auch ungern freilich, das Band zwischen mir und der Gemeinde lösen das mir 36jährige Gemeinschaft meiner Herzen theuer und werth machte"; der todkranke Basse bat in diesem Brief weiter um Regelung der Finanzen nach der Pensionierung und "daß der Herr meine Wünsche erhören werde, mir einen treuen Nachfolger zu geben".

Das Interessanteste an diesem Gesuch vom 8.April 1833 aber ist, womit der sieche Pastor Basse seinen Brief einleitet:

"Hochwohlgeborener Freiherr!

Hochgebietender Herr Oberpräsident!

Ew. Excellenz lege ich nachstehende Bitte mit dem Vertrauen vor, welches mir die Erinnerung an Ehrw. freundliche Gewogenheit der ich schon so Vieles verdanke, einflößt", und zu dieser Gewogenheit gehörte es, daß jenem Freiherrn die oben erwähnten äußeren Umstände bestens bekannt waren, denn dazu lesen wir in Basses Brief weiter: diese "habe ich Ew. Excellenz schon vor mehreren Jahren, als ich mich Pfarrhause Ihrer Gegenwart erfreuen durfte, vorzutragen die Ehre gehabt".

Adressat dieses Briefes ist kein Geringerer als der bedeutende Mann, nach dem die Vincke-Straße in Iserlohns Fußgängerzone (und die Westiger Straße am Stadtrand von Iserlohn) benannt ist: der Oberpräsident der Provinz Westfalen Freiherr Ludwig von Vincke (1774-1844), der also auch höchstselbst im Deilinghofer Alten Pastorat, dessen Geschichte wir hier beschreiben, zugegen gewesen war. Freiherr von Vincke, mit dem übrigens auch Pastor Johann Abraham Strauß in Iserlohn besten Kontakt hatte und der wie Strauß den westfälischen Bauernkittel bewußt als eine Art Markenzeichen trug, darf sich nun mit Bischof Eylert darum streiten, wer der prominenteste Mann war, der seinen Fuß über die Schwelle des Alten Pastorats setzte (das - nur am Rande bemerkt - in diesem Brief zum ersten Mal mit dem Begriff "Pfarrhaus" bezeichnet wird, soweit wir sehen).

Allen Pensionierungsbemühungen Basses machte schließlich sehr bald der Tod ein Ende. Am Todestag, dem 25.Mai 1833, teilte der Helfer, Kandidat Carl Ludwig Josephson, dem Superintendenten mit:

"Mit wenigen Worten erfülle ich die traurige Pflicht, Ihnen den diesen Morgen drei Uhr erfolgten Tod des geliebten Pastors Basse zu melden. Schon seit einigen Tagen waren wir auf denselben vorbereitet, da das Wasser bereits bis in den Kopf gestiegen war. Sein Ende war übrigens ruhig und ohne Leiden, wofür wir dem Herrn nicht genug danken können. Gelobet sei sein großer Name! Das Leichenbegräbnis ist auf Pfingsten Montag Nachmittag 2 - 3 Uhr festgesetzt".

Basses bemerkenswerte Witwe Charlotte beschrieb das gleiche Ereignis und den vorangegangenen Leidensmonat aus ihrer Sicht so:

"Den 29ten April 1833 besuchte uns auf Verlangen des Vaters unser Sohn, der Pfarrer zu Erdtebrück, nebst unserm kleinen Sohn Eduard. Sie fanden den Vater sehr krank, und wir trauerten gemeinschaftlich des kranken Vaters. Am 4ten Mai reichte uns unser Sohn auf Verlangenen des Vaters gemeinschaftlich, nemlich Vater, Mutter, Carl, Ludwig und Heinrich selbst, das heilige Abendmahl, wobei de Vater ganz sich bewußt und ruhig und heiter war. Beim Anfang dieser Handlung war der Sohn so angegriffen, daß er eine Viertelstunde nötig hattr, um sich zu fassen, wobei er unter lautem Schluchzen und weinen zubrachte. Hierauf ging es ganz gut, und ohne Unterbrechung stramm und feierlich von statten. Den 8ten Mai reisten die beiden Söhne wieder ab, mit schwerem Herzen eingedenk des kranken Vaters. Bis den 22ten trug sich nichts bemerkenswertes zu, bis dahin hatte sich der Zusatnd des Vaters so wieder gebessert, daß er mit Hülfe auf die Treppe ging, wo er dann gewöhnlich eine Stunde saß und sich des Frühlings freute. Wir sind die meisten Nächte bei ihm gewesen, er war bei seinen gänzlich schlaflosen Nächten höchst geduldig und ließ uns gern schlafen. Den 22ten verschlechterte sich sein Zustand merklich, die Geschwulst zog sich immer höher, und er konnte nicht mehr aufstehen, wir ahnten den schlimmen Zustand, er behauptete, es sei besser mit ihm. Am 23ten wurde der Vater immer schwächer, die Stimme verließ ihn gänzlich.Den 24ten, war sein letztes Wort, was ich im ganzen von ihm gehört habe, auf meine Frage, wie er sich befinde, gut! Er soll noch später zwei mal meinen Namen genannt haben, außerdem lag er ohne besondere Besinnung schlummernd. Den 25ten Mai Morgens, 3-4 Uhr verschied er ruhig und sanft in meinen Armen. Wie er sein ganzes Bestreben auf das Wohl seiner Kinder gerichtet hat, weiß jeder. Wir, die Hinterbliebenen, ehren sein Andenken, und noch spätere Enkel haben Ursache, den Tod des Biedermannes zu betrauern".

Der Pfingstmontag des Begräbnisses von Basse war der 27.Mai 1833. Wulfert sen. aus Hemer hielt die Leichenpredigt, Pastor Lud-wig Hülsmann aus Iserlohn (dort später dann 1848 Superintendent), übrigens ein guter Freund der Familie Basse, hielt dann die Grabrede, und sein ‘Beinahe-Namensvetter’, der derzeit amtierende Superintendent Peter Melchior Wilhelm Hülsemann aus Elsey sprach am Ende wohl auch noch einige Worte am Grab, wie aus einem Zirkularschreiben, das sich im Deilinghofer Kirchenarchiv befindet, hervorgeht.

Es muß eine große Beerdigung gewesen sein, für die sich sogar noch die Kirchengemeinde einige Tage vorher noch in Unkosten gestürzt hatte: "Es wurde noch beschlossen, daß ein neues schwarzes Leichentuch, welches bei Begräbnissen über die Särge gelegt wird, angeschafft werden solle", liest man zum 4.Mai 1833 im Protokollbuch des Presbyteriums, im Blick auf eine Sitzung übrigens, die Basses Sohn, der Pfarrer aus Erndtebrück leitete!

Carl Franz Friedrich Basse wurde auf dem Friedhof an der Stephanuskirche beerdigt. Da ist der Grabstein heute noch an der Kirchhofsmauer (neben dem Grabstein Pastor Limborgs) zu finden.

Ganz falsch ist das früher oft zu hörende böse Wort, daß in Deilinghofen noch kein Pastor beerdigt wurde. Nach dem, der vor Basse als Amtsvorgänger in Deilinghofen starb und in der Kirche beerdigt wurde, nämlich Pastor Dümpelmann, war Basse der erste Pfarrer, der in Deilinghofen nicht mehr in der Kirche, sondern auf dem Friedhof an der Kirche beerdigt werden mußte. Grund für diese Änderung war ein Beerdigungsverbot innerhalb von Kirchen durch die preußische Regierung in den 90er Jahren des 18.Jahrhunderts. Bis dahin muß es in Deilinghofen Recht und Usus gewesen sein, daß die hier gestorbenen Pastoren (wie die Adeligen) in der Kirche beerdigt wurden (denn nach dem Grabstättenverzeichnis hatten die in Deilinghofen gestorbenen Pastoren Mollerus I und II - im Gegensatz zu ihrem Verwandten, Küster Mollerus - keine Grabstätte

.Von Basses Ehefrau Lotte, die bis in die Zeit Limborgs hinein prägende Spuren in der hiesigen Gemeindearbeit hinterließ und besonders auch - wie zu zeigen ist- den Kandidaten Carl Ludwig Josephson als ausersehenen Nachfolger ihres Mannes unterstützte, haben wir (über ihre eben zitierten Worte zum Sterben Basses hinaus) einen weiteren eindrucksvollen Kommentar zum Leben und Sterben ihres Mannes. Es ist der recht ungewöhnliche und überaus nachdenkswerte Text auf dem Basseschen Grabstein, den Lotte wohl verfaßte, und den man bis heute dort an der Kirchhofsmauer lesen kann:

"C. F. F. BASSE

gebo. in Altena d. 14. Septbr.

1767 gest. d. 25. Mai 1833.

Hier Pfarrer vom 27.

Juli 1797 bis an sein Ende.

Wer in den Tagen der Zukunft

den Friedhof besuchend des Tod-

ten gedenket bei diesem einfa-

chen Stein, dem diene zur Nach-

richt: Glück blühet nicht

jeglichem, doch droben, wo gu-

ter Wille für That gilt, da wird

er als Saat erblühen und reifen."

 

 

Beilage 3:

Die Basse-Rede zur Agendenreform (bearbeitet von Harald Korsch-Gerdes)

Rede, gehalten an meine Gemeinde den 24. Juni 1827 nach einer kurzen Predigt über das Evangelium zum großen Abendmahl:

Ich fühle mich verbunden, über die Königliche Anordnung (K.A.), die seit dem 8. Oktober v. J. in unserer Kirche bei allen gottesdienstlichen Handlungen ist eingeführt worden, einige freundschaftliche Worte hier öffentlich zur Belehrung und Beherzigung zu sagen, da ich Euch liebe Gemeindeglieder bemerken: daß es der Wunsch unseres Allergnädigsten Königs und Landesvaters ist, diese K.A. in allen Gemeinden der Königlichen Staaten eingeführt zu sehen, und daß unter den 7000 Gemeinden schon 5000 sind, worunter auch wir gehören, welche dieselbe bereits angenommen haben. Ich muß Euch bemerken, daß der König als oberster Bischof das Recht hat, uns in dieser Agende, insofern sie den allerheiligsten Wahrheiten des Christentums nicht entgegenläuft, Gesetze vorzuschreiben und Anordnungen zu treffen, wodurch mehr Einigkeit, mehr Ehrfurcht und Ehrerbietung gegen den König aller Könige an den Tag gelegt wird, wodurch wir unsere Demut, unsere Abhängigkeit dem Erhabenen auch im Äußern an den Tag legen. Wir verkündigen und predigen Euch in derselben keine neue Lehre: es ist die alte Evangelisch-christliche Lehre, die durch Luther und die Reformatoren ist verbessert worden, die zwar lange Zeit vor Ihnen verfinstert und verdunkelt war, die aber durch den großen Mann Luther und die übrigen Reformatoren vom Irrtum geläutert und vom Aberglauben gesäubert, in ihrer lieblichen, freundlichen und herzlichen Gestalt wieder ans Licht getreten ist.

Aus der Vorrede dieser K.A., die ich Euch gleich bei der Einführung derselben vorgelesen und später wiederum vorgelesen habe, könnt Ihr den hohen christlichen Sinn unseres erhabenen Königs und gütigen Landesvaters abnehmen; da, wo er zu befehlen das Recht hat, da wünscht und bittet er. Hört die eigenen Worte derselben und beherzigt sie. In dieser K.A., die wir auch die unsere nennen, werdet Ihr Anweisung finden, wie wir uns beim äußeren Gottesdienst zu benehmen haben. Es wird uns der Gang des Gottesdienstes, die Art und Weise desselben vorgezeichnet; es wird uns gezeigt, wie wir unsere Ehrfurcht und Abhängigkeit gegen Gott beweisen sollen. Sie enthält herrliche Gebete und Lobpreisungen; sie enthält unser Apostolisches Glaubensbekenntnis, die 10 Gebote Gottes, die einst Moses den Kindern Israel auf Sinai gab u.s.w. Und wenn darin manches vorkommt, was Euch bisher fremd war, so ist es doch nicht weniger gut, so ist es biblisch und stimmt mit dem überein, wie Luther darüber gedacht und was er darüber gesagt hat. Wenn einige unter Euch es getadelt haben, daß Eure Kinder bei der Konfirmation in den Knien lagen und das Vaterun÷ser mit mir beteten und den Segen kniend empfangen, findet Ihr darin etwas Unchristliches und unserer christlichen Lehre zuwider? Sagt nicht der Apostel P. darum beugt eure Knie. Im Namen Jesu sollen sich beugen alle deren Knie. Können unsere Kinder von der Nähe unseres Heilandes, von dem wenigen Heil, das es den Menschen bereitet, wohl lebhafter ergriffen werden, als zu der Zeit, wenn sie ihrem Erlöser Treue und Glauben geschworen haben; sollen sie es da nicht vorzüglich bekennen, daß sie ihm ihre tiefste Ehrfurcht und Dankbarkeit beweisen und ihre Anhänglichkeit auch im Äußeren an den Tag legen wollen? Und wenn wir bedenken, wie er, der Erlöser für uns gelitten, für uns am Stamme des Kreuzes geblutet hat, soll da die Erinnerung an das Kreuz des Erlösers uns nicht allen ehrwürdig und heilig sein? Sagt nicht Luther, nach dessen Namen wir uns Ev. Luth. nennen, wenn du des Morgens aufstehst und des Abends dich zu Bette legst, sollst du dich segnen mit dem H. Kreuz, alles deinem Gott vertrauen und dich des Gekreuzigten erinnern. Luther hat uns zum Evangelium wieder hingeführt; es ist aber nie seine Meinung gewesen, die äußere Ehrerbietung und Hochachtung, die wir Gott und Jesu schuldig sind, hintanzusetzen. Es ist daher ein ungerechter Vorwurf, der nur von Unwissenheit zeugt, daß wir durch Annahme der K.A. zur katholischen Religion übergehen. Ihr wißet wahrlich nicht, was katholisch ist. Es ist eine ungeziemende Anmaßung, wenn Ihr dazu das Recht hättet, wenn einige unter Euch sagen, wir wollen den ferneren Gebrauch der Agende nicht, wir wollen nur die reine lutherische Lehre. Ihr habt die Folgen nicht bedacht, die daraus entstehen können. Ihr sagt dadurch geradezu: die K.A. enthält Irrtümer, enthält nicht die reine Evangelisch-Lutherische Lehre. Gehet her, Ihr, die Ihr das behauptet, zu jedem evangelischen Prediger, und keiner unter ihnen wird sagen, daß sie Irrtümer enthält, keiner, daß die Evang. luth. Lehre nicht in ihrer vollen Kraft darin zu finden sei. Sprecht nicht: es sind vielerlei Gebete und Lobpreisungen, die wir jeden Sonntag beten. Auch dies ist nicht der Fall; es herrscht Verschiedenheit genug in derselben, und gesetzt es wäre so, sind nicht die wenigen Wahrheiten des Christen÷tums in Verbindung mit den eigenen Worten der Heiligen Schrift in edler Einfalt und kraftvoller Kürze darin vorgetra÷gen. Ihr alle habt Eure Bibel lieb, und jeder kraftvolle Spruch in derselben spricht Euer Herz an. Ihr hängt an Eurem Gesangbuche? Woher kommt es anders: die Gesänge kennt Ihr; so manches wisset Ihr auswendig; so manches Lied aus demselben stärket Euch in Euren Leiden, tröstet Euch in den Bekümmernissen; gibt Euch Kraft in den Unglückstagen; richtet Euch auf bei dem Wechsel der Dinge und gibt Euch Mut und Stärke, wenn die entscheidende Todesstunde herannaht. Was soll die Agende (A:) anders sein; was soll sie anders bei Euch bewirken? Ihr sollet durch den öfteren Gebrauch immer vertrauter mit ihr werden; die ewigen Wahrheiten des Christentums sollen Euer Gemüt ergreifen und ansprechen; ihr sollet Euch dieselbe aneigenen. Und so gern und so vertrauensvoll Ihr das Gebet des Herrn des Tages mehrmal sprechet, ebensogern und vertrauensvoll sollet ihr die kraftvollen Gebete, die Ihr aus der A. herlesen höret, mit tiefer Empfindung und Rührung Eures Herzens nachsprechen. Sie sollen durch den öfteren Gebrauch, Euer Eigentum werden. Es sind einige wenige unter Euch, die Ihre Abneigung gegen die Agende dadurch zu erkennen geben wollen, daß sie bei Vorlesung des Evangeliums nicht aufstehen wollen. Seit Ihr dem göttlichen Worte diese Achtung und Hochschätzung nicht schuldig? Wenn Euer König zu Euch spricht, beweist Ihr ihm nicht alle mögliche Achtung und Ehrerbietung? Und wenn der König des Himmels und der Erden der Herr Zebaoth zu Euch in seinem Worte redet, durch seinen erhabenen Gesandten Jesum Christum, soll denn diese Achtung, diese Ehrerbietung nicht die größte sein? Gehet hin in andere Gemeinden, wo die A. nicht einmal ist eingeführt worden, Ihr werdet da die gebührende Achtung und Ehrerbietung gegen das göttliche Wort finden. Beinahe 30 Jahre habe ich an dieser Heilsstätte zu Euch geredet; habe Euch die wenigen Wahrheiten des Christentums verkündigt; habe Eure Kinder und gewiß den größten Teil der Gemein(de), unter denen schon viele wieder Hausväter oder Hausmütter sind, durch die Heil. Taufe in die seelige Gemeinschaft der Christen aufgenommen; habe diese alle in den Glaubenswahrheiten unterrichtet, wo sie voll Ehrfurcht, knieend, voll heiliger Gedanken und Vorsätze am Altar des Herrn ihr Glaubensbekenntnis ablegten und weinend und mit tiefer Rührung und Empfindung dem Jesu, dem Erzhirten und Bischof unserer Seelen Treue schwuren und Treue gelobten. Ich habe Euch alle an Christus Statt, durch das H. Predigtamt, die Vergebung Eurer Sünden angekündigt, wenn Ihr Euren Sinn ändert und Euch bessert; habe Euch an Euren Kranken- und Totenbetten und am Altar des Herrn das Heil. A.(bendmahl) gereicht. So oft habe ich Euch zugeru÷fen: Tut es zum Gedächtnis des Herrn. Habe Euch zugerufen: Lasset Euch versöhnen mit Gott; habe Euch gesagt: »Es ist in keinem Anderen Heil.« Und Ihr könnt mich hassen, mich kränken, mich anfeinden wollen? Doch zur Ehre der Gemein(d)e sei es hier öffentlich gesagt, es sind nur wenige unter ihnen und ihr könnt glauben, daß Euer guter christlicher König, der mit mir, wie allen wahren Christen, auf Christum sein Vertrauen setzt, darauf das Wohl seiner Untertanen auch in dieser Hinsicht vor Augen hat. Ihr könnt mir Schuld geben, daß ich Euch eine andere Lehre verkündigen werde, als die des Gekreuzigten? Einige wenige unter Euch - mit Betrübnis sage ich es hier - haben gesetzwidrig gehandelt: Sie haben Zusammenkünfte veranlaßt, sie haben Stimmen schriftlich aufgenommen, um den Wunsch des Königs zu hintertreiben, obgleich diese Stimmansammlungen und diese Zusammenkünfte aufs strengste verboten sind. Wer bürgt Euch für die nachteiligen, traurigen Folgen, die noch für Euch daraus entstehen können, wenn die Sache zur Sprache kommt? Ich bekenne es Euch frei heraus: ich habe nach der Vorschrift gehandelt; ich habe den Vorstand zu Rate gezogen; nicht blos haben sie den frommen christlichen Wunsch des Königs unterschrieben, sondern ihn auch mündlich bekräftigt. Ich habe mehrere aus der Gemeinde damit bekannt gemacht; bei Einführung derselben am 8. Oktober v. J. habe ich Euch den Wunsch des Königs mitgeteilt und auch keine Stimme erhob sich in der ersten Zeit in der Gemeinde dagegen. Nach Einführung derselben habe ich am 12. Febr. d. J. nebst einiger Mitglieder des Kirchenvorstandes es dem Landesvater selbst gemeldet. Würde ich, würden diese Mitglieder nicht als Lügner vor dem König erscheinen, wenn ich im Gebrauch derselben nicht fortführe? Wenn ich meinen und Euren König nicht hintergehen will, darf ich das nicht abschaffen, was ich und Ihr angenommen habt, besonders noch, wenn ich es als gut für Euch erkenne und wenn es mit meiner Überzeu÷gung übereinstimmt. Nun mache ich Euch noch darauf aufmerksam: viele unter Euch haben unterschrieben und wußten nicht, was sie unterschrieben haben. Einige haben es getan, weil es andere getan hatten, mehrere dauert ihre Unterschrift und haben, indem sie zu mir kamen, es mir selbst bekannt; noch andere sind von Euch überredet worden und der größte Teil der Gemein(d)e hat noch gar nicht unterschrieben und wird auch wahrscheinlich nicht unterschreiben. Keiner unter Euch weiß einen vernünftigen Grund anzugeben, warum er die A. verwirft. Das ist kein Grund, daß sie unsere Nachbarn nicht angenommen haben. Mancher unter ihnen befürchtet ähnliche Auftritte; mancher unter ihnen würde sie annehmen, wenn er nicht glaubte, es besser machen zu können. - Viele machen es gewiß weit schlechter. - Noch andere sind, so wie Ihr eigensinnig. Und doch haben wir Lehrer an Kirchen und Schulen es so wenig Ursache, da noch nie ein Monarch auf Preußens Thron gesessen hat, der so, mit unseren verehrten Obern, auf das wahre Wohl derselben bedacht gewesen wäre. Ich weise Euch zu einem unserer ältesten und würdigsten Seelsorger hin, der beinahe 50 Jahre das Evangelium des Herrn verkündigt hat, dem alten, ehrwürdigen, beliebten Pfarrer Straus in Iserlohn. Gehet zu ihm hin, beratet und besprecht Euch mit ihm - Ihr habt ja oft mir von ihm gesprochen - er hat gewiß eine vollgültige Stimme unter uns. Ihr habt mir den Vorwurf gemacht, ich hätte Euch beim Antritt meines Amtes versprochen, alles beim Alten zu lassen; Ihr hättet mich als lutherischen Prediger und nicht als Prediger beider Confessionen berufen. Wer hat Euch wohl diesen Rat gegeben, wie dieses zu sagen? Hier versichere ich es Euch bei dem Ewigen und Allwissenden! Ich bin bei Einführung der A. nicht abgewichen von der Evangelisch Luther. Lehre. Bei dem Wahrhaftigen versichere ich Euch, unser guter christlicher König und Landesvater hat nur einzig und allein die Absicht, durch Einführung der A. den christlichen Glauben, den wir bekennen und den unsere Väter mit Heiterkeit bekannten, rein und unverletzt zu erhalten. Nun noch dies: Als mich Eure Väter zum H. Lehr- und Predigeramt beriefen, da verpflichtete ich mich und wurde verpflichtet, das Christentum rein und unverfälscht zu lehren und zu verkünden. Da bestätigte mich die hohe Regierung in meinem Amte und gab mir alle Rechte, die einem Evang. Lehrer gebühren, ich wurde Euer Pfarrherr. Durch dieses wichtige Amt erhielt ich die Obliegenheit, Euch und Eure Kinder nach meiner besten Überzeugung in Jesus Lehre zu unterrichten und zu lehren. Ihr habt das Wort Pfarrherr unrecht verstanden. Ihr gebt mir Schuld: ich wolle Euer Gebieter sein. Nein, ich weiß mich recht gut zu bescheiden, was der Apostel sagt: Wir sind nicht Herren unseres Glaubens sonder Gehilfen Eurer Freude, anders will ich es unter Euch nicht sein. Es ist auch bisher meine Freude gewesen, daß Ihr meinen Anordnungen in geistlichen Sachen immer Folge geleistet habt und nie unzufrieden murretet. Zum Beweise diene: ich habe neben Luthers Katechismus andere Katechismen gebraucht; ich habe beim Gottesdienst andere Lieder gebraucht und gebetet, als in unserem Gesangbuch stehen. Eure Kinder haben mehrere dieser Verse gelernt, und es ist auch nicht ein Einziger gewesen, der darüber gemurrt hätte. Ihr hattet das völlige Zutrauen zu mir, daß ich Euch, daß ich Euren Kindern den richtigen Weg zeigte. Jetzt ist es anders unter uns, der Same der Zwietracht ist und wird unter uns ausgestreut, das Mißtrauen gegen mich wird erregt, als wenn ich Euch katholisch machen wollte, so sehr ich mir auch Mühe gegeben habe, Euch eines Besseren zu belehren. Gott verzeihe es dem, der Euch in diese Zustände geleitet hat. Ich gebe Euch ferner zu beherzigen: Als unser König im Jahre 1817 den Befehl erteilte, einen anderen Amtsrock zu tragen, welcher der Würde des Amts mehr angemessen war, da war auch kein Einziger unter Euch, der dagegen aufgetreten wäre. Ebenso gewiß, der Mann der nämliche bleibt, wenn er auch einen anderen Rock trägt, der seinem Amte und Stande entspricht, ebenso gewiß bleibt Christus Lehre die nämliche, wenn auch die äußere Form beim Gottesdienst durch die A. verändert wird, wodurch dieselbe mehr Würde, mehr Feierlichkeit erhält. Ich weiß es noch recht gut, wie in Iserlohn, sie sind zu ihren Vätern versammelt, die sie gebrauchten, wie ähnliche Agende gebraucht wurde; ich habe selbst beim Antritt meines Amts eine gefunden, der Gottesdienst soll nur ja nur zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit hinführen. Je feierlicher, je würdiger, je anständiger derselbe ist, je mehr wird dieser Zweck erreicht und ist derselbe wirklich erreicht: dann wird mehr wahre Frömmigkeit, mehr wahre Tugend und Gottesfurcht unter uns einheimisch werden. Die eine Christus-Lehre, unser Bestes, über alle Wechsel der Dinge erhabenstes Eigentum, der herrliche Glaube unse÷rer Vorfahren, wird dann nicht mehr der Willkür ausgesetzt sein und die ganze Evang. Christenheit in den Königl. Staaten wird dann mit einem Munde und nach einerlei Gebräuchen und in einem Geiste ihren Gott verehren und mit ihm, Jesum den Gesalbten, einiger und herzlicher lieben lernen und ihm, dem Heiligen und Göttlichen die gebührende Achtung und Hochschätzung beweisen, die wir seinem Verdienste um die ganze Menschheit schuldig sind. Oh liebe Leute! Ihr habt üble Ratgeber gehabt, die Euch irregeführt haben. Doch Freude, hohe Freude für mich, daß sie es noch nicht alle sind, daß es nur die wenigen sind. Ich will Euch nun noch diesen Rat geben: Vermeidet in Zukunft alle Zusammenkünfte, nehmet keine Stimmen mehr auf in kirchlichen Angelegenheiten und erwägt es wohl: Bei Annahme der A. kommt es nicht sowohl, nach der Äußerung unserer verehrten Obern, auf die Gemein(d)e, als vielmehr auf ihren Prediger an. Höret zu dem Ende das eigenhändig unterschriebene Reskript Sr. Exellenz des Herrn Geheimrats und Oberpräsidenten v. Vincke Münster den 9. Septbr. 1826. Es lautet wörtlich so: »Nachdem nunmehr der Prediger Basse zu Deilinghofen sich für die Annahme und Einführung der neuen Agende ohne Rückhalt erklärt hat, wird Ihnen beiligendes Agende-Exemplar zugefertigt, um es dem Basse sofort zukommen zu lassen.« Zu diesem Reskript, ist von keiner Gemein(d)e die Rede, sondern nur von ihrem Prediger. Schließlich bemerke ich noch, was ich in dieser Sache Euch heute gesagt, was Ihr mir und ich Euch geschrieben habe: das gelangt, wenn es Not tut, zu dem Thron des erlauchten Königs und Landesvaters. Er entscheide zwischen mir und Euch. Das, was ich Euch heute hier an H. Stätte gesagt habe, das soll dazu dienen, Euch mit der neuen A. bekannter zu machen, damit Ihr nicht sagen könnt: wir wußten es nicht. Ich will mir auch, wenn Ihr es verlangt, die Mühe geben, Euch von dem Gesagten eine Abschrift zu geben, wenn Ihr Lust habet, das Gesagte noch weiter zu durchdenken und zu beherzigen. Ich an meiner Stelle will unermüdet wirken, damit der Wunsch des Königs erfüllt werde und will gerne bei Euch alle zeitliche(n) Vorteile entbehren, wie dies bisher schon der Fall war, wenn nur das Reich des Erlösers erweitert und sein Name geheiligt werde. Ich will mit Paul Gerhard, als er in der größten Not von Amt und Brot entsetzt, das schöne und kräftige Lied dichtete: Befiehl du deine Wege: ihn, ihn laß tun und walten, er ist ein weiser Fürst. Gott der Allbarmherzige gebe, daß ich heute nicht zu Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren geredet habe. Laß du allgütiger Gott! die heilsamen Wahrheiten des Evangeliums in unser aller Herzen dringen. Laß uns Vater, die wir durch das Evangelium deines Sohnes, Boten des Friedens sein sollen, dieser Gottesfrieden, welcher höher ist als aller Engel- und Menschenvernunft, zum Segen unserer Zuhörer verkündigen, damit er eindringe in die blöden Herzen, und die Verfinsterten erleuchte. Laß uns nie vergessen, was Luther sagt: wer aber anders lehret und lebet, denn das Wort Gottes lehret, der entheiliget unter uns den Namen Gottes; dafür behüt uns lieber himmlischer Vater. Ja, guter Gott! Bewache uns vor Zwietracht, Zank, Rotten, Hader, Haß und Neid, damit Gottes Frieden in unser aller Herzen sein und bleiben möge, bis einst im Tode unser sterbend Auge bricht. Oh Herr! laß alles wohlgelingen. Amen.

Wörtlich gesprochen bescheiniget der Pfarrer Basse.

 

Harald Korsch-Gerdes: "Gebohren zu Stephanopel ..." - Eine Gewerbeansiedlung des 18. Jahrhunderts kommt zum Kirchspiel Deilinghofen

[Erstveröffentlicht in einem Sondergemeindebrief der ev. Kirchengemeinde Deilinghofen zum 222-Jahrs-Fest des Bestehens von Stephanopel am 20. Juni 1993 - hier eine leicht überarbeitete Fassung]

Nachdem der preußische König Friedrich II (der Große) aufgrund eines Antrages vom 2. Juli 1771 dem Kaufmann Theodor Lürmann aus Iserlohn am 9. Juli des gleichen Jahres mit "allergnädigstem Spezial-Befehl" eine entsprechende Erlaubnis gab, trägt die nach einem Angehörigen seiner Familie benannte Gewerbeansiedlung (Garnbleiche und Weberei) am "Sundwicher Bache" den Namen Stephanopel. Vorangegangene Aktivitäten reichten bis in das Jahr 1767 zurück, und seit 1769 begann man de facto mit dem Betrieb der Bleicherei. Ausführlich berichtet darüber Wilfried Reininghaus. Er geht dabei umfassend auf die bedeutenden damit im Zusammenhang stehenden Verdienste der Familien Lürmann, Romberg, von der Becke und Brune ein. Diese dürften aber nie ihren ständigen Wohnsitz im 1771 erbauten Fabrikantenhaus mit dem Relief ‘Zum Vorgebirge der Guten Hoffnung’ gehabt haben. Deshalb soll diese kleine Studie die Arbeit von Reininghaus ergänzen und dem Leser die tatsächlich ersten Bewohner Stephanopels näherbringen. Zuerst soll ein Blick auf ihre Kirchenzugehörigkeit gerichtet werden.

Im Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Deilinghofen findet sich eine aufschlußreiche Akte über die "Parochial Verhältnisse des Hofes Stephanopel". Diese war 1822 angelegt worden, als von Seiten der evangelischen Kirchengemeinde Hemer ein Streit um die Zugehörigkeit Stephanopels geführt wurde. Man behauptete, daß sich die Gemeinde von Deilinghofen diese Ansiedlung rechtswidrig einverleibt hätte. Die Angelegenheit endete 1823 mit einem Vergleich. Dessen Ergebnis: das Hauptgut blieb bei Deilinghofen, der Rest kam zu Hemer. Diese Akte enthält nun zwei Dokumente, die bis in die Zeit von 1775 zurückreichen. Mehr Unterlagen waren schon damals durch "frühere Sorglosigkeit" verlorengegangen. Das erste ist ein Schreiben des Faktors (Betriebsleiters) G. Caspari an den damaligen Ortspfarrer Gottfried W.A. Dümpelmann:

"Wohlehrwürdiger hochzuehrender Herr Pastor

Ich habe die Ehre hiermit Euer Wohlehrwürden die Resolution, so von meiner Obrigkeit aus gethane Anfrage wegen der Kirchspiels Ordnung, a dato erst erhalten, zu übersenden, Die hiesige[n] Haushaltungen haben sich auf deren Publication Euer Wohlehrwürden Kirchspiels beyzuwohnen sich entschlossen und mich ersucht, solches an Euer Wohlehrwürden vorzutragen, da ich nebst einigen, auf kommenden Sonntag uns bey dem Abendmahl des Herrn einfinden wollen, wir uns der Hoffnung schmeichelnd, daß dieselben uns dabei und auch fernerhin mit andern Geistl. Administrations Sachen geneigt annehmen werden, in welcher Erwartung unter höflicher Empfehlung allstets beharren

Stephanopel, d. 16 Mey 1775 Euer Wohlehrwürden ergebener Diener G. Caspari

P.S. Anlagen können dieselben ebenfalls behalten, von den übrigen Sachen werde die Ehre haben mündlich zu beschließen. Es ist mir lieb daß [ich] nun soweit in Ordnung bin und wird mir sehr angenehm sein, wenn Sie uns die Ehre dero Zuspruchs gönnen wollen."

Mit diesem Schreiben Casparis wurde 1822 der Beweis erbracht, daß das 1771 neugegründete Stephanopel bereits ab 1775 zum Kirchspiel Deilinghofen gehörte. Interessant an dieser Stelle ist die Tatsache, daß damals der Kirchspielspfarrer auch bei Amtshandlungen wie Taufen, Eheschließungen usw. für Nichtlutheraner, also Katholiken und Reformierte, zuständig war. Eine durchaus finanzieller Aspekt übrigens.

Konnten sich die Stephanopeler nun ihre Kirchspielszugehörigkeit frei aussuchen? Wohl kaum, da dafür, wie aus dem Brief zu entnehmen ist, die Obrigkeit zuständig war. Sie muß aber dem Wunsch der Bewohner entsprochen haben. Doch aus welchen Gründen sollte es nun gerade Deilinghofen sein? Einmal war es die nächstliegende Kirche, zum anderen war Stephanopel mit Deilinghofen zum Gericht Altena gehörig, nicht zum Gericht Hemer (auch über die Gerichtsgrenzen gab es damals Streit, wie aus der gleichen Akte des Kirchenarchivs zu ersehen ist); und drittens mag dieser Christian Gottlieb Caspari, der Factor von Stephanopel, wie Dümpelmann ein Pietist Herrnhuter Prägung gewesen sein. Der Name ‘Gottlieb’ stellt immerhin eine typisch pietistische Neuschöpfung des 17./18. Jahrhunderts dar. Außerdem stammte unser Caspari aus Sachsen und lebte in der Nähe von Herrnhut. (Übrigens kommt in der frühen Geschichte der Brüdergemeine der Name Caspari auch vor, wo aber noch zu klären sein wird, ob es sich um Verwandschaft des Stephanopeler Faktors handelt). Ob da die Hypothese gewagt ist, daß evtl. die Reliefinschrift ‘Zum Vorgebirge der Guten Hoffnung’ am (wohl auch von Caspari bewohnten) Fabrikantenhaus auch eine ‘theologische’ und nicht nur ‘merkantile’ Deutung zuläßt: im Sinne des weltumspannenden Zinzendorfschen Pietismus und des dort grandios vertretenen Missionsgedankens??! Wobei auch noch zu erwähnen wäre, daß, wie Herr Reininghaus mitteilte, die Lürmanns selbst direkten Handel mit Herrnhut betrieben.

Nun zum zweiten der oben erwähnten Dokumente aus dem Deilinghofer Archiv, einem kleinen Heftchen, das kurz nach 1790 entstanden sein dürfte. Es werden darin die ersten Bewohner Stephanopels aufgelistet, und es dürfte sicherlich auch für heutige Bewohner des Tales ein interessantes Dokument sein.

Der erste Bewohner Stephanopels war seit 1766 (!) Caspar Winterhof, der dann 1774 unterhalb Stephanopels baute und der Namensgeber des Ortsteils Winterhof wurde. Ähnlich diesem Weber machte es ein Bleicher, Friedrich Ebbinghaus von Sundwig, mit seiner Frau, geb. Grünschläger: Er verzog ins Kirchspiel Hemer, "bey Stephanopel angebaut".

Überliefert ist für 1769 ein erster Betrieb der Bleicherei; im gleichen Jahr siedelten sich zwei Bleicher an: Heinrich Schulte mit Familie und der Bleichermeister Heinrich Arnold Brinkman, 1710 geboren in Dortmund. Der war immerhin schon 62, als er 1772 eine zweite Ehe einging mit Anna Margar. Thümena, die zwar ein Namen aus Deilinghofen trug, aber vermutlich aus Hemer oder Iserlohn stammte. Vielleicht lebte auch kurzfristig eine Schwester von ihr, Maria Margar. Tümena, in Stephanopel, die auch schon 1772 als Taufzeuge aus Stephanopel im Deilinghofer Kirchenbuch erwähnt wird. Aus erster Ehe hatte Brinkman fünf Kinder, die alle schon erwachsen gewesen sein dürften, denn nur Cathr. Margarethe wird namentlich genannt, da sie 1774 Ehefrau des Stephanopeler Bleichers Witte wurde. Auf diesen Bleicher Witte und seine Frau ist unten noch einzugehen. Dem o.g. Arnold Brinkman wurden in zweiter Ehe in Stephanopel zwei Kinder geboren: der älteste Sohn Diedrich Heinrich Brinkman ist der erste gebürtige Stephanopeler. Das Heft gibt als Geburtsdatum an: Mai 1773, das Kirchenbuch Deilinghofen vermerkt den 25. Dezember 1773. Der Taufpate war übrigens Theodor Lürmann höchstselbst!

Die hier genannten Familien Brinkman(n) und Schulte (Familie Schulte-Nieringsen wurde sie später im Kirchenbuch genannt) waren es, die 1778 Nieringsen gründeten und dort eine eigene Bleicherei betrieben. Heinrich Arnold Brinkman war dann bereits 68, doch ein Rentnerdasein im heutigen Sinne gab es für ihn wohl kaum; er starb am 16.3.1797.

"Gebohren zu Stephanopel ..." - diese Eintragung findet sich dann in unserem Heftchen sehr häufig bei den Kindern der genannten Familie Caspari. Fangen wir zuerst bei den dort zu findenden Personalien des Vaters an:

"Christian Gottlieb Caspari, geb 1735 d 30 Septbr, getauft d 1 Oct zu Sebnitz bey Pirna. Copuliert d 26 Oct 1762 zu Schandau. Kam hierhin 1772 M(onat) Januar." Ein Jahr später holte Caspari seine Frau Maria Sophia geb. Knappe, geboren am 17.12.1742 ins Sauerland nach. Mit ihr kam der älteste Sohn Gottlieb Heinrich Caspari, geboren in Sebnitz am 24.5.1764. Zwei jüngere Kinder holte er erst ein weiteres Jahr später nach: Christian Gottlieb jun. (geb. 21.12.1776) und Maria Sophia (geb. 26.3.1769). Nachdem die Familie im Mai des Jahres 1774 wieder komplett war, ging es den 16. Juni mit "gebohren zu Stephanopel" weiter, nämlich mit Johann Diedr. Adolph Caspari. Weitere Kinder folgten: am 17.5.1775 Melchior Friedrich, am 25.1.1778 Stephan Friedrich und am 15.9.1781 Catherina Louisa. Als Paten für die Stephanopeler Caspari-Kinder fungierten nur Angehörige der Familien Romberg, von der Becke und Brune - mit einer Ausnahme: bei der kleinen Katherina war 1781 Pfarrer Dümpelmann selbst der Taufpate!

1773 verstärkte ein "Bleichknecht" das Stephanopeler Team, der später (laut Deilinghofer Kirchenbuch) zum "Leinfabrikanten" avancierte: es war Johann Diedrich Witte, geboren 22.1.1742, der - wie oben erwähnt - Cathr. Marg. Brinkman, also die Tochter seines Stephanopeler Vorgesetzten ehelichte. Sie war vermutlich die Witwe des Peter Wülffing aus Iserlohn, deren Sohn Peter Engelbert Wülffing am 18.11.1775 im Alter von 8 Jahren starb. Er war der erste Stephanopeler, dessen Tod im Kirchenbuch Deilinghofen vermerkt werden mußte. Den Eheleuten Witte wurden dann in Stephanopel noch fünf Kinder geboren.

Als der Weber Winterhof 1774 aus Stephanopel fortzog, kamen für ihn zwei neue ‘Facharbeiter’ gleichen Handwerks: einer aus der sächsischen Heimat Casparis, nämlich Johann Gottfried Richter nebst Frau, einem Sohn und einer Tochter; "Ihm wurde hier ein Sohn gebohren, der zu Deilinghofen getauft und auch daselbst begraben" wurde. 1780 zog die Familie nach Letmathe. Der zweite zugezogene Weber Wilhelm Zeug (so die Schreibung im Kirchenbuch, in unserm Heftchen liest man: Ceuck - auch als Bruck interpretierbar); "Ihm wurden zwey Töchter geboren, so zu Deilinghofen getauft". Die Familie zog 1783 nach Neuenrade, der Heimat des Mannes. Er dürfte identisch sein mit Wilh. Zum Bruch, dessen Ehefrau Catr. Elis. Wiethoff lt. Kirchenbuch am 24.7.1783 eine Tochter mit Namen Catr. Sophia Elisabeth zur Welt brachte. "Zeug" dürfte ein Übertragungsfehler gewesen sein.

Last not least ist auf drei Bleicher einzugehen, die erst nach 1780 ins Stephanopeler Tal kamen: ein Casper Diedr. Enselmann gnt. Uhlenhoff von Oberhemer kam 1781 mit seiner Familie und zog 1784 zurück nach Hemer. Dann ist verzeichnet ein Melchior Ebbinghaus, ein 32jähriger Bleicher aus Hemer, der mit seiner Ehefrau Maria Elisabeth geb. Herfeld (einer Reformierten aus Neuenrade) nach Stephanopel kam und endlich Peter Wilhelm Lohmann, geboren in Volmarstein, der im November 1786 Catherina Elisabeth Hebbings gnt. Ispey (geb. im Februar 1760 am Ispey, zu Iserlohn reformiert getauft) heiratete. Kurioserweise wurden die Lohmanns-Kinder unterschiedlich getauft: Sohn Johann Diedr. Gottlieb wurde am 16.8.1787 (laut Kirchenbuch, im Heftchen 17.8.) in Deilinghofen lutherisch getauft, während die Tochter Cathrina Sophia am 12.3.1790 (nach unserem Heftchen) in Iserlohn reformiert getauft wurde.

Damit sind die ersten Einwohner Stephanopels in den ersten zwei Jahrzehnten nach Gründung des Ortes genannt. Da, wie erwähnt, der Kirchspielspfarrer für alle Konfessionen zuständig gewesen ist, dürfte es in dieser Zeitspanne keine Katholiken aber Reformierte in Stephanopel gegeben haben, so daß die Aufstellung hier vollzählig sein müßte.