5. Kapitel: Strauß als Pfarrer in Elberfeld (1814 bis 1822)
Dass Gerhard Friedrich Abraham Strauß dann schweren Herzens wegen der wertvollen Zeit Ronsdorf verließ, aber doch freudig und stolz die Berufung als zum Pfarrer in Elberfeld als Gottes Weg ansah, ist in dessen Biographie als ein entscheidender Wendepunkt betont. Er schreibt in den Abendglocken-Tönen:
"Bebend vor Freude und verstummend in Dank nahe ich dem Wendepunkt meines Lebens zu Elberfeld. Das ist die Höhe, von der der Psalm (18, 34) im besonderen Sinne sagt, daß Gott uns auf dieselbe stellt. Es ist der Glanzpunkt der Gnade und Führung. Deß bebet das Herz vor Freude, daß sie ihm zu Theil geworden, und zittert die Hand, die sie beschreiben soll."
Geschichtlich gesehen war es die Zeit nach Napoleons Herrschaft und den Befreiungskriegen, die Zeit der Neuordnung durch den Wiener Kongress. Kirchlich wurde es dann im preußischen Gebiet für Westfalen und das Rheinland die Zeit der Agendenreform und der Union der Reformierten und der Lutheraner. Das Lutherjubiläum 1817 - vor 200 Jahren - hatte mit diesen Aktivitäten viel zu tun. Und persönlich war es für Strauß die gewichtige Zeit seiner Eheschließung, eine Ehe, die ihn bei den von der Heydts, in eine Familie mit Geld und unerhörtem Einfluss einführte, aber auch eine Familie, in der die Schwiegermutter ihm dem frommen Pfarrer zur entscheidenden Seelsorgerin wurde, durch deren Hilfe er eine geistliche Wende, eine Bekehrung erlebt. Und aus all dem ergaben sich durch engagiertes Mitwirken des Pfarrerssohns aus Iserlohn dort im Wuppertale Impulse, die für die Wuppertaler Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert wichtig waren.
Zunächst einmal hatte sich Friedrichs Iserlohner Vater Johann Abraham Strauß über den Weg seines Jungen nach Elberfeld aus mehrfachem Grunde gefreut. Zum einen gab es für ihn, den aus Elberfeld stammenden nichts Größeres als Pfarrer in Elberfeld zu werden. Zum zweiten kamen gerade als der Sohn sich in Elberfeld einzuleben begann, die "Glockentöne" heraus, bei der der Alte viele Heimatklänge aus dem idyllischen Pfarrhaus an der Hardtstraße in Iserlohn mit heraushörte und meinte, so indirekt sei er ja auch ein bisschen der Mitherausgeber.



Und dann war der alte Strauß in Iserlohn natürlich auch gut über die Einzelheiten informiert, dass der Sohn wie in einem Triumphzug nach Elberfeld in das neue Pfarrhaus übersiedelte, sehr innig verabschiedet und beweint von vielen Ronsdorfern und frenetisch begrüßt am neuen Wirkungsort.
 



Und da ist in unserem Zusammenhang gleich auf das erste eben Angedeutete zu kommen: auf seinen Kontakt zur großbürgerlichen Bankiersfamilie von-der-Heydt-Kersten in Elberfeld. Wir setzen ein mit Pinkerton!
Mr. Dr. Robert Pinkerton war ein Brite mit internationalen Kontakten zu Christen aus der Erweckungsbewegung; ihm ging es maßgeblich um Volksmission und Bibelverbreitung auch in Elberfeld. Und Pinkerton hatte sich an Strauß als an den jüngsten Geistlichen des Ortes rangemacht. Es war ein von Erfolg gekröntes Werk, denn schon 1815 wurde dadurch die Bergische Bibelgesellschaft gegründet. Auf dem Weg dahin suchte Pinkerton das Haus der Bankiersfamilie von der Heydt zu einer Abendgesellschaft auf, zu der auch Gerhard Friedrich Abraham Strauß zugegen war.
Dazu muss man wissen, der Hausherr Daniel Heinrich von der Heydt war (so ähnlich wie der verstorbene Schuh-Unternehmer Deichmann) ein steinreicher Mann, ein gebefreudiger Mäzen und überzeugter und bekennender Christ - von der Konfession her evangelisch-reformiert - mit Netzwerkkontakten in alle möglichen frommen Richtungen, ein Mann, der bürgerlich so angesehen war, dass er zeitweise auch Elberfelder Bürgermeister war. Und die reichen von der Heydts waren übrigens mit der ebenfalls begüterten Familie von Friedrich Engels verwandt. Und bis heute kennt man ja in Elberfeld und weit darüber hinaus den Namen von der Heydt durch das Museum mitten in Elberfeld mit den großen Kunstausstellungen…


In dieser Abendgesellschaft bei den von der Heydts also darf Mr. Pinkerton für sein Bibelanliegen werben, während Pfarrer Strauß - zum ersten Mal in Hause jenes frommen Mannes - etwas abseits bei den Kindern sitzt, von denen die jüngste 16 Jahre alt ist und Johanna heißt.
Bald stellt es sich heraus: DIE ist es! Das sollte man im O-Ton nach den Abendglocken-Tönen hören:
"[…] indeß die Erwachsenen speiseten, versuchte ich ein Gespräch mit den beiden lieblichen Töchtern des Hauses […] Da that ich eine Frage, und sofort antwortete die zweite Tochter. Aber welch ein Ton! Welch ein Blick! Es war nicht der reine rheinische Dialect, auch nicht der oberlausitzische, auch nicht der der Brüdergemeinde. Es waren alle drei vereinigt, aber wie! Jeder Blick des hellen Auges ein Wort! Jeder Ton eine That! Ein sechszehnjähriges Mädchen und solch ein Geist und Gemüth! Mein innerstes Wesen in seiner tiefsten Tiefe war berührt. Zwei Seelen berührten sich.
Solche Worte hatte ich nie gehört. Sie erröthete bescheiden, und ich verstummte. Es war mir, als wenn eine neue, höhere Welt sich vor mir öffnete. Ob ich hätte antworten können, weiß ich nicht, aber ich glaube nicht, daß ich dazu im Stande gewesen wäre. Ich weiß nur, daß die Hausmutter mein Sitzen unter den Kindern nicht länger duldete und mich an ihrem Arm zu Pinkerton und ihren übrigen Gästen führte."
Mit andern Worten: Unsterblich hatte er sich in sie verliebt, und er kämpfte von Anfang mit seiner großen Anfechtung, dass sie viel zu jung war, und - was genauso schlimm zu sein schien - von reformierter Konfession.
Natürlich war das in Elberfeld in der Gesellschaft dann eine Riesenklatschgeschichte und ein Skandal bei vielen Elberfeldern, und da v.a. bei den konfessionell Gesinnten: Ein lutherischer Pfarrer will ein Reformierte, die noch ein Kind ist, heiraten! Strauß hatte Aversionen und unfreundliche Kommentare auszuhalten. Aber siehe da! Alle erwecklich und pietistisch Gesonnenen in Elberfeld hatten dieses Problem kaum, da kam es zu eine Allianz der entschieden Christlichen sozusagen, und auch die reiche Familie von der Heydt dachte so - und freute sich über den prominenten gläubigen Schwiegersohn, der dann in seiner Autobiographie seine Hochzeit so beschreibt: "So bereiteten wir uns zur Hochzeit, und als sie erschien, ist auch die Versöhnung aller Gegensätze nicht ausgeblieben. Der ehrwürdige Vater [sc. der Vater aus Iserlohn] legte auf seinem Herzen unsere Hände zusammen; ein Sängerchor trug die Wünsche in lieblichen, kunstreichen Liedern vor, und die Großmutter der großen Familie war es, an deren Hand wir in unser Pfarrhaus gebracht wurden." Übrigens nannte Strauß die Seine dann - auch in seinen Schriften - stets liebevoll "die Holdselige".
Die Hochzeit mit der Holdseligen fand im August 1816 statt, im Jahr drauf wurde den beiden in Elberfeld der Erstgeborene geschenkt: Friedrich Adolph Strauß, der später in vielerlei Hinsicht in den Fußstapfen seines Vaters ging als Theologe, der z.B. auch Hofprediger und Professor der Theologie wurde.
Nach der Darstellung von Gerhard Friedrich Abraham Strauß in seinen Abendglocken-Tönen kam es Anfang des gleichen Jahres, "wie ich glaube, am 17. Januar 1817" (216) zu einer weiteren Geburt, könnte man sagen, zur bewussten Wiedergeburt des Elberfelder Pfarrers. Strauß beschreibt das recht dezent, dass er manchmal an starken Ängsten und Anfechtungen litt und dass ihm in dieser Situation und an diesem genannten Tage das Geschenk widerfuhr, innere Klarheit und Heilsgewissheit zu bekommen, durch das Lesen einer für ihn altbekannten Predigt Martin Luthers, in der es faktisch drum ging, dass die Rechtfertigungslehre und die Rechtfertigung des Sünders keine theoretische Kopfsache sei, sondern eine heilende Erfahrung werden kann. Diese altbekannte Predigt über Johannes 3, 16 kannte Strauß sehr wohl, aber bei einem Besuch seiner Schwiegermutter Katharina von der Heydt geb. Kersten im Pfarrhaus hat diese theologisch und seelsorgerlich hochbegabte Frau ihm genau diese Worte aktuell ans Herz gelegt. Von da an besonders hat Strauß seine Schwiegermutter als seine geistliche Mutter angesehen - und eine Verbindungslinie gezogen zur Kanzel der Bauernkirche Iserlohn, auf der damals die mit ihm schwangere leibliche Mutter genau die gleichen Worte aus Johannes 3 sprach: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. In den Abendglocken-Tönen schreibt Strauß zu seiner Bekehrung und Neugeburt: "Die Trauer war verschwunden. Ich kenne sie nicht mehr. […]
Das ist die Erfahrung der Rechtfertigung, der praktische Beweis derselben" (217).
Dazu sollte man wissen, dass nicht nur der reiche Schwiegervater von der Heydt in der Erweckungsbewegung am Tal der Wupper eine besondere Rolle spielte, sondern besonders auch die genannte großartige und bemerkenswerte Schwiegermutter Katharina, die wunderbar Briefe schrieb und dichtete und die lebenslang eng verbunden war mit dem Hauptgeistlichen der Elberfelder und Barmer Erweckungsbewegung Gottfried Daniel Krummacher aus der großen Wuppertaler Krummacher-Pfarrer-Dynastie mit mehreren bedeutenden Gottesmännern.
Innerhalb der dortigen Erweckungsbewegung setzte Gerhard Friedrich Abraham Strauß durchaus eigene Akzente, wie hier nur kurz angedeutet werden kann. Er glänzte als großer Prediger und hielt zum Beispiel die 300-Jahr-Jubelpredigt am Reformationstag 1817. Um diese Zeit kam es in einem besonderen Haus zwischen Barmen und Elberfeld - in der Farbmühle - zu Treffen, die alle 14 Tage nachmittags stattfanden und zu denen zuerst nur oben schon genannter Schwager Krafft und Franz Friedrich Graeber aus Düssel gehörten. Letzterer war später Superintendent in Elberfeld und danach Generalsuperintendent von ganz Westfalen in Münster (er war außerdem Vater von Friedrich Graeber jun., der später auch Superintendent wurde und in Jugendtagen enger Freund und Korresponenzpartner von Friedrich Engels war).
Aus diesem Dreierkreis wurde der sehr große Predigerverein der Farbmühle, der ein Vierteljahrhundert segensreich bestand. Strauß schreibt dazu wörtlich: "Wenn ich die Gnadenmittel überschaue, so muss ich in erster Reihe die Farbmühle nennen. Wir lernten reden und hören. Der Streit war ebenso erbaulich wie der Friede" (246). Aus diesen kleinen Anfängen wurde das große prägende Treffen der Barmer und Elberfelder Pfarrer mit Riesenauswirkungen auf die Erweckungsbewegung dort, ja, die Farbmühle stand und steht für diese Bewegung [vgl. den großen Abschnitt im Internet zur Farbmühle und zur Barmer und Elberfelder Erweckungsbewegung]. Große Namen in dieser Farbmühlenbewegung waren z.B. der Pfarrer, Erbauungsschriftsteller und Liederdichter Karl August Döring, mit dem Strauß gut konnte und in seiner Gemeinde eng zusammenarbeitete, und der genannte wichtige Erweckungsprediger Gottfried Daniel Krummacher.








Zu nennen ist hier aus dieser Elberfelder Phase ein tragisches Ereignis, das im Elberfelder Pfarrhaus und auch in Iserlohn an der Bauernkirche sehr betrauert wurde: 1813 hatte Friedrich Strauß' Freund Krafft Sophie Strauß geheiratet, und schon 1816 starb die geliebte Schwester, so dass ihr kleiner Sohn Karl Krafft als Halbwaise aufzuwachsen hatte. Er war bisweilen als Junge auch bei den Großeltern in Iserlohn zu Besuch und sollte ebenfalls ein bedeutender Pfarrer in der Rheinischen Kirche werden. Hinweisen wollen wir schließlich, ohne auf den Inhalt einzugehen, auf Friedrich Straußens vierbändiges Buch "Helon oder die Wallfahrt nach Jerusalem", das anno 1820 herauskam.     Weiter => =>

 

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