www.pastoerchen.de/koellners.htm

Eine Seite, die damals der Öffentlichkeitsreferent des
Kirchenkreises Arnsberg Dr. Friedhelm Groth
dem Mescheder Pfarrer Hartmut Köllner widmete, der zum 31. März 2003 in Ruhestand ging

Erneuert am 6.9.2016


Zu beginnen ist zwei Fotos aus dem "Deutschen Geschlechterbuch" (diesem entstammt auch das Familienwappen oben):



 


Es folgt das bekannteste Bild dieses Karl Köllner:



Und dazu passend die andere Seite des Lebensbildes über Karl Köllner aus dem 19. Jahrhundert:

 


 

Dieses hier folgende einleitende Lebensbild über Karl Köllner stammt aus: Rolf Scheffbuch, Nicht aus eigener Kraft. Aus den Anfängen Korntals, Band 2, Korntal 2003, S. 73 bis 89. Der Abschnitt wurde mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers (Prälat i.R. Rolf Scheffbuch, Korntal, ins Internet gestellt) - aus Anlass der Verabschiedung von Köllners Nachfahren Pfr. Hartmut Köllner, Meschede, aus dem Pfarrdienst in den Ruhestand...


Carl Köllner (3.3.1790 - 22.3.1853)

Weinhändler und Menschenfreund, einer, der den Mut nicht verlor

Der Märzabend in der Karwoche des Jahres 1853 war außergewöhnlich mild. Carl Köllner, der 63jährige Vorsteher der Korntaler und Wilhelmsdorfer Rettungshäuser und zugleich Verwalter des Korntaler Gemeindegasthauses, machte sich zu einem kleinen Spaziergang auf.  Über die vom Schloss Solitude ausgehende schnurgerade Allee hinaus ging er in Richtung der heutigen Neuwirtshaus-Siedlung. Dann blieb er lange stehen. Er schaute über die weiten Felder. Dann blickte er still zum hellen Abendhimmel auf. Es sah so aus, als wollte er über dem ihm zur Heimat gewordenen Ort Korntal Gottes Segen herab erbitten.

Einen Korntaler Jungen grüßte er freundlich und so ungewöhnlich aufmerksam, dass der immer wieder zurückschaute zu dem einsamen Spaziergänger, um den ein so großer Friede war.

Eine halbe Stunde später kam ein Korntaler Bürger an die Stelle. Sie ist heute markiert durch einen Gedenkstein, den "Köllner-Stein".

Dort hatte sich Carl Köllner an einen Obstbaum gelehnt. Unter heftigem Husten rief er immer wieder: "Ach, lieber Heiland! Lieber Heiland!" Und dann: "Wie gut, Herr Höllwart, dass Sie kommen! Helfen Sie mir bitte! Wenn ich doch bloß bei meinen Lieben wäre!" Der Helfer hielt den Wankenden umarmt, der langsam auf seine Knie sank.

Dazu hatte sich Köllner auf seinen Stock gestützt.

Die Dämmerung brach immer stärker herein. Herr Höllwart wollte zu den ersten Häusern Korntals eilen, um eine Kutsche zu besorgen.

Aber Carl Köllner hatte sich in seiner Todesnot an ihm richtig festgekrallt. Da kam unverhofft jener Junge noch einmal zurück. Es war, als wenn er ein Gespür gehabt hätte, dass er diesen Mann nicht aus den

Augen lassen durfte. Der junge Bursche wurde beauftragt, ganz rasch ein Gefährt zu besorgen. Kaum war er weggerannt, kam auf der Straße ein Bauerngefährt daher. Die Aussicht, rasch heimgefahren werden zu können, belebte Köllner. Er half selbst dabei mit, auf dem Wagen einiges auf die Seite zu räumen, um einen Sitzplatz zu schaffen. Dann stieg er in gewohnter rascher Art ohne Unterstützung auf den Wagen. Nun, nur schnell nach Hause!" Zweimal sagte er das dringlich. Aber noch bevor der Landwirt die Zügel zum Weiterfahren ergriffen hatte, war Carl Köllner in sich selbst zusammengesunken. Nach ein paar tiefen Atemzügen hatte er sein Leben ausgehaucht.

In der Brieftasche, die er immer bei sich trug, fanden sich neben Geschäftsnotizen für seine Aufgaben in den Kinderheimen und im Gemeindegasthaus auch einige Zettel mit Liedstrophen und mit aufgezeichneten Gedanken. Auf einem dieser Papierstreifen stand: "Nur Mut nicht verloren! Fortgemacht im Glauben, Beten, Arbeiten!  Durch Beugen und Leiden geht's zur Herrlichkeit!"

 

Nur den Mut nicht verloren!

Carl Köllner hätte viel Anlass dazu gehabt, den Mut zu verlieren.

Das Elternhaus im Nassauischen war in jenen Koalitionskriegszeiten mehrfach ausgeplündert worden. Der Vater hatte auf armen Pfarrstellen kaum ein Auskommen, das die Familie ernähren konnte. Der ältere Bruder war auf dem Heimweg zu den Eltern von Räubern ermordet worden. Carl KöIlner konnte sich keine Hoffnungen auf ein Studium machen. Er musste froh sein, dass er in der Firma des ermordeten Bruders in Frankfurt eine Ausbildung als Kaufmannsgehilfe machen konnte. Blutjung war er auf diese Weise in die Stadt der ehemaligen Kaiserkrönungen gekommen, die als Knotenpunkt von 26 Verkehrsstraßen zu einem Mittelpunkt europäischen Handels geworden war.

Sie erhielt wegen ihrer gut besuchten Handelsmessen bald den Beinamen "Inbegriff der Welt". Gaukler, Schausteller, Künstler, Musikanten aus aller Welt prägten das Bild der Stadt wie auch anderes, was eben seit jeher zum Strandgut solchen Treibens gehört.

Für dies alles hatte der junge Carl keine Zeit; er war in dem kleinen Lehrbetrieb bis in die tiefen Nachtstunden hinein eingespannt. Er hatte auch kein Auge für das alles; denn der schmerzliche Tod seines Bruders hatte ihn ernst, ja geradezu einsilbig gemacht. Seiner verwundeten Seele tat es gut, dass er in Nachtstunden auf der Orgel der Nikolaikirche spielen durfte. Dabei wurde er vertraut mit dem jungen und entschiedenen Pfarrer Stein dieser Kirchgemeinde. Jäh brach jedoch all das ab, als der 21jährige Kaufmannsgehilfe von einem schweren Nervenfieber befallen wurde. Er, der so gerne in der Gemeinde von Pfarrer Stein Kranke und Bedürftige besucht hatte, war nun als Schwerkranker auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.

Als endlich die Genesung langsam fortschritt, schien die berufliche Zukunft total verbaut zu sein. Die Stelle in Frankfurt war längst durch einen anderen Kaufmannsgehilfen besetzt. Carl hörte Nachrichten von England, dass man dort zum Missionar ausgebildet werden könne. Das war damals etwas ganz Neues! Das hätte Carl Köllner gereizt, nachdem er in der Frankfurter Zeit zu einem überzeugten Christus-Nachfolger geworden war. Aber er musste sich diesen Gedanken rasch wieder aus dem Kopf schlagen. Wie sollte er denn nach England kommen? Der Vater hatte kein Geld dafür. Aber selbst wenn er es gehabt hätte, dann hätte die alles blockierende Kontinentalsperre Napoleons jedes Durchkommen nach England unmöglich gemacht.

Carl musste ja schon froh sein, dass er als gesundheitlich Untauglicher nicht unter Napoleons Fahnen gegen Russland ziehen musste.

Endlich öffnete sich eine Tür. Völlig unerwartet, ja eigentlich unerklärlich kam an Carl Köllner ein Ruf des Weinhändlers Keerl. Der lebte gesundheitlich angeschlagen in Segnitz, am Mainknie südöstlich von Würzburg gelegen. Köllner sagte zu. Er wurde mit großer Herzlichkeit in die Familie Keerl aufgenommen. Sie war in katholischer Umwelt so etwas wie ein Stützpunkt entschiedener Christen aus dem ganzen fränkischen Raum. In dem Haus des frommen Weinkaufmanns war der alte Nürnberger Pfarrer Schoener aus- und eingegangen, der Verfasser des damals zum protestantischen Leib- und Magenchoral werdenden Liedes "Himmelan, nur himmelan, soll der Wandel geh'n." Bei Keerls war wie zuhause auch der Nürnberger Kaufmann Tobias Kießling, der damals erfindungsreiche "Bibelschmuggler" hinein in den südosteuropäischen katholischen Raum. Tobias Kießling war aber auch der erste evangelische Christ, der ohne Berührungsängste, ohne antikatholischen Komplex begriff, wie viel echt "Evangelisches" bei den Priestern der sog. "Allgäuer Erweckungsbewegung" (Sailer, Boos, Goßner, Feneberg, Lindl) zu finden war. Bei all diesen Gotteszeugen war wahr geworden: "Himmelan wallt neben dir alles Volk des Herrn, trägt im Himmelsvorschmack hier seine Lasten gern. O schließ dich an!"

Nichts tat Carl Köllner lieber, als sich an dies geistliche Leben kleiner Gemeinschaften im Frankenland anzuschließen. Bald wurde er selbst zu einer tragenden Säule der in Nürnberg beheimateten Unterabteilung der damals gegründeten "Christentumsgesellschaft". Sie verband in Deutschland und in benachbarten Gebieten solche Menschen, die am überkommenen Bibelglauben festhalten wollten. Eine seiner wesentlichen Aufgaben sah Carl Köllner darin, die Bibelverbreitung gerade in den katholischen Gebieten Bayerns und Österreichs unterstützen. Für den Hausvater Keerl galt jedoch früher, als befürchtet: "Himmelan hat er dein Ziel selbst hinauf gestellt. Sorg' nicht mutlos, nicht zu viel um den Rand der Welt. Flieh diesen Sinn! Nur was du dem Himmel lebst, dir von Schätzen dort erstrebst, das ist Gewinn. - Halleluja singst auch du, wenn du Jesus siehst, unter Jubel ein zur Ruh in den Himmel ziehst...!"

Nach dem so frühen Sterben des Hausvaters Keerl führte Carl Köllner das umfangreiche Weingeschäft für die Witwe und ihre fünf noch kleinen Kinder weiter. Über den gemeinsamen Aufgaben im Betrieb und im Haus, über dem Beherbergen von Christengeschwistern aus dem weiten Frankenland und über gemeinsam getragenem Leid beim Tod vertrauter Freunde wuchs trotz des Altersunterschiedes zwischen der Witwe Keerl und dem jungen Carl Köllner ein tragfähiges Vertrauen. Im Juli 1814 verheiratete sich Carl Köllner mit Maria Amalie Johanna, verwitweter Keerl, geb. Schumann, und gründete so seinen Hausstand in Segnitz. Die drei älteren Kinder wurden zur Erziehung in die Herrnhutischen Schulen von Neuwied gegeben. Zur Begleitung der beiden jüngsten Keerl-Söhne Fritz und August bot sich aus der weiteren Verwandtschaft der begabte Stuttgarter Gymnasiast Christian Gottlob Barth an [Bild links; es ist der Dichter von "Sonne der Gerechtigkeit, lebte von 1799 bis 1862, Barth war Vater Blumhardts Vorgänger in Möttlingen; mehr zu ihm, wenn man auf das Bild klickt].

In seiner jugendlich-beschwingten, ja fast schwärmerischen Sprache schilderte Barth die Fülle der Segnitzer Eindrücke: Zuerst die unvorstellbar liebliche, von Bergen umkränzte Landschaft am Mainknie mit der Fähre zwischen Marktbreit und dem Dörflein Segnitz.

Aber dann vor allem auch die Begegnung mit Frauen und Männern, die als ernstlich lebende Christen im gastlichen Haus Keerl einkehrten. An einem nebligen Morgen dichtete Christian Gottlob Barth, als die Sonne durch die Nebel brach: "Blick auf, mein Geist! Ich schwöre hier, mein Leben und die Kräfte Gott zu weih'n! Und du, Allvater, der sie mir gegeben, erhalte meine Seele rein!" Der liebevolle Gastgeber Carl Köllner erspürte es, dass der religiöse Schwärmer Barth noch treue geistliche, von Nüchternheit geprägte Begleitung brauchte. Darum begleitete Köllner brieflich und fürbittend den jungen Feuergeist

die Klippen der Gymnasial- und Studienzeit, bis dann Gott aus dem heftig Gärenden den württembergischen Missions- und Diakoniepionier in Möttlingen und in Calw machte, den geistig-ebenbürtigen Freund des württembergischen Erweckungspredigers Ludwig Hofacker.

Carl Köllner hielt treu den Kontakt mit dem neun Jahre jüngeren Christian Gottlob Barth durch. Dabei wurde beiden eine starke Liebe zu Gottes erwähltem Volk Israel geweckt. Barth stürzte sich gleich zu Beginn seines Theologiestudiums in Tübingen auf rabbinische Texte.

Köllner erfuhr zur seIben Zeit von dem in Basel erwachten Interesse, den Glauben an Christus unter Juden zu fördern. Das rührte in ihm eine Saite an, die bis zu seinem Sterben nie mehr verstummte. Noch als alter Mann schrieb er unter ein Bild, das von ihm gemalt worden war: "Ich  grüße alle, die Jerusalem Glück wünschen."

 

" Wünscht Jerusalem Glück!"

Israel sollte mit Gottes Erlöser und Messias Jesus bekannt gemacht werden. Das war zuerst Christen in Schottland und bald danach in England als Verpflichtung bewusst geworden. Von England aus  schwappte zusammen mit den Impulsen zur Weltmission und zur Bibelverbreitung auch der Gedanke des Evangeliumsdienstes unter Juden nach Europa herüber, zuerst nach Basel. Gleich im Gründungsjahr der Basler Mission (1812) richtete das Gründergenie Christian Friedrich Spittler in seinem eigenen Wohnhaus "Fälkli" einige Zimmer für eine geplante "Judenanstalt" ein. Vermutlich kam sie jedoch wegen mancherlei Schwierigkeiten nie recht ins Laufen. Doch die englischen Freunde der Missionsarbeit ließen nicht locker. Sie erbaten Absolventen der Basler Mission für die Arbeit unter Juden im Schwarzmeerraum und auch in Galizien. Der spätere Korntaler Institutsvorsteher Johannes Kullen etwa war für solch eine Aufgabe angefragt worden. 1820 schließlich kam es in Basel Zur Gründung eines Vereins "zur Förderung des Christentums unter den Juden ".

Neben Spittler gehörten zu den wenigen Vereinsgründern auch der Vater von Carl Köllner. Dieser Wilhelm Köllner war als Witwer, dazuhin noch stark hörbehindert, vorzeitig in den Ruhestand gegangen und nach Basel gezogen. Er wollte dabei sein, wenn in Gottes Reich Neues aufbrach. Dort in Basel war der gewaltige Aufbruch hin zu Weltmission und zu Diakonie, zu Bibelverbreitung und zu volksmissionarischer Durchdringung der "toten Christenheit" (Ch.G.Barth) am stärksten und darum auch am beeindruckendsten. Bald gehörte der liebenswerte, immer schwarz gekleidete patriarchalische Vater Köllner mit seinem auffallenden großen Hörrohr zum "Stamm" aller Basler Christenzusammenkünfte. Mit seinen anschaulichen Berichten vom geistlichen Aufbruch in Basel weckte der Vater auch im Sohn Carl Köllner den Wunsch, mit hinein genommen zu sein in dies ganze Leben.

Zuvor jedoch zog es die immer zahlreicher werdende Familie Köllner-Keerl aus dem Segnitzer Mainbogen in die Stadt Würzburg. Im lieblichen Segnitz hatte man die Realität der Scheffelschen Gedichtstrophe vor Augen: "Der Wald steht grün, die Jagd geht gut, schwer ist das Korn geraten; sie können auf des Maines Flut die Schiffe kaum verladen. Bald hebt sich auch das Herbsten an, die Kelter harrt des Weines; der Winzer Schutzherr Kilian beschert uns etwas Feines." Was war aber dann der Grund dafür, dass die Familie 1819 umzog in die damals beachtliche, aber fast rein katholische Stadt Würzburg?

Zum einen waren es die Hungerjahre 1816 und 1817. Sie hatten auch dem Weinhandel schwere Rückschläge beschert. Dazu kam, dass Segnitz für einen wirklich größeren Weinhandel ungünstig lag. Vor allem aber waren die schulischen Möglichkeiten für die stets sich vergrößernde Kinderschar unbefriedigend.

Im katholischen Würzburg belächelte man den neu zugezogenen "Pietisten". Man betrachtete ihn zuerst als einen reinen Exoten. Bald darauf jedoch erkannte man seine selbstlose Einsatzbereitschaft. Carl Köllner wurde die Verwaltung des gesamten Armenwesens der Stadt Würzburg übertragen. In der kleinen, meist aus armen Familien zusammengesetzten evangelischen Kirchengemeinde wurde er bald zu einem der Kirchenältesten gewählt. Das Herz Köllners jedoch schlug immer mehr für "das immer stärker werdende Reich Gottes" in aller Welt. Dafür wollte er die Würzburger Kirchengemeinde gewinnen. Sie sollte sich durch Informiertwerden, durch Spenden und durch Fürbitte einklinken in das Werk der Ausbreitung des Evangeliums unter Katholiken in Deutschland, unter Orthodoxen in Russland und unter Nichtchristen in Afrika. Leider wurde auch dies Bemühen von Carl Köllner ein totaler Fehlschlag. Er musste auch in Bayern dieselbe Erfahrung machen, die Missionsfreunde auch in anderen Teilen Deutschlands machten: Die Gemeinden der großen Landeskirchen und erst recht ihre Konsistorien ließen sich nicht für die Sache der Weltmission gewinnen!

Vielleicht engagierte sich Carl Köllner zu sehr für die Weltmission. Tatsache war, dass sein Weinhandel sogar noch schlechter lief als seine Bemühungen um die Belebung der Weltmission. Er schrieb seinem Vater nach Basel, der ihn treulich mit neuesten Nachrichten aus der Missionssache versorgte: "Aus meiner vorgesehenen Reise nach Sachsen ist nichts geworden! Unser Geschäft geht zu schlecht. Wir haben viel verloren und noch mehr Verluste stehen in Aussicht. Trotzdem würde ich so gerne den Termin wissen, wann das neue Missionshaus in Basel eingeweiht werden wird; eine Reise dorthin steckt mir in allen Gliedern! Allerdings ist der gegenwärtige Geschäftsgang so beschaffen, dass ich nur schwerlich so viel erübrige, als der notwendigste Aufwand meiner weitläufigen Haushaltung kostet."  

Noch wichtiger jedoch als dies alles war es Köllner, dem Vater mitzuteilen: "Ich durfte Taufzeuge sein bei der Taufe eines ,jungen israelitischen Freundes', der aus wirklicher Glaubensüberzeugung Christ geworden ist!" "Sie werden gehört haben", so schreibt er seinem Vater weiter, "dass kürzlich in Warschau 42 Juden zusammen getauft wurden. Hier in Würzburg wurden am Pfingsttag vier Juden getauft. Noch vier andere sollen sich gemeldet haben. Aber sie sind alle in die katholische Kirche eingetreten."

Es waren sechs Gründe, die damals einzelne Christen - wie gerade auch Vater und Sohn Köllner - so engagiert fragen ließen: " Was können wir tun, dass Glieder des Volkes Israel Jesus als ihren Messias und Erlöser anrufen?"

a.) Sie nahmen ernst, dass das Evangelium von Jesus "eine Kraft Gottes" ist, "die alle rettet, die daran glauben, die Juden z u e r s t und ebenso die Nichtjuden". Deshalb wollten sie gemäß dem Vorbild des Apostels Paulus bei der Evangeliumsverkündigung auch in der Schuld der Juden stehen.

b.) Wie konnten sie denn achtlos vorbeigehen an den Juden, mit denen sie so eng zusammenlebten, solange sie so viel unternahmen für Heiden, die weit in Übersee wohnten?

c.) Die Liebe zu Jesus, dem "König der Juden", nötigte sie dazu, auch dessen Blutsverwandten aus Israel Liebe und Achtung zu erweisen.

d.) Das Aufbrechen der Heidenmission hatte sie zum Fragen geführt, ob nicht die von Jesus vorhergesagten "Zeiten der Heiden " (Lukas 21,24) nun "erfüllt" seien und ob nicht darum auch die Wiederherstellung Jerusalems bevorstehe - samt der Aufhebung der " Verstockung Israels" (vgl. Römer 11,25).

e.) Die mit dem Jahr 1812 begonnene Juden-Emanzipation hatte zu einer Welle von Taufbewerbungen geführt. Diese Juden wollten mit der christlichen Taufe ihr Jude-Sein ablegen und nichts anderes mehr sein als normale Bürger unter anderen Bürgern, normale Namenschristen unter anderen Namenschristen. Christen wie Carl Köllner jedoch schmerzten diese pro-forma- Taufen der über ganz Europa hinweggehenden Assimilierungswelle. Darum wollten sie dazu mithelfen, dass Juden aus Überzeugung die Taufe auf den Namen des Messias Israels begehrten.

f.) Sie waren ja auch gerade dabei, die Hindernisse einer lauen Christenheit wegzuräumen, welche für fromme Juden eher abstoßend als einladend zum Christenglauben waren. Hinter dem ganzen allerdings nur von kleinen Kreisen getragenen - vehementen Aufbruch zur Weckung der Christenheit, zum Engagement in Diakonie und Bibelverbreitung stand die Hoffnung, dadurch auch Israel zum Glauben an den Christus Jesus "reizen" zu können.

Total fremd war jedoch diesen Freunden eines Dienstes an Israel der Gedanke, Juden aus der Verwurzelung in Israel herauszubrechen. Sie verstanden die Christenheit doch nicht anders als Paulus, nämlich als einen in den Stamm Israels eingepropften Zweig! Christus war für sie doch kein Gründer einer neuen Religion, sondern der schon Abraham verheißene Erbe, der Segen der Völker.

Bevor sich jedoch gegen ihre ersten Absichten und Versuche Widerstand aus den Reihen jüdischer Rabbinen erhob, hatten schon längst Christen verschiedenster Schattierungen ihre Bedenken dagegen geäußert, ja ihren Spott gegen dies "unsinnige Unterfangen" ausgegossen. Die viel gehörte - von Napoleon bis hin zu Henry Dunant vertretene - Gegenparole hieß: "Die Juden sollen doch bitte ihre völkische und religiöse Eigenart ernst nehmen und sich wieder im Heiligen Land ansiedeln !" Doch Carl Köllner ließ sich durch dies alles nicht den Mut nehmen.

Er ließ sich vielmehr auf die Spur setzen: Tu doch anstelle des nicht recht glückhaften Weinhandels etwas Förderliches im Reich Gottes!

 

 

Tu doch etwas Brauchbares für das Reich Gottes!

Eigentlich war Carl Köllner selbst immer wieder mit diesem Gedanken umgegangen. Bestärkt wurde er in diesen Überlegungen während einer Reise, die er zusammen mit seiner Frau im Sommer 1820 unternahm. Eigentlich wollten sie Freunde der Mission kennenlernen. Wie durch einen Zufall begegneten sie in Stuttgart dem Basler Missionsinspektor Blumhardt und dem in London wirkenden, alle Fäden der Mission und der Bibelverbreitung zusammenhaltenden Pfarrer Dr. Karl Steinkopf. Diese beiden waren es, welche die beiden Köllners ermutigten, sich hauptamtlich für die Sache des Reiches Gottes zu engagieren. Konkret wurde der Blick der Eheleute Köllner auf die Judenmission gelenkt, als sie in Esslingen den Judenchristen Peter Goldberg kennenlernten. Der war kurz zuvor zusammen mit seiner Frau und den vier Töchtern getauft worden. Zuletzt - es war wie ein Siegel auf den Planungen - kamen Köllners nach Korntal. "Diese seligen Tage in Korntal waren eine Gnadenheimsuchung", so schrieb Carl Köllner in einem Brief.

Im Frühjahr 1822 wurde die Würzburger Weinhandlung verkauft.

Eigentlich hatte sich Carl Köllner ganz darauf eingestellt, das über Kandern hochgelegene Schloss Bürgeln bei Basel zu kaufen, um dort eine "Judenanstalt" einzurichten. Als sich die Kaufverhandlungen lange hinzogen, kaufte Carl Köllner kurz entschlossen aus einem ehemaligen Klosterareal ein Haus und eine Landwirtschaft im kleinen Dorf Sitzenkirch [Foto: Kirche von Sitzenkirch], in einem Schwarzwaldtal unterhalb von Schloss Bürgeln gelegen. So wie 1820 in Beuggen heimatlose Christenkinder Bergung gefunden hatten, so wie 1827 aus türkischer Sklaverei freigekaufte Griechenkinder in der Basler "Griechenanstalt" eine Heimat finden sollten, so sollten in Sitzenkirch Kinder verarmter Judenfamilien aus Baden, der Schweiz und dem Elsass Bergung finden. Es fanden sich auch jüdische Hausiererfamilien, die dankbar waren für das Angebot, ihre Kinder aufzunehmen. Bald jedoch erhoben Straßburger Rabbiner Einspruch gegen diese "als Liebesthat kaschierte Abwerbung" - wie sie es deuteten. Nach und nach verödete die mit Elan begonnene "Judenanstalt". Maria und Carl Köllner verloren jedoch auch da den Mut nicht. Sie eröffneten einen Parallelbetrieb zu "Beuggen" und nahmen besonders schwer erziehbare, verwahrloste Christenkinder in ihr Heim auf. Das Haus füllte sich. Die Eltern Köllner wurden - neben der eigenen Schar der Kinder Keerl und der Kinder mit dem Namen Köllner - auch den schwer Erziehbaren verständnis- und liebevolle Eltern, bis ihnen andere Aufgaben zuwuchsen.

Carl Köllner wurde Bürgermeister im kleinen Sitzenkirch. Fast einstimmig wurde er von der Gemeinde zu ihrem Vorsteher gewählt. Der Präsident der Oberbehörde sagte einmal: "Wenn alle Bürgermeister wären wie Köllner, dann stünde es wohl um das Land und seine Gemeinden." Auch wurde Köllner immer wieder als Ratgeber zu Besprechungen in Basel und als Reiseprediger in die Gemeinschaften um Basel herum geholt. Dies alles machte Carl Köllner die Weiterführung der modellhaften sozialpädagogischen Arbeit in Sitzenkirch unmöglich.

 


 

Johann Christoph Blumhardt, Köllners Schwiegersohn


In jener Zeit durchlebte Carl Köllner auch eine Glaubenskrise. Die sonst so tolerante Badische Kirche hatte ihm polizeilich verboten, die pietistischen Gemeinschaften um Sitzenkirch zu betreuen. Das seien „gesetzwidrige Konventikel". In der Enttäuschung über diese kirchenamtliche Entscheidung fühlte sich Carl Köllner hingezogen zum schwarmgeistigen Kreis der sogenannten "Neukirchler", die in der Staatskirche nichts anderes sahen als die "Hure Babylon". Aus dieser Verirrung wurde Carl Köllner herausgeholfen durch seinen greisen Vater. Kurz vor dessen Sterben (1835) durfte der noch erleben, dass sich sein Sohn Carl aus den unguten Verstrickungen löste. Stattdessen fand nun Carl Köllner eine Aufgabe als geschätzter Referent bei den Zusammenkünften der "Hilfsmissionsgesellschaft für das badische Oberland". Überhaupt wurde Carl Köllner immer mehr verbunden mit der Basler Mission. Sie nahm gerade in jenen Jahren unter dem aus Korntal stammenden jungen Missionsinspektor Dr. Wilhelm Hoffmann einen ungeahnten Aufschwung. Johann Christoph Blumhardt, der spätere Möttlinger Pfarrer und Bad Boller Seelsorger, verlobte sich als Repetent am Missionsseminar mit Köllners Tochter Doris, der Basler Indien-Missionar Häberlin mit der Köllner-Tochter Lotte und der Basler Missionslehrer Jakob Heinrich Staudt mit der Köllner-Tochter Luise. Dieser Heinrich Staudt (1808- 1884) wurde 1843 als Pfarrer und als Leiter des Töchterinstitutes nach Korntal berufen. Für Carl Köllner und seine Frau war das wie ein Wink des Himmels, in dem seit ihrer Sommerreise 1820 hochgeschätzten Korntal - in der Nähe ihrer Töchter - die letzte Lebensaufgabe zu finden. Denn die täglichen Aufgaben in der ausgedehnten Landwirtschaft von Sitzenkirch gingen den älter werdenden Eheleuten längst über die Kraft. Mitten jedoch in den Umzugsvorbereitungen starb Köllners Frau.

 

Hier weitere Bilder zu Karl Köllners Schwiegersohn Heinrich Staudt:



Und hier Staudt vor seinem Korntaler "Töchterinstitut", dessen Leiter er war:




Staudt mit Frau Luise, der Schwester von Christoph Blumhardts Frau Doris:




 

So musste Carl Köllner mit der ledigen Tochter Maria und mit der Stieftochter Mina Keerl (1803 - 1897) in Korntal einziehen. Sofort wurde ihm das Vorsteheramt für die Rettungshäuser in Korntal und bald darauf auch in Wilhelmsdorf übertragen. Mit besonderer Liebe hing er an den kleinen Kindern der Anstalt auf der Schlotwiese. Er leitete auch das Gemeindegasthaus, das jedoch hauptsächlich von der Tochter Mina Keerl mit ganzem Einsatz betrieben wurde. Seinen Wohnsitz hatte er in der heutigen Saalstrasse 6 (seit 1905 Pfarrhaus der Brüdergemeinde).

Carl Köllner genoss es, in das reiche geistliche Leben Korntals und Württembergs einzutauchen. Seine Beiträge als Ausleger der Bibel waren geschätzt. Gerade als einer, der mit dem Gedanken der Separation von der Kirche geliebäugelt hatte, konnte er württembergischen Kirchenkritikern überzeugend klarmachen: "Gewiss hat die Kirche manche Mängel; trotzdem ist sie bis heute durch Gottes Gnade eine Stätte, in der er seine Herrlichkeit offenbaren möchte!" Überhaupt war Carl Köllner gegeben, mit kurzen Sätzen zur Sache zu rufen. Als etwa in der Stuttgarter Predigerkonferenz viel über das Streben nach Vollkommenheit geredet worden war, rief Carl Köllner dazwischen:

„’Sein Blut ist unsere Pracht!’ Mit der Vollkommenheit Jesu können wir uns sehen lassen!" Überaus schmerzlich war es für den Großvater Carl Köllner, aus nächster Nähe miterleben zu müssen, wie den Korntaler Pfarrleuten Staudt drei mit Sehnsucht erwartete Kinder nach kurzer Zeit wieder weg starben. Trotzdem bezeichnete er immer wieder die Korntaler Jahre als den "gesegnetsten und schönsten Abschnitt" seines Lebens. Er dauerte allerdings nur acht Jahre. Eine besondere Freude war es für ihn, noch erleben zu können, wie sein Sohn, der spätere Berliner Propst, eine Anstellung als Pfarrer erhielt. Die größte Freude jedoch, die Köllners Herz mit gespannter Erwartung erfüllte, war die Berufung des Basler Missionars Samuel Gobat (1800 - 1879) zum preußisch-anglikanischen Bischof von Jerusalem. Zusammen mit dem "Gründergenie" Christian Friedrich Spittler (1772 - 1867), einem ganz engen  Freund  Köllners, entwickelte er kühne Pläne, wie "im Windschatten" von Bischof Gobat missionarische und diakonische Pioniere nach Jerusalem entsandt werden könnten. Diese Vision schwang mit jenem Satz, den er unter sein Bild schrieb: "Ich grüße alle, die Jerusalem Glück wünschen!"

In diesen Zusammenhang gehört auch die Korntaler "Jerusalem-Kutsche". Um sie herum gab es später manche geradezu abstruse Legenden. Tatsache war, dass Spittler für einen in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Mitarbeiter der Riehener Taubstummenanstalt gebürgt hatte. Dabei hatte er viel Geld verloren. Aus der Konkursmasse bekam er schließlich nur eine altertümliche große schwarze Kutsche. Er sandte sie nach Korntal zu seinem Freund Köllner mit der Bestimmung: "Macht doch aus dieser Kutsche eine Art von Omnibus, mit dem die Korntaler Brüder zu Monatsstunden oder Ähnlichem befördert werden können. Wenn dann etwas Fahrgeld zusammenkommt, so soll das dem Brüderhaus der Chrischona-Brüder in Jerusalem zugute kommen. Benutzt die Kutsche nur recht häufig!" Die Korntaler Brüder waren nicht erbaut über dieses "Geschenk"; sie wussten nicht, wo sie dies schwerfällige Möbel unterbringen sollten. Die Korntaler brauchten auch gar kein solches Gefährt; denn sie waren gern zu Fuß unterwegs, wenn sie "über Feld" gehen mussten.

Köllner meldete das in einem Brief an Spittler. Er klagte auch über das Ächzen, das die Kutsche bei jeder Bewegung hören lasse. Spittler schrieb umgehend zurück: "Ihr werdet doch wohl in Korntal einen Schuster oder gar Wagner auftreiben, der die Kutsche schmieren kann!" Schließlich wurde eine Lotterie veranstaltet; jedes Los kostete fünf Batzen. Der Ertrag erbrachte mehr als 50 Louisdor. Diese Summe half dazu, dass Köllner die Kutsche dem Brüderhaus in Jerusalem zustellen konnte. Ob sie dort überhaupt gebraucht wurde, ob sie angekommen oder unterwegs verschollen ist, weiß niemand. In die Legende eingegangen ist jedoch die Version: In Korntal hatten sie in ihren Remisen unaufhörlich die Kutschen einspannbereit und geschmiert, um sich beim Wiederkommen Jesu sofort auf den Weg nach Jerusalem machen zu können!

Als Carl Köllner 63jährig unvermutet am Rand der Korntaler Markung gestorben war, wurde dort zum Gedenken an ihn der "Köllner-Stein" gesetzt. Als Mahnung für die Vorbeigehenden wurden in den Stein die Worte aus dem mittelalterlichen Antiphon eingegraben:

"Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen". Luther stellte einmal diesem schreckenden Wort das tröstliche Evangelium entgegen:

"Mitten in dem Tode sind wir vom Leben umfangen!" Carl Köllner hat es in allem Auf und Ab seines Lebens erfahren: "Nur den Mut nicht verloren! Durch Leiden geht es zur Herrlichkeit!"

 

Foto von der heutigen "Karl-Köllner-Schule" in Vater Köllners Sitzenkirch:

 

 

 


 

UNSERE KIRCHE, Regionalteil Arnsberg - Soest, zum 14.3.2004

Christen aus dem Kirchenkreises Arnsberg (7):
Schwerer Abschied nach dreieinhalb Jahrzehnten: Hartmut Köllner, Pfarrer in Meschede

 

Im Jahr 2003 hatten wir in lockerer Reihe sechs "Lebensbilder" aus dem Kirchenkreis Arnsberg veröffentlicht - jeweils von Menschen, deren Lebensweg etwas zum Ausdruck brachte davon, was für das Christsein im Kirchenkreis exemplarisch wichtig ist. In ganz starkem Maß ist das auch bei dem heute vorzustellenden Pfarrer Hartmut Köllner (62) der Fall. Hartmut Köllners Amtszeit endet zum 31.3.2004. An diesem Sonntag Okuli, dem 14.3.2004, nimmt die Gemeinde mit einem Gottesdienst im Gemeinsamen Kirchenzentrum (15 Uhr) und mit einem anschließenden Empfang Abschied von ihm nach der langen Zeit seines Wirkens dort.

 

 
Man wird sagen dürfen, dass Köllner in den dreieinhalb Jahrzehnten seines Wirkens in Meschede wichtige "ökumenische Pionierarbeit" geleistet hat vor Ort, die auch darüber hinaus ausstrahlte. 1969 ist er in seiner Hilfspredigerzeit in Meschede ordiniert worden, und 1970 hatte er als 29-jähriger seinen Dienst als Pfarrer in Meschede angetreten. In seiner Kirchengemeinde wurde diese Pfarrstelle im Neubaugebiet Gartenstadt durch das dort 1976 gebaute Gemeinsame Kirchenzentrum ein Modell ökumenischen Zusammenlebens für den Kirchenkreis und darüber hinaus. In diesem Kirchenzentrum teilen sich die katholische und die evangelische Gemeinde den Kirchenraum und das Gemeindehaus geschwisterlich miteinander und arbeiten in besonderer Weise zusammen. Ein Großteil des Wirkens von Pfarrer Köllner bestand darin, dieses ökumenische Konzept mit geistlichem Leben zu erfüllen - an dieser besonderen Wirkungsstätte, wo sein Lebensraum und besonders auch das Pfarrhaus der großen Familie Köllner (Frau Gertrud Köllner und drei Töchter sowie zwei Söhne) eng verbunden war mit dem Gemeinsamen Kirchenzentrum.
Was alles seine Mescheder Gemeinde dem Wirken dieses ungemein engagierten Pfarrers an Impulsen verdankt, können diese wenigen Zeilen zwar nur ganz unzureichend wiedergeben. Aber die besonderen Interessengebiete und Begabungen, die zu Hartmut Köllner gehören, können hier stichwortartig aufgelistet werden: Hartmut Köllner hat den konziliaren Prozess in unserer Kirche um "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" mit Leidenschaft zu seiner eigenen Sache gemacht, hat sich in dem Zusammenhang um die Frage des Friedens, um die Frage der Ökologie, um die Fragen des christlich-jüdischen Versöhnung und der entwicklungspolitischen Verantwortung der Kirche ganz besonders gekümmert und auf diesen Feldern tatkräftig und als ein unermüdlicher Mahner dafür geworben, dass in diesen Fragen die Kirche wach bleibt und glaubwürdig ans Handeln kommt. Ein wichtiges Beispiel dafür ist der Einsatz für die internationale Versöhnungsarbeit Coventrys im Zeichen des Nagelkreuzes, das im Foyer des Kirchenzentrums einen sichtbaren Ausdruck gefunden hat.
Auch dass Köllner die oben genannten Interessenfelder als Verantwortlicher im Kirchenkreis und darüber hinaus engagiert befördert hat, ist hier nur anzudeuten: Für den Kirchenkreis Arnsberg war Köllner, der jahrelang auch für UK zuständig war, zuletzt als Synodalassessor der stellvertretende Superintendent, ferner war er kreiskirchlich Beauftragter für Ökumene und Erwachsenenbildung, Vorsitzender der Mitgliederversammlung der Diakonie Hochsauerland-Soest und langjähriger Vertreter des Kirchenkreises in der Landessynode. Für die Landessynode arbeitete er verantwortlich mit im Ausschuss für Mission, Ökumene und Weltverantwortung und hatte drüber hinaus diverse überregionale ökumenischen Engagements.
Doch sehr weit entfernt davon, bei alledem einfach nur platt "politischer Theologe" zu sein, war und ist Hartmut Köllner theologische Verantwortung grundwichtig und die Botschaft des Glaubens bei alledem das Primäre, weswegen er sich in seinem Amt als einer versteht, dem Predigen die Hauptleidenschaft geblieben ist. "Je länger je mehr ist für mich das Erarbeiten einer Predigt sogar eine Rekreationsform, die mir gut tut, die mich vergewissert, worauf es uns ankommt, und da brauche ich, je älter ich werde nur noch die Bibel und die Zeitung“, meinte Köllner im Gespräch.
Kritische Nüchternheit, intellektuelle Redlichkeit gepaart mit einem hohen Maß an Engagement und Bemühen um christliche Glaubwürdigkeit - alles Eigenschaften, bei denen er viel von Dietrich Bonhoeffer gelernt habe: das stellt Köllner als Leitlinien seines Verständnisses von Christsein heraus.
Sehr viel anderes, das für seinen Glauben und den Lebensweg grundwichtig ist, tritt zutage, wenn man sich näher mit seinem besonderen biografischen "Background" beschäftigt: Hartmut Köllner wurde 1941 als Sohn des späteren Superintendenten Walter Köllner in Lüdenscheid geboren, eines Mannes übrigens mit beträchtlicher kirchlicher Bedeutung, der selbst zu den Vätern unserer westfälischen Kirchenordnung zu rechnen ist und der in seinem Superintendentenamt von 1948 bis 1964 zusammen mit dem Lüdenscheider Pfarrer Paul Deitenbeck dazu beigetragen hat, dass die starken pietistischen Strömungen im Lüdenscheider Gebiet positiv in das Kirchenleben integriert wurden. So wie Hartmut Köllners Vater ursprünglich Zoologie studiert hatte, waren auch für Hartmut Köllner zunächst seine Berufspläne ganz andere: er, der sich als Gymnasiast für Naturwissenschaften, besonders Biologie und Verhaltensforschung interessiert hatte, wollte ursprünglich Förster werden, bis ihm seelsorgerliche Gespräche im Umkreis des CVJM Lüdenscheid seine Bestimmung zeigten, zum Pfarrer berufen zu sein.
Und auch Hartmut Köllners Bemühungen um das rechte Verhältnis von "Christen und Juden" hatten in seiner eigenen Familiengeschichte frappante innere Parallelen: in der siebten Generation sind die Köllners Pfarrer gewesen. In der Geschichte des württembergischen Pietismus ist besonders sein bedeutender Vorfahr Karl Köllner (1790-1853), der auch der Schwiegervater Johann Christoph Blumhardts war, ein stark prägender Vater des Glaubens gewesen. Das gesamte Denken dieses Karl Köllner hatte sehr um das Thema Judentum gekreist und in der von ihm geprägten Gemeinde in Korntal hatte Köllner jene "Kutsche nach Jerusalem" vor der Tür, von der sogar Karl Barth schrieb und um die es viele Legenden gab, an denen aber das eine historisch sicher ist: dass Jerusalem Karl Köllner ein Heilsort wie kein anderer war. Vgl. zu dieser Köllnerschen Familiengeschichte und Pfarrerstradition im Internet www.pastoerchen.de/koellners.htm



Zu Walter Köllner, dem Lüdenscheider Superintendenten
(Quelle auch das Pfarrerbuch von Friedrich-Wilhelm Bauks)

Der oben dargestellte Pfarrer Hartmut Köllner ist in seiner Familie Pfarrer in der siebten Generation.
Sein Vater war Karl Walter Köllner, geb. 15.10.1899 in Stebbach/Baden als Sohn von Pfr. Wilhelm Köllner und Anna Köllner, geb. Katz.
Walter Köllner hatte in Freiburg Zoologie studiert und dann erst Theologie in Heidelberg, Tübingen, Leipzig...
Im badischen Kirchendienst war Walter Köllner Vikar gewesen, ab Ende 1931 Pfr. in Westkilver, dann Pfr. in Lüdenscheid ab 25.7.1937, dort Sup. von 1948 bis 1964.
In erster Ehe verheiratet ab 1928 mit Dorothea Bökenkamp, der Enkelin eines der Gründer von Bethel, Heinrich Bökenkamp, in zweiter Ehe nach dem Tod der ersten Frau ab 1940 mit Renate Bökenkamp der jüngsten Schwester der ersten Frau.
Zusammen mit Paul Deitenbeck hatte Sup. Karl Köllner einen wichtigen Beitrag geleistet, die pietistischen Strömungen in Lüdenscheid an die ev. Kirche heranzuführen.

Walter Köllner starb in Bielefeld am 8.5.1881 - in der Stadt, in der seine Witwe Renate Köllner, Hartmut Köllners Mutter, bis heute hoch betagt noch lebt.


Foto auf dem Blumhardt-Friedhof Bad Boll: Sup. Walter Köllner besucht das Grab seines Großvaters Nathanael Köllner:

 

 

 


Stichworte und Bilder zu früheren Pfarrern aus der Familie Köllner

Zu Wilhelm Köllner (geb. am 14.8.1859 in Elberfeld, gestorben 6.6.1930 in Freiburg):
Obiger Walter Köllner war der Sohn von Pfr. (Friedrich) Wilhelm Köllner und Anna Köllner, geb. Katz. Dieser war
also Hartmut Köllners Großvater. (Friedrich) Wilhelm Köllner war Pfarrer und Kirchenrat in Baden gewesen; Wilhelm Köllner war der Sohn von Nathanael Köllner, dem ehemaligen Propst in Berlin. Hier eine "Liebhaberzeichnung" (wie Sup. Walter Köllner, Lüdenscheid, ins Familienalbum schrieb), die diesen Wilhelm Köllner zeigt:


 


Zu Nathanael Köllner (geb. am 29.8.1821 in Würzburg, gestorben 21.10.1873 in Freiburg):
Nathanael Köllner war der Urgroßvater von Hartmut Köllner, Vater des eben genannten Wilhelm Köllner, und Sohn des am Anfang vorgestellten Carl/Karl Köllner. Nathanael Köllner, zunächst Pfarrer in Elberfeld, war dann Propst zu St. Petri in Berlin, hat dort Kaiserkinder getauft und wurde da dann auch Superintendent. Er war verheiratet mit Esther Köllner, geb. Socin (das ist eine geschichtlich sehr einflussreiche Familie gewesen).  Beerdigt ist er auf dem Blumhardt-Friedhof in Bad Boll, wie oben schon gezeigt.
 

Hier Bilder zum Leben von Nathanael Köllner:

 

 





 


 

Zu Nathanael Köllners Großvater Wilhelm Matthäus Elias Köllner (geb. am 25.3.1760 in Eisenach, gestorben 4.1.1835 in Sitzenkirch):

Ein weiterer interessanter Vorfahr ist der Vater des eingangs vorgestellten Karl Köllner, nämlich Pfarrer Wilhelm Köllner (1760-1835), der im Erweckungspietismus des 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte als Engagierter in der von Basel ausgehenden Bewegung der Deutschen Christentumsgesellschaft.
Zunächst hier die Selbstbiografie dieses Wilhelm Köllner, dann Bild von Wilhelm Köllner mit seinem Hörrohr. Darunter soll ein weiteres  Bild von Wilhelm Köllner und seiner Frau hier den Abschluss bilden:

 

Und hier Wilhelm Köllners Autobiografie:

 


 

 

 

 

 



 



Zusatz: Johann Christoph Blumhardt lernt seine spätere Frau Doris Köllner kennen und hält bei Karl Köllner um deren Hand an; Hochzeit der beiden...

Aus: Dieter Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk, Göttingen 2002, S. 103 - 105 und S. 132 und 133

 

"Verlobung [Blumhardts] mit Doris Köllner

An einem Samstag - es ist der 7. Mai 1836 - wandern Angehörige des Missionshauses durch den südlichen Schwarzwald, von Basel nur durch den Rhein getrennt. Einer von ihnen, klein und schwarzhaarig, ist unschwer als Missionslehrer Blumhardt [Bild rechts] zu erkennen; man sammelt Mineralien, die er als Anschauungsmaterial für das Fach "Nützliche Kenntnisse" benötigt. Die Gruppe erreicht das Dorf Sitzenkirch bei Kandern und nähert sich dem ehemaligen Klostergut, das von dem Missionsfreund Karl Köllner bewirtschaftet wird. Schon von fern erkennt sie Köllner als Missionshäusler und lädt sie zu sich ein. Nach alter Sitte begrüßen die Töchter des Hauses die Ankömmlinge mit einem Händedruck. Einer habe auf Blumhardt "wie elektrisch" gewirkt, berichtet Friedrich Zündel - es war der von Doris Köllner [Bild links].

Eine andere Version vermittelt Blumhardts Brief an Mögling vom Februar 1837. Hier wird das erste Zusammentreffen etwas heruntergespielt - ja, er habe Doris zweimal „auf flüchtigen Besuchen“ in Sitzenkirch gesehen, aber ganz und gar nicht als mögliche Braut betrachtet. Das sei erst mit der Verlobung Karl Werners anders geworden. „Manche Leute“ hätten da eben auch an ihn gedacht, den noch unbeweibten Missionslehrer, und hätten ihm „Aufmunterungen zu jener Person“ gegeben. Diese Hinweise habe er aber immer unbeachtet gelassen. Und nun folgt unvermittelt der Satz: „Einmal aber traf mich's und, ich darf wohl sagen, mir jetzt noch unerklärlich, mit augenblicklicher völliger Entschiedenheit.“ Sofort sei durch den Missionsinspektor die Brautwerbung eingeleitet worden - „und nach sechs Wochen ... war ich Bräutigam“.

Welche Version zutrifft, sei dahingestellt. Auf jeden Fall haben sich hier zwei Menschen gefunden, die, von verschiedener Herkunft und unterschiedlichem Temperament, in der Hauptsache eins sind. Im genannten Brief wird Doris beschrieben als eine „durchaus mit mir zusammenstimmende, gründlich zum Herrn bekehrte, stille, liebenswürdige Seele, deren Gemeinschaft jetzt schon die wohltuendsten Wirkungen auf mich hat, von der ich auch weiß, dass sie mit mir meinen künftigen Beruf recht treulich auf dem Herzen tragen und gerne um des Herrn willen Aufopferungen sich gefallen lassen wird." Auf die Opfer, die sie in Möttlingen und Bad Boll gebracht hat, wird noch einzugehen sein. Um das Bild nicht einseitig werden zu lassen, ist der Hinweis am Platze, dass sie als Ehefrau auch Eigeninitiative - ebenfalls im Sinn der gemeinsamen Sache - bewiesen hat und dass das Aufopfern, das Für den andern da sein, durchaus gegenseitig gewesen ist.

Aber noch sind wir im November des Jahres 1836, bei Blumhardts augenblicklicher völliger Entschiedenheit. Der damaligen Sitte entsprechend wird dieser Entschluss von Missionsinspektor Christian Gottlieb Blumhardt, dem väterlichen Freund, am 2. Dezember der Familie Köllner brieflich mitgeteilt.

Einige Tage darauf bittet Karl Köllner um Bedenkzeit - nicht etwa, weil seine Tochter keine Zuneigung zu dem verspürte, der da um ihre Hand anhält.

Vielmehr ist es ihr wichtig, "darüber des heiligen Willen Gottes einigermaßen versichert zu werden, um nach diesem und nicht nach bloßer trügerischer Neigung sich zu erklärenl". Vor dieser für die Zukunft entscheidenden Weichenstellung will Doris sich im Gebet darüber klar werden, ob es der richtige Weg ist; wenn die Entscheidung für Blumhardt ausfällt, soll es eine Entscheidung "im Glauben" sein können.

Nun meldet sich Blumhardt selbst zu Wort. Er weiß, dass in der Familie Köllner kein bloßes Namenschristentum gelebt wird. Karl Köllner, Sohn des in Missionskreisen bekannten nassauischen Pfarrers Wilhelm Köllner, hat schon als Weinhändler in Segnitz am Main christliche Hausversammlungen gehalten und einige Jahre darauf, allerdings vergeblich, die Gründung eines Missionsvereins versucht. 1822 ist die Familie in den Südschwarzwald gezogen; dort betreibt man auf dem Sitzenkircher Klostergut eine Landwirtschaft. Auch hier will Karl Köllner für das Reich Gottes tätig sein. Eine Anstalt zur Erziehung armer jüdischer Kinder, in Verbindung mit der „Basler Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums unter den Juden“ gegründet, geht 1825 aus Mangel an Schülern ein. Dafür entsteht, ohne dass man sich besonders darum bemüht, in Sitzenkirch eine kleine „Töchteranstalt“ , in der die Töchter von Basler Missionsfreunden beherbergt und unterrichtet werden. Der Hausvater erteilt jeden Morgen den Bibelunterricht. Vorübergehend hat er sich mit seiner Frau der Nazarenergemeinde um den Basler Seidenweber Johann Jakob Wirz angeschlossen, dem man prophetische Fähigkeiten zuschreibt. Wirz erwartet den baldigen Anbruch eines Zeitalters des Geistes und betrachtet sich selbst als Bringer dieses Zeitalters; die Christentumsgesellschaft schließt ihn aus ihren Reihen aus. 1835 trennen sich Köllners von ihm und kehren zur Christentumsgesellschaft und zur Landeskirche zurück.

In seinem Brief an Karl Köllner vom 16. Dezember 1836 versichert Blumhardt, er bete in demselben Geist zu Gott wie die Familie; auch ihm liege daran, dass es ein Entschluss im Glauben werde. Schließlich kann Köllner am 23. Dezember mitteilen, seiner Doris sei vom Herrn die Überzeugung geschenkt worden, der Antrag sei ein Ruf Gottes. Köllner fügt, auch im Namen seiner Frau, hinzu: „Das kommt vom Herrn, darum können wir auch nichts dagegen reden; da ist unsere Doris, nimm sie und ziehe seinerzeit mit ihr hin, dass sie dein Weib sei, wie der Herr geredet hat.“ Gold und Silber habe er nur sehr wenig anzubieten; dafür sei der Segen der Eltern dem jungen Paar gewiss, der rechte Grund eines christlichen Hausstands.

Am 28. Dezember besucht Blumhardt Sitzenkirch. Hier muss man ihn selber reden lassen in der Weise, wie er ein Jahr darauf sich und die Verlobte an den wichtigen Tag erinnern: „Was fühlte ich an jenem Morgen, als ich erwartungsvoll und stille das Missionshaus verließ, endlich das Angesicht des teuren Vaters gewahrte, dann unter fröhlichen Gesprächen weiter kam, vor dem Hoftore die teuren Schwestern begrüßte, im hinteren Stübchen die Mutter umarmte, dann dir zum ersten Male mit klopfendem zum klopfenden Herzen an den Hals sinken durfte und endlich mit dir, Hand in Hand geschlagen, den Segen des teuren Vaters empfing: ,ihr seid gesegnet und sollt gesegnet bleiben.' Das war ein großer Tag; er reicht auch in die Ewigkeit hinüber. Wundersam ergreift' s mich, wenn ich der Führungen aller gedenke. Lobe den Herrn, meine Seele!“

Als man im Missionshaus von der Verlobung erfährt, ist die Freude groß."

Ebenfalls aus Isings Blumhardt-Biographie, S. 132 f. (im Kapitel "Möttlingen"):
"Tags darauf [nachdem Blumhardt am 31.7.1938 als neuer Pfarrer in Möttlingen feierlich empfangen worden war] tritt er eine vierwöchige Reise an. Die Möttlinger werden es ihm verziehen haben, wissen sie doch, dass es Sitzenkirch zu geht, dem Wohnort seiner Braut. Dort findet am 4. September 1838 die Hochzeit statt, die unversehens zu einer Doppelhochzeit wird. Johannes Häberlin, Missionar in Kalkutta, hat auf einem Erholungsurlaub in der Heimat um die Hand von Doris' Schwester Charlotte angehalten. Die Brautwerbung löst nicht nur Freude aus.
Die Eltern Köllner sind sich bewusst, dass sie ihre Tochter an einen weit entfernten Missionsposten gehen lassen sollen, in die Gefahren eines für Europäer nicht zuträglichen Klimas, ohne die Hilfen moderner Medizin. Zudem steht es mit Häberlins Gesundheit nicht zum besten. Blumhardt, als früherer Missionslehrer um seine Meinung befragt, möchte weder dafür noch dagegen reden. Charlotte müsse sich darüber klar sein, meint er, dass das Leben auf einem Missionsposten sehr schwer sein kann. Um dies durchzuhalten, brauche es einen geistlichen Vorrat das sichere Gefühl, auf Gottes Geheiß in die Fremde gezogen zu sein. Er rät dazu, ruhig zu bleiben, in der Stille auf Gottes Stimme zu warten, weil dort allein der Herr "einflüstern" könne. "Ist die Sache von Menschen, so wird sie untergehen", meint Blumhardt in Anlehnung an Gamaliel (Apg 5,38 f.); "ist sie aber von Gott, so können wir's nicht halten."
Die Entscheidung fällt schweren Herzens. Charlotte will Häberlin nach Indien folgen. Die Eltern Köllner, von der Notwendigkeit und Wichtigkeit der Missionssache überzeugt sind tief bewegt. Sie müssen sich nun, wie Karl Köllner schreibt, dazu durchringen, auf den zu vertrauen, der ihnen "das kostbare Gut lieber Kinder eine Zeitlang anvertraut hat und nun über sie als sein Eigentum verfügt".
Die Einsegnung beider Brautpaare übernimmt Missionsinspektor Christian Gottlieb Blumhardt. Verwalter Büchelen, mit Blumhardt befreundet, fungiert als Trauzeuge. Es ist die letzte Begegnung mit dem Inspektor, der wenige Wochen darauf erkrankt und in Basel am 19. Dezember 1838 stirbt.
Unter den Gratulationen zur Hochzeit finden sich Glückwünsche einer Basler Erbauungsversammlung, deren Mitglied Blumhardt in seiner Zeit als Missionslehrer gewesen ist. Adolf Sarasin-Forcart vom Christlichen Volksboten aus Basel schickt ein Gedicht; Verse Christian Gottlob Barths "auf die Doppelhochzeit von Lotte und Doris Köllner" gehen auf den Abschiedsschmerz der Eltern ein, aber auch auf die Erwartung der künftigen Gemeinden in Möttlingen und Indien.
Das in Möttlingen und Bad Boll oft benutzte Herrnhuter Losungsbüchlein vermerkt zum Hochzeitstag, dem 4. September: "Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis von dem Gnädigen, Barmherzigen und Gerechten" (Ps 112,4). Der Lehrtext lautet: "Alles, was ihr bittet in eurem Gebet glaubet nur, dass ihr es empfangen werdet, so wird es euch werden" (Mk 11,24). Diese Worte, wie ein Lichtkegel in die Zukunft hineingesprochen, werden die Eheleute Blumhardt begleiten.
Das Ehepaar Häberlin reist nach England. Vorher verleiht die Tübinger Universität dem sprachbegabten Missionar, der sich mit Sanskrit und Hindustani beschäftigt, die philosophische Ehrendoktorwürde. 1839 bricht man nach Kalkutta auf, wo Häberlin im Dienst der Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft eine Ausgabe des hindustanischen Neuen Testaments drucken lässt.
Die Eheleute Blumhardt verlassen Sitzenkirch noch am Abend des Hochzeitstags. In einer Kutsche geht es über Freiburg und Wolfach nach Stuttgart zu Blumhardts Angehörigen, von dort weiter nach Möttlingen - eine an heutigen Maßstäben gemessen bescheidene Hochzeitsreise. Auf der Fahrt durch enge Schwarzwaldtäler kann Blumhardt, der ehemalige Missionslehrer, mit mineralogischen Kenntnissen aufwarten; Doris ist entzückt über immer neue "hinreißend romantische" Ausblicke auf Tannenwälder und Felsen. In der Unterkunft singen sie am Klavier das Lied von Gottfried Arnold:
"So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen,
Ja selig und doch meistens wunderlich.
Wie könntest du es böse mit uns meinen,
Da deine Treu nicht kann verleugnen sich!
Die Wege sind oft krumm und oft gerad',
Darauf du lässt die Kinder zu dir gehen;
Da pflegt es wunderseltsam auszuseh'n,
Doch triumphiert zuletzt dein hoher Rat."

Die verborgenen Wunderwege Gottes kommen wieder zur Sprache; das lange Warten ist Freude geworden.
Am 13. September erreichen sie ihre künftige Wirkungsstätte. Noch einmal wartet die Gemeinde mit einem Empfang auf, der diesmal vor allem der Pfarrfrau gilt. Ein großer Teil der Einwohnerschaft - Möttlingen zählt damals etwa 500, das Filial Unterhaugstett etwa 300 Seelen - ist versammelt, was Doris Ungemein beeindruckt. Eine Menschenmenge, "als ob es einem Fürsten entgegenzugehen gälte" , die Achtung und Ehrerbietung, die ihnen zuteil wird würde man dies zu Hause im Badischen erzählen, meint sie, hielten die Leute es für ein Märchen."
 

Dazu passt die vom Sohn Christoph Blumhardts (dessen Bild unten) verfasste Lebensbeschreibung über das Leben sarchiveeiner Mutter Doris Blumhardt, geb. Köllner:
 



Abschluss-Bild - Johann Christoph Blumhardts und Doris Blumhardts berühmter Sohn Christoph Blumhardt (1842-1919), der des Vaters Nachfolger und u.a. Karl Barths Lehrer wurde (ein wichtiger großer Aufsatz zu Christoph Blumhardt - von FG - im Internet hier;
dieser Aufsatz im PDF-Download auch hier):

 



 

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